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Studie: 44 von 60 Pferden zeigen Lahmheit, und ihre Reiter bemerken es nicht

15.10.2020 / News

Traurig, aber wahr: Ein großer Teil der Reiter ist nicht in der Lage, Lahmheits-Signale bei seinem Pferd zu erkennen.
Traurig, aber wahr: Ein großer Teil der Reiter ist nicht in der Lage, Lahmheits-Signale bei seinem Pferd zu erkennen. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Eine aktuelle Studie britischer Wissenschaftler brachte gleich zwei beunruhigende Ergebnisse: Fast drei Viertel der untersuchten Pferde gingen unter ihrem Reiter lahm – doch für diese waren die Pferde völlig in Ordnung. Die Forscher fordern nun mehr Aufklärung und zielgerichtete Schulungen für Reiter, Besitzer und Trainer.  


Bereits seit vielen Jahren beschäftigt sich die renommierte Orthopädin und Verhaltens-Spezialistin Dr. Sue Dyson mit Lahmheits-Diagnostik und dem Erkennen von Schmerzsymptomen bei Pferden, was in mehreren bahnbrechenden Studien und wissenschaftlichen Arbeiten Niederschlag fand. Dr. Dyson entwickelte gemeinsam mit Kollegen ein ,Schmerz-Ethogramm für gerittene Pferde’ (,Ridden horse pain ethogram’, kurz RHpE) – also einen Katalog mit insgesamt 24 Verhaltensweisen bzw. -signalen, die nachweislich mit dem Empfinden von Unbehagen und Schmerz beim Pferd verbunden sind. Zu diesen Verhaltenssignalen zählen Schmerz-Anzeichen im Gesicht (etwa angelegte Ohren, geschlossene Augenlider, ein starrender Blick, sichtbares Augenweiß, ein aufgesperrtes Maul etc.) ebenso wie körperliche Merkmale (wiederholte Veränderung der Kopfposition, Kopfschlagen oder ständige Kopfbewegungen zur Seite, Schweifschlagen etc.) oder Eigenheiten im Gangbild (zu eilige bzw. unrhythmische Gänge, plötzliche Gangwechsel bzw. Richtungsänderungen, Scheuen, Buckeln,  Ausschlagen etc.). Dieses ,Schmerz-Ethogramm für gerittene Pferde’ hat sich bereits in mehreren Studien als sehr zuverlässiges Instrument herausgestellt, um das Schmerzempfinden von Pferden zu bestimmen – mit einer eindrucksvoll hohen ,Trefferquote’.

In einer neuen, aktuellen Studie untersuchten Dr. Sue Dyson und ihre Kollegin Danica Pollard mit Hilfe dieses Ethogramms eine Gruppe von insgesamt 60 Sport- und Reitschulpferden in Großbritannien.  Dies waren Pferde unterschiedlichen Alters und verschiedener Rassen, die in diversen Disziplinen eingesetzt wurden: Die größte Gruppe – insgesamt 26 Pferde – wurde zu allgemeinen Reitzwecken eingesetzt, gefolgt von Dressur (12 Pferde) und der Verwendung in einer Reitschule (11 Pferde), nur wenige kamen in der Vielseitigkeit (8 Pferde) und im Springen (3 Pferde) zum Einsatz.

Jedes Pferd wurde von seinem gewohnten Reiter geritten. Nach einem 15-minütigen Aufwärmen absolvierte jedes Reiter-Pferd-Paar eine speziell entwickelte Dressurprüfungen von ca. 8,5 Minuten Dauer mit Lektionen in Schritt, Trab und Galopp in einem abgegrenzten 20 x 40 m Viereck. Vor dem Reiten wurden die Pferde auch qualifizierten individuellen Lahmheits-Tests und klinischen Untersuchungen unterzogen, um beispielsweise Verspannungen oder Schmerzen der Rückenmuskulatur zu ermitteln. Zusätzlich bewertete ein Sattlermeister Sitz und Passform des Sattels.

Sämtliche Ritte wurde mit der Videokamera aufgezeichnet und anschließend von Experten detailliert analysiert. Sie bewerteten die Pferde auf das Vorhandensein oder Fehlen der im Ethogramm enthaltenen 24 Verhaltensweisen, während sie von ihren regulären Reitern geritten wurden.

Die Ergebnisse waren beunruhigend, ja, mitunter sogar verstörend, so die Forscher: Obwohl alle Reiter in der Studie angegeben hatten, dass ihre Pferde absolut gesund waren, ergaben die Lahmheitsbewertungen, dass 73,3 % (also 44 von 60 Pferden) an einem oder an mehreren Beinen lahm waren, so der wenig ermutigende Befund von Dr. Dyson und Dr. Pollard. Die Lahmheit war zwar nur geringgradig – bis zu einer Punktzahl von 2 auf einer Skala von 1 bis 8 – und auch nicht konstant, aber sie war vorhanden und spiegelte eindeutig das Unbehagen des Pferdes wider, so die Wissenschaftler in ihrem Resümee.

Bei 35 Pferden – also bei 58,3 % – wurde eine erhöhte Spannung und/oder Schmerzen im Bereich der Wirbel- bzw. Lendenwirbelsäule festgestellt, und fast die Hälfte der Pferde (46,7 %, das waren 28 Pferde) zeigte eine Abnormalität im Galopp, wie etwa „hoppelnde“, also verkürzte und steife Galopp-Sprünge. Auf 22 Pferde traf sogar beides zu – sie zeigten einen abnormalen Galopp und gingen zudem auch noch lahm. Ein weiterer beunruhigender Befund: Fast 47 % der Pferde (das waren 28) hatten einen schlecht sitzenden bzw. nicht korrekt angepassten Sattel – mit dem Potenzial, die Leistung nachteilig zu beeinflussen. All das – wie schon gesagt – ohne dass die Reiter der Pferde dies zuvor erkannt haben.

Als besonders irritierend wurden die Ergebnisse der Reitschulpferde bezeichnet: Hier zeigten 9 von 11 Pferden (82 %) Lahmheit und 6 von 11 (55 %) Gangstörungen im Galopp. Nur ein Pferd wurde so eingestuft, dass es keine Gangstörungen aufwies – aber dieses Pferd war mit dem Kopf ständig deutlich vor der Senkrechten und wies eine deutlich verringerte Beweglichkeit des Rückens auf. Aus diesem Grund kam es auf den ungewöhnlich hohen RHpE-Wert von 13. Insgesamt war der mittlere RHpE-Wert für die Reitschulpferde höher als für die Pferde der anderen Disziplinen. Die Wissenschaftler dazu: „Dies ist vermutlich auf den Zusammenhang zwischen der jeweiligen Disziplin und dem Können der Reiter zurückzuführen, da die Reiter von Reitschulpferden naturgemäß im Schnitt das geringste reiterliche Können aufweisen. Die Verhaltensweisen vieler Reitschulpferde spiegeln wahrscheinlich chronische Beschwerden wider und sollten keinesfalls als typisches Verhalten schmerzfreier Pferde missverstanden werden.“

Insgesamt kommentierte Dr. Sue Dyson ihre Studien-Ergebnisse gegenüber dem Portal TheHorse.com ernüchtert: „Ich bin immer enttäuscht, wenn ich eine Gruppe von Pferd/Reiter-Kombinationen habe, bei denen das Pferd als klinisch gesund betrachtet wird – und sich herausstellt, dass dies leider nicht der Fall ist. Und das ist häufig der Fall.“

Dies bedeute nicht zwangsläufig, so Dr. Dyson weiter, dass die Reiter nicht auf ihre Pferde achten würden. Vielmehr spiegelt es wahrscheinlich die früheren Erfahrungen der Reiter mit Pferden und die mangelnde Schulung zum Erkennen von schmerzbedingtem Verhalten wider. Vor allem die ersten Erfahrungen mit Pferden in Reitschulen – in denen die Pferde aufgrund subklinischer Lahmheit, suboptimaler Sattelanpassung und unausgeglichener und/oder ungelernter Reiter zu leichten Schmerzen neigen – könnten sich hier besonders nachteilig auswirken: „Wir glauben, dass viele Reiter auf Schulpferden reiten lernen, die diese Verhaltensweisen zeigen – und dass dies zur Folge hat, dass diese Verhaltensweisen gleichsam generell akzeptiert und für Pferde als normal betrachtet werden“, so Dr. Dyson.

Die Schlussfolgerung der Studien-Autorinnen ist daher eindeutig: „Besitzer, Reiter, Trainer und alle weiteren Experten in ihrem Umfeld müssen dringend besser geschult werden, damit sie erkennen, was abnormales Pferdeverhalten ausmacht – und damit lahme Pferde als solche auch tatsächlich erkannt und angemessen untersucht und behandelt werden können, um sowohl das Wohlbefinden der Pferde als auch deren Leistungsfähigkeit zu verbessern.“

Die Studie „Application of a Ridden Horse Pain Ethogram and Its Relationship with Gait in a Convenience Sample of 60 Riding Horses" von Sue Dyson und Danica Pollard ist am 17. Juni 2020 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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