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Lahmheits-Studie: Kein Pferd ist 100 % symmetrisch
09.03.2023 / News

Eine 100%ige Bewegungs-Symmetrie gibt es weder beim Menschen, noch bei Pferden, wie die Messungen der französischen Spezialisten ergaben.
Eine 100%ige Bewegungs-Symmetrie gibt es weder beim Menschen, noch bei Pferden, wie die Messungen der französischen Spezialisten ergaben. / Symbolfoto: Archiv/Petr Blaha

Moderne Bewegungssensoren können Lahmheit bei Pferden erkennen, indem sie ungleichmäßige Bewegungen in den Vorder- oder Hinterbeinen messen. Aber das bedeutet nicht, dass alle asymmetrischen Pferde lahm sind, wie französische ForscherInnen herausfanden – denn kein Pferd ist perfekt symmetrisch, wie die Messungen offenbarten.


In ihrer aktuellen Untersuchung konnten die französischen Biomechanik-Spezialisten zeigen, dass eine gewisse Asymmetrie, wie sie von hochempfindlichen Systemen zur Bewegungserfassung, sogenannten IMUs, gemessen werden, bei Pferden völlig normal sein kann. (Anmerkung: IMUs = englisch ,Inertial Measurement Unit’, also eine ,inertiale Messeinheit’, ist eine Kombination mehrerer Inertialsensoren wie Beschleunigungs- und Drehratensensoren zur Bewegungserfassung).

Derartige leichte Asymmetrien können beispielsweise durch geringfügige individuelle Unterschiede in der Muskelentwicklung, durch das Arbeiten auf leicht unebenem Gelände, durch natürliche Seitigkeit (Lateralität) oder durch geringfügige genetische Unterschiede zwischen der linken und rechten Körperseite bedingt sein – und sie bleiben häufig ohne negative Folgen für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit eines Pferdes.

„Nur weil diese Systeme in der Lage sind, etwas extrem genau zu messen, müsse das nicht zwangsläufig bedeuten, dass diese außergewöhnlich präzisen Messungen auch klinisch signifikant sind“, so Studien-Autor Henry Chateau gegenüber dem Portal TheHorse.com.

Derartige „Überdiagnosen“ von Pferden als lahm – also wenn IMU-Sensoren eine leichte, aber eben nicht pathologische Asymmetrie erkennen – könnten erhebliche finanzielle Konsequenzen für den Besitzer haben, so Chateaus Warnung. Der Einsatz von Röntgenuntersuchungen, Magnetresonanztomographie (MRT), Ultraschall und anderen bildgebenden Verfahren kann kostspielig, aber unnötig sein, und das Pferd könnte ohne Notwendigkeit aus der Arbeit genommen werden. Jede Asymmetrie als Lahmheit zu interpretieren, könnte auch Probleme mit Vorkaufsuntersuchungen verursachen und fälschlicherweise den Verkauf eines gesunden Pferdes blockieren.

Natürlich verursachen echte Lahmheiten ebenfalls Asymmetrien – daher sei es entscheidend, so Chateau weiter, Schwellenwerte für derartige Asymmetrien zu finden, die eine verlässliche Grenze zwischen Gesundheit und Lahmheit ziehen, und exakt diese Schwellenwerte wollte der Wissenschaftler mit seinen KollegInnen anderer Forschungseinrichtungen definieren.

Zu diesem Zweck untersuchten Chateau und sein Team 224 Sportpferde im Alter von 2 bis 20 Jahren auf Lahmheit und Asymmetrie in der Klinik „Centre d’Imagerie et de Recherche sur les Affections Locomtrices Equines (CIRALE)“ in der Normandie. Sie platzierten IMU-Sensoren (EQUISYM-System), die speziell für die automatische Messung von Asymmetrien bei Pferden entwickelt wurden, an Kopf, Widerrist, Becken und allen vier Röhrbeinen der Testpferde.  

Daneben bewerteten die ausgebildeten Bewegungsexperten des Teams jedes Pferd während einer visuellen Lahmheitsuntersuchung, während die Tiere von ihren gewohnten Betreuern an der Hand in einer geraden Linie auf Asphalt vorgetrabt wurden. Die ForscherInnen stellten dabei fest, dass 62 Pferde eine Lahmheit der linken Vorderbeine hatten, 67 eine Lahmheit der rechten Vorderbeine, 23 eine Lahmheit der linken Hinterbeine und 23 eine Lahmheit der rechten Hinterbeine, so Chateau. Pferde mit Lahmheit an mehreren Beinen wurden aus der Studie ausgeschlossen. Die restlichen 49 Pferde wurden als gesund, sprich: nicht lahm beurteilt.

Um diese Ergebnisse zu bestätigen, unterzogen die Experten die Pferde anschließend einer vollständigen Bewegungsanalyse mittels IMU-Sensoren im Schritt und Trab auf einem Zirkel mit hartem Untergrund sowie auf einem mit weichen Untergrund in beide Richtungen, weiters auf einer geraden Linie auf hartem Untergrund und durch einen Beugetest für jedes Bein.

„Basierend auf umfangreichem veterinärmedizinischem Fachwissen konnten wir davon ausgehen, dass diese Pferde tatsächlich gesund und nicht lahm waren, wenn sie unter all diesen Testbedingungen keine sichtbaren Anzeichen von Bewegungsanomalien zeigten“, so Henry Chateau.

Tatsächlich kam das Expertenteam zu dem Schluss, dass die 49 Pferde vollkommen gesund, aber eben nicht perfekt symmetrisch waren, wie die IMU-Messungen offenbarten: Keines der 49 gesunden Pferde in der Studie hatte eine 100% perfekte Symmetrie zwischen den rechten und linken vertikalen Bewegungen des Kopfes, des Widerrists oder der Kruppe für alle aufgezeichneten Schritte, so das Resümee der AutorInnen. Insbesondere lag der Schwellenwert mit der besten Sensitivität und Spezifität (geringste Menge falsch positiver und falsch negativer Ergebnisse) bei 7 % Asymmetrie rechts und 10 % Asymmetrie links in den Vorderbeinen und 18 % Asymmetrie rechts und 7 % Asymmetrie an links in den Hinterbeinen.

„Viele Pferde, wenn nicht alle, weisen zumindest einen gewissen Prozentsatz an Asymmetrie auf, die mit bloßem Auge fast unsichtbar ist … aber es ist nicht systematisch ein Zeichen von Schmerz“, so Chateaus Befund, „Einfach gesagt ist es so, als ob Menschen eher rechts- oder linksseitig sind. Wir alle können ein bisschen Asymmetrie haben, ohne dass dies notwendigerweise Pathologien sind.“

Basierend auf ihren Erkenntnissen hat das Team die ermittelten Asymmetrien – nämlich -7 % bis +10 % vorne und -7 % bis +18 % hinten – als Schwellenwerte vorgeschlagen, um bei Verwendung von IMU-Sensoren auf einer geraden Linie zwischen Gesundheit und Lahmheit zu unterscheiden: „Natürlich müssen auch natürliche Asymmetrien berücksichtigt werden, die zum Beispiel aus der Bewegungsphysik einer Kurve resultieren. Die Schwellen zwischen physiologischer und pathologischer Asymmetrie werden unter diesen Umständen noch höher sein. Dies ist Gegenstand der laufenden Arbeit.“ Diese Schwellenwerte werden sich also weiterentwickeln, da mehr Pferde IMU-Bewertungen unterzogen werden, so Henry Chateau zusammenfassend.

„Mit zunehmender Verwendung von IMUs wird auch unsere Genauigkeit bei der Definition der Grenzen von Gesundheit und Lahmheit zunehmen“, sagte er und fügte hinzu, dass diese Grenzen wahrscheinlich nie so scharf wie zwischen den Farben Schwarz und Weiß sein werden: „Es wird niemals eine strikte, klare Trennung zwischen Normalität und Abnormalität bei einem einzigen Kriterium geben, da jede Lahmheit anders ist und die Anhäufung einer großen Menge an Informationen und Kriterien erfordert, um zu einer Entscheidung zu kommen. Und er gibt vor allem zu bedenken, „dass Messgeräte eine präzise Entscheidungshilfe sind, aber das Fachwissen des Tierarztes nicht ersetzen.“


Die Studie „Investigation of Thresholds for Asymmetry Indices to Represent the Visual Assessment of Single Limb Lameness by Expert Veterinarians on Horses Trotting in a Straight Line" von Claire Macaire, Sandrine Hanne-Poujade, Emeline De Azevedo, Jean-Marie Denoix, Virginie Coudry, Sandrine Jacquet, Lélia Bertoni, Amélie Tallaj, Fabrice Audigié, Chloé Hatrisse, Camille Hébert, Pauline Martin, Frédéric Marin und Henry Chateau ist amm 11. Dez. 2022 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden. (https://doi.org/10.3390/ani12243498)

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