Eine aktuelle Studie der Universität Pisa zeigt, dass auch ältere Pferde gute Lern- und Kurzzeitgedächtnis-Leistungen aufweisen und zu assoziativem Lernen fähig sind. Einzig das Langzeitgedächtnis lässt mit zunehmendem Alter etwas nach, wie die Tests zeigten.
Mit zunehmendem Alter erleben Menschen oft sogenannte „Seniorenmomente“ – Momente der Vergesslichkeit, Verwirrtheit oder einen allgemeinen Rückgang der geistigen Leistungsfähigkeit. Diese Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten ist nicht ungewöhnlich und ein natürlicher Teil des Alterungsprozesses beim Menschen.
Dank Fortschritten in der tiermedizinischen Versorgung und verbesserten Haltungspraktiken leben Pferde, genau wie Menschen, heute länger als je zuvor: Früher galt ein Pferd mit etwa 15 bis 18 Jahren bereits als alt – heutzutage ist es jedoch nichts Besonderes mehr, dass Pferde 30 Jahre oder sogar älter werden.
Dies wirft eine interessante Frage auf: Zeigen auch Pferde ähnliche altersbedingte kognitive Veränderungen, wie sie auch der Mensch aufweist? Können ältere Pferde Anzeichen von Gedächtnisverlust oder verminderter Erkennungsfähigkeit aufweisen und scheinen sie manchmal vertraute Routinen oder Orte zu „vergessen“?
ForscherInnen der Universität Pisa in Italien führten zu dieser zweifellos interessanten Frage eine Studie durch, um die kognitiven Fähigkeiten von Pferden im Alter zu bewerten. Sie verwendeten eine Verhaltensbeurteilung, die als „Target Touch-Test" bekannt ist, um sowohl die Lernfähigkeit als auch das Gedächtnis (kurz- und langfristig) bei erwachsenen und älteren Pferden zu messen. Über die Studie wurde in der Zeitschrift Animals berichtet.
An der Studie nahmen 44 klinisch gesunde Pferde aus örtlichen Reitschulen teil. Diese Pferde wurden nach Alter in zwei Gruppen unterteilt: 21 erwachsene Pferde (im Alter von 5–15 Jahren) und 23 Seniorenpferde (im Alter von 16 Jahren und älter). Alle Teilnehmer zeigten kein stereotypes Verhalten und hatten zuvor kein Clickertraining durchlaufen, um einheitliche Ausgangsbedingungen zu gewährleisten.
Der „Target Touch-Test“ umfasste mehrere Phasen, um zu bewerten, wie gut die Pferde lernen konnten, mit einem bestimmten Ziel zu interagieren und dieses Wissen im Laufe der Zeit zu behalten. Das Verfahren war wie folgt:
– Erste Phase – Clickertraining: Jedes Pferd wurde darauf trainiert, das Geräusch eines Clickers mit einer Belohnung (einem Stück Karotte) zu assoziieren.
– Zweite Phase – Erstes Zieltraining: Die Pferde wurden darauf trainiert, ein Ziel – einen an einem Stock befestigten Tennisball – zu berühren, das vor ihnen gehalten wurde. Diese Phase zielte darauf ab, die erlernte Verbindung zwischen dem Berühren des Ziels und dem Erhalt einer Belohnung zu verstärken.
– Dritte Phase – Unabhängige Ziel-Interaktion: Das Ziel wurde an einer sichtbaren Stelle im Stall des Pferdes platziert und der Betreuer entfernte sich. Jedem Pferd wurden bis zu drei Minuten Zeit gegeben, sich dem Ziel zu nähern und es zu berühren, um eine Belohnung zu erhalten. Die Zeit, die benötigt wurde, um das Ziel erfolgreich zu berühren, wurde aufgezeichnet.
Phase 2 und 3 wurden noch zweimal wiederholt, um die Konsistenz der Leistung und das Behalten des erlernten Verhaltens zu beurteilen. Die gesamte Testreihe wurde am ersten Tag (T1) durchgeführt.
Zehn Tage später (T10) wiederholte das Forschungsteam Phase 3 des Tests, um das Langzeitgedächtnis der Pferde zu beurteilen. Den Pferden wurden drei Minuten Zeit gegeben, um das Ziel zu berühren und eine Belohnung zu erhalten. Auch hier wurde der Test dreimal durchgeführt.
Die Analyse der Daten zeigte, dass sowohl die erwachsenen als auch die älteren Pferde das Klicken in Phase 1 schnell mit der Belohnung assoziierten, was zeigt, dass auch ältere Pferde zu assoziativem Lernen fähig sind. Während Phase 3 des Tests am ersten Tag stellten die Forscher keinen signifikanten Unterschied in der Zeit fest, die benötigt wurde, um das Ziel zwischen erwachsenen und älteren Pferden zu berühren. Die AutorInnen kommen somit zu dem Schluss, „dass Pferde ihr Gedächtnis mindestens 30 Sekunden lang behalten und dass ältere Pferde gute Lern- und Kurzzeitgedächtnisfähigkeiten besitzen. Die Zeit, die benötigt wurde, um das Ziel bei T1 zu berühren, war bei den erwachsenen und älteren Pferden tatsächlich statistisch nicht unterschiedlich.“
Die Situation war jedoch anders, wenn das Langzeitgedächtnis berücksichtigt wurde: Nach zehn Tagen zeigten die älteren Pferde nicht so gute Leistungen wie die erwachsenen. Jeder Versuch der älteren Pferde war deutlich langsamer als der der Erwachsenen, und zwei ältere Pferde schafften es bei keinem ihrer drei Versuche, den Test abzuschließen: „Dies könnte auf eine größere Schwierigkeit beim Abrufen gespeicherter Informationen hindeuten, eine Schwierigkeit, die zwischen dem ersten und dritten Versuch nicht abnahm“, so die ForscherInnen.
Nach zehn Tagen gab es interessanterweise auch Unterschiede in der Leistung der älteren weiblichen Pferde, die ForscherInnen konnten jedoch keinen signifikanten Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Tieren in der Zeit feststellen, die zum Abschließen des Tests benötigt wurde.
Ihre Testergebnisse fassten die AutorInnen so zusammen: „Auch ältere Pferde sind zu assoziativem Lernen fähig und behalten die Erinnerung an dieses Gelernte auch nach 10 Tagen. Allerdings zeigen sie im Vergleich zu Tieren unter 16 Jahren langsamere Erholungszeiten beim Abrufen von gespeicherten Informationen.“
Das Forschungsteam warnte jedoch vor allzu weitreichenden Schlussfolgerungen bei der Interpretation der Studienergebnisse: „Weitere Studien werden notwendig sein, um die geschlechtsbezogenen Unterschiede beim kognitiven Abbau mit größerer Sicherheit zu bewerten und um festzustellen, ob die beim Menschen festgestellten Unterschiede, bei denen kürzlich nachgewiesen wurde, dass Frauen einen schnelleren kognitiven Abbau erleiden als Männer, auch bei Pferden auftreten.“
Und sie wiesen auch auf andere Beschränkungen hin: „Die geringe Anzahl der Tiere, die vielen verschiedenen Rassen angehörten, verhinderte detailliertere Analysen und stellt eine Einschränkung der vorliegenden Forschung dar. Es ist auch offensichtlich, dass der Alterungsprozess starke individuelle Unterschiede aufweist, die der in dieser Forschung angewandte Test möglicherweise nicht erkannt hat. Auch andere Faktoren verdienen eine eingehendere Analyse, wie die Menge und Qualität des Schlafs dieser Tiere, wenn man den Einfluss der REM-Phase auf die Gedächtnisbildung berücksichtigt. Darüber hinaus werden weitere Studien nötig sein, um festzustellen, ob kognitive Beeinträchtigungen bei Pferden von der Art der von ihnen ausgeübten Aktivitäten und deren Management beeinflusst werden.“
Es bleiben also noch viele spannende Fragen offen …
Die Studie „The Memory Abilities of the Elderly Horse“ von Syria Cellai, Angelo Gazzano, Lucia Casini, Valentina Gazzano, Francesca Cecchi, Fabio Macchioni, Alessandro Cozzi, Lucie Pageat, Sana Arroub, Sara Fratini, Martina Felici, Maria Claudia Curadi und Paolo Baragli ist am 23. Okt. 2024 in der Zeitschrift ,animals’ erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.