ForscherInnen der Veterinärmedizinischen Universität Wien haben zusammen mit internationalen Partnern die Abstammung moderner Pferderassen über Hengste verfolgt. Ihre Ergebnisse bestätigen den überragenden Einfluss von Hengsten orientalischer Herkunft auf die weltweite Pferdepopulation im letzten Jahrtausend.
Das internationale Forschungsteam rund um Dr. Lara Radovic vom Zentrum für Biowissenschaften der Vetmeduni Wien fand heraus, dass die meisten Pferderassen in Europa, Asien und Amerika gemeinsame männliche Vorfahren haben, die orientalischer Herkunft sind und deren Einfluss sich erst in den letzten Jahrhunderten weit verbreitet hat.
Pferde haben in der Geschichte der Menschheit über Jahrtausende hinweg eine große Bedeutung gehabt und Kulturen und geopolitische Entwicklungen geprägt. Im Laufe der Zeit hat der Mensch dabei massiv in die Zucht von Pferden eingegriffen, die Verfolgung unterschiedlicher Zuchtziele und selektive Züchtung mit Schwerpunkt auf Hengsten haben eine komplexe genetische Abstammung bei Pferden geschaffen.
Die Entwicklung moderner Pferderassen wurde besonders stark von Hengsten geprägt, weshalb der männliche Teil des Y-Chromosoms (MSY) ein wichtiger genetischer Marker für die Erforschung der Herkunft und Verbreitung von modernen Pferderassen ist. Das Y-Chromosom, das über männliche Linien weitergegeben wird, bietet daher Einblicke in die Herkunft und den historischen Einfluss bestimmter Hengste auf Pferdepopulationen.
Für ihre Studie analysierten die Forscher eine große Anzahl moderner Rassen und rekonstruierten deren väterliche Abstammungslinien über die letzten 1.500 Jahre. Die Wissenschaftler identifizierten drei große neuere Zuchteinflüsse und hoben zwei grundlegende historische Wege hervor, die die Verbreitung orientalischer Pferde vorangetrieben haben.
Das Forschungsteam analysierte Daten von 1.517 Hengsten aus 189 modernen Pferderassen, die ein breites Spektrum an Merkmalen und geografischen Gebieten abdecken. Sie konnten den enormen Einfluss orientalischer Hengste in den letzten paar hundert Jahren entschlüsseln, den Ursprung und die weite Verbreitung arabischer, englischer Vollblüter und Kaltbluthengste nachweisen und die Folgen intensiver Linienzucht offenlegen.
„Die Mehrheit der Hengste weltweit trägt Y-Linien, die einer nur etwa 1.500 Jahre alten sogenannten „Crown“-Haplogruppe zugeschrieben werden können. Die Vorherrschaft der „Crown"-Linien in modernen Pferderassen ist das Ergebnis des enormen Einflusses von Hengsten „orientalischer Herkunft“ im letzten Jahrtausend“, so die Erstautorin der Studie, Dr. Lara Radovic vom Zentrum für Biowissenschaften der Vetmeduni Wien. (Zur Erklärung: Haplogruppen sind Abstammungsgruppierungen innerhalb einer Population , die typischerweise durch gemeinsame, vererbte genetische Marker oder Mutationen definiert sind, sprich: gemeinsame Vorfahren haben.)
„Die Verbreitung orientalischer Pferde war komplex und begann mit der muslimischen Expansion. Das ähnliche Spektrum väterlicher Linien bei Pferderassen von der Iberischen Halbinsel und der Neuen Welt bestätigt die enorme Verbreitung von Pferden orientalischen Ursprungs über die Iberische Halbinsel nach dem Mittelalter“, so Dr. Radovic weiter. Die Untersuchung ergab auch eine zweite große historische Verbreitung von Pferden aus Westasien, die mit der Expansion des Osmanischen Reiches einherging.
„Unsere Studie zeigt, dass die MSY-Analyse die komplexe Geschichte der Pferderassen aufdecken kann“, sagt Letztautorin der Studie Dr. Barbara Wallner vom Zentrum für Biowissenschaften der Vetmeduni. „Indem wir das Erbe der orientalischen Hengste nachverfolgt haben, haben wir die Untrennbarkeit von Pferde- und Menschheitsgeschichte nachgewiesen und bisher unbekannte Verbindungen zwischen geografisch und phänotypisch unterschiedlichen Pferderassen entschlüsselt. Wir haben auch die Folgen intensiver Tierzucht aufgezeigt, die zum Verlust von Zuchtlinien geführt haben“, so Dr. Wallner.
Laut Dr. Wallner bietet die Arbeit auch neue Möglichkeiten, die historische Entwicklung von Zuchtpopulationen als Grundlage für sinnvolle Entscheidungen im Zuchtmanagement der Zukunft zu erfassen.
Die Studie „The global spread of Oriental Horses in the past 1,500 years through the lens of the Y chromosome" von Lara Radovic, Viktoria Remer, Doris Rigler, Barbara Wallner et.al. ist am 18. Nov. 2024 in der Zeitschrift ,Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America' (,PNAS') veröffentlicht worden und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.