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Gundulas Blog: Ist es schlimm, wenn das Vorderbein zittert?
16.08.2021 / Blogs

Was soll man tun, wenn das Vorderbein seines Pferdes zittert bzw. „wackelt"?
Was soll man tun, wenn das Vorderbein seines Pferdes zittert bzw. „wackelt"? / Symbolfoto: Gundula Lorenz

Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie auf ihrem ProPferd-Blog Einblick!

 

Habt Ihr schon einmal beobachtet, dass Euer Pferd mit dem Carpalgelenk (gerne auch vorderes Knie genannt) nach vorne und hinten wippt bzw. wackelt – vielleicht nur nach der Trainingseinheit oder auch permanent? Und habt Ihr Euch auch gefragt, was dieses „Zittern“ denn eigentlich bedeutet, ob man sich darüber Sorgen machen und eventuell etwas ändern sollte?

Es ist auf alle Fälle nichts, über das man achtlos hinwegsehen und zur Alltagsroutine (vor allem im Training) übergehen sollte. Denn letztlich es ist ein Zeichen dafür, dass Strukturen überlastet sind.
Zuerst ist es wichtig, dieses Problem überhaupt zu erkennen – und dann zu unterscheiden: Tritt es nur nach dem Training oder permanent – zum Beispiel auch in der Box oder auf der Koppel – auf? Und ist es einseitig oder beidseitig?

Um dieses doch recht eigenartige Phänomen näher zu erklären, muss ich etwas ausholen:
Die physiologische Bewegung des Pferdes ist eine Art Rollbewegung, d.h. es verlagert seinen Schwerpunkt nach vorne, indem es seinen Kopf nach vorne nimmt, und der Körper „rollt“ gleichsam darüber. In der Ausbildung wollen wir erreichen, dass das Pferd von hinten her zu schieben beginnt – die Hinterhand also gleichsam als „Motor“ des Pferdes funktioniert. Dieser grundlegende Bewegungsablauf muss durch Training der Hinterhand, und vor allem über ein „Über-den-Rücken-Bewegen“ trainiert werden. Drückt das Pferd den Rücken weg, werden vermehrt andere Muskelgruppen trainiert, die aber nicht für dieses „Schieben“ zuständig sind.

Diese Rollbewegung des Pferdes ist beim Reiten auch in den Händen über die Zügel spürbar – daher bitte nicht die Hand oder den Zügel so weit nach vorne geben, dass die Anlehnung verloren geht und der Zügel durchhängt.  Stattdessen soll man nur mit einem leichten Mitgehen die Schwerpunktverlagerung zulassen – das kann bereits durch ein Öffnen des kleinen-, Ring- und Mittelfingers geschehen.

Je kräftiger aber die Hinterhand mit fortlaufendem Training wird, desto weniger benötigt das Pferd diese Art der Fortbewegung. Läuft in dieser Umstellungsphase etwas schief, fängt das Pferd an, mit der Vorhand zu ziehen. So werden die palmaren Strukturen (Strukturen im hinteren Bereich des Vorderbeins) überlastet.

Nach Andrew Taylor Still, dem Begründer der Osteopathie, baut der Körper dort Festigkeit auf, wo sie benötigt wird. In diesem Fall wird das Unterstützungsband der tiefen Beugesehne fester, um diese zu unterstützen und vor Schaden zu bewahren. Und das äußert sich beim Pferd dann in dem eingangs angesprochenen „Zittern“ oder auch Wackeln im Carpalgelenk.

Wenn dieses Phänomen nach einer Trainingseinheit zum Beispiel am linken Vorderbein auftritt, kann man darauf schließen, dass das rechte Hinterbein zu wenig „geschoben“ und sich das Pferd mit dem rechten Vorderbein mehr über den Schwerpunkt gezogen hat (es betrifft immer das gegenüberliegende Hinterbein).

In diesem Fall macht man am besten zwei Tage Minustraining und achtet bei der nächsten Trainingseinheit mehr auf das rechte Hinterbein, damit dieses besser unter den Schwerpunkt kommt. (Minustraining heißt aber nicht, das Pferd nur auf die Koppel zu stellen – nein, es bedeutet Schritt führen ohne Rahmenverkürzung, sodass das Pferd seine Schwerpunktverlagerung durchführen kann.)
Sollte es beide Vorderbeine betreffen, dann bitte überprüft, ob Euer Pferd über den Rücken laufen kann, oder ob Ihr den Rahmen zu früh verkürzt habt, d.h. Euer Pferd braucht eventuell noch die Schwerpunktverlagerung.

Auch nach einer intensiven Springeinheit kann es zu dieser Überlastung kommen, da das Pferd beim Landen die palmaren Strukturen vermehrt belastet.

Auch können Muskelverletzungen (meist am gegenüberliegenden Hinterbein) dazu führen, dass die palmaren Strukturen eines Vorderbeins mehr belastet werden. In diesem Fall ist am besten, ihr holt Euch kompetente Hilfe, die analysiert, wo das Problem liegt und mit Euch das weite Vorgehen bespricht.
Ihr seht also: Ein zitterndes Carpalgelenk ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, denn es ist mehr als nur ein Schönheitsfehler!

Eure Gundula

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