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Die Fälle des Dr. K.: Mängelrügen - was ist "normal"?
19.11.2022 / News

Sachverständige müssen über ein fachliches und rechtliches Gerüst verfügen, um den zu begutachtenden Einzelfall am gültigen Standard zu bemessen. Dabei sind sie stets einem Spannungsfeld ausgesetzt, da sie es mit lebenden Individuen und ihren Besonderheiten zu tun haben, wie Beispiele aus der Praxis zeigen.


Die forensische Hippologie und Hippiatrie hat sich überwiegend mit Fällen zu befassen, deren „Sujet“ nicht einer Fließbandproduktion entspricht, sondern die auf Grund ihrer Wesenheit einer hohen und naturgegebenen Individualität unterliegt. Die Rechtsprechung hat dies weitblickend erkannt und verinnerlicht, und erteilt Aufträge an Gutachter, die auf die jeweilige Besonderheit des vorliegenden Einzelfalles abstellen. Ähnlich wie ein guter Dirigent, Pianist oder Sänger – von der Natur begnadet – mit einem absoluten Gehör ausgestattet sein kann, welches ihm Richtschnur und Rahmen gibt, müssen auch Sachverständige über ein fachliches und rechtliches Gerüst verfügen, das ihnen erlaubt, den jeweils zu begutachtenden „Einzelfall“ am gültigen Standard zu bemessen.
In fachlicher Hinsicht spricht man traditionell bei der Technik von Normen, in der Medizin vom „state of art“, in juridischer Hinsicht bezieht man sich auf Üblichkeiten, Regeln, Gesetze und eine ständige Rechtsprechung.
Die „player“ – wie man heutzutage handelnde Individuen zu bezeichnen pflegt - sind hier Pferde in allen erdenklichen Erscheinungsarten und Menschen in allen vorstellbaren Variationen.
 
Eine zufällige Auswahl von Beispielen für Gutachtensaufträge, Klagevorbringen
und erwidernde Entgegnung darauf, wie im folgenden Abschnitt dargestellt, möge dem interessierten Leser nahe bringen, in welchem Spannungsfeld Sachverständige, die mit lebenden Individuen zu tun haben, regelmäßig ausgesetzt sind. Die relevanten Passagen sind jeweils fett dargestellt und unterstrichen.
Von Sachverständigen wird seitens des erkennenden Gerichts und der Streitparteien zu Recht erwartet, dass Gutachten abgeliefert werden, die die Bezeichnung „Sachverständigenbeweis“ verdienen:
– neutral in Wertung und Sprache
– auf Basis solide erhobener Befunde tragfähig  
– tief recherchiert und gut begründet
– schlüssig und in sich logisch
– nachvollziehbar und widerspruchsfrei
– verständlich und lesbar für Rechtskonsumenten, ohne unnötige Fachausdrücke
– unparteiisch in jedem Aspekt, nur der (materiellen) Wahrheit verpflichtet.
 
Univ. Prof. Dr. Harro Köhler war zu meiner Studienzeit (1963-1969) Ordinarius für Pathologie und für Gerichtliche Veterinärmedizin; einer seiner Standardsprüche war:

„Sachverständige sind Personen, die von der Sache etwas verstehen!“
 
Das unregelmäßige Verbum „verstehen“ hat neben der Bedeutung von „deutlich hören“ vor Allem aber den innewohnenden Sinn, dass Zusammenhänge erfasst und Gedankengänge nachvollzogen werden können. In dieser Konsequenz ist Gutachtern, die reine Schreibtischtäter und Literaturkopierer ohne eigene Erfahrung sind, stets mit Vorsicht zu begegnen.


Gerichtliche Gutachtensaufträge – 5 Beispiele:
 
– Wurde die Klägerin von der Beklagten für die beabsichtigte Zahnbehandlung des Pferdes ordnungsgemäß beraten und aufgeklärt?
– War das von der Beklagten durchgeführte gänzliche Zähne-Schleifen samt Sedierung und Nachsedierung aus medizinischer Sicht notwendig?
– Wurde die Zahnbehandlung, wenn sie aus fachlicher Sicht notwendig gewesen sein sollte, und die speziell die vorgenommene Fixierung des Pferdes nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen?
[RS 11 C 1237/16 m]
 
– Leidet das Pferd an der Krankheit „Headshaking“ oder an einer Schreckhaftigkeit, die mit den für gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften eines Pferdes unvereinbar ist?
– Im Falle einer Bejahung: War dieser Zustand bei der Übergabe schon im Ansatz vorhanden oder ist er – wie von der Beklagten vorgebracht – Folge eines Reitfehlers?
[RS 2 C 376/15 p]
 
– Beurteilung der Höhe und Angemessenheit der Reparaturkosten der unfallkausalen Schäden an der verfahrensgegenständlichen Kutsche;
– Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Instandsetzung der Folgeschäden des Verkehrsunfalles an der Kutsche.
[RS 33 C 766/14 i]
 
 – Ist das verfahrensgegenständliche Pferd weiterhin für Reitzwecke einsetzbar?
– War das verfahrensgegenständliche Pferd in den Stallungen der beklagten Partei fach- und artgerecht verwahrt?
– Waren allenfalls bestehende Haltungsmängel des verfahrensgegenständlichen Pferdes im Vorfeld für einen Laien erkennbar?
[RS C 677/16 f]
 
– Das Pferd soll kinder- und anfängerfreundlich sein.
– Das Pferd soll krankhafte Befunde am Rücken und an den Vordergliedmaßen aufweisen.
– Das Pferd soll sowohl für Kinder wie auch für Anfänger ungeeignet sein.
– Das Pferd sei zum Reiten nicht geeignet.
[RS 2 C 103/18 f]
 
 
Aus Klageschriften und aus Klageerwiderungen – drei Beispiele
 
Klage 1:
Das klagegegenständliche Pferd wurde mir als Sport- und Zuchtstute verkauft.
Gemäß den Empfehlungen des Beklagten wurde das Pferd von mir zunächst nur longiert. Der betreuende Trainer, der das Pferd in weiterer Folge auf die Stutenleistungsprüfung vorbereiten sollte, stellte nach Beginn der Ausbildungsarbeit mit dem Pferd fest, dass dieses lahm geht und riet von der Vorstellung des Pferdes in turnierähnlicher Atmosphäre ab. Bereits 14 Tage nach der Übergabe wurde von der betreuenden Tierärztin der Verdacht von „Schale“ geäußert. Nach Durchführung einer Röntgenuntersuchung bestätigte sich der Mangel am Pferd, nämlich Knochen-Zubildungen an den Gliedmaßen-Knochen und -gelenken des linken hinteren und unteren Abschnitts des Pferdebeines, sog. „Schale“…
Die Verwendung als Sportpferd ist damit ausgeschlossen, auch der Einsatz des Pferdes in der Zucht ist abzulehnen.
 
Klageerwiderungen zu 1:
Seit das Pferd vierjährig ist, war es im Stall des Beklagten.
Das Pferd wurde auf der Reitanlage des Beklagten regelmäßig geritten und war dieses jedenfalls nicht lahm, gut zu reiten, gut zu trainieren und in Ordnung.
Die Klägerin hat das Pferd über Maßen trainiert….
Dass das Pferd als Zuchtstute nicht geeignet ist, wird bestritten, da die Frage, ob ein Pferd als Zuchtstute geeignet ist, von den Vorfahren abhängt.
Die Stute ist ein paar Monate nicht geritten worden, begründete wird dies mit Zeitmangel. Deshalb wurde das Pferd nur beim Freilaufen vorgestellt.
[RS 20 C 680/17 m]
 
Klage 2:
Am 10.06.20X6 ist das Pferd aus der, für ihn bestimmten Einstellbox ausgebrochen und hat sich am Vorderbein verletzt, nachdem es im Gitter der angrenzenden Einstellbox hängengeblieben und gestürzt ist. Das Pferd wurde erheblich verletzt und musste in der Tierklinik T. operiert und einer umfangreichen Behandlung unterzogen werden. Das Pferd ist nicht mehr bestimmungsgemäß einsetzbar, da es auf Grund des Vorfalls stark lahmt. 
[…….]
Der Stall der beklagten Partei ist äußerst mangelhaft und nicht pferdegerecht eingerichtet. So war die Box des Pferdes der Klägerin nur mangelhaft gesichert, sodass die Tür durch entsprechende Krafteinwirkung des Pferdes selbst aufgedrückt werden konnte. Die Gittertüre der Nachbarbox weist einen zu großen Abstand der einzelnen Gitterstäbe auf, sodass es möglich war, dass sich das Pferd der Klägerin mit dem Bein in diesem Gitter verfangen konnte, wodurch es zu Sturz kam und die erheblichen Verletzungen erlitt und sich aus dieser Position nicht mehr befreien konnte.
 
Klageerwiderung zu 2:
Festzuhalten ist, dass die klagende Partei mit Vertrag vom 01.06.20X6 mit der beklagten Partei einen Vertrag betreffend die Einstellung eines Pferdes, dies aber nicht in einer Box, sondern im Offenstall, abgeschlossen hat.
[……]
Da nun das Pferd der Klägerin frisch kastriert war, war dort noch ein entsprechendes „Hengsteln“ zu beobachten, weshalb die klagende Partei ersuchte, dieses vorübergehend in einer Box einstellen zu dürfen.
Die klagende Partei hat die Box auch besichtigt und für in Ordnung befunden.
Am bezughabenden Vorfallstag war es so, dass die Beklagte die Tochter der Klägerin beim Pferd angetroffen hat. Die Beklagte hat die Tochter der Klägerin auch darauf hingewiesen, dass im Anschluss an die Pferdepflege dann die Boxentür entsprechend zu versperren ist, soweit die Beklagte, die hier keine eigenen Wahrnehmungen hat, orientiert ist, hat die Tochter der Klägerin [….] vergessen, die Box wieder abzusperren, weshalb das Pferd aus der Box konnte.
[RS9 C 677/16 f]
 
Klage 3:
Am xx.xx.xxxx führte die Beklagte in meinem Auftrag an meinem Pferd XY geb. 29.05.20XX, LN DE 431 315121XXX, eine Zahnbehandlung durch. Sie sedierte das Pferd. Nachdem ich ein anderes Pferd brachte, sah ich, wie die Beklagte nachsediert hat.
[….]
Der Kopf des Pferdes wurde nach der Sedierung auf einen Bock gelegt und nach vorne durchgestreckt, das heißt, die Stirnlinie wurde nahezu in die Waagrechte gebracht. Es wurde eine Maulsperre angebracht. Zusätzlich wurde mein Pferd links und rechts mit Stricken kurz und eng angebunden.
[…..]
Von mir abgesehen, wurden weitere Hilfspersonen für das Halten des Pferdekopfes nicht beigezogen. Die von der Beklagten mitgebrachte Hilfsperson war damit beschäftigt, die zuvor abgebrochene Lampe zu halten. Nach einiger Zeit, die Behandlung dauerte schon ungewöhnlich lange, gab mein Pferd sukzessiv nach hinten nach bzw. ist eingesunken und hat sich dabei zurückbewegt. Mein Pferd bekam Atemprobleme und begann zu röcheln. Ich habe die Beklagte darauf angesprochen, sie reagierte darauf aber nicht [….] Nach einigem Wanken stürzte mein Pferd. Ich forderte die Beklagte auf, etwas zu unternehmen, aber sie durchsuchte lediglich ihre Tasche. Unmittelbar darauf verstarb mein Pferd.
[…..]
Das Pferd war dressurmäßig bis zur Klasse M ausgebildet und beherrschte Lektionen der Klasse S. Der Verkehrswert meines Pferdes lag bei zumindest € 10.000.00.
 
Klageerwiderung zu 3:
Unbestritten bleibt, dass die Beklagte am 19.01.2016 auftrags der Klägerin an deren Hannoveraner-Wallach XY unter Verwendung einer Elektro- sowie einer Handraspel eine Zahnbehandlung durchführte [….].
 
Faktum ist, dass die Beklagte
– vor Beginn ausführlich aufklärte,
– eine genaue (u.a. auch Herz und Lunge umfassende) Untersuchung des Tieres vorgenommen hat und sich dabei keine Auffälligkeiten zeigten,
– das Pferd sodann im Zwangsstand platzierte und mittels 0.8 ml D i. v. [….] sedierte,
– und anschließend den Kopf des Wallachs lose auf einer Kopfstütze positionierte.
 
Da XY aber [….] nach der diesbezüglich vorgeschriebenen Wartezeit von ca. 10 bis 12 min. […..] Unruhe zeigte, entschied die Beklagte sich [….] zur intravenösen Verabreichung einer Mischinjektion von 0.4 ml D sowie 0.3 ml A.
[……]
Nach Beruhigung der, nach dem Stürzen des Pferdes plötzlich aufgetretenen Exzitationen des Pferdes injizierte die Klägerin […] unverzüglich A …
[….]
Das Ableben des Wallachs der Klägerin war die Folge
– eines Schlaganfalles
– eines plötzlichen Organversagens
– oder eines Herzinfarktes.

 
Das Pferd XY besaß keinen, wie immer gearteten Nachweis eines Einsatzes bei Competitions und war 15 Jahre alt – der angeführte Verkehrswert wird bestritten.
 
Zeugenaussagen zu Klage 3
Nach einiger, nicht genau zu bezifferter Zeit begann das Pferd rückwärts zu gehen, später nach hinten zu sinken, bekam Atemprobleme und begann zu röcheln.  In der Folge brach das Pferd zusammen und starb kurz darauf.

Die Klägerin ordnete eine Obduktion der Leiche an, das Pferd wurde auch von der SARIA entsorgt, jedoch kam es zu einer Verwechslung der Pferdeleichen, weswegen eine für diesen Fall aussagekräftige Obduktion unterblieben ist.
 
Wie erwähnt, haben Üblichkeiten, Regeln, Gesetze und die ständige Rechtsprechung zu einem Thema neben der eigenen Erfahrung bestellter Sachverständiger große Bedeutung.
 
Von Seiten der Rechtsvertreter wird natürlich – denn dies ist ihre Aufgabe – manches hinterfragt, bezweifelt oder ins falsche Licht gerückt.
 
In einem kürzlich bearbeiteten Rechtsstreit ging es auch um die Rittigkeit eines angekauften Pferdes, Dr. K. setzte einen Befundaufnahmetermin an, an dem die klagende Partei das gekaufte Pferd vorreiten sollte, zusätzlich war eine „Fremdreiterin“ verpflichtet worden.
Bei der Vorbereitung des Pferdes durch die klagende Partei für das Vorreiten stellte der Sachverständige Bezäumungs- und Besattelungsfehler fest und demonstrierte mit einem ISES-Keil© die erwünschte und „traditionell vorgeschriebene Freiheit“ des Nasenriemens.

(Symbolfoto)
Diese Beurteilung, nämlich der zu eng geschnallte Nasenriemen, floss in das Protokoll der Befundaufnahme und später in das Gutachten ein, weil eine Korrelation zu Rittigkeitsproblemen nicht auszuschließen war.
Anlässlich der Gutachtenserörterung stellte der Klagevertreter die Messung mit dem ISES-Keil© als unseriös, fachlich falsch und nicht belegt hin und bezog sich auf Studien, die kürzlich im Internet publiziert worden waren.
Der bestellte Sachverständige Dr. K. erläuterte hierauf dem erkennenden Gericht, dass der geschmähte ISES-Keil© lediglich ein Hilfsmittel zur Traditionsregel „Zwei aufgestellte Finger am Nasenrücken“ darstelle, ein absolutes Maß, bei dem es auf Millimeter ankomme, nicht festgelegt sei, sondern dass der Spielraum des Nasenriemens das freie Abkauen des Pferdes erlauben müsse, die „Zwei-Finger – Regel“ ist dazu ein Erfahrungsmaß.
Kommentar des Gerichtes: Jeder, der die Regel kennt oder kennen sollte, kann sie leicht umsetzen – zwei Finger zum Tasten und zwei Augen zum Sehen sollten Menschen, die in den Sattel steigen, wohl stets dabeihaben.
 
 
Verbände und Organisationen sind bemüht, die umfangreiche Fachliteratur zu Themen der Hippologie und Reitkunst in leicht fassliche Form zu bringen und in Regulativen und Ordnungsschriften (z.B. Turnierordnungen, Prüfungsordnung, Veterinärregulative der FN, des ÖEPS, der FEI) darzustellen.
In anschaulicher, wissenschaftlicher und gerichtsfester Weise gelingt dies z.B. der Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e.V. http://www.vfdnet.de mit der Veröffentlichung sogenannter Positionspapiere, die auch vor Gericht zitierfähige Substanz haben, z.B.:
– Positionspapier VFD Tragkraft von Pferden 08/2019
– Positionspapier VFD Zugbelastung von Pferden 08/2019
– Positionspapier VFD Zäumung 10/2016 uvam.

 
 
Das „normale“ Pferd – im Spiegel einer Entscheidung
 
Die unvorstellbar große Zahl von 1,200.000 Privatpferden haben im traditionsreichen Pferde-Kulturland Deutschland einen Rechts-Markt für Pferde entstehen lassen – Pferde-Rechtstage, Pferde-Rechtskanzleien, Pferde-Rechtsanwälte zeugen vom Bedarf an „Sekundanten“ für Streitereien. Positive Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist eine zunehmende Transparenz, ein Zugang zu Entscheidungen und Urteilen, der hierzulande noch unmöglich scheint.
 
§. 219. ZPO - Österreich
 
(4) Zum Zweck der nicht personenbezogenen Auswertung für die Statistik, für wissenschaftliche Arbeiten oder für vergleichbare, im öffentlichen Interesse liegende Untersuchungen können das Bundesministerium für Justiz und die Vorsteher der Gerichte auf Ersuchen des Leiters einer anerkannten wissenschaftlichen Einrichtung die Einsicht in Akten, die Herstellung von Abschriften (Ablichtungen) und die Übermittlung von Daten aus solchen bewilligen. Die so erlangten Daten dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden.               
 Inkrafttretensdatum
01.05.2022

 
Im folgenden Abschnitt werden deshalb auszugsweise einige neue Leitsatzurteile (verkündet am 27.Mai 2020) vorgestellt, die der deutsche Bundesgerichtshof zur Beschaffenheit von Pferden „Im Namen des (deutschen) Volkes“ unter der Zahl VIII ZR 315/18 veröffentlicht hat.
 
–  Der Verkäufer eines Tieres hat, sofern eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung nicht getroffen wird, (lediglich) dafür einzustehen, dass es bei Gefahrübergang nicht krank ist und sich nicht in einem vertragswidrigen Zustand befindet, auf Grund dessen die Sicherheit oder zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass es alsbald erkranken wird und infolgedessen für die gewöhnliche (oder vertraglich vorausgesetzte) Verwendung nicht mehr einsetzbar wäre.

– Demgemäß wird die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnlich oder vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass auf Grund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine (lediglich) geringe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstehen.

– Diese Grundsätze gelten nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern auch für ein, vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa sogenannte „Rittigkeitsprobleme“, wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniert oder Widersetzlichkeiten zeigt.

– Entspricht die „Rittigkeit“ eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, so realisiert sich für den Käufer- wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – daher grundsätzlich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen -mit individuellen Anlagen ausgestattet und dem entsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist.
(OLG Oldenburg)
 
– Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen – für sich genommen -nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich um einen Befund, der auf Grund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrenübergang zulässt.
(OLG Frankfurt)
 

!!!
Die Maßstäbe der Beurteilung von Verfahren

Darstellung der Bewertungsmaßstäbe nach Vorgabe des OGH:

I. Regeln der Technik
Die allgemein anerkannten Regeln der Technik
– sind in der Wissenschaft als richtig anerkannt,
– in Kreisen der Technik bekannt,
– von der Mehrheit der Fachleute als richtig anerkannt
– und in der Praxis tatsächlich angewandt.
 
II. Stand der Technik
Darunter versteht man in der Wissenschaft bekannte Erkenntnisse zu einer bestimmten (technischen) Frage. Diese sind nur einem bestimmten Kreis von Fachleuten bekannt, werden in der Praxis noch nicht generell angewandt und sind fortschrittlicher als die Regeln der Technik.
 
III. Stand von Wissenschaft und Technik
– Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse
– In Kreisen der Technik überwiegend (noch) nicht bekannt
– In der Praxis noch nicht angewandt
– Höchste Sprosse der Begriffsleiter
Zitiert aus „Mag. Johann Guggenbichler: Rechtsprechung zum Gewährleistungs- und Schadenersatzrecht für Sachverständige und Juristen“ [Sachverständige Heft 4/2020]
 
Die Maßstäbe der Beurteilung von handelnden Personen z.B. aus der Tierärzteschaft:

Als vor etwa 35 Jahren die ersten Qualifikations- und Prüfungskriterien für Fachtierärzte (z.B. für Pferde) in Österreich und Deutschland eingeführt wurden, wurde bewiesen, dass die bislang von den Standesorganisationen vertretene Ansicht „ein Tierarzt kann alles, weiß alles und macht keine Fehler“ dringend revisionsbedürftig ist – denn wenn es so gewesen wäre, bedürfte es eines „Fachtierarztes“ nicht - eine Forderung nach Korrektur, die der Autor dieser Zeilen, der damals schon seit über zwanzig Jahren als „normaler“ Tierarzt und seit 10 Jahren als  Gerichtsgutachter tätig war, schon lange in seinen Gutachten erhoben hatte, weil man mit dieser Haltung keinem Veterinärmediziner – welchen Geschlechts  auch immer – im Sinne der §§ 1299 und 1300 ABGB einen guten Dienst versah.
 
§ 1299 ABGB
 Wer sich zu einem Amte, zu einer Kunst, zu einem Gewerbe oder Handwerke öffentlich bekennet; oder wer ohne Noth freywillig ein Geschäft übernimmt, dessen Ausführung eigene Kunstkenntnisse, oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß erfordert, gibt dadurch zu erkennen, daß er sich den nothwendigen Fleiß und die erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse zutraue; er muß daher den Mangel derselben vertreten. Hat aber derjenige, welcher ihm das Geschäft überließ, die Unerfahrenheit desselben gewußt; oder, bey gewöhnlicher Aufmerksamkeit wissen können; so fällt zugleich dem Letzteren ein Versehen zur Last.

§ 1300 ABGB
 Ein Sachverständiger ist auch dann verantwortlich, wenn er gegen Belohnung in Angelegenheiten seiner Kunst oder Wissenschaft aus Versehen einen nachtheiligen Rath ertheilet. Außer diesem Falle haftet ein Rathgeber nur für den Schaden, welchen er wissentlich durch Ertheilung des Rathes dem Anderen verursachet hat. European Legislation Identifier (ELI) https://www.ris.bka.gv.at/eli/jgs/1811/946/P1300/NOR12019042

 
 
Es dauerte bis ins Jahr 2016, dass der ehemalige Kammeramtsdirektor der österreichischen Tierärztekammer Priv. Doz. MMag. Dr. Alexander Tritthart, LL.M. in der Zeitschrift „Sachverständige“ Heft 1/2016 eine deutliche Klarstellung unterbreitet hat, dazu (auszugsweise wörtlich zitiert) aus diesem Artikel „Zur lex artis in der Veterinärmedizin – welcher Sorgfaltsmaßstab ist der richtige?“
– Für den Tierarzt gilt – wie für alle anderen Sachverständigen – ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab nach § 1299 AGBG.
– Demnach müssen Tierärzte die durchschnittlichen Fähigkeiten ihres Berufsstandes aufweisen.
– Bei der Beurteilung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten ist die Maßfigur des verantwortungsbewussten und gewissenhaften Tierarztes heranzuziehen.
– [……]
– Dies bedeutet, dass junge und unerfahrene Tierärzte ebenfalls am Maßstab des durchschnittlichen, also erfahrenen Tierarztes zu messen sind.
– Der Durchschnittstierarzt muss aber nicht alle Neuerungen des jeweiligen Faches beherrschen und anwenden. Pilzl/Huber/Lichteneggger drücken es für die Humanmedizin so aus: Der ordentliche und pflichtgetreue Durchschnittsarzt ist nicht Universitätsprofessor, arbeitet nicht an einer Universitätsklinik und hat Entscheidungen oftmals ad hoc in kürzester Zeit zu treffen. Der Universitätsprofessor ist nicht Durchschnittsarzt.“ Dem ist auch für die Veterinärmedizin nichts hinzuzufügen.
– […..]
– Wesentlich ist es, dass bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabes der jeweilige Verkehrskreis, dem der Tierarzt angehört, als Maßfigur heranzuziehen ist.
– Ist nämlich beispielsweise der Maßstab zu beurteilen, den ein Fachtierarzt für Pferde zu vertreten hat, so ist auf die durchschnittlichen Fähigkeiten eines Fachtierarztes für Pferde abzustellen und nicht auf jene eines „praktischen“ Tierarztes.
– […..]
– Für den Veterinärbereich ist abzuleiten, dass es auch für ein und dieselbe Tätigkeit, welche in einem Fall von einem Fachtierarzt, in einem anderen Fall von einem praktischen Tierarzt durchgeführt wird, keinen unterschiedlichen Sorgfaltsmaßstab geben kann.
– Eine Übernahmefahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Tierarzt eine Tätigkeit übernimmt, von der er erkennen kann, dass er ihr nicht gewachsen ist.
– […..]
– Hält ein gewichtiger Teil der medizinischen Wissenschaft und Praxis eine gewählte Methode für bedenklich, dann entspricht diese Methode nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und ihre Anwendung führt zu einem Sorgfaltsverstoß.

(Zitiert aus: MMag. Dr. Alexander Tritthart: Zur lex artis in der Veterinärmedizin; Sachverständige, Heft 1/201

 

Die forensische Relevanz zum Thema
 
Hauptleistungspflichten: Untersuchung, Behandlung, Prophylaxe, Arzneimittelverschreibung
Nebenleistungspflichten: Aufklärung über Risiken und Prozedere, Dokumentation
– Geschuldet wird die Erfüllung der Haupt- und Nebenleistungspflichten gemäß den Sorgfaltsstandards und den Regeln der tierärztlichen Heilkunst, nicht jedoch die Heilung.
– Veterinärmediziner werden gemäß § 1299 ABGB als Sachverständige auf ihrem Fachgebiet angesehen und ein gehobener Sorgfaltsstandard angelegt.
– Allgemeinpraktiker
– Pferdebesitzer wählt seinen Tierarzt „sehenden“ Auges
– Erforschung der medizinischen Möglichkeiten und Methoden durch Tierbesitzer vor Auftragserteilung
– Cave: Begrenzte Untersuchungs- und Methodenvielfalt
– Handaufzeichnungen
– Fachtierarzt
– Gehobener Anspruch des Pferdebesitzers
– Problematik nicht fachtierärztlicher „Pferdetierärzte“ – verschwommene Deklarationen entbinden nicht vom fachtierärztlichen Sorgfaltsmaßstab.
– Die Bezeichnungen „Pferdetierarzt“ und „Fachtierarzt für Pferde“ entsprechen nicht zwingend und automatisch derselben fachlichen Qualifikation
– Gehobene Dokumentationspflicht
– Fachklinik – Universitätsklinik
– Problematik der Assistenten in Ausbildung – Sorgfaltsstandard im Klinikniveau
– Lehre und Praxis ohne Widerspruch
– Höchste Dokumentationsstandards
– Veterinärmedizinischer Sachverständiger – allgemein beeidet & gerichtlich zertifiziert
– Beeidung und Zertifizierung nach Nomenklatur 11:01 bezieht sich nur auf Veterinärmedizin
– Der Beeidungs- und Zertifizierungsumfang bezieht sich nicht automatisch auch auf forensische Fragen von Hundesport, Pferdesport, Tierhaltung, Tierschutz, Fütterung und Tierernährung.
– Sachverständige sollen nach gängiger Meinung fachlich hochversierte Personen sein, „die von der Sache umfassend etwas verstehen“ und sich nicht mangels eigener Erfahrung auf das Zitieren von Literaturstellen oder Internet-Recherchen beschränken müssen.
– Sind Sachverständige - die unter welchem Aspekt auch immer – mit Pferden konfrontiert, sollten sie über vertiefte hippologische Kenntnisse und Eigenerfahrung verfügen und mit gängigen Reit- und Fahrstilen sowie Haltungsmethoden vertraut sein.
– Die Verwendung von Checklisten für Befundaufnahme und Gutachtenserstattung verhindert Auslassungen und macht die Gutachterarbeit transparent und nachvollziehbar.
 
– Tierärztliche Sorgfaltsfehler
– Lückenhafte Erhebung der Anamnese
– Defizitbehaftete Erhebung oder Dokumentation von Befunden
– Therapie ohne regelrechte Diagnostik bzw. Diagnose
– Keine oder mangelhafte Aufklärung
– Falsche Therapie oder Therapiedefizite
 
– Aufklärungspflicht:
– Wichtigste Nebenpflicht des Therapeuten
– Ausmaß ist abhängig vom Risiko
– Intensität ist abhängig vom Verständnis der Zielperson
– Dauer und Inhalt der Aufklärung dokumentieren, denn
– Zeitpunkt, Dauer, Inhalt und Personenkreis der Aufklärung dokumentieren und unterschreiben lassen, denn

Quod non in actis non est in mundo!
 
(Der wissenschaftlich-veterinärmedizinische Stand dieses Gutachtens entspricht dem Jahre 2022)

Erstellt 20.10.2022

 

ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet  hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter)  war er  als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig. Die „Fälle des Dr. K." haben sich tatsächlich zugetragen, wurden aber jeweils in Text und  Bildern verfremdet und anonymisiert,  womit  geltendem Medienrecht und Datenschutz vollinhaltlich genügt wird. Die Fälle wurden vom Autor um das „Fall-spezifische“ bereinigt und werden somit nun als neutraler Lehrstoff von allgemeiner hippologischer Gültigkeit  für interessierte Verkehrskreise zur Weiterbildung dargestellt

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