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Die neuen Fälle des Dr. K.: Auch ein Therapiepferd bleibt ein Pferd
23.11.2024 / News

Anhand eines Unfalls im Rahmen einer heilpädagogischen Reiteinheit zeigt Dr. K., dass auch ein Therapiepferd stets ein ,Pferd' bleibt, das mit allen Imponderabilien seines Wesens und der gesamten Palette der allgemeinen und speziellen Tiergefahren ausgestattet ist – und korrekte Sicherheitsausrüstung daher unabdingbar ist.


Schon wiederholt habe ich bei geeigneter Gelegenheit erwähnt, dass ich nicht in sogenannten sozialen Medien verkehre, einerseits, weil ich aus Beobachtung weiß, wie zeit- und aufmerksamkeitsraubend dies ist und wie sich unwichtige Nachrichten „wichtigmachen“ und anderseits, weil ich der Meinung bin, dass Post, Telefon und E-Mail (wenn man den Nachrichteneingang im Auge behält) schnellen und schnellsten Informationstransport erlauben, zusätzlich gibt es die Einrichtung von „Mein Postkorb“ und das „elektronische Informationssystem der Justiz“, das bestellten Sachverständigen Zugriff und Teilhabe jederzeit erlaubt das hat bisher gereicht.

Die 34 Vorschläge zur Angewandten hippologischen Ethik, die letzte Woche hier auf PRO PFERD aufgezeigt wurden, scheinen jedoch in vielfacher Hinsicht und bei nicht wenigen Lesern ins Schwarze getroffen zu haben, denn es erreichten mich so viele Mailnachrichten wie kaum zuvor, die überwiegend – von Kollegenschaft und seriösen Pferdeleuten kommend – überaus zustimmend und unterstützend waren, vereinzelt war aber auch der (versteckte) Vorwurf, ein Besserwisser und Moralapostel zu sein, herauszulesen: nun, dies ist jedoch weder meine Absicht noch mein Wunsch; ich lege lediglich meine Erfahrung aus langen Jahren veterinärmedizinischer (55 Jahre) und sachverständiger (38 Jahre) Tätigkeit dar, als Angebot an die Leserschaft, die über die freie Entscheidung ihres Verhaltens bestimmen kann und soll – denn:

Natürlich kann der Neunmalkluge untätig dasitzen und zusehen, wie das „Kind“ auf die heiße Herdplatte greift und sich verbrennt, um dann zu sagen: „Das hätte ich Dir schon vorher sagen können!“  - doch das ist schäbig!

Nach meinem Empfinden ist es die moralische Verpflichtung der Alten (ob weiß, schwarz, rot, gelb oder aschfahl), fachlich Ausgebildeten und Erfahrenen, vor der „heißen Herdplatte“ zu warnen, aber nicht genug damit, die Warnung muss mit klugen Alternativen verknüpft werden, sonst ist sie sinnlos.

Wir leben zurzeit ohnedies in einer Welt, die von leeren oder sinnlosen Warnungen überschwemmt wird, zu allen Themen des Lebens, der Wirtschaft, der Politik und allen anderen Gelegenheiten, sich aufzuplustern:  aber sehr selten werden Begründungen oder konstruktive Lösungen aufgezeigt – ein Warnen um der Warnung willen, nicht um etwas zu verhindern oder zu verbessern!

Die logische Konsequenz ist Verwirrung, Verunsicherung und die Aneignung regellosen Verhaltens, der Missachtung von Gesetzen, egozentrisches Erblühen unter dem Mäntelchen von Nächstenliebe, Studien und vorgeschützter Forschung (z.B. um am Pol die letzten Eisbären zu vertreiben oder auf Seilen sinnlos von einem Gipfel zum anderen zu balancieren) – und – in letzter Konsequenz Lüge, Betrug, Fake und Schwindel in allen Facetten und Dimensionen, weltlichen und spirituellen Bereichen.

Hier – auf der Plattform mit dem vielversprechenden Titel PROPFERD – tragen wir höchste Verantwortung auch – oder gerade – gegenüber den Pferden (und der Natur) und wer will schon, dass sein Pferd auf die „heiße Herdplatte“ greift, wenn der Schaden – physisch, psychisch, sozial – vorhersehbar ist???
 

„Vollständiges Handbuch für Sattler, Riemer und Täschner“
 Bernhard Friedrich Voigt, Weimar 1897
[Reprint ISKA Zürich 1982]

Sagt man von einer Persönlichkeit, „sie wäre In vielen oder allen Sätteln gerecht“, so war und ist dies zu jederzeit eine höchst anerkennende Einschätzung ihrer fachlichen Kompetenz und darüber hinaus; von einer solchen Kollegin bekam ich als Reaktion auf meine letztwöchige Kolumne über die 34 Thesen zur Angewandten hippologischen Ethik die folgende beachtenswerte, wichtige Ergänzung per Email:

[zit.] „Im Tierschutzgesetz sind unter § 13 die Grundsätze der Tierhaltung angeführt, dort steht unter anderem, „dass Tiere so zu halten sind, dass ihre Körperfunktionen und ihr Verhalten nicht gestört werden, und ihre Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird“, ebenso im § 5 „Es ist verboten, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen“.

Zur Definition:
1.    ungerechtfertigt: Laut Praxiskommentar Binder, Das österreichische Tierschutzgesetz, ist ein Verhalten dann ungerechtfertigt, wenn keine sachliche Rechtfertigung für die Handlung oder Unterlassung vorliegt, bzw. kein berechtigtes Interesse daran besteht- es muss also sowohl hinsichtlich des GRUNDES als auch hinsichtlich des gewählten MITTELS bzw. des AUSMASZES der, damit für das Tier verbundenen Beeinträchtigung GERECHTFERTIGT sein.
2.    Schmerzen: unter Schmerzen sind unangenehme sensorisch Empfindungen zu verstehen, die „durch schädigende Einwirkungen hervorgerufen und von typischen Symptomen begleitet werden“- Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit zur Schmerzempfindung- diese ist beim Pferd gegeben!
3.    Leiden: umfasst alle nicht bereits vom Begriff des Schmerzes umfassten BEINTRÄCHTIGUNGEN im WOHLBEFINDEN, die über ein schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne andauern.
4.    Angst: „ein unangenehmer emotionaler Zustand bei Erwartung eines stark negativen Ereignisses“.
5.    Schaden: liegt dann vor, wenn sich der körperliche oder psychische Zustand eines Tieres durch menschliche Einwirkung verschlechtert!

Unter diesem Aspekt betrachtet, wird schnell klar, dass im derzeit üblichen Umgang mit Pferden, vor allem im Reitsport, eine Vielzahl von Handlungen gesetzt werden, die bei einer genaueren, kritischen und unparteiischen Betrachtung den Straftatbestand der Tierquälerei iSd § 5 Tierschutzgesetz erfüllen, wie z.B.:
•    Sporeneinsatz- fügt dem Pferd Schmerzen, Leiden zu, versetzt es unter Umständen in Angst und fügt im schlimmsten Fall einen Schaden (Blut an der Haut) zu.
•    Grobe Zügelhilfen:  fügen dem Pferd Schmerzen, Leiden zu, versetzen es unter Umständen in Angst, fügen im schlimmsten Fall einen Schaden (Blut im Maul) zu.
•    Zu enge Nasenriemen verhindern ein Aufsperren des Mauls, um dem Schmerz auszuweichen.
•    Hyperflexion beim Reiten- fügt dem Pferd Schmerzen, Leiden zu, versetzt es unter Umständen in Angst.
•    …

Diese Auflistung lässt sich in vielen Bereichen weiterführen und soll als „Denk-Anstoß“ dienen, das Pferd als Lebewesen und nicht als „Sportgerät“ wahrzunehmen, da Pferde bekanntlich „stumm“ leiden und es nur jemand mit „hippologischem Verstand“ versteht, diese stummen Hilferufe zu hören!“ [zit.]

 

Mag. med. vet. Cordula Konstantopoulos ist Amtstierärztin an der BH Leibnitz, Allgemein beeidete und zertifizierte Gerichtssachverständige für Veterinärmedizin und Pferdewesen sowie – erfolgreiche – Reiterin im Spring-, Dressur- und Westernsattel.

Ein Kind im Vorschulalter, in seiner Gesamtentwicklung leicht verzögert, war für eine Stunde Heilpädagogisches Reiten vorgemerkt – in diesem Rahmen wünschte es sich einen geführten Ausritt auf einem Kleinpferd. Dem Wunsche des Kindes, das ursprünglich seine „Stunde“ in der Reithalle absolvieren sollte, nach dem geführten Ausritt wurde aber entsprochen, als aus zunächst nicht bekannten Gründen das Pferd widersetzlich wurde, sich der Kontrolle des Pferdeführers entzog und das Kind aus dem Sattel rutschte.

Zum Befundaufnahmetermin war vom bestellten Sachverständigen aufgetragen worden, das Pferd in derselben Ausrüstung vorzustellen wie am Vorfalltage. Bestandteil dieser Ausrüstung waren auch „Ausbindezügel“. Vom SV darauf angesprochen, wurde von den beklagten Parteien mitgeteilt, dass diese nur bei der Arbeit am Platz bzw. in der Halle verwendet würden (dabei wurde hierzu fälschlicherweise der Ausdruck „bei versammelten Gängen“ verwendet). In einem Atemzuge wurde dem SV gegenüber betont, dass die Verwendung von Ausbindezügel „im Gelände“ kontraindiziert wäre, weil die Freiheit der Gänge des Pferdes gestört würde.
Diese Ansicht wird für das vorliegende Unterfangen vom Sachverständigen nicht geteilt, weil der Sicherheitsaspekt auch ohne Störung der Freiheit der Gänge eingehalten werden kann – wenn man`s richtig macht!

Das Kind wies nach dem Sturz ein Verletzungsmuster auf, das an der Effizienz der Schutzmaßnahmen, vor Allem des Schutzhelms,  Zweifel aufkommen ließ.

 

Bei der Befundaufnahme wurde die Passform des Schutzhelms, der dem Kinde vom Reitbetrieb zur Verfügung gestellt worden war, mit Real-Helm auf dem Real-Kopf nachgeprüft – der Helm saß zu locker auf dem dicht und lang behaarten Kopf des Kindes. Mit einem Haubenstock werden hier die erhobenen Befunde dargestellt.

Normposition von der Seite. Die roten Linien zeigen den Verlauf der Befestigungsgurte der Dreipunkt-Sicherung. Passt der Helm auf den Kopf, so darf er sich nur innerhalb dieses Winkels (Doppelpfeil) von etwa 45 Grad bewegen.

 

In realiter war der Bewegungsspielraum am Kopf des Kindes jedoch bedeutend größer:

 

Die Schädelverletzungen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Reithelm verursacht. Die „Beule“ am Hinterkopf durch den hinteren Wulst bzw. Kante des Helms beim Sturz, die Schürfverletzungen und Beule an der Stirn durch das Nachhinten-Schieben des Helms und die Striemen am Hals durch das Hängenbleiben des nach hinten gestreiften Helms mit dem Kinnriemen.

Es hat sich somit eine bekannte „Weisheit“ verwirklicht, dass nämlich ein schlecht passender Helm diejenigen Verletzungen bewirkt, die zu verhindern er im Grunde konzipiert ist.
Die Verletzungen am Rücken und Ellbogen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Bodenkontakt zurückzuführen, da das Kind nur Sandalen trug, war der Vorfuß nicht geschützt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein gutsitzender Helm die Schädelverletzungen, ein Rückenprotektor die Rückenverletzungen und gutes Schuhwerk die Fußverletzungen auf ein Minimum reduziert hätte.

In allen, mir bekannten einschlägigen Publikationen, auf Internetseiten und in Gesprächen rund um das Thema „Therapie mit Pferden“ scheint man nicht müde zu werden, darauf hinzuweisen, dass „Hippotherapie“ – in welcher Form und Bezeichnung auch immer – nichts mit herkömmlichem Pferdesport zu tun hat, sondern dass das Pferd hier „nur ein Therapie-(Hilfs)mittel“ sei.

Damit wird begründet, dass gewisse – im Pferdesport übliche – Sicherheitsvorkehrungen wie Helm, Kleidung, Rückenschutz, Handschuhe oder pferdegerechtes Schuhwerk nicht generell notwendig sind.

 

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Kleidung für das Kind:
Das Kind braucht kein besonderes Reittenue. Trainingshose und Pullover für diw Übergangszeit, im Sommer ein Baumwoll-leibchen und bei kühlem Wetter eine Windjacke genügen vollauf. An den Füßen haben sich Turnschuhe bestens bewährt, das Kind soll sich in der Kleidung wohl fühlen.
Die Verwendung von Ausbindezügeln ist auf den meisten Abbildungen nachvollziehbar.
[Aus: Marianne Gäng: Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren, Reinhardt 2010]

Im Buche von Pauel/Urmoneit „Das Pferd im Therapeutischen Reiten“ [ FN   Verlag 2015] findet sich zwar kein Hinweis auf die ratsame Schutz-Kleidung der Klienten bzw. Patienten, auf den Abbildungen sind jedoch überwiegend Reiter in korrekter Reitkleidung dargestellt.
Ausbindezügel werden nicht speziell angeführt, ihre Verwendung ist auf einigen Abbildungen nachvollziehbar, es dürfte aber dem sogenannten Langzügel (kurze „Doppellonge“der Vorzug gegeben werden.

Ingrid Strauß geht in ihrem Buch „Hippotherapie“ [Hippokrates 1995] auf die Schutz - Kleidung von Klienten oder Patienten nicht ein, den Abbildungen sind keine einschlägigen Hinweise zu entnehmen.
Ausbindezügel für das Pferd werden gutgeheißen.

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Aus sachverständiger Sicht ist dieser Blickwinkel, auf spezielle Schutzkleidung verzichten zu können, im realen Leben und vor Gericht nicht nachvollziehbar, denn auch in allen Formen einer Therapie bei, mit oder auf Pferden bleibt ein Pferd ein Pferd, das mit allen Imponderabilien seines Wesens und der gesamten Palette der allgemeinen und speziellen Tiergefahren ausgestattet ist.

Dem Pferde sind „Berufsbezeichnungen“ wie Dressurpferd, Springpferd oder  Therapiepferd fremd, für sein Wohlbefinden und Verhalten ist die artgerechte Haltung, hippologisch korrekte Adjustierung und genügend Bewegung essentiell, für  „Verletzte“ ist es in ihrer Befindlichkeit unerheblich, welcher „Berufsgruppe“ das Pferd angehört – ein Unterschied mag nur in der juridischen Betrachtungsweise liegen, wobei ich eine solche vor Gericht – milde und verständnisvoll  - nie erkennen konnte; meine Erfahrung zeigt das genaue Gegenteil: erbitterter Kampf um jeden Millimeter – besser um jeden Cent.

Was den „Faktor Bewegung“ anlangt, kann ein Sportpferd sein Bewegungsbedürfnis in überwiegenden Fällen eher ausleben, als ein Therapiepferd, dessen Alltag stark von Rücksicht auf den Klienten, Vorsicht, langsamen Gängen und hoher Konzentration über lange Zeitspannen geprägt ist – Faktoren, die auch durch Offenstall-Haltung nur in beschränktem Maße zu kompensieren sind.

Daraus ist abzuleiten, dass die typische Tiergefahr, die von Pferden üblicherweise auszugehen pflegt, bei einem Therapiepferd nicht geringer ist als bei einem Sportpferd, Freizeitpferd oder Arbeitspferd, weswegen der Aspekt der Allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (im Hinblick auf den Umgang mit Pferden) bei allen Verwendungsarten nahezu deckungsgleich anzusetzen  ist, wobei -verstärkend-   nicht außer Acht gelassen werden darf, dass die „Klienten“ des Therapiepferdes meist Menschen mit Defiziten oder Einschränkungen sind.

Das Buch „Persönliche Schutzausrüstung im Sport- und Freizeitbereich“ [Lehnke/Klindt, DIN Deutsches Institut für Normung, Beuth Verlag 2005] empfiehlt unter dem Kapitel REITEN allgemein:
– Jeder Reiter sollte über eine ausreichende Portion Geschick und Erfahrung, aber auch über das notwendige Gespür für (seine) Sicherheit verfügen.
– Schutzjacken, Körper- und Schulterschützer nach DIN EN 13158.
– Das Tragen eines entsprechenden Helmes ist unerlässlich – Norm für Reithelme DIN EN 1384. – jeder Helm ist nach einem Aufschlag auszuwechseln, auch wenn er äußerlich keine Beschädigung aufweist.
– Für Hochrisiko im Reitsport wurde der Hochleistungshelm DIN EN 14572 entwickelt.

 

Augen auf + Ohren auf + [fundiertes Wissen und Können + Mund auf] = Zivilcourage

 

Gutachten, Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv und ex libris Dris. Kaun.

Eine Bitte: Meine Aufsätze, Publikationen und Kommentare sollen Pferdeleuten unserer Tage zu Orientierung, Selbsteinschätzung und Beziehung zu Pferden dienen. Personen, die kommerziell mit Pferden Kontakt haben, mögen die von Anstand und Benehmen vorgegebenen Regeln respektieren, Quellen anführen und korrekt zitieren – danke!

Sollten Leser meiner Aufsätze einzelne Themen vertiefen wollen, so kann auch - unter den oben angeführten Bedingungen - aus dem reichen Fundus der kostenlosen Downloads auf www.pferd.co.at  geschöpft werden.

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