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Neunjähriger Bub verunglückt beim Führen eines Pferdes tödlich
11.04.2024 / News

Eine elementare Regel: Niemals dürfen Führstricke oder Zügel um Hand, Arm oder andere Körperteile geschlungen werden.
Eine elementare Regel: Niemals dürfen Führstricke oder Zügel um Hand, Arm oder andere Körperteile geschlungen werden. / Symbolfoto: Archiv Dr. Reinhard Kaun

Wie die Polizei mitteilte, ist in Bad Wurzach (Bundesland Baden-Württemberg) bei einem tragischen Unfall mit einem Pferd ein neunjähriger Junge ums Leben gekommen. Er hatte sich den Führstrick um die Körpermitte gebunden und war vom in Panik geratenen Pferd mitgeschleift worden.

 

Das Unglück ereignete sich am Sonntagnachmittag (7. April 2024) gegen 16.45 Uhr in Bad Wurzach im Allgäu (Bundesland Baden-Württemberg).

Nach Angaben der Polizei hatte der Junge das Pferd an einem um den Bauch gebundenen Seil geführt und war nebenher zu Fuß gelaufen. Plötzlich riss das Tier aus noch ungeklärten Gründen im Bereich eines Flurstücks im Bereich der Seeblickstraße aus und zog den hilflosen Neunjährigen mehrere Hundert Meter mit sich.

Der Junge zog sich unter anderem schwere Kopfverletzungen zu, denen er trotz Reanimation durch Ersthelfer noch an der Unfallstelle erlag.

Der Fall erinnert in frappierender Weise an den tragischen Tod einer 26-jährigen Frau im Mai 2021 im Kanton Zürich. Auch hier hatte sich die Frau den Führstrick um den Bauch gebunden und war – nachdem das Tier aus unbekannten Gründen in Panik geriet – eine längere Strecke mitgeschleift und dabei tödlich verletzt worden.

Neben der menschlichen Tragik solcher Unglücksfälle darf eine detaillierte fachliche Aufklärung und Aufarbeitung durch die Behörden nicht unterbleiben – nur so ist es möglich, Lehren aus derartigen Vorfällen zu ziehen und künftiges Leid zu verhindern, wie der gerichtlich beeidete Sachverständige Dr. Reinhard Kaun aus langjähriger Erfahrung betont. Hier seine Analyse des Falls und seine Schlussfolgerungen aus dem tragischen Geschehen:

 
Memento mori – zum Tod eines Kindes

Ohne Zweifel werden die Behörden alles tun, was in einem solchen tragischen Falle zu tun ist, doch ich komme um den Eindruck nicht herum, dass Untersuchungen stets von der Maxime geprägt sind >> die Angehörigen sind ja schon gestraft genug, es ist nicht nötig noch zusätzlich in der Wunde zu bohren << eine Haltung, die menschlich und emotional verständlich sein mag, die sich aber fast immer nach einigen Monaten als unzureichend oder sogar falsch erweist, wenn nach der Phase des tiefen, unerträglichen Schmerzes dann nagende Zweifel, Unsicherheiten und Ungewissheiten aufkommen, die keine Ruhe mehr finden lassen – die nach Klarheit schreien, um mit dem Schicksalsschlag weiterleben zu können.

In meinen Augen – und diese Ansicht beruht auf 35 Jahren Erfahrung als Gutachter in forensischer Hippologie – ist es die Verpflichtung der „Fachleute“, alle Zwischenfälle mit Pferden, die zu Gefährdung, Verletzung oder Tod von Menschen geführt haben, fachlich zu analysieren, eine Kausalität mit fachlich klarer Aussage zu erarbeiten. Dies ist die Aufgabe der forensischen Hippologie schlechthin – geschieht dies, sind Ereignisse mit Tragik, so sinnlos sie erscheinen mögen, nicht mehr Sinn-entleert, sondern bieten einen Lerneffekt für die Pferdwelt.

Die Frage nach Schuld oder Unschuld ist einzig und alleine von Gerichten zu beantworten, jedoch stets auf der Grundlage schlüssiger, nachvollziehbarer Ergebnisse klinischer und forensischer Hippologie.

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Bei einem Reitunfall kam ein Kleinkind ums Leben, nachdem das geführte Reitpferd durchgegangen war, das Kind im Steigbügel hängend, zu Tode geschleift wurde, nachdem auch noch der Sattel sich vom Pferd gelöst hatte. Drei Sachverständige kamen zur Ansicht, dass die drei involvierten Beschuldigten „nichts falsch“ gemacht hätten, obwohl von den Sachverständigen weder Zaumzeug, noch Sattelgurt überprüft wurde und auch keine Unfallrekonstruktion stattgefunden hatte. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Auf Betreiben der Eltern des Verunglückten arbeitete ein weiterer Sachverständiger den Fall forensisch auf und zeigte schwere  Mängelbehaftung bei Befundaufnahme und Schlussfolgerung in den Vorgutachten auf.

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Der Umgang mit Tieren allgemein, aber mit Pferden im Besonderen, muss losgelöst werden von falschen Begrifflichkeiten, allen voran mit dem in unserer Zeit fast immer falsch verstandenem Gebrauch des Terminus  „Spaß“ – eines vorübergehenden, seichten Vergnügens, das der Erheiterung dient; die Gesellschaft von Pferden, in welcher Form auch immer, soll und muss tiefe Freude und pures Vergnügen bereiten, aber stets begleitet sein von nötigem Ernst und profundem Wissen und Können; da bei Kindern und Jugendlichen diese Eigenschaften meist noch nicht ausgereift sind, nicht ausgereift sein können, müssen Erwachsene hier gekonnt und unterstützend substituieren und – buchstäblich – Kinder und Jugendliche nicht mit Pferden alleine lassen, denn nur aus Freude und Ernst entsteht kontinuierlich das Gefühl für Verantwortung – Spaß kann man finden am Karussell, beim Baden, beim Heurigen und bei den allgegenwärtigen Spaß-Machern (verkleidet als Politiker, Manager, Comedians oder Influencer aller erdenklichen geschlechtlichen Facetten).

Freude und Verantwortung mit, an und für Pferde macht dann im Laufe des Lebens – gepaart mit Klugheit (nicht jedoch mit Schlauheit), Wissen, Können und Gefühl aus „normalen“ Menschen sukzessive Pferdemenschen.
 
Aus fachlicher, hippologischer Sicht sind im Falle des zu Tode geschleiften Kindes viele Hintergründe unklar:
– War ein Großpferd oder Pony beteiligt?
– Wie war das Pferd adjustiert (mit Gebiss, mit Ausbinder, mit Stallhalfter)?
– Wie gut kannten Pferd und Kind einander?
– Hatte der Bub das Pferd schon früher geführt?
– Geschah der Unfall in freiem Gelände oder in einem geschlossenen Areal?
– Wie kam der Bub auf die Idee, den Führstrick an seinem Körper festzubinden - gab es dazu Vorbilder?
– Hat der, um den Körper geschlungene Führstrick die Wirbelsäule des Jungen gebrochen?
– Gab es schon unliebsame Zwischenfälle mit diesem Pferde?
– Was war die Ursache für das Erschrecken/Durchgehen des Pferdes, lag eine gewisse Vorhersehbarkeit, damit verbunden eine Vermeidbarkeit vor?
 
Der gesamte Fragenkomplex der Beaufsichtigung durch geeignete Personen in Eingreifnähe ist in gerichtlichem Zusammenhang von Relevanz und nicht von der forensischen Hippologie zu beantworten – ein Erkenntnis aber (oft zitiert, im Alltag kaum beachtet) des OGH liegt bereits vor:

Pferde sind unberechenbare, von ihren Trieben und Instinkten geleitete Lebewesen.
 
„…………….

Dem Vater grauset`s, er reitet geschwind,                                                              
er hält in den Armen das ächzende Kind,
erreicht den Hof mit Mühe und Not;
in seinen Armen das Kind war tot.“
 
Erlkönig; Johann Wolfgang von Goethe

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