Während einer Unterrichtsstunde in der Halle wurde ein Schulpferd von einer anderen Reitschülerin irritiert, die minderjährige Reiterin kam in der Folge zu Sturz und wurde dabei erheblich verletzt. Hatte der Schulbetrieb gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen?
Das minderjährige Mädchen S. trat als Klägerin gegen einen Verein auf, der sich – zumindest in seiner Vereinsbezeichnung – der Förderung von Reiternachwuchs verschrieben hatte.
Die spätere Klägerin erhielt zusammen mit zwei anderen Reiterinnen eine Unterrichtsstunde zu Pferde im Freireiten, die von der, damals von der beklagten Partei beschäftigten H. XY. geleitet worden war. Die Klägerin ritt das Pferd „Harry“, eine weitere Reitschülerin das Pferd „Rex“. Der Unterricht fand in der Reithalle statt.
Als die Klägerin, die als Erste ritt, auf der rechten Hand reitend, den Paradepunkt A passiert hatte und den ersten von drei Bögen (einer Schlangenlinie in drei Bögen) einleitete, schnitt die Reiterin mit „Rex“ den Bogen ab und irritierte dergestalt das von der Klägerin gerittene Pferd „Harry“, dass dieses einen Satz nach vorne machte und die Klägerin dabei vom Pferd fiel. Dabei wurde sie einerseits durch den Sturz und andererseits durch die Hufe des flüchtenden Pferdes verletzt.
Die Klägerin ist nun der Ansicht, dass „Rex“ in aggressiver Absicht auf „Harry“ losgegangen sei, weil sich nach ihrer Kenntnis die beiden Pferde nicht vertragen und sie deshalb auch nicht in einer gemeinsamen Reitstunde hätten gehen dürfen.
Das angerufene Gericht trug dem bestellten Sachverständigen auf, im Besonderen zu klären, ob seitens der beklagten Partei
– eine Verwahrungspflichtverletzung
– und Sorgfaltswidrigkeit vorliegt, weil die Pferde „Harry“ und „Rex“ in einer gemeinsamen Reitstunde eingesetzt wurden, obwohl sie dazu - nach Ansicht der klagenden Partei - nicht geeignet waren und die Klägerin durch diesen Umstand bei dem Reitunfall zu Schaden kam.
Bei der folgenden Befundaufnahme an Ort und Stelle und mittels ergänzender informativer Befragung durch den SV werden alle Punkte, die im Sinne des Gutachtensauftrages relevant sind, rot gekennzeichnet.
Junge Reiter müssen im Basisunterreicht lernen….
….die jeweils richtigen Abstände einzuhalten. Reitpädagogen haben hier umgehend korrigierend einzuwirken.
Die Befundaufnahme erfolgte an Ort und Stelle
Anwesend waren die minderjährige Klägerin mit KV, sowie die Obfrau des beklagten Vereines St mit BKV sowie vom Verein nominierte Fremdreiter, da keine der Unfall beteiligten Reiterinnen in den Sattel steigen wollte.
Zunächst wurden von den Fremdreiterinnen die Pferde „Rex“ und „Harry“ aus ihren Boxen geführt und zum Aufsatteln und Aufzäumen vorbereitet. Beide Pferde sind mit Pantoffeleisen, also ohne Stifte oder Stollen, beschlagen.
Sättel und Zaumzeuge werden in einer wohlgeordneten Sattelkammer verwahrt (Englische Sättel, Zäumung auf Trense). Das Aufzäumen der Pferde wurde vom SV beanstandet, weil die nötige Freiheit für das Abkauen durch den zu enggestellten Nasenriemen nicht möglich war. Es erfolgte hierauf seitens der beklagten Partei der Hinweis, dass immer so „eng“ geschnallt würde. Die beklagte Partei zeigt vor, dass sie dies mit einem Finger zwischen Unterkieferästen zu überprüfen pflegt, weil sie dies bei ihrer Ausbildung so gelernt hätte.
Die Pferde wurden sodann in die Reithalle, in der sich der Unfall zugetragen hatte, geführt. Dort wurden den beiden Pferden sog. Ausbindezügel eingeschnallt. Die Klägerin stellte hierzu fest, dass solche Ausbindezügel in ihren Reitstunden - speziell aber am Vorfallstage – nicht verwendet worden waren.
Die beiden Reiterinnen wärmten die Pferde im Schritt auf und ritten dann im Trab. Auf Anweisung des SV wurden Begegnungen der Pferde wie auch ein Hintereinander-Reiten demonstriert. Am Verhalten der Pferde konnte keinerlei Abweichung von der Üblichkeit, insbesondere kein aggressives Verhalten oder auch nur spielerische Animositäten beobachtet werden; vielmehr versahen die beiden Pferde konzentriert ihren Dienst. Nachdem auch mehrmals Bögen geritten worden waren, ohne dass „Rex“ die „Kurve geschnitten“ hätte oder auch nur ansatzweise „Harry“ gedroht hätte, ließ der SV die Ausbindezügel entfernen.
In der Folge zeigte sich, dass es den Reiterinnen nicht mehr möglich war, die Pferde „am Zügel“ zu reiten, sondern vielmehr gingen die Pferde dann „über dem Gebiss“, was im Klartext bedeutet, dass sich die Einwirkung der Reiterinnen auf Gehorsam und Durchlässigkeit der Pferde gegenüber der Verwendung des Ausbindezügels deutlich verschlechtert hatte.
Jedoch kam es anlässlich der Demonstration bei der Befundaufnahme auch in dieser Situation zu keinerlei aggressivem Verhalten von „Rex“ gegenüber „Harry“ oder vice versa.
Unbeanstandet von der Obfrau des beklagten Vereines war auffallend, dass die beiden von ihr benannten Fremdreiterinnen sehr steif, mit ausgestreckten Armen und in Rückenlage versuchten, die beiden Pferde mit harter Hand unter Kontrolle zu bringen – ein reiterlicher Unfug, der – wie es scheint – in „Mode“ gekommen ist – im Kleinen, aber auch im Großen.
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Das Maul und die Laden – das Allerheiligste des Pferdes
Carl Gustav Graf Wrangel betont im „Buch vom Pferde“ immer wieder, dass der Weg zum Pferd über sein Maul führt – dabei muss jedem hippologisch Gebildetem klar sein, dass dieser Weg zum Pferd über sein Maul nur in der Einheit von korrektem Sitz und feiner Hand zu beschreiten ist. Einem Pferd im Maul zu hängen ist eine hippologische Tempelschändung, mit reiterlicher Moral nicht in Einklang zu bringen und mit Tierschutzrelevanz verbunden – und „was Häns`chen nicht lernt“, wird Hans (vermutlich) nicht mehr lernen.
Die „Lade“ – ein hochempfindlicher Teil im Maule des Pferdes muss sorgsam gepflegt werden: durch feine Hand verbunden mit unabhängigem Sitz in der Schwerlinie, durch ein Reitgebiss, mit dem sich das Pferd wohl fühlt und vorbeugende Zahnhygiene.
Ohne Abwinkelung im Ellbogen ist eine gleichmäßige (federnde) Anlehnung nicht möglich…..
….der gestreckte Arm führt zwingend zu einer gleichbleibenden Anlehnung, durch Hebelgebiss und Sporenhilfe wird das Pferd am Ansatz „geknickt“……
…..oder lernt über dem Gebiss zu gehen und fällt somit auf die Vorhand.
Ein schwer bedrängtes Pferd vor den Augen der Turnierrichter am „Feld der Ehre“...
….und am Abreite-Platz
Manche mögen Maskeraden -
…..ich bezweifle, dass Pferde diesem Kreise angehören!
Durch den „Nussknacker-Effekt“ wird die Schleimhaut und Beinhaut der „Laden“ schmerzhaft gequetscht – das Maul wird „tot“ – „Experten“ bezweifeln dieses rein mechanische und nachvollziehbare Phänomen in sogenannten „Studien“.
Das „Beste“ ist für ein Pferdemaul und seine Laden gerade gut genug…
….aber „Gebiss-los“ ist nicht zwingend besser!
Bei der ergänzenden, informativen Befragung durch den SV, gab die Klägerin an:
– Sie hat 2 bis 3 Longe - Einheiten absolviert, bevor sie Freireiten durfte.
– Der Vorfall ereignete sich in ihrer 6-8 Reitstunde
– Mit Ausnahme von 2 Stunden wurden alle bei der Reitlehrerin H. XY. absolviert.
– „Harry“ ritt sie zum Vorfallszeitpunkt zum 5. oder 6. Mal, bei den restlichen Stunden ritt sie andere Pferde der Reitschule.
– Sie fiel auf der linken Seite des Pferdes zu Boden
– Sie trug einen 3-Punkthelm, PVC- Stiefel und Leggins
– Ihr rechtes Knie wies an der Außenseite Abschürfungen und starken Schmerz auf
– Die Reithose war unbeschädigt.
– Sie ist einfach heruntergefallen, wurde weder katapultiert noch glitt sie aus dem Sattel.
– Sie war im Gesicht und Mund mit Sand verschmutzt und abgeschürft, der Dreipunkthelm war ihr auf die Nasenwurzel gerutscht; später stellte sich noch eine Schädelprellung eine Verstauchung der HWS heraus.
– Sie hatte vor Beginn des Reitunterrichtes beim beklagten Verein keinerlei Reiterfahrung.
– Sie wollte das Reiten korrekt und solide erlernen, ein Etappenziel war der „Reiterpass“, konkrete Turnierambitionen hatte sie zum Vorfallzeitpunkt nicht.
– „Rex“ war am Vorfallstage „lästig“., bereits beim Hinausführen in die Halle.
Die Beklagte brachte auf die Fragen des SV vor:
– Reitschüler müssen im Schnitt 6-8 Longe – Stunden absolvieren, bevor sie Freireiten dürfen, ob dies bei der Klägerin auch so der Fall war, kann sie nicht sagen.
– Die „Reitlehrerin“ H. XY. hat zahlreiche Qualifikationen, die zum Beweis vorgelegt werden.
– Die Reitstunden werden über ein sog. Diensthandy eingeteilt, der jeweils Dienstführende teilt Pferde und Schüler ein, wobei auf individuelle Wünsche Rücksicht genommen wird.
– Die Schulpferde werden je nach Bedarf ca. alle 2 Wochen einem Korrekturberitt durch den/die Reitlehrerin unterzogen.
– Ziel der Reitschule ist die Vermittlung einer soliden Grundausbildung im Gegensatz zu ziellosem Freizeitreiten oder Reitanimation.
– Die Schüler werden theoretisch und praktisch in den gesamten Umgang mit Pferden eingeführt und bis zu Sonderprüfungen geführt.
– Vorkommnisse negativer Art hat es mit „Rex“ und „Harry“ bisher nicht gegeben; die Ermahnung an die Reitschüler, Abstand zu halten, bezöge sich nicht auf diese beiden Pferde speziell, sondern sei eine allgemeine Regel.
– Der Unfall ereignete sich gegen 15:00 Uhr, dies war die erste Reitstunde an diesem Tag.
– Im Durchschnitt gehen die Pferde 8 Stunden pro Woche.
– Die beiden Reitschülerinnen, die anlässlich der Befundaufnahme zur Demonstration die Pferde ritten, hatten eineinhalb bis zwei Jahre Reitunterricht hinter sich.
Zum Vorfall selber:
– Die Pferde passierten des Paradepunkt A und gingen auf der rechten Hand
– An der Spitze ging „Harry“, geritten von der Klägerin, vor dem zweiten Bogen, dahinter „Rex“
– Als die Klägerin den ersten Bogen der Schlangenlinie absolviert hatte, und sich wieder auf der Geraden befand, schnitt „Rex“ plötzlich den Bogen ab, und – nach Empfinden der Klägerin – attackierte „Harry“.
– Dabei „zielte“ er auf die Hinterhand von „Harry“.
– „Harry“ wich zur Seite aus, was die Klägerin zu Fall brachte.
– Die Reitlehrerin war zu diesem Zeitpunkt schon außerhalb der Reitbahn.
Eigene Erhebungen
Die beklagte Partei übermittelte an das Büro des SV folgende Unterlagen:
Bisherige Reitstunden der Klägerin
Longe-Stunden 4
Bahnstunden 3
Belegte Ausbildungen von H.XY. (Reitlehrerin am Vorfallstage)
Übungsleiter Reiten FENA
Übungsleiter Voltigieren
Lehrwart Behindertenreiten
Die klagende Partei übergab anlässlich der Befundaufnahme:
Entlassungsbericht AKH
Unter Anamnese ist vermerkt:
Patientin stürzte heute vom Pferd, nachdem ihr Pferd von einem anderen Pferd attackiert wurde und losgaloppierte. Das andere Pferd ist bei der Flucht auf das rechte Knie der Patientin gestoßen.
Diagnose (übersetzt aus lateinischem Text):
1. Schädel – Hirn – Trauma 1.Grades
2. Erschütterung beide Knie
3. Abschürfung am rechten Knie
4. Abschürfung auf der Nase
5. Verstauchung der HWS
6. Verletzung des vorderen Kreuzbandes am rechten Knie
Handskizze vom Unfallort REITHALLE
Der Paradepunkt A befindet sich an der linken Seite der Skizze, auf der Höhe des Richtungspfeiles in der Mitte der schmalen Seite der Halle. Während die Klägerin mit „Harry“ im Trabe den ersten von drei Bögen ausritt (schwarzer Bogen von rot strichlierter Linie begleitet = Soll-Linie von „Rex“), schnitt -ihrer Darstellung gemäß- „Rex“ die Kurve ab (rote strichlierte Linie = Ist-Linie von „Rex“).
Sachverständige Fall-Analyse
Zu den Pferden „Harry“ und „Rex“
Die beiden Pferde wiesen anlässlich der Befundaufnahme kein Verhalten auf, das ihren zeitgleichen Einsatz in einer gemeinsamen Reitstunde ausschließen würde. Aus SV Sicht sind die Angaben der beklagten Partei, wonach die beiden Pferde sowohl Koppel wie auch Freilaufstunde in der Halle teilen, glaubhaft, wenngleich dies anlässlich der Befundaufnahme nicht überprüft worden ist. Die beiden Pferde verhielten sich bei der Befundaufnahme sowohl beim Führen zur Halle wie auch beim – simulierten – Unterricht wie abgeklärte „Profis“.
Die beiden Pferde hatten die erste Reitstunde diese Tages zu absolvieren, waren aber weder ablongiert noch abgeritten worden.
Festzuhalten ist, dass speziell der Nasenriemen bei „Rex“ bei der Demonstration viel zu straff angezogen war, was aus reiterlicher Sicht ein lösendes Abkauen verhindert. Die beklagte Partei wirkte über die Beanstandung erstaunt und demonstrierte ihre Sicht der korrekten Zäumung, die jedoch hippologisch falsch ist.
Der viel zu eng verschnallte Nasenriemen macht aber eine Bissattacke durch „Rex“ völlig unmöglich, weil dieser die Maulspalte weniger als 1 cm öffnen konnte. Das beschriebene Bild, „Rex“ fährt mit geöffnetem Maul auf „Harry“ hin ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
„Rex“ hat trotz seines Aalstriches mit einem Wildpferd nichts mehr gemeinsam.
Zu den Reitschülerinnen
Die Klägerin hatte bis zum Unfallszeitpunkt 4 Longe – und 3 Bahnstunden absolviert, die Reiterinnen von „Rex“ und dem an dritter Position gehendem Pony hatten 8 bzw. 9 Longe- und 21 Bahnstunden hinter sich. Dies ist im Ausbildungsstand eine ziemlich bedeutsame Diskrepanz.
Die „Hardliner“ unter den hippologischen Sachverständigen bezeichnen jedes Freireiten ohne die Absolvierung von mindestens 30 Longe-Stunden wegen des Fehlens des „unabhängigen Sitzens“ als groben Unfug.
Der Verfasser dieses GA relativiert diese Meinung regelmäßig und stellt die Anzahl der Longestunden in Abhängigkeit zum sportlich-reiterlichen Talent des Schülers, indes unter 15 Longestunden bedarf es eines ganz besonderen Bewegungstalentes.
Sie trug einen, offensichtlich nicht passenden Reithelm.
Zum Reitunterricht
Die beklagte Partei führt in ihrem anspruchsvollen Titel die „Förderung von Reiternachwuchs“, der einen Reitunterricht auf gehobenem Niveau impliziert.
Die Haltung der Pferde und die Verwahrung des Equipments entspricht guter reiterlicher Praxis.
Die zum Vorfallzeitpunkt unterrichtende H.XY. weist die Minimalerfordernisse zu dieser Tätigkeit auf. Der Status des „Übungsleiters“ ist die unterste Stufe einer reitpädagogischer Ausbildung (§ 1299 ABGB).
Im Gegensatz zur Befundaufnahme hatte sie jedoch die Pferde am Vorfalltag nicht mit Ausbindezügel versehen ( § 1320 AGBG). Sie hat des Weiteren zugelassen, dass die Pferde „Harry“ und „Rex“ mehr als die im Trab vorgeschriebenen 2 Pferdelängen d. i. 6 m Abstand hielten, nämlich um die 20 m, was erst das „Abschneiden der Kurve“ durch „Rex“ möglich machte.
Wäre „Rex“ zwei Pferdelängen hinter „Harry“ gegangen, hätte er keinen Bogen „abschneiden“ können.
Ferner ist ihr aus fachlicher Sicht vorzuhalten, dass sie Schülerinnen zu einer Freireitstunde kombinierte, die in ihrem reiterlichen Niveau weit auseinander lagen.
Zum Unfallzeitpunkt war sie nicht in der Reitbahn, um korrigierend einzuschreiten.
Erst das Zusammentreffen der Faktoren „Verlust der korrekten Einwirkung auf „Rex“ und „Verlust der Balance der Klägerin auf Harry“ führte zum Unfall.
Dass diese beiden Faktoren auftreten konnten, fällt keineswegs unter die atypische Tiergefahr (unvorhersehbar, unabwendbar), sondern vielmehr in die Fehleinschätzung einer „sachverständigen Reitlehrerin“.
Aus sachverständiger Sicht hätten alle drei Teilnehmerinnen des Unterrichtes am Vorfallstage
– mindestens 15 Longestunden absolviert haben,
– mit Ausbindezügel versehene Pferde reiten,
– und 2 Pferdelängen Abstand einhalten müssen.
Zum Reitunfall – Unfallrekonstruktion in Phasen
– Harry hat im Trab den Paradepunkt A passiert, den ersten Bogen beendet und befindet sich ungefähr bei X (Handskizze)
– Die drei Pferde gehen im Trab ca. ca. 12 km/h
– Als „Rex“ – etwa 20 m hinter „Heino“ zurückliegend – den Paradepunkt A passiert, entzieht er sich (Beginn der Kausalkette) > um den Weg abzukürzen - der Einwirkung seiner Reiterin – was ihm ohne Ausbindezügel sehr leicht möglich ist > und schneidet nach diesem Verwahrungsverlust die „Kurve“ in Richtung „Harry“
– Um von der Hallenseite bei A zu „Harry“ zu gelangen, benötigte er im Trab für ca. 14 m eine Zeitspanne von ca. 4.2 sec. Ein „blitzschnelles“ Abweichen im Sinne einer Attacke ist unwahrscheinlich.
– „Harry“ seinerseits fühlt sich durch diese Aktion von „Rex“ offensichtlich „gereizt“ oder „angetrieben“ und macht einen Satz vorwärts-seitwärts (Folge)
– Die plötzliche Vorwärts-seitwärts – Beschleunigung kann die Klägerin mangels Erfahrung und „unabhängigem Sitz“ nicht aussitzen, sie verliert sowohl das Gleichgewicht (vorwärts – rückwärts) und die Balance (seitwärts) und fällt vom Pferd (Folge)
– Da im Fallen – noch – nicht geübt, macht die Klägerin einen regelrechten „Bauchfleck“ auf den Hallenboden. Dabei ist schlüssig und nachvollziehbar, dass „Harry“ mit dem Huf(eisen) der (linken) Hinterhand das rechte Knie der Klägerin an der Außenseite touchiert hat. Auch das übrige Verletzungsmuster ist nur so nachvollziehbar.
Kausalitätskette und Folgereaktionen
– Zu großer Abstand zwischen erstem („Harry“) und zweitem („Rex“) Pferd auf der Schlangenlinie
– „Rex“ entzieht sich den Hilfen der Reiterin und weicht nach rechts ab
– „Harry“ fühlt sich durch „Rex“ angetrieben
– „Harry“ bewegt sich plötzlich schnell vorwärts- seitwärts
– die Klägerin verliert Balance und Gleichgewicht und lässt die Zügel los
– die Klägerin fällt nach links vorne vom Pferd
– „Harry“ touchiert mit der (linken) Hinterhand das rechte Knie der Klägerin
Der Ungehorsam (Abweichen nach rechts) von „Rex“ zu Beginn der Kausalkette wäre mit großer Wahrscheinlichkeit durch das Anbringen von Ausbindezügel zu verhindern gewesen; es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Ausbindezügel „Harry's“ Satz nach vorwärts- seitwärts, der zum Sturz der Klägerin geführt hat, abgewendet hätten.
Gutachten
Aus sachverständiger Sicht ist der prinzipielle Einsatz der Pferde „Harry“ und „Rex“ – korrekte Equipierung vorausgesetzt- in einer gemeinsamen Reitstunde keine Verletzung der Verwahrungspflicht bzw. der Sorgfaltspflicht.
Der Unfall der Klägerin wurde durch folgende Voraussetzungen ermöglicht:
– Zu geringe Anzahl von Unterrichtsstunden an der Longe zur Schulung des unabhängigen Sitzes vor dem Freireiten der Klägerin.
– Unterlassung der Anbringung von Ausbindezügel zur Sicherheit der Reitschüler.
– Keine Korrektur von Reit- und Verhaltensfehlern.
– Auswahl von Reitschülern mit zu unterschiedlicher Reiterfahrung für eine gemeinsame Unterrichtsstunde im Frei-Reiten.
– Zulassen eines zu großen Abstandes (Soll: 6 m, Ist: ca. 20 m) zwischen erstem und zweitem Pferd.
Das Zulassen dieser zum Unfall führenden Voraussetzungen steht fachlich im Widerspruch zu:
– dem Ziel der Reitschule zur Förderung von Reiternachwuchs mit Präsenz des Reitlehrers während der gesamten Unterrichtszeit;
– dem Ausbildungsstand der von der klagenden Partei einsetzten Reitlehrerin;
– den allgemeinen Gepflogenheiten einer „Good Equine Practice“
– dem „Goldstandard“ solider Reitschulen.
Werden die Prinzipien einer guten Reitschulführung, nämlich
– ausreichender Longe-Unterricht vor Freireiten
– Ausbindezügel für Anfänger
– Auswahl gleichweit geförderter Reitschüler für gemeinsame Stunden
– Einhaltung der Abstände der Schulpferde
– Ständige Anwesenheit des Reitlehrers in der Bahn
nicht eingehalten, so ist regelmäßig und vorhersehbar mit Unfällen zu rechnen.
Ludwig Koch: Es muss nicht Hohe Schule sein, korrektes Reiten freut Pferde!
„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
und grün des Lebens goldner Baum.“
Goethe: Faust I im Studierzimmer
Dialog Mephisto und Schüler
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