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Der Preis der Freiheit? Wildpferde haben mehr Stress als Boxenpferde
08.07.2022 / News

Das Leben von Pferden in Freiheit wird von uns Menschen möglicherweise romantischer betrachtet, als es tatsächlich ist – diesen Schluss legt jedenfalls die Studie des italienischen Forscherteams nahe ...
Das Leben von Pferden in Freiheit wird von uns Menschen möglicherweise romantischer betrachtet, als es tatsächlich ist – diesen Schluss legt jedenfalls die Studie des italienischen Forscherteams nahe ... / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Gesunde wildlebende Pferde in einer italienischen Bergregion zeigten deutlich höhere Konzentrationen des Stresshormons Cortisol als in Boxen untergebrachte Pferde – sogar dann, wenn sie regelmäßig als Polizeipferde im Einsatz waren, so das überraschende Ergebnis einer spannenden Studie.


Francesco Cerasoli und seine ForscherkollegInnen schreiben in der Zeitschrift ,animals', dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Pferde zu halten und zu managen, aber Untersuchungen darüber, wie das Wohlergehen von Pferden konkret durch verschiedene Aktivitäten und Haltungspraktiken beeinflusst wird, dünn gesät sind.

Das Studienteam machte sich daher daran, das Wohlergehen von drei Gruppen von Pferden zu bewerten, die auf drei verschiedene Arten gehalten wurden, basierend auf dem in Haaranalysen gemessenen Cortisolspiegel. Cortisol hat sich in den letzten Jahren als zuverlässiger Indikator für Stress bei Tieren erwiesen, wobei die Werte im Pferdehaar als Indikator für chronischen Stress herangezogen werden: Je länger der Stress anhält, umso länger zirkuliert eine erhöhte Konzentration von Cortisol im Körper – und desto mehr sammelt sich davon in den Haaren an. Pferdehaar, so die WissenschaftlerInnen, ist gleichsam eine Matrix, in der sich Cortisol im Laufe der Zeit ansammeln kann und ein Stress-„Archiv“ bildet.

Insgesamt wurden 47 klinisch gesunde Pferde in die Studie aufgenommen, bestehend aus 18 weiblichen und 29 männlichen Tieren im Alter zwischen 5 und 15 Jahren. Die Pferde wurden in drei Gruppen eingeteilt.

– Gruppe 1 bestand aus 4 weiblichen und 12 männlichen Pferden verschiedener Rassen, darunter Murgese-Pferde, ungarische und holländische Warmblüter, Lipizzaner, Maremmano, Oldenburger etc. Sie wurden in Einzelboxen (4 × 4 m) mit täglichem Zugang zur Koppel gehalten, erhielten Heu und Kraftfutter in einer von einem Tierarzt abgestimmten Ration und wurden alle 45–50 Tage beschlagen. Die Einstreu bestand aus staubfreien Holzspänen. In den letzten 5 Monaten vor Studienbeginn wurden keine Krankheiten oder pharmakologischen Behandlungen verzeichnet. Die Pferde dieser Gruppe wurden 3–4 Mal pro Woche trainiert (einschließlich Bodenarbeit) und wurden für den Einsatz bei der berittenen Polizeieinheit in Ladispoli vorbereitet.

– Gruppe 2 umfasste 4 weibliche und 12 männliche Pferde verschiedener Rassen, darunter 12 Murgese-Pferde und weitere Warmblutpferde. Auch sie wurden in Einzelboxen (4 × 4 m) gehalten, jedoch ohne Koppelgang. Sie erhielten Heu und Kraftfutter in einer vom Tierarzt abgestimmte Ration und wirdem regelmäßig alle 45–50 Tage beschlagen. Die Einstreu bestand aus staubfreien Holzspänen. Die Pferde dieser Gruppe waren im regulären Diensteinsatz bei der berittenen Polizei in Rom. An dienstfreien Tagen wurden sie täglich an der Hand geführt bzw. bewegt.

– Gruppe 3 bestand aus 15 wildlebenden Pferden (10 weibliche und 5 männliche Tiere), die auf etwa 600 m Seehöhe in den italienischen Abruzzen (bei Anversa degli Abruzzi in der Provinz l'Aquila) lebten. Sie hatten Zugang zu natürlichen Nahrungsquellen und auch Heu, aber ohne zusätzliches Futter. Trinkwasser stand in Wassertanks zur Verfügung. Der natürliche Lebensraum der Pferde ist nicht durch Zäune begrenzt, und es sind ausschließlich natürliche Unterstände vorhanden. Das geografische Gebiet wird auch von Wildtieren wie Hirschen, Wölfen und Bären bevölkert. Die Pferde leben im Gruppenverband und haben keinen direkten Kontakt mit Menschen, wurden aber für die Probenentnahme in einem eingezäunten Bereich gesammelt, wobei dieser akute Stressfaktor die Cortisol-Konzentration in den Haarproben nicht beeinflusst hat, so die WissenschaftlerInnen.

Die Cortisol-Analyse wurde mittels Flüssigkeitschromatographie durchgeführt, die mit der hochauflösenden Hybrid-Orbitrap-Massenspektrometrie gekoppelt war – eine Labortechnik, die zum ersten Mal zur Quantifizierung von Rosshaar-Cortisol verwendet wurde. Pferde wurden nur dann in eine der drei Testgruppen aufgenommen, wenn sie eine positive Tierschutzbewertung gemäß dem Protokoll der European Animal Welfare Indicators (AWIN) erhalten hatten.

Die Auswertung der Haarproben zeigte ein überraschendes Ergebnis: Die Gruppe 3 der wildlebenden Pferde zeigte deutlich höhere Cortisolspiegel als die in Boxen gehaltenen Pferde der Gruppe 1, die täglich Zugang zur Koppel hatten und nur leicht trainiert wurden. Die Werte in der Gruppe der wildlebenden Pferde waren auch deutlich höher als bei den Pferden der Gruppe 2, die täglich bei der berittenen Polizei im Einsatz waren. Mit anderen Worten: Der Langezeit-Stress der wildlebenden Pferde war deutlich größer als bei den in Boxen gehaltenen Pferden – obwohl sie soziales Verhalten ausdrücken konnten und trotz einer zumindest scheinbar sehr guten Gesundheit.

„Obwohl normalerweise angenommen wird, dass freilebende Tiere, die unter ‚natürlichen‘ Bedingungen leben, ein höheres Maß an Wohlbefinden erfahren können, hängt diese Annahme tatsächlich vom Vorhandensein mehrerer stressbedingter Variablen ab, die berücksichtigt werden müssen“, so die Erklärung der WissenschaftlerInnen. „Die höheren Cortisolspiegel, die bei wildlebenden Pferden gefunden wurden, könnten auf die Angst zurückzuführen sein, nachts gefressen zu werden“, so eine mögliche Erklärung des Studienteams. „Das Gebiet, in dem die Studie durchgeführt wurde, ist gebirgig, und Wölfe und Bären sind regelmäßig präsent.“ Die niedrigere Cortisolkonzentration bei den Polizeipferden kann möglicherweise auch darauf zurückgeführt werden, dass diese Tiere die Möglichkeit hatten, einen Teil des Tages im Freien zu trainieren und auf ihre Arbeit vorbereitet zu werden, wo sie vor anderen möglichen Stressfaktoren (wie Autohupen, andere Tiere, Menschen usw.) geschützt waren, so die AutorInnen.

In jedem Fall zeigen die Ergebnisse, dass auch Pferde, die in freier Wildbahn leben, starkem Stress ausgesetzt sein können, so das Studienteam: „Obwohl weitere Untersuchungen zu diesem Thema wünschenswert sind, fügt diese Forschung ein wichtiges Stück zum Verständnis von Stress hinzu, der mit dem Management von Pferden verbunden ist. Diese Studie zeigt auch, dass ein gutes Management von Pferden durch den Menschen – selbst eines, das mit Arbeit und Training verbunden ist – zu niedrigeren Cortisolspiegeln führen kann als bei Pferden in freier Wildbahn, die unter natürlicheren und weniger stressigen Bedingungen leben. Auch in dieser Hinsicht sollten weitere Forschungen durchgeführt werden.“

Die Studie „Assessment of Welfare in Groups of Horses with Different Management, Environments and Activities by Measuring Cortisol in Horsehair, Using Liquid Chromatography Coupled to Hybrid Orbitrap High-Resolution Mass Spectrometry" von Francesco Cerasoli, Michele Podaliri Vulpiani, Giorgio Saluti, Annamaria Conte, Matteo Ricci, Giovanni Savini und Nicola D’Alterio ist am 6. Juli 2022 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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