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Gamaschen und Bandagen können zu Überhitzung der Pferdebeine führen
24.06.2021 / News

Bandagieren oder lieber doch nicht – das ist die Frage. Pferdebesitzer müssen zwischen Nutzen und Risiken eines Beinschutzes abwägen, so Studien-Autor Luke Brock.
Bandagieren oder lieber doch nicht – das ist die Frage. Pferdebesitzer müssen zwischen Nutzen und Risiken eines Beinschutzes abwägen, so Studien-Autor Luke Brock. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Eine  Studie aus den USA zeigt: Gamaschen und Bandagen können nicht nur den Lymphfluss beeinträchtigen, sondern an den Beinen einen Temperaturanstieg verursachen, der für die innenliegenden Sehnen schädlich ist – sprich: Sie können zu Überhitzung führen.

 

Noch immer verwenden viele Reiter während des Trainings Gamaschen und Bandagen an den Beinen ihrer Pferde, um diese vor Verletzungen, Schlägen und anderen Traumata zu schützen. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass diese Form des Beinschutzes auch negative gesundheitliche Effekte hat: So kann der auf das Pferdebein ausgeübte Druck den Lymphfluss beeinträchtigen und zu Langzeitschäden bei den empfindlichen Gewebestrukturen führen. Auch der Mythos einer ,Stützfunktion’ von Gamaschen oder Bandagen ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt.

Jüngste Studienergebnisse aus den USA weisen auf eine weitere negative Wirkung derartiger Beinschutz-Varianten hin, die ebenfalls schon länger in Diskussion stand: Gamaschen und Bandagen können die Beintemperatur beim Pferd in einem Ausmaß erhöhen, das für die innenliegenden Sehnen schädlich ist – sprich: Sie können zu Überhitzung führen.

Ein Forscherteam der Middle Tennessee State University in Murfreesboro hat den Temperaturanstieg an den Gliedmaßen während des Trainings bei Pferden gemessen, die mit unterschiedlichen Beinschutz-Varianten ausgestattet waren. Lucas Brock und Holly Spooner haben ihre Studienergebnisse vor kurzem veröffentlicht und auch auf dem virtuellen Symposium 2021 der Equine Science Society vorgestellt.

Einleitend stellte Lucas Brock die einzigartige Anatomie der Gliedmaßen des Pferdes vor – und wie sich diese auf nahezu geniale Weise selbst kühlen. „Die unbedeckten Gliedmaßen sind hocheffizient und aerodynamisch, und es fehlt an Muskeln unterhalb des Knies bzw. Sprunggelenks. Das Pferdebein kühlt sich selbst, ähnlich wie ein Ventilator unsere Haut kühlt, indem es die entstehende Wärme von der Hautoberfläche wegführt“, so Lucas Brock gegenüber dem Portal ,TheHorse.com’.

Wenn man nun eine Gamasche oder Bandage am Bein anlegt, wird dieser ausgeklügelte evolutionäre Kühl-Mechanismus unterbrochen – es entsteht eine neue Mikroumgebung zwischen Material und Gliedmaße, die eine isolierende Wirkung hat (wobei die tatsächliche Wärmeableitungsrate von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, so Brock – etwa der Materialdurchlässigkeit, der Konstruktion und Anwendung des Beinschutzes, der während des Trainings erzeugten Wärme, Umgebungstemperatur und -feuchtigkeit sowie Geschwindigkeit des Umgebungsluftaustauschs). Diese isolierende Wirkung kann sich nachteilig auf die darunterliegende tiefe Beugesehne auswirken, die eine höhere Kerntemperatur als die Haut hat und hypovaskulär ist (d. h. sie verliert sehr wenig Wärme über den Blutkreislauf). „Daher ist die Konvektionskühlung extrem wichtig, um diese Sehne zu kühlen“, so Brock.

Für ihre Studie haben Lucas Brock und seine Kollegin Holly Spooner insgesamt sechs gesunde erwachsene Pferde (Durchschnittsalter 15 Jahre) herangezogen, die während des Trainings sechs unterschiedliche Gamaschen oder Bandagen tragen sollten:

– eine traditionelle Neopren-Gamasche
– eine perforierte Neopren-Gamasche
– eine Gamasche aus Stomatex (ein Hightech-Material mit atmungsaktiven Eigenschaften);
– eine Vielseitigkeits-Gamasche;
– eine Elastik-Bandage
– eine Fleece-Bandage

Im Rotationsprinzip wurde jede Beinschutz-Variante in sechs Testrunden an jedem Pferd eingesetzt. Dabei trugen die Pferde die jeweilige Gamasche oder Bandage an einem Vorderbein, während das andere (unbedeckte) Vorderbein als Kontrolle diente. Die Pferde absolvierten eine 20-minütige Trainingseinheit, gefolgt von 180 Minuten Erholung im Stehen. Brocks Team verwendete ein spezielles Gerät, um die Temperatur und Feuchtigkeit der Gliedmaßen jede Minute zu messen.

Die Testergebnisse waren eindeutig und wenig überraschend:

– Die Temperatur der unbedeckten Gliedmaßen war am niedrigsten.

– Bei jeder Beinschutz-Variante waren die gemessenen Temperaturen zu jedem gemessenen Zeitpunkten höher als die des unbedeckten Beins.

– Die Fleece-Bandage erreichte die höchste Temperatur und Feuchtigkeit.

– Keine der sechs Beinschutz-Varianten kehrte nach der 180-minütigen Erholungsphase auf die Ausgangs-Temperatur und -Feuchtigkeit zurück.

– Alle Beinschutz-Varianten erreichten Temperaturen, die sich negativ auf die Sehnenzellen auswirken.

„Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass die Konvektionskühlung durch Gamaschen und Bandagen während des Trainings beeinträchtigt wird“, so Luke Brock. „Der hyperthermische Effekt, den Gamaschen und Bandagen erzeugen, verursacht chronische Mikroschäden an der Sehne.“

Während sich die Temperatur- und Feuchtigkeitsunterschiede zwischen den in der Studie verwendeten Gamaschen nicht signifikant unterschieden, stellte Brock einige Designunterschiede fest, die ihre Kühlfähigkeit beeinträchtigen könnten. „Die Gamasche aus Stomatex-Material mit ihrem speziellen Design war kühler (als die anderen Gamaschen, aber auch lockerer, was sich möglicherweise ausgewirkt hat“, sagte er.

Das Team stellte keine Unterschiede zwischen der perforierten und der traditionellen Neopren-Gamasche fest. „Die Vielseitigkeits-Gamasche hatte außen ein innovatives Wabendesign und schienen wirklich gut für den Schutz vor Traumata geeignet zu sein. Sie waren aber innen stark gepolstert und geschichtet, was möglicherweise unnötig war und zu einem Wärmestau bei dieser Gamasche beigetragen hat. Die Fleece-Bandage erreichte die höchsten Temperaturen in unserer Studie“, so Luke Brock weiter.

Zusammenfassend meinte er, dass das Anlegen eines Beinschutzes während des Trainings eine Risiko-Nutzen-Abwägung bleibt. Der Reiter bzw. Trainer müsse entscheiden, was ihm wichtiger ist – er Schutz vor Traumata oder die mögliche Schädigung von Sehnenstrukturen durch Überhitzung. Bei dieser Entscheidung sollte er jedenfalls folgende Faktoren berücksichtigen:

– die Umgebungsbedingungen;

– die Intensität der Arbeitsbelastung;

– die individuellen Bewegungs-Tendenzen des Pferdes (z. B. ob das Pferd dazu neigt, sich selbst auf die Beine zu treten);

– Design und Materialien von Gamaschen und Bandagen.

„Der beste Weg, um seine Pferde zu schützen, besteht darin, den Beinschutz so schnell wie möglich wieder zu entfernen und dann die Gliedmaßen mit kühlem Wasser abzuspritzen“, so seine Empfehlung.

In zukünftigen Forschungen möchte er die Kräfte von Gliedmaßentraumata bei unterschiedlichen Arbeitsintensitäten bestimmen, um herauszufinden, wie viel Beinschutz ein Pferd benötigt, und „sicherstellen, dass wir die richtigen Materialien verwenden, um diese Kombination aus Risiko und Nutzena genau richtig zu machen."

Die Studie „A comparison among equine boots and legwraps on leg surface temperature during and after exercise" von Lucas Brock und Holly Spooner ist im Mai 2021 in der Zeitschrift ,Journal of Equine Veterinary Science' erschienen und kann in englischer Kurzfassung hier nachgelesen werden.

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