Rechnungshof-Kritik zur Spanischen: "Die Bankrotterklärung eines Systems!" 10.11.2021 / News
Die Kritik des Rechnungshofs an der Entwicklung der Spanischen Hofreitschule fiel „vernichtend" aus, so die Einschätzung der befragten Experten. / Symbolfoto: Archiv/Birgit Popp Die früheren Oberbereiter Johann Riegler (ganz links), Klaus Krzisch (Mitte) sowie der Zuchtexperte und langjährige ZAP-Geschäftsführer Dr. Leopold Erasimus haben sich den Fragen von ProPferd gestellt. /
Der Rechnungsbericht zur Spanischen Hofreitschule sorgt in der Pferdeszene nach wie vor für Gesprächsstoff. ProPferd hat mit Experten – darunter die früheren Oberbereiter Johann Riegler und Klaus Krzisch – sowie dem langjährigen ZAP-Geschäftsführer Dr. Leopold Erasimus die zentralen Kritikpunkte diskutiert.
Kritikpunkt 1: Hengste sind öfter krank und werden früher pensioniert
Wie der Rechnungshof-Bericht (siehe unseren ausführlichen Artikel dazu) aufzeigt, sind im untersuchten Zeitraum von 2014 bis 2019 die Reitschul-Hengste immer früher in den Ruhestand geschickt worden – das Pensionsantrittsalter lag 2015 und 2016 noch bei 23,8 Jahren, sank dann aber rapide auf 17,5 Jahre (2018) bzw. 19 Jahre (2019). Die Anzahl der Hengste, die in einem Alter von über 20 Jahren noch im Einsatz waren, war rückläufig – dabei war es stets der besondere Stolz der Hofreitschule, ihre Pferde bis ins hohe Alter fit halten und bei Vorführungen präsentieren zu können. Für die beiden ehemaligen Oberbereiter ist dies eine bestürzende und beunruhigende Entwicklung – ebenso wie die Zunahme an Krankheitsfällen: Die Anzahl der Hengste, die nicht mehr für Vorführungen eingesetzt werden konnten, stieg lt. Rechnungshofbericht im überprüften Zeitraum von 9 auf 20.
Riegler: Dieser Kritikpunkt des Rechnungshofes ist für mich besonders schmerzlich und alarmierend. Denn es war früher relativ normal, dass ein Pferd bis in ein Alter von 23, 24 oder 25 Jahren in den Vorführungen eingesetzt werden konnte, natürlich immer mit Bedacht auf seine Leistungsfähigkeit. Ich kann mich gut erinnern: Der Lauscha war 65 Jahre alt und sein Pferd 25 – und wir haben gesagt: Schau, da springen 90 Jahre Courbette. Aber die Pferde waren immer noch fit in diesem Alter. Und nach 25 haben wir sie noch zwei, drei Jahre verwendet, um die Eleven zu unterrichten – das waren natürlich hervorragende Lehrmeister für sie.
Krzisch: Bevor es noch Heldenberg gegeben hat, hat es in der Schule in etwa 70 Pferde gegeben, davon waren rund 30 bis 35 ausgebildet und der Rest waren Jung- und Nachwuchspferde. Doch die ausgebildeten Pferde konnten in der Regel bis zum 25. Lebensjahr eingesetzt werden, und das ist jetzt tatsächlich total zurückgegangen – jetzt haben sie 120 oder noch mehr Pferde, aber es sind ständig irgendwelche Pferde krank oder lahm. Ich war fast 50 Jahre an der Schule, aber es waren in diesem Zeitraum nie soviele Pferde lahm wie zuletzt – das kannten wir überhaupt nicht, das hat’s einfach nicht gegeben. Auch die vielen Krankheits-Probleme gab es in dieser Form nicht.
Einen einzigen Punkt möchte ich aber richtigstellen, damit kein falscher Eindruck entsteht: dass nämlich die Pferde zuwenig Bewegung erhalten würden. Das stimmt so wirklich nicht – die Pferde wurden immer ausreichend bewegt, zumindest zu unserer Zeit. Man kann ein Pferd eben nicht nach Uhr arbeiten – einmal brauche ich etwas länger, ein andermal geht’s schneller. Wenn ein Bereiter seine Pferde korrekt arbeitet und ausbildet, spürt er ganz genau, was ein Pferd gerade braucht – und dann ist es auch wurscht, ob er einmal eine Stunde früher weggeht, ich muss mich doch dem Lebewesen anpassen und kann nicht alles streng nach Stechuhr machen.
Kritikpunkt 2: Aufgeblähter Personalstand – nur nicht in der Reitbahn
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist die im RH-Bericht dargestellte Personalentwicklung – die eine erhebliche Dynamik aufweist: Der Personalstand ist von 2014 bis 2019 um 20 % angestiegen – aber eben in den falschen Bereichen, wie die Experten kritisieren.
Krzisch: Für mich besonders erschütternd ist, wie aufgebläht der gesamte Apparat ist. Da arbeiten mittlerweile 200 Leute, das muss man sich einmal vorstellen – während in der Reitbahn selbst immer weniger Leute tätig sind, nämlich statt 26 im Jahr 2014 nur noch 24 im Jahr 2019. Mittlerweile sind ja in der Verwaltung und im Marketing mehr Leute als in der Reitbahn, das ist für mich einfach unbegreiflich. Mir will auch nicht in den Kopf, wieso man unbedingt zwei Geschäftsführer braucht – früher gab's einen Direktor und fünf Leute im Büro, die den Laden geschupft haben, und das ohne Computer. Mittlerweile gibt’s zwei Geschäftsführer und – zu Höchstzeiten – 16 Leute in der Verwaltung, das ist doch verrückt. Auf der anderen Seite sparen sie bei allem, was mit den Pferden zu tun hat – ein Pferdepfleger kriegt 1.400,– Euro netto, was einfach skandalös wenig ist für die Verantwortung, die diese Leute haben, und deshalb findet man auch niemanden mehr, und die, die man findet, bleiben nicht lang.
Riegler: Die Gesellschaft, so wie sie jetzt geführt wird, ist einfach viel zu teuer, das wird in dieser Form niemals zu finanzieren sein. Ich kann mich genau erinnern: Es gab vor der Ausgliederung einen Geschäftsführer für Wien und Piber, fünf Leute in Wien im Büro, vier in Piber – das war’s, der Rest waren Bereiter, Pferdepfleger usw, also Leute, die für die Pferde gearbeitet haben. Mit diesem schlanken Apparat hat man damals lt. Dr. Oulehla ein Gesamtdefizit von 4 Millionen Schilling gehabt, Schilling wohlgemerkt. Und Dr. Oulehla hat zu mir gesagt: Wenn wir von der Gemeinde Wien 1 Million Schilling Zuschuss bekommen, von der Steiermark 1 Million, vom Landwirtschaftsministerium 1 Million und vom Bund 1 Million – dann sind wir hochweiß und wir bräuchten sonst nichts. Heute geht es um Millionen von Euro – und wir müssen im Rechnungshofbericht lesen, dass die Gesellschaft von 2014 bis 2019 8,49 Millionen Euro an öffentlichen Zuwendungen benötigt hat, um über die Runden zu kommen, und einen Schuldenstand von 26 Millionen Euro aufweist.
Krzisch: Wir hätten schon den Heldenberg damals nicht gebraucht, das war eine rein politische Entscheidung und sachlich völlig ungerechtfertigt. Wir hatten früher die Hermesvilla in Lainz, die für uns hervorragend war und die man nur etwas herrichten hätte müssen, um sie weiter zu nutzen. Die war leicht und schnell erreichbar, da sind die Bereiter mit der Straßenbahn hingefahren. Heute pendeln sie mit Dienstautos zwischen Wien und Heldenberg hin- und her – kostet alles Geld und Zeit und funktioniert hinten und vorne nicht, weil letztlich viel zu wenig Zeit für die Ausbildung der Pferde übrig bleibt.
Kritikpunkt 3: Entmündigung des Reitbahn-Personals
All diese offensichtlichen Fehlentwicklungen haben – so die Experten – ursächlich mit einem weiteren ,Erbe’ der Ära Gürtler zu tun: nämlich der weitgehenden Entmündigung des Reitbahn-Personals, namentlich der beiden damaligen Oberbereiter Krzisch und Riegler, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Kritik an Gürtlers Plänen in den Jahren 2008 und 2009 dienstfrei gestellt wurden. Damit sei ein über Jahrzehnte bewährter Kommunikationskanal zwischen Institutsleitung und Reitbahn gekappt worden – mit weitreichenden Folgen.
Klaus Krzisch: Ich will wirklich nicht ,nachtreten’, aber die Verantwortung für die aufgezeigten Missstände liegt ganz klar in den zwölf Jahren, in denen Fr. Gürtler die Schule geleitet hat. Sie hat sie das Institut – das 450 Jahre alt ist – aus meiner Sicht ruiniert, und das in nur zwölf Jahren. Sie hat auf niemanden gehört und hat geglaubt, dass sie als einzige alles weiß. Früher war es immer so, dass der jeweilige Leiter gemeinsam mit den Oberbereitern den Jahresplan erstellt und sich mit ihnen abgesprochen hat, weil die Leute in der Reitbahn einfach gewusst haben, was mit den Pferden möglich ist und was nicht. Das hat Fr. Gürtler überhaupt nicht mehr gemacht – sie hat einfach bestimmt, wann und wie oft Vorführungen sind, ohne Rücksicht auf die Verfassung der Pferde oder der Bereiter. Wohin das geführt hat, sieht man jetzt. Dabei hatte sie lange Jahre noch das Glück, dass sie von unseren Pferden gelebt hat, die von Kottas, Bauer, Riegler usw. ausgebildet worden waren.
Johann Riegler: Der Bericht des Rechnungshofs bestätigt im Wesentlichen das, was wir die ganze Zeit gesagt haben. Als Frau Gürtler 2007 die Geschäftsführung übernommen hat, gab es ca. zwei Wochen nach Amtsantritt eine Besprechung, bei der ich auch dabei war – und das erste, was die neue Geschäftsführung da gesagt hat, war, dass man die Vorführungen nächstes Jahr verdoppeln werde. Ich habe mich daraufhin zu Wort gemeldet und gesagt: Das geht nicht! Die Antwort war: Doch, doch, das geht! Und ich habe ihr dann versucht zu erklären, dass wir das ja schon einmal gemacht hatten, nämlich Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre, als wir jeden Mittwoch und jeden Sonntag die ganze Saison hindurch Vorführung hatten – und sehr bald bemerken mussten, dass wir einfach keine Zeit mehr hatten, die Pferde anständig auszubilden oder sie zu korrigieren, wenn irgendein Problem aufgetaucht ist. Es war ein Dauerstress und eine Belastung für die Pferde, die an die Substanz ging und erst unter der Ära von Dr. Oulehla wieder schrittweise abgebaut wurde. Aber man braucht sich gar nicht auf die Pferde ausreden – es ist auch so, dass die Reiter irgendwann durch die Anzahl der Vorführungen abstumpfen. Aber meine Bedenken wurden weggewischt, und als ich dann erkennen musste, dass Argumente und Erfahrungen nicht zählen, war für mich klar, dass das für mich bald zu Ende gehen wird (Anm.: Johann Riegler wurde 2008 dienstfrei gestellt).
Dr. Leopold Erasimus: Es hat ohne Zweifel zur aktuellen Misere beigetragen, dass man zwei Oberbereiter über viele Jahre hinweg dienstfrei gestellt hat – im Wesentlichen deshalb, weil sie eine kritische Grundhaltung eingenommen haben, die sich, siehe Rechnungshofbericht, nachträglich als völlig richtig herausgestellt hat. Da frage ich mich schon auch als Staatsbürger: Wie ist soetwas möglich? Wie ist es möglich, dass diese hochqualifizierten Leute fast ein ganzes Jahrzehnt außer Dienst sind, dem Staat trotzdem Geld kosten – aber ihr einzigartiges Know-how nicht in der Institution einbringen dürfen? Gibt es da nicht eine Verantwortung der Geschäftsführung oder auch des Aufsichtsrates? Es kann doch nicht sein, dass eine derartige Fehlleistung keine Konsequenzen hat.
Erschwerend kommt hinzu: Die verantwortlichen Stellen – da meine ich vor allem den Aufsichtsrat und das zuständige Ministerium – waren zu jeder Zeit über die Missstände und die negative Entwicklung informiert. Es hat eine Fülle von Schreiben, Eingaben, Informationen, Beschwerdebriefe usw. gegeben, dass man keinesfalls sagen kann: Das haben wir nicht gewusst. Man hat es sehr wohl gewusst, man hat es nur ignoriert und nichts getan.
Kritikpunkt 4: Vorrang für den Kommerz – mit fatalen Konsequenzen
Ein weiteres Ärgernis sehen die Experten im sturen Fokus auf wirtschaftliche Parameter, die einer kulturellen Einrichtung völlig unangemessen sind und letztlich sogar den gesetzlichen Auftrag konterkarieren, nämlich die Erhaltung und Pflege der klassischen Reitkunst sicherzustellen. Zur dauerhaften Finanzierung rät der Rechnungshof dazu, eine mehrjährige Basisabgeltung einzuführen, die sich an den Regelungen für andere Kultureinrichtungen (Museen, Bundestheater etc.) orientiert. Diese Empfehlung wird von allen drei Experten unterstützt.
Erasimus: Für mich ist dieser Bericht die Bankrotterklärung eines Systems, das von Anfang an falsch aufgesetzt war. Ich erinnere mich, wie das Ausgliederungsgesetz seinerzeit veröffentlicht wurde, haben wir von der ZAP gesagt, dass es ein völlig falscher Ansatz ist, wenn man vorgibt, dass die Spanische innerhalb weniger Jahre ausgeglichen bilanzieren muss. Das ist einfach falsch. Es ist eine weltweit einmalige kulturelle Einrichtung, die nachweislich eine so hohe Umwegrentabilität bringt, dass sie selbst nicht ausgeglichen bilanzieren muss. Man hat das zwar viele Jahre später in einer Neufassung korrigiert, aber das war ein wesentlicher Grund für viele Fehlentwicklungen, insbesondere in den allerersten Jahren – ein Geburtsfehler, wenn man so will. Dazu sind Leute genommen, die einen falschen wirtschaftlichen Ehrgeiz an den Tag legten, und somit hat sich das Institut so entwickelt, wie es heute leider dasteht. In Wirklichkeit müsste man ja die Entwicklung des Jahres 2006 oder 2007 bis 2019 vergleichen – und da ist ja alles noch viel dramatischer. Denn im Jahr 2014 – dem Ausgangspunkt des Rechnungshofberichts – war ja ein Großteil des Schadens schon angerichtet, da war das Niveau ja schon deutlich schlechter als die Jahre davor. Und von diesem schlechten Niveau ist es eben nochmals deutlich nach unten gegangen. Für mich ist das eine einzige Bankrotterklärung – es haben nicht nur die Geschäftsführung, sondern auch der Aufsichtsrat und die verantwortlichen Eigentümervertreter versagt.
Riegler: Die ausschließliche Orientierung an wirtschaftlichen Parametern ist für ein Institut, das im Wesentlichen Reitkultur bewahren soll, einfach völlig falsch. Wenn eine Schule nach 450 Jahren immer noch Vorbild für die Reiterei insgesamt sein soll – was ja der zentrale gesetzliche Auftrag ist – dann darf es nicht darum gehen, ob man ein paar Vorstellungen mehr oder weniger hat. Die Spanische Reitschule soll Pferde klassisch ausbilden, darin liegt ihr wesentlicher Auftrag und ihre Daseinsberechtigung. Was aber heißt klassisch ausbilden? Das heißt nichts anderes, als Pferde richtig zu gymnastizieren. Hans Handler hat gesagt: Unter klassischer Reitkunst versteht man die Durchgymnastizierung der Gesamtmuskulatur. Er hat nicht gesagt: Klassische Reitkunst ist Piaffe mit Uniform – auf irgendeinem Spanier oder anderen Pferd. Wenn ich klassisch reite und ausbilde ist es vollkommen egal, ob ich dann Springreiter bin oder gesichert ins Gelände reiten kann. Klassisch reiten und ausbilden bedeutet, Pferde richtig zu gymnastizieren, schön zu machen, elegant zu machen, gesund zu erhalten – und all das will ich in einer Vorführung vorstellen und vermitteln. Das muss das Ziel sein – und nicht den Pferden irgendetwas beizubringen, damit wir eine Show machen können.
Erasimus: Das kann ich nur unterstreichen. Die Anforderung, die klassische Reitkunst zu erhalten, kann man nicht an Besucherzahlen, Deckungsbeiträgen oder ähnlichem festmachen – da ist das Auge des Fachmanns gefragt, darum kommt man nicht herum. Ob ein Pferd wirklich gut geritten ist, ob es losgelassen, versammelt etc. ist, das kann nur ein Fachmann beurteilen und kein Buchhalter. Darum gehören in die entscheidenden Funktionen Fachleute hin – oder müssen maßgeblich eingebunden sein. Es ist auch ein Unterschied, ob jemand ein Pferdefachmann bzw. eine -fachfrau ist, oder eben ein Pferdeliebhaber bzw. Pferdeliebhaberin. Und die Fachleute sind eben die Bereiter und Oberbereiter, die beurteilen können, ob der Ausbildungsweg eines Pferdes stimmt oder nicht. Und in der Zucht sind es wieder andere Experten. Aber es gehören Fachleute an die wichtigen Positionen berufen – nur die sind in der Lage, die Qualität nachhaltig sicherzustellen.
Wir haben ja schon öfter vorgeschlagen, dass eine Basisfinanzierung für die Spanische Hofreitschule grundsätzlich auf eine breitere Basis gestellt werden sollte. Es ist ja wirklich nicht einzusehen, warum das ganze Geld vom Landwirtschaftsministerium kommen soll – denn es profitiert ja auch der Tourismus massiv, ebenso die Stadt Wien, das Land Steiermark, das Land Niederösterreich etc. Eine solche gesicherte finanzielle Basis wäre die Voraussetzung dafür, dass die Spanische auch tatsächlich ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen kann. Dieser muss einfach im Mittelpunkt stehen – und alles andere muss dem untergeordnet sein. Dann würde dieser Betrieb auch laufen, davon bin ich felsenfest überzeugt – und man hätte auch keine Tierschutz-Diskussionen, keine Debatten über die Wirtschaftlichkeit usw. Was aber nicht geht ist, dass man auf der einen Seite ein sattes Defizit macht, dass auf der anderen Seite die Pferde krank und überlastet sind, dass die Qualität der Reiterei schlecht ist und der gesetzliche Auftrag nicht erfüllt wird. Das geht nicht, genau das ist aber der Status quo, und das ist völlig unakzeptabel. Man kann nach diesem vernichtenden Rechnungshof-Bericht nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, es muss Konsequenzen geben, das ist für mich völlig klar. Es wäre die Aufgabe der veranwortlichen Stellen – Geschäftsführung, Aufsichtsrat, Eigentümervertreter – ein entsprechendes Konzept für einen grundlegenden Neuanfang zu erstellen.
Kritikpunkt 5: Zweite Equipe geistert weiter herum
Auch im adaptierten Unternehmenskonzept 2019–2023 ist lt. Rechnungshofbericht der langfristige Aufbau einer zweiten Equipe vorgesehen, um ab 2027 rund 100 Vorführungen pro Jahr bestreiten zu können – die Reduktion der Vorführungen in den nächsten Jahren hätte demnach nur vorübergehenden Charakter. Auch diese Pläne stoßen auf entschiedenen Widerespruch seitens der Experten.
Erasimus: Für mich ist die Fortschreibung dieser Idee einer zweiten Equipe einmal mehr eine Themenverfehlung, die nur dem wirtschaftlichen Druck geschuldet ist. Schon Fr. Gürtler ist am Aufbau einer zweiten Garnitur gescheitert – und zwar krachend und mit fatalen Konsequenzen, wie der RH-Bericht zeigt, und auch Fr. Klima wird daran scheitern, da bin ich mir absolut sicher.
Krzisch: Eine zweite Garnitur wird es nie geben, obwohl das schon seit 15 Jahren herumgeistert. Als ich an die Schule gekommen bin – noch unter Podhajsky – hat der damalige Oberbereiter zu mir gesagt: Seien wir froh, wenn wir eine gescheite Garnitur haben! Daran hat sich bis heute nichts geändert – eine zweite Garnitur kann und wird es nie geben, das ist einfach Unfug, weil keiner die zweite Garnitur sehen will, in der Oper nicht und auch nicht in der Spanischen. Ich habe stattdessen immer dafür plädiert, dass wir die Anzahl der Pferde auf 70 reduzieren, mehr brauchen wir nicht – und allein das würde sehr viel Geld einsparen. Damit sind wir ganzes Jahr Vorführungen geritten, haben eine Auslandstournee gemacht und auch eingeschobene Vorführungen, etwa für Staatsbesuche, bestritten. Das geht alles mit deutlich weniger Personal, und der Betrieb war insgesamt persönlicher, lieblicher und sympathischer. Damals war eine Vorführung noch etwas Besonderes, die Schule hatte Flair – ich erinnere mich, dass die Menschen bis zum Josefsplatz in Schlangen gestanden sind, um noch an Karten heranzukommen, heute ist es ein Massenbetrieb geworden, und sie werfen sie einem die Tickets im Supermarkt nach. Alles ein Wahnsinn! Klein, aber fein – so müsste es sein und so hat das 400 Jahre lang funktioniert, bevor man dem Größenwahn verfallen ist.
Erasimus: Eine Empfehlung aus dem Rechnungshofbericht ist für mich zentral, und zwar wo es heißt: „Der Erhaltung des Kulturguts sowie die Qualität der klassischen Reitweise und der Ausübung der Hohen Schule im Sinne des gesetzlichen Auftrags wäre Vorrang einzuräumen.“ Genau darum geht’s. Das ist der zentrale gesetzliche Auftrag, der erfüllt werden sollte, das müsste eigentlich im Mittelpunkt stehen – und alles andere müsste sich an dem orientieren. Doch genau das ist in der Vergangenheit nicht gemacht worden, stattdessen stand immer die Wirtschaftlichkeit und die Ausgeglichenheit der Bilanz im Mittelpunkt – die man trotzdem niemals erreicht hat. Das muss endlich in die Köpfe der verantwortlichen Leute hinein. Das würde bedeuten, es müssen die besten Leute an die Schule, die Pferde dürfen nicht überlastet werden, die Vorführungen sind so anzusetzen, dass die Qualität wieder passt und die Pferde lange gesund und fit bleiben.
Ausblick: Ist die Spanische Hofreitschule noch zu retten?
Hier gehen die Meinungen auseinander: Während Klaus Krzisch die Möglichkeit eines Neuanfangs eher optimistisch sieht, ist Johann Riegler skeptisch – es sei viel Zeit ungenutzt verstrichen und das traditionelle Erbe der Schule, das die Bereiter von einer Generation zur nächsten mündlich weitergegeben haben, unterbrochen worden. Ist – mit dem derzeitigen Reitbahn-Personal und den vorhandenen Pferden – überhaupt ein Neubeginn möglich, und wenn ja in welchem Zeitraum?
Krzisch: Es würde gehen – unter einer Bedingung: dass sich die Politik nicht mehr einmischt und der jeweilige Chef bzw. die Chefin 200%ig hinter einem steht. Denn man muss in vielem bei null beginnen, müsste die aussuchen, die wirklich gut sind und mit denen alles neu aufbauen. Man braucht eine beinharte Bestandsaufnahme von allen Bereitern, Bereiteranwärtern und Eleven und allen Pferden – aber wenn man das macht, dann laufen sicher viele in die Direktion oder sogar ins Ministerium, denn viele Freunde macht man sich damit sicher nicht. Der Job ist jedenfalls hart, es müsste auch wieder die nötige Disziplin einkehren, die in den letzten Jahren zusehends verlorengegangen ist.
Riegler: Aus meiner Sicht müsste man als ersten Schritt die Vorführungen drastisch reduzieren und sich wieder mehr Zeit nehmen, um die Reiter auszubilden, denn das ganze Institut kann und wird nur bestehen, wenn es dementsprechend gute, talentierte, künstlerische Reiter gibt, weil nur die können die Pferde ausbilden. Die Pferde können sich nicht von selbst ausbilden. Und diese Reiterinnen und Reiter muss ich zuerst einmal ausbilden, und es ist eine Tatsache, dass ich oftmals zwei, drei, vier Jahre in einen jungen Reiter investiere – um dann zu erkennen, dass er doch nicht gut genug für diese Anforderungen ist. Und dann muss ich wieder von vorn beginnen. Darum kann ich auch nicht sagen, dass wir das in 10 oder auch in 15 Jahren schaffen, um wieder auf das frühere Niveau zu kommen. Aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht – egal, wie lange es dauert, wir müssen in die jungen ReiterInnen investieren, damit sie wieder so gut werden, damit sie ihrerseits wieder Reiter und Pferde ausbilden können. In Summe würde ich schon sagen, man könnte es schaffen, doch es ist mittlerweile soviel Tradition kaputt, dass es sehr schwer sein würde. Vieles von unserem traditionellen Erbe ist verlorengegangen – es wäre eine enorme Kraftanstrengung, wieder an dieses Erbe anzuknüpfen. Und allein schafft das sowieso keiner – man würde ein ganzes Team brauchen, und es wäre nicht unter zehn Jahren zu machen.
Krzisch: Wir werden ja auch älter – ich stelle mich mit 80 Jahren sicher nicht mehr in die Reitbahn, bis dahin müsste jemand aufgebaut werden. Sollte etwas geschehen, dann muss es rasch geschehen – nochmal ein paar Jahre zu vergeuden, die Zeit hat von uns keiner mehr.
Das Gespräch führte Leopold Pingitzer.
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:29.10.2021 - Finanzprobleme, überforderte Hengste: Harsche Rechnungshof-Kritik an Spanischer Hofreitschule
Finanzprobleme, überforderte Hengste: Harsche Rechnungshof-Kritik an Spanischer Hofreitschule 29.10.2021 / News
Der RH stellte fest, dass es „aufgrund des wirtschaftlichen Drucks zu einer Einsatzfrequenz der Hengste kam, die sich zulasten der Gesundheit der Pferde auswirkte." / Symbolfoto: Archiv/Birgit Popp
Der Rechnungshof hat am Freitag seinen Prüfbericht für die Spanische Hofreitschule vorgelegt, und dieser hat es wahrlich in sich: Harsche Kritik gibt es nicht nur an den Haltungsbedingungen und einer fehlenden Zuchtstrategie, sondern auch an den chronischen Finanzproblemen, 2014 drohte sogar die Zahlungsunfähigkeit.
106 Seiten umfasst der heute (29. Okt. 2021) veröffentlichte Rechnungshof-Bericht zur Spanischen Hofreitschule, der den Zeitraum von 2014 bis 2019 untersucht, und es ist wenig schmeichelhaft, was man auf diesen 106 Seiten über das weltberühmte Reitinstitut – und wie es bislang gemanagt wurde – erfährt. Es reiht sich gleichsam ein Kritikpunkt an den nächsten – von der prekären Finanzlage, die sich seit der Ausgliederung im Jahre 2001 nicht substantiell verbessert hat, über explodierende Personalkosten, einem fehlenden internen Kontrollsystem, unklaren Entscheidungskompetenzen bis hin zu einer fehlenden züchterischen Strategie für das Lipizzanergestüt Piber und noch einigem anderem mehr.
Für Pferdefreunde besonders beunruhigend – und für die Öffentlichkeit zweifellos äußerst sensibel – ist die Kritik an den Haltungs- und Ausbildungsbedingungen. So soll es lt. den Prüfern zu einer Überforderung der Schulhengste durch übermäßige Auftritte gekommen sein – eine Kritik, die schon in der Vergangenheit wiederholt vorgebracht worden war, seitens des Managements aber stets vehement bestritten wurde. Diese Kritiker – so auch der frühere Oberbereiter Klaus Krzisch in einem vielbeachteten ProPferd-Interview – werden nun durch den RH-Bericht nachträglich bestätigt.
Wörtlich heißt es dazu: „Der RH stellte fest, dass es aufgrund des wirtschaftlichen Drucks zu einer Einsatzfrequenz der Hengste kam, die sich zulasten der Gesundheit der Pferde auswirkte. Er kritisierte, dass in Vorführungen Hengste eingesetzt wurden, deren körperliche Konstitution dies nicht zuließ. Dies entsprach weder den Vorgaben der klassischen Reitkunst noch war es dem Image der Spanischen Hofreitschule zuträglich. Der RH gab zu bedenken, dass dies in der Folge auch zu höheren Ausgaben für tiermedizinische Betreuung und einer Verringerung der Einsatzdauer der Hengste führen könnte. Im überprüften Zeitraum ging das Alter, ab dem die Hengste nicht mehr für Vorführungen eingesetzt werden konnten, zurück. Das daraus resultierende geringere Ertragspotenzial der Hengste hatte nach Ansicht des RH negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die Gesellschaft."
Tatsächlich haben sich, wie man an einer anderen Stelle nachlesen kann, die Kosten der veterinärmedizinischen Betreuung von 2014 bis 2019 verdoppelt – nämlich von 160.000,– Euro auf rd. 321.000,– Euro. Zwar habe sich die veterinärmedizinische Versorgung durch die Anstellung einer betriebsinternen Tierärztin seit dem Frühjahr 2018 verbessert – dennoch wies der RH auf die in diesem Bereich bedenkliche Kostenentwicklung hin.
Zweifellos bedenklich ist auch der Umstand, dass die Hengste nunmehr deutlich früher aus dem Dienst ausscheiden und nicht mehr so lange in Vorführungen eingesetzt werden können wie noch vor wenigen Jahren. Zitat aus dem Bericht: „Das Durchschnittsalter der Hengste bei ihrem „Pensionsantritt“ (d.h. das Alter, ab dem sie nicht mehr für Vorführungen eingesetzt wurden) lag im Jahr 2019 bei rd. 19 Jahren. 2014 war es noch bei rd. 21 Jahren gelegen. Im Durchschnitt waren die Vorführungshengste rd. 15 Jahre alt. Die Anzahl der Hengste, die in einem Alter von über 20 Jahren noch im Einsatz waren, war rückläufig."
Die Gründe für diese Entwicklung sieht der RH einmal mehr im wirtschaftlichen Druck und der dadurch verursachten erhöhten Zahl der Vorführungen. Zitat: „Die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft erforderte mehr Vorführungen je Jahr – und Vorführungen, die möglichst alle Programmpunkte enthielten. Da aber die Anzahl der für Vorführungen geeigneten Pferde im überprüften Zeitraum nahezu unverändert blieb, bekamen Hengste vereinzelt nicht die entsprechende Zeit für eine Rekonvaleszenz bzw. wurden – obwohl ihre körperliche Konstitution dies gemäß den Tierschutzbestimmungen und der österreichischen Turnierordnung nicht erlaubte – zu früh wieder trainiert und in Vorführungen eingesetzt. Dies führte neben anderen Faktoren (z.B. geänderte Zucht– und Ausbildungsmethoden) dazu, dass Hengste krankheitsbedingt früher nicht mehr eingesetzt werden konnten. Daher stieg die Anzahl der Hengste, die nicht mehr für Vorführungen eingesetzt werden konnten, im überprüften Zeitraum von neun auf 20."
Erschwerend kam lt. Rechnungshof hinzu, dass die Bewegungsmöglichkeiten für die Lipizzanerhengste in der Stallburg stark eingeschränkt sind und vor allem keine freie Bewegung zulassen würden. Zitat: „In Wien waren die Hengste in der Stallburg untergebracht. Die Magistratsabteilung (MA) 60 der Stadt Wien hatte die Genehmigung zur Pferdehaltung in der Stallburg in der Wiener Innenstadt nur in Verbindung mit Auslaufmöglichkeiten im Trainingszentrum Heldenberg und der Möglichkeit zu Ausritten im Burggarten in den Sommermonaten erteilt.
Aufgrund der baulichen Gegebenheiten hatten die Hengste in Wien in der Stallburg keine freien Bewegungsmöglichkeiten. Ihnen war nur eine kontrollierte Bewegung im Rahmen des Trainings bzw. einer Vorführung oder in der Schrittmaschine möglich. Traditionsgemäß und personell bedingt hatten die Hengste in Wien mindestens einen Stehtag pro Woche, d.h., an diesem Tag war keine Bewegung im Training, in einer Vorführung oder in der Schrittmaschine möglich."
Auch die Haltungsbedingungen beurteile der Rechnungshof z.T. als nicht ideal. Zitat: „Zur Verbesserung des Stallklimas und der Luftzirkulation in der Stallburg war eine Belüftung (Druckbelüftung) eingebaut, die allerdings aufgrund technischer Probleme seit einigen Jahren nicht mehr in Betrieb war. Somit konnten die Stallungen in der Stallburg nur durch die Klappfenster in den Außenmauern und durch die Tore zum Hof belüftet werden. Die teilweise Überdachung des Hofs der Stallburg beeinträchtigte die Belüftungssituation in den Stallungen zusätzlich. Die hohe Besatzdichte und die Heustaubbelastung wirkten sich ebenso negativ auf die Lüftungssituation in der Stallburg aus."
Insgesamt hielt der Rechnungshof fest, „dass die tierschutzkonforme Haltung der Hengste und eine entsprechende Genehmigung der MA 60 aufgrund der baulichen Gegebenheiten in der Innenstadt und fehlender Flächen zur freien Bewegung in der Stallburg nur durch den regelmäßigen Aufenthalt der Hengste im Trainingszentrum Heldenberg möglich waren. Der RH kritisierte, dass die Hengste nicht auch am Nachmittag eine zusätzliche Bewegungsmöglichkeit in der Schrittmaschine erhielten. Aus den vorhandenen Aufzeichnungen war für den RH nicht ersichtlich, ob die Hengste tatsächlich zumindest einmal täglich, entweder im Rahmen des Trainings oder in der Schrittmaschine, bewegt wurden."
Ein großes Kapitel ist der prekären finanziellen Lage der Spanischen Hofreitschule gewidmet, an der sich seit der Gründung der Gesellschaft im Jahr 2001 wenig geändert habe. Dazu der Rechnungshof: „Die Spanische Hofreitschule hatte bereits seit der Ausgliederung im Jahr 2001 – und damit lange vor der COVID–19–Pandemie – mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Im Jahr 2014 war sie sogar in ihrem wirtschaftlichen Bestand gefährdet, weil ihr aufgrund der fehlenden liquiden Mittel die Zahlungsunfähigkeit drohte und auch eine Finanzierung durch Geschäftsbanken ohne Garantie des Bundes nicht mehr möglich war. Es folgte eine monatelange Auseinandersetzung um die Finanzierung zwischen dem Landwirtschaftsministerium und der Spanischen Hofreitschule. Schließlich gab es die Zusage eines jährlichen finanziellen Zuschusses für die hohen Zuchtaufwendungen von bis zu 1 Mio. EUR. Damit war jedoch für die Spanische Hofreitschule zur Erfüllung ihrer Aufgaben keine mittelfristige Planungssicherheit gewährleistet, weil sich die Zusage immer nur auf ein Jahr bezog."
Und weiter: „Dabei waren die Mittelflüsse von Bund sowie den Ländern Niederösterreich und Steiermark erheblich: In den Jahren 2014 bis 2019 erhielt die Spanische Hofreitschule in Summe 8,49 Mio. EUR von diesen drei Gebietskörperschaften. Jedenfalls war die Spanische Hofreitschule nur durch die öffentlichen Zuwendungen wirtschaftlich überlebensfähig. Schließlich erwirtschaftete die Spanische Hofreitschule selbst in den Jahren 2014 bis 2019 aus der betrieblichen Tätigkeit laufend Verluste. Es bestand eine Ertragslücke zwischen den Umsatzerlösen und den Aufwendungen von durchschnittlich 13 %."
Der Rechnungshof beanstandet auch eine fehlende innerbetriebliche Leistungsverrechnung zwischen den Standorten (Wien, Piber, Heldenberg), wodurch eine „Verzerrung der Ergebnisse" entstand, weil „die jährlich zur Verfügung gestellte Anzahl an Lipizzanern für die Spanische Hofreitschule in Wien kostenmäßig nicht berücksichtigt wurde. Eine vollständige innerbetriebliche Leistungsverrechnung mit einem Verrechnungspreis für die Aufzucht der Lipizzaner ergäbe eine klare und verursachungsgerechte Kostenzuordnung sowie Kostenverantwortung, die eine Steigerung der Qualität der Leistungserbringung ermöglichen würde." Zudem hatte die Spanische Hofreitschule auch kein umfassendes internes Kontrollsystem implementiert und auch keine „den allgemein anerkannten internationalen Revisionsstandards entsprechende Interne Revision eingerichtet", so der Rechnungshof.
Bezüglich des Lipizzanergestüts Piber wird eine umfassende Zuchtstrategie und klare Kompetenzverteilung eingemahnt: „Zentrale gesetzliche Aufgaben der Spanischen Hofreitschule waren die dauerhafte Erhaltung und traditionsgemäße Zucht der Rasse Lipizzaner sowie Zucht und Bereitstellung der bestgeeigneten Hengste für die Spanische Hofreitschule. Für die Qualität der Zucht waren die Auswahl von geeigneten Tieren, die Erhaltung des Genpools und die Vermeidung von Inzucht sowie das Aufzuchtsmanagement von Bedeutung. Es fehlte jedoch eine umfassende Zuchtstrategie. Problematisch war das Verhältnis zwischen den züchterischen Bedürfnissen, wie die Konsolidierung der Herde, und jenen der Reitbahn hinsichtlich der Bereitstellung geeigneter Zuchthengste. Eine Ursache dafür war, dass die Entscheidungskompetenzen nicht eindeutig geregelt waren, was die Kommunikation zwischen der Zuchtleitung, der Geschäftsführung und der Reitbahn erschwerte."
Insgesamt ist also für die neue Geschäftsführerin Sonja Klima viel zu tun. Für das aktuelle Management sowie das zuständige Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus sprach der Rechnungshof folgende zentrale Empfehlungen aus:
– Einführung einer mehrjährigen Basisabgeltung, die sich an den Regelungen für andere Kultureinrichtungen (Museen, Bundestheater) orientiert;
– Abschluss einer verbindlichen mehrjährigen Leistungsvereinbarung zwischen Hofreitschule und Bundesministerium zur effizienten Leistungserbringung und Finanzierung;
– umfangreiche Neubetrachtung und Überarbeitung des Unternehmenskonzepts, um die Abhängigkeit vom internationalen Städtetourismus zu reduzieren, Öffnung für das einheimische Publikum durch entwicklung neuer Vorführungsformate;
– standortbezogene Ergebnisrechnung zur Steuerung und Überwachung der effizienten Leistungserbringung, Durchführung einer umfassenden Prozess- und Kostenanalyse aller Standorte;
– Entwicklung einer umfassenden Zuchtstrategie für das Lipizzanergestüt Piber mit besonderem Fokus auf eine entsprechende Größe der Stutenherde sowie des Aufzuchtmanagements
Den vollständigen Rechnungshof-Bericht zur Spanischen Hofreitschule kann man hier nachlesen.
19.01.2022 - Causa Spanische Hofreitschule: "Es braucht einen Systemwechsel!"
Causa Spanische Hofreitschule: "Es braucht einen Systemwechsel!" 19.01.2022 / News
Die Spanische Hofreitschule müsse – wie andere kulturelle Einrichtungen auch – in die Kompetenz des Kunstsstaatssekretariats überführt werden, so die Forderung von Klaus Krzisch und Dr. Dominik Konlechner. / Symbolfoto: Archiv/Birgit Popp
Die gestern (18. Jänner) durchgeführte Pressekonferenz mit dem ehemaligen Ersten Oberbereiter Klaus Krzisch sowie dessen Rechtsanwalt Dr. Dominik Konlechner geriet zur Generalabrechnung mit den gegenwärtigen Zuständen am Traditionsinstitut, die Krzisch wörtlich als „ein Desaster“ bezeichnete. Beide fordern grundlegende Reformen, eine jährliche Basisabgeltung und eine Übertragung ins Kunststaatssekretariat.
Ausgangspunkt des Pressegesprächs war der kürzlich erfolgte Rücktritt des langjährigen Aufsichtsrats-Vorsitzenden Dipl.-Ing. Johann Marihart – und der aus Sicht von Dr. Konlechner missglückte Versuch seiner „Reinwaschung“ durch das Memorandum einer beauftragten Anwaltskanzlei, das letzte Woche Medienvertretern präsentiert worden war. Diesen Prüfbericht kritisierten Krzisch und Konlechner scharf: „Wir können nicht nachvollziehen, wie das Ministerium diesen Bericht für plausibel erachten konnte; wir können nicht nachvollziehen, wie der zurückgetretene Aufsichtsratsvorsitzende Dipl.-Ing. Marihart zum Ergebnis kommen kann, dass dieser Bericht geeignet ist, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften.“
Für Dr. Konlechner strotze das Memorandum nur so vor Fehlern, Ungereimtheiten und Seltsamkeiten – zudem seien ganz wesentliche Informationen, die öffentlich zugänglich sind und mit denen man angenommene Sachverhalte leicht hätte verifizieren können, völlig unbeachtet geblieben.
Die Seltsamkeiten des Memorandums beginnen schon beim Prüfauftrag selbst – und wie dieser zustandekam: Der Auftrag zur Prüfung an die betreffende Rechtsanwaltskanzlei erfolgte durch die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat der Spanischen Hofreitschule, „wobei Mitglieder beider Organe jeweils von den Vorwürfen (unmittelbar) betroffen sind. Eine objektive Stellungnahme oder Prüfung ist schon aus diesem Grund zweifelhaft“, so Dr. Konlechner. Für ihn zeigt das Memorandum vor allem, dass das Zustandekommen der Prüfung, die Fragestellung, die Sachverhaltsermittlung und die daraus gezogenen Schlüsse „oberflächlich, einseitig und teilweise sogar grob falsch“ waren.
In besonderem Maße fragwürdig erscheint die Darstellung des Memorandums, dass die Ausbildung des Privathengstes am Heldenberg sowie später an der Hofreitschule auf die Initiative der damit befassten Bereiterin bzw. damaligen Bereiter-Anwärterin zurückgehen würde. Das sei zumindest der „Tenor“ im Memorandum – und erst als die Bereiteranwärterin, die das Pferd aufgrund des Einstellvertrages und der vertraglich vereinbarten Bewegungseinheiten bemerkt habe, dass das Pferd doch für eine weitere Förderung tauglich wäre, erst dann hätte sie die Geschäftsführung informiert und darum gebeten, das Pferd auszubilden. „Diese Grundannahme des Memorandums ist falsch – und sie ist auch mit den dem Memorandum beigefügten Urkunden nicht in Übereinstimmung zu bringen“, so Dr. Konlechner. „Die Behauptung, dass in der Spanischen Hofreitschule die Entscheidung, welches Pferd ausgebildet wird, bei einer jungen Bereiter-Anwärterin liegt und diese das quasi in Eigenregie macht, ist nicht nur unrichtig, sondern auch im konkreten Zusammenhang falsch. Tatsächlich ist es so, dass die Bereiterin von der Geschäftsführung angewiesen wurde, das Pferd auszubilden.“
Auch die Annahme der Verfasser des Memorandums, dass die im Einstellvertrag vereinbarte Bewegung („Bewegen oder Longieren oder Führen des Pferdes“) als „Ausbildung“ des Hengstes zu verstehen wäre, sei schlicht falsch, so Dr. Konlechner. Es handle sich dabei um zwei grundverschiedene Dinge, die auch wirtschaftlich jeweils völlig unterschiedlich zu bewerten seien – dies hätte den Verfassern bereits ein Blick auf die Website der Hofreitschule gezeigt, wo beide Varianten angeboten werden. „Aus den beiden aktuell nach wie vor auf der Homepage der Spanischen Hofreitschule ersichtlichen Angeboten ergibt sich somit unzweifelhaft, dass der konkrete Einstellvertrag mit monatlich 1.000,– bzw. 1.200,– Euro jeweils unter dem Listenpreis von 1.500,– Euro (ohne Ausbildung) und 2.600,– Euro (mit Ausbildung liegt. Warum diese offensichtliche Diskrepanz nicht aufgegriffen wurde, ist nicht nachvollziehbar.“
Vor allem vollführen die Verfasser des Memorandums seltsame Volten rund um die zentrale Frage einer allfälligen Wertsteigerung des Hengstes durch seine Ausbildung zum vollwertigen Schulhengst, der in zahlreichen Vorführungen zum Einsatz gekommen ist. Dazu findet sich im Memorandum folgender bemerkenswerte Absatz: „Ob der Hengst durch die Ausbildung in der SRS und den jahrelangen Einsatz in Vorführungen an Wert gewonnen oder durch ,Abnutzung’ allenfalls sogar an Wert verloren hat, ist keine Rechtsfrage, sondern durch Bewertung durch Sachverständige zu klären. Bereits oberflächlich betrachtet erscheinen jedoch die aktuell in Medien kursierenden Schätzungen über einen heutigen Wert des Hengstes von mehreren hunderttausend Euro mit den uns derzeit vorliegenden Information nicht vereinbar.“
Dies sei – so Dr. Konlechner – insofern bemerkenswert, als an einer anderen Stelle das Memorandums zwei Pferdeverkäufe erwähnt werden, die sehr wohl auf einen beträchtlichen Wertzuwachs ausgebildeter Pferde schließen lassen, nämlich den Verkauf eines Hengstes im November 2014 für 130.000,– Euro nach Chile sowie den Verkauf eines Pferdes im Juni 2016 um 40.000,– Euro an einen nicht näher genannten Käufer. Allein diese beiden Beispiele legen nahe, „dass eine fortgeschrittene Ausbildung zum Schulhengst gegenüber dem ursprünglichen Verkaufspreis eines nahezu unausgebildeten Pferdes (das waren im Falle Mariharts 12.000,– Euro, Anm.) zu einer jedenfalls relevanten Wertsteigerung geführt haben muss. Insoweit erweist sich das gegenständliche Memorandum als in sich unschlüssig, widersprüchlich bzw. unvollständig“, so Dr. Konlechner.
Dr. Konlechner ernüchterndes Resümee: „Das vorliegende Memorandum kann die von der zuständigen Ministerin geforderte Transparenz nicht herstellen. Wenn die Ministerin es mit ihren Ankündigungen ernst meint, muss sie selbst eine umfassende Prüfung beauftragen. Diese sollte auch nicht an externe Prüfer vergeben werden, sondern bietet sich der Rechnungshof hierfür an.“ Die Ministerin müsse zudem dafür sorgen, dass der von den Ermittlungen betroffene Geschäftsührer umgehend abberufen, jedenfalls aber für die Dauer des Verfahrens dienstfrei gestellt wird. Das sei bislang nicht geschehen.
Notwendige Reformen
Für Krzisch und Konlechner ist der gegenwärtige Zustand schlicht unerträglich und unhaltbar geworden – es seien tiefgreifende Reformen auf allen Ebenen notwendig, um das Ansehen der Schule und die einstmals hohe Qualität der Reitkunst wiederherzustellen. Kosmetische Retuschen reichen dafür nicht mehr aus – es sei ein „Systemwechsel“ notwendig. Die im Jahr 2000 durchgeführte Ausgliederung aus der Bundesverwaltung sei in beispielloser Weise gescheitert – die damalige Annahme, man könne die Hofreitschule samt dem Bundesgestüt Piber wirtschaftlich ausgeglichen führen, war von vornherein falsch, wie die Bilanz der letzten 20 Jahre beweist: Allein bis zum Jahr 2008 häufte sich, so Dr. Konlechner, ein Bilanzerlust in der Höhe von 22 Millionen Euro an. Ab dem Jahr 2009 habe das Landwirtschaftsministerium zwar eine jährliche Zuchtförderung in der Höhe von 700.000,– bis 1 Million Euro jährlich gewährt, dennoch betrug der kumulierte Bilanzverlust in den Jahren 2009 bis 2019 insgesamt 3,87 Millionen Euro. Im gleichen Zeitraum stieg der Beschäftigtenstand von 127 auf 199, wobei der Personalstand in der Reitbahn praktisch unverändert blieb. Das Fazit: „Ohne Ausfallshaftung der Republik Österreich wäre die Spanische Hofreitschule wirtschaftlich schon längst konkursreif.“
Das Traditionsinstitut sei – wie allein diese Zahlen zeigen – im Landwirtschaftsministerium fehl am Platz und müsse daher als weltweit einzigartiges Kulturgut in die Agenden des Kunststaatssekretariats übertragen werden. Es müsse – wie für andere kulturelle Einrichtungen üblich – eine jährliche Basissubvention geben, im Fall der Spanischen in der Höhe von 2 Millionen Euro jährlich; durch eine Reduktion des Verwaltungs- und Geschäftsführungsapparats könnten erhebliche Einsparungen erzielt werden, und auch eine Gleichstellung der (Ober-)Bereiter mit Vertragsbediensteten in Sachen Kündigungsschutz wäre wünschenswert, um die eigentlichen Leistungsträger des Instituts vor politischem Einfluss zu schützen. Krzisch und Konlechner: „Dies würde gewährleisten, dass die Spanische Hofreitschule ohne wirtschaftlichen Druck ihre Aufgaben der Erhaltung der Hohen Schule der Reitkunst und der ältesten Kulturpferderasse Europas nachkommen kann, ohne dabei die Pferde durch zu viele Vorstellungen und damit ein insgesamt die Qualität beeinträchtigendes Training zu überfordern.“
Für Krzisch und Konlechner liegt der Ball nun bei der Politik – sie müsse den Schaden, den sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten angerichtet habe, nun rasch wiedergutmachen, ehe es endgültig zu spät sei …
20.11.2021 - Gastkommentar: Die Spanische wurde kaputt repariert!
Gastkommentar: Die Spanische wurde kaputt repariert! 20.11.2021 / News
Seit zwei Jahrzehnten ist die Spanische Hofreitschule der Spielball politischer Kräfte – ohne Rücksicht auf Traditionen und ,rote Linien' dieser Kulturinstitution, so Martin Haller. / Symbolfoto: Archiv/Birgit Popp
Dass ein Privathengst in der Spanischen Hofreitschule ausgebildet und eingesetzt wird, ist einmalig in der mehr als 400-jährigen Geschichte des Instituts – aber nur ein weiterer Tabubruch wie schon viele andere zuvor. Die Hofreitschule wurde seit 2001 kaputt repariert, so Martin Haller in einem Gastkommentar.
Penible Rechnungshof-Beamte – denen dafür unser ausdrücklicher und tiefempfundener Dank gebührt – haben zur leidigen Causa ,Spanische Hofreitschule’ noch einmal einen Bericht vorgelegt und schlicht alles bestätigt, was wir unverbesserlichen Pferdenarren seit 20 Jahren ebenso gebetsmühlenartig wie erfolglos wiederholten: Die Spanische hat abgewirtschaftet, und zwar in jeglicher Hinsicht, die Finanzen sind desolat, die Pferde überfordert, das Niveau ist am Boden – kurz: Die glorreiche ,Ausgliederung’ des Jahres 2001 ist krachend gescheitert.
Ich könnte mich nun – nachdem sich die allermeisten meiner in den Wind geschlagenen Warnungen bewahrheitet haben – zufrieden in den Lehnstuhl der hippologischen Lethargie versenken und die Brandreden jüngeren Federn überlassen. Einen Gedanken möchte und muss ich aber doch noch loswerden: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die ein gnädiges Schicksal zu seltener Perfektion reifen ließ, die in sich stimmig und rund waren. Sie waren sozusagen „klassisch“ geworden; zu ihnen gehörten zumindest bis um etwa 1980 (give or take a few years) unsere Lipizzaner, Fohlen, Stuten, Schulhengste … Man brauchte sich über sie keinen Kopf zu zerbrechen, sie spielten, fraßen, sprangen Kapriolen auf der grünen Weide und im herrlichen Wiener Reitsaal, verdienten Geld, kosteten Geld, lockten Touristen an und waren einfach, was sie waren, ein kleiner Zipfel Vollkommenheit (Sie kennen den launigen Spruch, dass jeder echte Wiener seine Kindheit als Sängerknabe, seine Manneszeit als Lipizzaner und sein Alter als Hofrat zubringen möchte? Also, ICH kann mir inzwischen weit Angenehmeres vorstellen, weil doch nur mehr die Hofräte einigermaßen unbeschädigt sind – doch das nur nebenbei.)
Mein Resümee der Geschehnisse seit 2001, eigentlich seit 1982, lautet eindeutig, dass man diese wunderbare, gewachsene Institution „österreichische Lipizzaner“ einfach hätte in Ruhe lassen sollen! Ein altes irisches Sprichwort sagt: „Wenn es nicht kaputt ist, reparier es nicht“. Nichts war an unseren Kaiserschimmeln kaputt, weder die Genetik noch ihre Ausbildung, man hätte ein paar Boxen in der Stallburg und der Hermesvilla in aller Stille vergrößert, und alles wäre noch immer paletti. Jetzt sind sie kaputt repariert!
Österreichs Politik und ihre Handlanger haben 20 Jahre lang selbstherrlich, unbeirrbar und mit erstaunlicher Rücksichtslosigkeit gewerkt, haben Schulden angehäuft und die Reitkunst demoliert, haben Traditionen und Sachwerte (Wälder, Gebäude, Pferde usw.) vernichtet und unsinnige Duftmarken hinterlassen, die keiner brauchte. Und nun steht es im Rechnungshof-Bericht schwarz auf weiß, dass man auch vor dem letzten großen Tabubruch nicht zurückgeschreckt ist, nämlich die private Nutzung der Spanischen durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats (es gilt wie immer die Unschuldsvermutung).
Das ist, bitteschön, nicht mehr und nicht weniger als ein Sakrileg in der buchstäblichen Bedeutung des Wortes, denn es war NIE UND NIMMER möglich, in der Schule ein Privatpferd zu halten, geschweige denn ausbilden zu lassen oder selbst zu reiten. Das wusste schon Arthur-Heinz Lehmann, der in seinem Roman „Hengst Maestoso Austria“ traurig feststellen muss, dass sein geliebter „Majestätischer“ – weil kein Ensemblepferd – nicht an der Spanischen verweilen darf und er wohl oder übel selbst in den Sattel steigen muss, um ihm Levaden beizubringen. Nicht einmal in der literarischen Fiktion war es für Lehmann (der die Gepflogenheiten der Spanischen sehr genau kannte) denkbar, dieses Tabu zu brechen.
Aber Politiker halten sich Journalisten, Konzerne halten sich Politiker, Influencer halten sich Follower – warum sollte sich in dieser Welt des Gebens und vor allem Nehmens nicht ein Aufsichtsrats-Vorsitzender einen Lipizzaner dort halten und ausbilden lassen, wo er das eigentlich nicht sollte oder dürfte? Solange keiner draufkommt, ist doch alles ok, oder?
Nein, ist es nicht, denn es gibt so etwas wie ein „G’hört sich“ und ein „G’hört sich nicht“. Und dergleichen gehört sich eben NICHT, nie und nimmer! Es gehört sich genauso wenig wie die mutwillige Demontage eines wichtigen Vorzeigebetriebes und Kulturgutes (geschehen seit 2001); wie die finanziell undurchsichtige, zumindest dumme Veräußerung von wertvollen Wäldern samt Provisionszahlung (geschehen 2007), wie die politisch motivierte Einsetzung von hippologisch relativ unerfahrenen Chefs und -innen in eine Position, welche eigentlich höchste reiterliche Fachkenntnis erfordert (alle nach Oberst Albrecht); es gehört sich auch nicht, parlamentarische Anfragen zum Thema unzureichend oder zynisch zu beantworten (geschieht dauernd, nachlesbar); verdiente Oberbereiter/Bereiter/Anwärter und Zuchtleiter in Piber aus persönlichen Motiven loszuwerden, ist ebenfalls ungehörig (geschehen mit Lehrner, Oulehla, Krzisch, Riegler und Druml und einigen weniger prominenten; man baut auch nichts um, was ein Fischer von Erlach geschaffen hat, pfuscht weder kitschige Lichtspiele oder gläserne Balkone dazu; es gehört sich im Umgang mit Menschen und Tieren einfach nicht, diese zu Statisten, Geldmaschinen oder willfährigen Erfüllungsgehilfen zu machen, weil sich eine fehlgeleitete Politik das so einbildet und und und …. Die betrübliche Liste ließe sich noch lange fortsetzen … aber schiefer kann die Optik eh schon nicht mehr werden.
Endlich auf den Punkt gebracht: Alle an den traurigen Umständen bisher Beteiligten sollten zur Strafe ein Jahr lang täglich „Die Flucht der weißen Hengste“ von Walt Disney anschauen müssen. Darin fänden sie jede Menge Vorbilder an Ehre, Mut und Entschlossenheit im Kampf für ihre Lipizzaner. Und der anstehenden Parlamentsdebatte zum Thema Rechnungshof etc. ist zu wünschen, dass man einfach den Urzustand wieder herstellt, und zwar mit aller Macht und Liebe zum Detail. Klingt banal und ist auch so gemeint. Jean Paul hatte Recht: Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann!
Martin Haller
27.07.2015 - Oberbereiter Klaus Krzisch: „Die Rollkur ist ein Problem!"
Oberbereiter Klaus Krzisch: „Die Rollkur ist ein Problem!" 27.07.2015 / News
Klaus Krzisch war 45 Jahre lang an der Spanischen Hofreitschule tätig – und sieht heute das Erbe der klassischen Reitkunst in Gefahr. / Foto: Archiv Bilder wie diese aus dem Jahr 2008 sorgten in den letzten Jahren wiederholt für Aufregung. / Foto: Dr. Ulrike Thiel Ungünstige Momentaufnahme – oder schleichende Gefahr? Wird an der Spanischen Hofreitschule tatsächlich mit der Rollkur-Technik gearbeitet? – Diese Frage sorgt seit Jahren für hitzige Debatten. / Foto: Dr. Ulrike Thiel Für Klaus Krzisch ist die Rollkur unakzeptabel: „Die Rollkur ist gegen die Natur des Pferdes und hat daher auch in der klassischen Reiterei nichts zu suchen." / Foto: Dr. Ulrike Thiel
Der frühere Erste Oberbereiter Klaus Krzisch gilt als prononcierter Gegner des neuen Systems – und sieht das Niveau der Spanischen Hofreitschule ernsthaft gefährdet. Im Interview mit ProPferd erklärt er, warum die Überforderung der Pferde das klassische Ausbildungssystem untergräbt.
ProPferd: Hr. Krzisch, sie gelten als vehementer Gegner von Geschäftsführerin Elisabeth Gürtler, die seit 2007 die Leitung der Hofreitschule innehat und das Institut deutlich verändert hat. Was haben Sie denn gegen Fr. Gürtler?
Klaus Krzisch: Ich habe überhaupt nichts gegen Frau Gürtler persönlich – und schon gar nichts gegen meine ehemaligen Kollegen und das Bereiter-Team, wie das leider häufig kolportiert wird. Die Reiter können’s grundsätzlich, das möchte ich schon betonen. Was ich kritisiere ist das System, das Frau Gürtler eingeführt hat und das sich aus meiner Sicht nicht mit dem verträgt, was eigentlich der Daseinsgrund dieses Instituts ist – nämlich die Pflege der klassischen Reitkunst. Vieles von dem, was ich heute sehe, ist leider nicht mehr klassisch.
ProPferd: Zum Beispiel was...?
Krzisch: Da könnte ich vieles anführen, was allerdings den meisten Laien gar nicht auffallen würde – von der Zügelhaltung bis zum Sitz und immer größeren Schwächen bei den Schulen über der Erde. Wofür war denn die Schule weltweit anerkannt und geschätzt? Das waren die Linienführung und der Sitz – das ist heute vorbei. Das sehen auch immer mehr Fachleute – und wundern sich, was da los ist.
ProPferd: Und was ist los?
Krzisch: Es wurde in den letzten Jahren ein jahrzehntealtes, bewährtes System zerstört und durch ein neues ersetzt, das aber nicht funktionieren kann. Frau Gürtler hat geglaubt, sie muß das Institut mit einem Tritt in die Gewinnzone befördern, die Vorstellungen nahezu verdoppeln und eine zweite Garnitur für Tourneen aufbauen – all das führt letztlich zu einer Überforderung der Pferde, die klassisches Reiten und Ausbilden unmöglich macht.
ProPferd: Frau Gürtler stellt ganz entschieden in Abrede, daß Pferde überfordert werden – sinngemäß mit dem Argument, daß ein paar Minuten Höchstleistung für ein gesundes, trainiertes Pferd durchaus verkraftbar wären...
Krzisch: Die sieben oder acht Minuten, die ein Programmpunkt dauert, strengen die Pferde tatsächlich nicht übermäßig an, da hat Fr. Gürtler schon Recht. Aber: Um acht Minuten auf diesem Niveau Leistungen vollbringen zu können, dazu bedarf es jahrelangen, intensiven Trainings, und das vergisst Fr. Gürtler in ihrer Rechnung. Wenn ich heute ein Grand Prix-Pferd habe, brauche ich rund vier Jahre, um das Pferd überhaupt auf dieses Niveau zu bringen – und weitere zwei Jahre, um an den Details zu feilen. Es geht nicht um die acht Minuten Leistung – sondern die jahrelange Arbeit davor, die eine erhebliche Belastung für die Pferde darstellt. Und das geht in der öffentlichen Diskussion leider meist unter. Wenn ein Skirennläufer die Streif hinunterfährt, dann dauert das auch nur zwei Minuten – aber was liegt denn vor dieser Leistung, wieviele Jahre hartes Training, wieviel Mühe und wieviel Schweiß? Es hat sich ja nicht nur die Anzahl der Vorstellungen nahezu verdoppelt, sondern auch der gesamte Trainingsumfang. Früher hatten wir pro Jahr rund 170 Trainingstage – jetzt sind es an die 250. Unter Albrecht haben wir das ja alles schon durchgemacht, auch damals wurde die Zahl der Vorstellungen auf etwa 70 erhöht, aber es hat sich bald gezeigt, daß das nicht nur für die Gesundheit der Pferde, sondern auch für das Niveau der Vorstellungen sehr schlecht war. Damals war man aber noch so verantwortungsbewusst, dieses Experiment rasch zu beenden. Da hatten noch echte Pferdeleute das Sagen.
ProPferd: Können sich denn die Bereiter nicht gegen die Überforderung der Pferde stellen – und z. B. einfach sagen, daß dieses oder jenes Pferd nicht oder noch nicht eine Vorstellung gehen darf, weil es einfach nicht soweit ist?
Krzisch: Durch die nunmehrige Gestaltung des Programms ist dem jeweiligen Bereiter die letzte Verantwortung in Wahrheit entzogen – er kommt aus dem Hamsterrad nicht mehr heraus, dazu ist auch der zeitliche Druck zu groß geworden. Es war Teil unserer Tradition, daß wir immer selbst bestimmen und entscheiden konnten, wie und vor allem wie intensiv wir die uns anvertrauten Pferde trainieren und ausbilden. Wenn ich z. B. gemerkt habe, daß heiße Tage kommen oder ein vielleicht älteres Pferd schon an seiner Leistungsgrenze angelangt ist – dann habe ich das Pferd eben geschont und bestenfalls nur leicht gymnastiziert, damit es am Sonntag für die Vorführung wieder frisch und fit ist. Und mit jungen, besonders eifrigen Pferden hat man vielleicht etwas mehr gearbeitet, damit sie am Sonntag ruhiger und gelassener sind. Das hat man ja als Bereiter immer gewusst und gespürt – weil wir mit dem Pferd immer eins waren.
ProPferd: Sie haben vorhin auch die sogenannte ,zweite Garnitur’ angesprochen – wie beurteilen sie diesen Plan von Fr. Gürtler?
Krzisch: Meiner Meinung nach ist eine zweite Garnitur weder sinnvoll noch machbar – und inhaltlich ein völliger Irrweg. Diese Idee ist ja auch nicht neu – realisiert konnte sie aber niemals werden. Schon Podhajsky hat immer gesagt: ,Eine zweite Garnitur? Wir haben ja nicht einmal eine gescheite Garnitur – sind wir doch froh, wenn wir EINE super Truppe haben, die funktioniert und die anerkannt ist.’ Später ist einmal Direktor Oulehla zu uns gekommen und hat gemeint: ,Wir müssen mehr Geld einnehmen – was haltet ihr davon, wenn wir zumindest das Training zuhause weiter machen, während der andere Teil auf Tournee ist?’ Das war für uns ok – ein Training kann man mit dem Rest der Pferde und Reiter noch machen, aber doch um Himmels willen keine Vorführung! Wenn ich in die Oper gehe, dann will ich doch auch für mein teures Geld die besten Sänger hören – und nicht die zweit- oder drittbesten, es kann ja auch nicht zwei Garnituren vom Fußball-Nationalteam geben. Ich kann doch nicht für eine sogenannte Vorführung, in der nur zwei Pferde in einer Handarbeit in der Abteilung gehen – was tatsächlich vorgekommen ist – das gleiche Geld verlangen, als wären die besten Reiter und Pferde in der Halle? Aus meiner Sicht ist das nicht redlich – und eigentlich eine Frechheit. Die besten Reiter auf den besten Pferden – das war immer die Spanische Hofreitschule und nur das kann sie sein.
ProPferd: Solange derartige Vorführungen aber gut besucht sind und sich niemand daran stößt – wer könnte es Fr. Gürtler verübeln, dafür möglichst hohe Eintritte zu verlangen?
Krzisch: Wenn man mit dem Niveau, das da geboten wird, glücklich und zufrieden ist – bitteschön. Einem ganz normalen Touristen, der vom Pferdesport oder gar von klassischer Reitkunst keine Ahnung hat – dem gefällt das sicher, die weißen Pferde, die Uniformen, die Halle etc., das alles hat ja seinen Charme. Denen fällt tatsächlich nicht auf, wenn am Heldenplatz die Spanier in der Passage eine Traversale reiten, während die Hälfte unserer Bereiter nicht einmal Passage reitet. Das erkennt der normale Tourist nicht – weil er meist gar nicht weiß, was eine Passage ist. Für den Normalbürger ist alles in Ordnung. Aber von diesen hat die Schule nicht gelebt – sondern von jenem Ruf und jenem Renommee, das wir uns auf den Tourneen über Generationen hinweg erarbeitet haben. Wir hatten früher auch 90 % Touristen in den Vorstellungen in der Hofburg gehabt – aber auf den Tourneen hatten wir 90 % Fachpublikum, Trainer, Ausbilder, Turnierreiter. Die Schule hat sich über Generationen einen Ruf in Fachkreisen aufgebaut, von dem auch die jetzige Leitung des Instituts noch immer profitiert, zumindest ein wenig. Das ist aber nicht das Verdienst von Fr. Gürtler, sondern das Verdienst von Generationen an Bereitern in der Vergangenheit. Sie schmückt sich da mit fremden Federn. Aber dieses Guthaben wird eines Tages aufgebraucht sein – und es mehren sich die Anzeichen dafür, daß dieser Tag nicht mehr fern ist...
ProPferd: Der Fairness halber muss man aber sagen, daß Fr. Gürtler den ausdrücklichen politischen Auftrag hat, möglichst ausgeglichen zu bilanzieren – und wohl an der Ausweitung der Vorstellungen kein Weg vorbeiführt. Oder hätten sie eine bessere Idee...?
Krzisch: Eine Maßnahme, die beträchtliche Einsparungen bringen würde, wäre schlicht eine Reduzierung der Pferdezahl. Was brauche ich 75 Pferde in der Hofburg und 40 am Heldenberg? Das sind 115 Pferde – und jedes kostet natürlich Geld. Wir hatten früher 72 Pferde in der Hofburg und sind auch durchgekommen. Mit den 72 Pferden sind wir im Sommer nach Lainz – und im Herbst waren sie wieder voll Energie, und wir konnten das ganze Programm und auch noch die Tourneen mit ihnen problemlos bestreiten – alles eine Frage des Managements. Und wenn es heißt: ,Aber die jungen Pferde müssen doch gearbeitet werden’ – dann sieht man wieder, daß Fr. Gürtler von vielen Dingen schlicht zu wenig versteht. Auch junge Pferde brauchen Erholung, weil die Pferde geistig und körperlich gearbeitet werden – und wenn wir von Mitte Februar bis Ende Juni intensiv trainieren, dann brauchen auch die jungen Pferde Erholung und Regeneration.
ProPferd: Dem wurde entgegnet, daß die Pferde doch nur 30 Minuten am Tag gearbeitet werden und alles nicht so anstrengend für sie sei...
Krzisch: Auch diese Aussage – sofern sie ernst gemeint sein sollte – beweist entweder Ahnungslosigkeit oder ist einfach nur zynisch. Jeder Reiter hat früher selbst entscheiden können, wie lange er mit seinem Pferd arbeitet – weil auch nur der Reiter das seriös abschätzen kann. Wenn ich einmal mehr Zeit mit einem Pferd gebraucht habe, dann habe ich mir das einfach so eingeteilt, daß ich eine Stunde oder vielleicht sogar länger geritten bin. Und wenn es für ein Pferd zu anstrengend wurde, hab ich das Training eben abgekürzt. Ein Pferd hat ja nur eine Aufnahmefähigkeit von maximal 40 Minuten, in denen es geistig folgen kann – bei einem jungen Pferd ist es sogar noch weniger. Mit einem jungen Pferd arbeitet man am Anfang maximal 15–20 Minuten, dann kann es sich nicht mehr konzentrieren und dann fangen die Probleme an. Deswegen brauchen junge Pferde genauso ihre Ruhe.
ProPferd: Wie gehen denn die Bereiter mit all dem um – wie ist denn die Stimmung bei denen?
Krzisch: Wenn ich nach dem gehe, was ich von meinen ehemaligen Kollegen höre: katastrophal. Es haben sich unterschiedliche Lager gebildet. Die Jungen sind arm, weil die niemanden mehr haben, der ihnen weiterhilft, die müssen sich untereinander irgendwie selber helfen – doch das geht eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn wir früher auf der Bank gesessen sind und den Jüngeren zugeschaut haben, dann haben wir uns die immer hergewunken und gesagt: Mach das besser so oder so oder probiere das mal so. Das gibt’s heute kaum noch.
ProPferd: Aber wieso? Ist dazu keine Zeit mehr, fehlt es an Motivation – woher kommt diese Haltung?
Krzisch: Weil es z. B. eine Gruppe gibt, die eigentlich gegen das System von Fr. Gürtler sind, aber nichts dagegen machen können, es in Wahrheit boykottieren und aus diesem Grund nichts sagen. Der andere Teil hat unter Fr. Gürtler Karriere gemacht und ist heute in einer Position, in die sie früher nie gekommen wären. Die sind verständlicherweise ganz zufrieden mit dem Status quo – und haben wenig Interesse, daran irgendetwas zu ändern. Und dann gibt’s noch die Jungen, die eigentlich besonders arm dran sind, weil denen niemand mehr etwas erklärt und sie sich bei Problemen selbst helfen müssen – und das tun sie manchmal eben mit den falschen Mitteln. Es ist für mich daher auch kein Zufall, daß immer öfter im Internet Fotos und Videos kursieren, wo man die Lipizzaner in Rollkur-Haltung sieht. Das ist letztlich auch dadurch verursacht, daß die Pferde – und auch manche Reiter – überfordert sind und heute nicht mehr so ausgebildet werden kann, wie es eigentlich sein sollte.
ProPferd: Hat die Spanische Hofreitschule tatsächlich ein Rollkur-Problem?
Krzisch: Rollkur ist ein Problem – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens weil sie gegen die Natur des Pferdes ist. Klassische Reitkunst ist nichts anderes als die natürlichen Bewegungen des Pferdes herauszuarbeiten und zu präsentieren. Wenn sie sich die Junghengste in Piber auf der Koppel ansehen, dann werden sie Galoppwechsel sehen, Traversalen, Passage bzw. passageähnliche Tritte, wenn die Junghengste ihr Imponiergehabe demonstrieren und den Schweif heben, oder sie zeigen Piaffetritte oder stellen sich auf wie bei einer Courbette. All das ist klassisch – ich kann all diese Lektionen bis zu den Schulen über der Erde aus den natürlichen Bewegungen ableiten und diese gleichsam kultivieren und verfeinern. Zirkus ist es für mich, wenn man einem Pferd acht oder zehn Courbette-Sprünge machen lässt, wenn es sich niederlegen oder hinsetzen muss usw. – das hat mit klassischer Reitkunst nichts zu tun.
Die Rollkur ist gegen die Natur des Pferdes und hat daher in der klassischen Reiterei nichts zu suchen. Der Kopf und der Hals eines Pferdes sind seine Balancestange. Und das Pferd ist dann am besten ausbalanciert – und zwar in allen Lektionen – wenn es kurz vor der Senkrechten ist, das war in der klassischen Reitkunst stets so und glücklicherweise entdeckt man das jetzt auch im Dressursport wieder. Nun kann aber Folgendes passieren: Wenn ich heute Trainer und Ausbilder bin, und ein Pferd drückt mir immer weg – wegdrücken heißt den Kopf hoch nehmen, z. B. in einer Pirouette oder bei einem Übergang von der Piaffe in die Passage oder von der Passage in die Piaffe, dann ist das in der Ausbildung ein Problem. Immer, wenn ich angehen will, drückt das Pferd etwas weg. Wenn das Pferd wegdrückt, drückt es auch den Rücken durch und kann von hinten nicht antreten. Wenn ich jetzt Trainer bin, werde ich also versuchen, das Pferd etwas hinter die Senkrechte zu bekommen – aber nur für diesen Moment und diese Sekunde, damit das Pferd lernt, daß es auch so angehen kann. Und dann geht das Pferd auch wieder über den Rücken an, der ja immer schwingen soll, und tritt hinten nach, denn hinten spielt ja bekanntlich die Musik. Da kann ich das akzeptieren, daß ich das Pferd für ein paar Sekunden so einstelle – leicht hinter der Senkrechten, nur um ihm zu zeigen, daß es auch so funktioniert.
Was ich nicht akzeptieren kann ist jene Art von Rollkur, in der man das Pferd mehr oder weniger unterwirft und durch eine unnatürliche Zwangshaltung auch quält. Und leider hat diese Unsitte in der Spanischen Einzug gehalten – wie mittlerweile viele Fotos und sogar Videos zeigen. Wenn diese von Frau Gürtler als ,Momentaufnahmen’ und von Herrn Dobretsberger als ,Dehnungsübungen’ bezeichnet werden, dann finde ich das dermaßen verlogen, daß mir die Worte fehlen. Das kann ich vielleicht einem Laien erzählen – aber jeder, der ein wenig Ahnung vom Reiten hat, weiß was los ist und was da mit den Pferden gemacht wird. Tatsache ist, daß ein paar Reiter die Rollkur praktizieren – die Jungen schauen sich das ab und machen das ganze nach. Ich habe mir einige der Bilder angesehen, da wird ein Caprioleur geritten, der in der Capriole immer etwas wegdrückt. Daher versucht der Bereiter, ihn hinter die Senkrechte zu bekommen und reitet so dahin. Daran erkennt man aber auch die Unerfahrenheit des Reiters – denn das hilft null. Wenn ich heute ein Pferd ausbilde, und ich reite eine Traversale und es drückt mir ständig weg, ich pariere Schritt, tu ihn runter und gehe dann wieder an – dann werde ich das gleiche Problem wieder haben. Ich muss das Problem IN der Lektion lösen. Wenn ich ein Problem habe in einer Pirouette, in einer Traversale, dann muss ich das weiter machen und versuchen, dieses Problem zu lösen.
Und da schließt sich wieder der Teufelskreis: Offenkundig sagt keiner der erfahrenen, älteren Reiter zu dem: ,Du, das was Du da machst, das bringt nichts – da gibt’s eine andere Lösung.' Das passiert offenbar nicht mehr oder viel zu wenig. Wir haben uns ja früher nach einer Vorführung immer zusammengesetzt und über alles geredet – was war gut, wo hat’s Fehler gegeben, was kann man verbessern und so weiter. Es hat eine Manöverkritik gegeben, wir waren ein Team. Das gibt’s heute alles nicht mehr – und ich höre immer wieder, daß viele der Bereiter das vermissen. Heute ziehen sich nach einer Vorführung alle um und sind fort, die Gemeinschaft fehlt. Und das werfe ich Frau Gürtler wirklich vor – daß sie die Leute demotiviert und den Teamgeist zerstört hat. Jeder kann irgendetwas ein bisschen besser – und wenn einer nicht so gut Pferde ausbilden konnte, dann war er eben besser im Unterrichten und hat so die anderen entlastet. Wir haben uns gegenseitig geholfen, wir waren alle gleich – keiner war abgehoben. Nur weil ich das Solo geritten bin, war ich nicht besser oder mehr wert als die anderen – ich habe wahrscheinlich nur mehr Glück und ein besonders gutes Pferd gehabt. Wenn man über einen von uns gelästert hat, dann hat man über uns alle gelästert.
ProPferd: Also einer für alle – und alle für einen...
Krzisch: So war es früher wirklich, es gab einen ungeschriebenen Codex. Und jeder von den älteren Bereitern, den ich kannte, hat sich mit der Schule identifiziert. Ich natürlich auch – mir hat das damals in der Seele wehgetan, was mit dem Institut passiert ist, heute ist es ein bisschen besser. Und Sie können sich vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man eines Tages in die Direktion gerufen wird und dort heißt es: Krzisch, Du bist dienstfrei gestellt! Und das nach 45 Dienstjahren – so, als ob man das Licht abdreht. Und ich musste meine Pferde von einer Sekunde auf die andere zurücklassen – das waren ja meine Partner, mit denen ich 10, 15 und manchmal 20 Jahre zusammengearbeitet habe, das war wie meine Familie. Und dann muß man zuschauen, wie die Schule den Bach runtergeht. Was mich bei alledem auch sehr stört: Von den zuständigen Politikern hat es nie jemand der Mühe wert gefunden, einmal eine zweite Meinung anzuhören – man hatte immer nur ein Ohr für Fr. Gürtler, die stets betont hat, wie wunderbar und wie super alles ist. Wir Reiter, die 40 Jahre in dem Institut gearbeitet haben, wurden dazu nie gehört.
Das Einmalige an diesem Institut war immer: 70 bestens ausgebildete Pferde, dazu die besten Reiter – da lernst Du reiten, natürlich immer mit einem gewissen Auf und Ab. Aber die ganze Welt hat von unserem Wissen profitiert, viele sind gekommen, um sich Tipps und Hilfe bei bestimmten Ausbildungsproblemen zu holen. Ich verdanke der Schule alles – mein gesamtes Wissen, mein gesamtes Können, und eigentlich wäre es meine Aufgabe, das an die nächste Bereiter-Generation weiterzugeben und nicht an irgendwelche anderen Schüler. Leider habe ich die Möglichkeit dazu nicht mehr. Aber ich lasse mir auch nicht den Mund verbieten – wenn ich schon von innen her nichts mehr für die Schule tun kann, dann vielleicht von außen.
ProPferd: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Klaus Krzisch führte Leopold Pingitzer.
ZUR PERSON
Klaus Krzisch, geboren am 23. Juli 1950 in Wr. Neustadt/NÖ, trat im September 1964 als Eleve in die Spanische Hofreitschule ein und durchlief die klassische Hierarchie des Traditionsinstituts: Er avancierte 1970 zum Bereiteranwärter, 1980 zum Bereiter und 1990 zum Oberbereiter. Unvergessen bleiben seine Solo-Darbietungen mit seinem ,Leibpferd' Siglavy Mantua – Krzisch hatte den Hengst selbst ausgebildet und mit ihm unglaubliche 15 Jahre lang – von 1990 bis 2005 – das berühmte Solo gezeigt. Bei seinem letzten öffentlichen Solo 2005 während einer USA-Tournee war Siglavy Mantua 27 Jahre alt – und bei bester Gesundheit.
Nach der Pensionierung des damaligen 1. Oberbereiters Arthur Kottas-Heldenberg im März 2003 übernahm Klaus Krzisch – gemeinsam mit den beiden anderen Oberbereitern Johann Riegler und Wolfgang Eder – die Leitung der reiterlichen und ausbilderischen Arbeit an der Spanischen Hofreitschule. Am 1. März 2006 wurde Krzisch offiziell zum ,Ersten Oberbereiter' ernannt und rückte damit an die Spitze des Bereiter-Teams: Es war die ehrenvolle Krönung seiner beruflichen Laufbahn – die schon wenige Jahre später jäh enden sollte: Im Oktober 2009 wurde Krzisch unter dem Vorwand arbeitsrechtlicher sowie disziplinärer Verfehlungen von der neuen Geschäftsführerin Elisabeth Gürtler dienstfrei gestellt. Die Vorwürfe stellten sich nach eingehender Untersuchung und mehreren Gerichtsverfahren, die Krzisch allesamt gewann, als haltlos heraus. Doch anstelle der Wiedereinstellung folgte im Mai 2013 die Zwangspensionierung – gegen die sich Klaus Krzisch abermals erfolgreich wehrte und nach einem gewonnenen Rechtsstreit wieder auf die Lohnliste der Spanischen gesetzt werden musste. Arbeiten ließ man ihn dennoch nicht.
Im Juli 2015 erreichte Krzisch schließlich das gesetzliche Pensionsalter und hat nun auch keine rechtliche Möglichkeit mehr, seine Wiedereinstellung zu erreichen. Heute ist Klaus Krzisch international gefragter Dressur-Ausbilder.
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