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Hippologische Ethik: 35 Leitsätze zum Wohlbefinden von Pferden
28.11.2024 / News

Kaum ein anderer Begriff wird in der Pferdeszene so häufig strapaziert wie das ,Pferdewohl' – doch vielfach ist unklar, was genau damit gemeint ist und was sich hinter einem ,pferdegerechten' Umgang tatsächlich verbirgt. Dr. Reinhard Kaun hat in beispielhafter Weise die Grundlagen einer ,angewandten hippologischen Ethik' zum Wohlbefinden von Pferden zusammengefasst.

Symbolfoto: Archiv/Pixabay

 

35 Grundlagen der angewandten hippologischen Ethik zum Wohlbefinden von Pferden:

– Jede Vermenschlichung von Pferden ist kontraproduktiv und gefährlich – der wichtigste Weg des Menschen zum Pferde ist die Achtung seiner Würde und sein Erkennen als besonderes Lebewesen.
– Jeder Mensch, der Pferde hält, hat die moralische und ethische Verpflichtung, durch Notfallpläne vorbeugende Maßnahmen zu treffen, um seine Pferde gegen Unglück und Katastrophen zu schützen.
– Unabhängig von deren Haltung und Nutzung muss das Wohlbefinden der Pferde in Haltung, Arbeit, Zucht und sportlicher Verwendung jederzeit oberste Priorität haben.
– Bei sportlichem Einsatz und bei Arbeit ist auf erkennbare Anzeichen mangelnder Losgelassenheit (Zähneknirschen, Schweifschlagen, Schlauchgeräusch, Einrollen, Verwerfen usw.) zu achten, diese dürfen nicht ohne Korrektur übergangen werden.
– Im Hinblick auf das individuelle Wohlbefinden darf es keine Unterscheidung zwischen Sport,- Freizeit-, Arbeits- oder Zuchtpferden geben.
– Kinder und Jugendliche sind in ihrem Verhalten und Benehmen gegenüber Pferden stets von wissenden Leitpersonen zu führen.
– Die zur Verwendung von Pferden notwendigen Ausrüstungsgegenstände (Zäume, Gebisse, Sättel, Geschirre, Voltigierutensilien) sowie Wägen, Schlitten (Gewicht, Deichselhöhe, gebrochener Zug) usw. müssen korrekt angepasst und für die Pferde sicher, Schmerz- und Überlastungsfrei gestaltet sein.
– Im Rahmen von organisierten Veranstaltungen sollte durch eine befugte Person (Veranstalter, Turnier-Richter, Security, offizieller Veterinär) jederzeit bei begründetem Verdacht eine sachkundige Überprüfung vorgenommen werden (Durchführung immer mit Tierarzt/Tierärztin gemeinsam).
– Ein Pferd ist nur dann in der Lage, seine angeborenen Anlagen voll zu entfalten, wenn seine artgemäßen Lebens- und Leistungsanforderungen erfüllt werden und es sich mit Umwelt und Menschen im Einklang befindet.
– Flucht ist die erste Reaktion eines Pferdes, sei es aus Angst, Er-Schrecken oder Bedrohung; Ausweichen, Scheuen, Wegspringen und Durchgehen sind diesem natürlichen Verhalten zuzuordnen- solchen Reaktionen ist stets mit verständnisvoller Ruhe und Sicherheit zu begegnen.
– Personen, die mit Pferden Umgang pflegen, müssen in der Lage sein, deren Befindlichkeit zu erkennen und zu beurteilen, im Zweifel sind vertiefend Fachleute beizuziehen.
– In der Ausbildung und Nutzung von Pferden dürfen nur solche Leistungen, Verhaltens- und Bewegungsabläufe verlangt werden, die für diese Tierart, die Rasse und das Individuum von Natur aus angelegt und möglich sind – der Gangart „reiner SCHRITT“ ist stets hoher Stellenwert beizumessen.
– Es liegt in der Verantwortung des Menschen, Eignung und Grenzen eines Pferdes zu erkennen und zu respektieren, unbedachte und vorsätzliche Überforderung hat immer Tierschutzrelevanz.
– Vertrauen zum Menschen ist für das Pferd Grundlage zur Bindung in Sicherheit und um Signale und Hilfen annehmen und verstehen zu können.
– Die Führungsrolle eines Menschen gegenüber dem Pferd kann nur durch Einfühlungsvermögen, Zuwendung, Wissen, Erfahrung, Konsequenz und Bestimmtheit erreicht werden – das Pferd muss beim Menschen Sicherheit finden, nicht der Mensch beim Pferde Sicherheit suchen.
– Der Einsatz von Gewalt ist in jeglicher Form beim Umgang mit Pferden abzulehnen und überflüssig, sofern sich der Mensch der traditionellen und gewohnten Handlungsabläufe bei der Pflege, Zäumung, Sattelung, Aufschirren, Einspannen und Führen bedient.
– Bei Trainern und Ausbildern sind Geduld, Selbstbeherrschung und Einfühlungsvermögen neben Wissen und Können die vornehmsten Tugenden.
– Verspätete Strafe ist immer ungeeignet, um eine Leistung zu erzwingen oder unerwünschtes Verhalten zu verändern; angebrachte, berechtigte und notwendige Korrekturen müssen augenblicklich erfolgen.
– Ausbildungsziele durch Zwang, Bestrafung oder Gewalt zu erreichen, ist tierschutzwidrig und hat strafrechtlichen Charakter (Vorsatz!).
– Die Hilfengebung muss für das Pferd bekannt, verständlich, ruhig und konsequent erfolgen und seinem Ausbildungsstand entsprechen.
– Das Umfeld (Stall, Paddock, Weiden, Reit -hallen, -plätze, Ausreitstrecken) ist so zu gestalten, dass es jedem einzelnen Pferd die größtmögliche Entfaltung seines artgemäßen Verhaltens ermöglicht.
– Freispringen ist bei Fohlen und Jährlingen nicht Entwicklungs- konform und deshalb tierschutzrelevant.
– Der Beginn der Ausbildung muss sich an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Pferdes, seinem physischen, psychischen und geistigen Reifezustand und seinem Leistungsvermögen orientieren.
– Die Individuelle Zug- und Tragbelastung ist bei allen Fahrpferden, Reitpferden, Voltigierpferden und Tragtieren zu berücksichtigen.
– Um eine angemessene Ausbildung von Pferden – und Menschen - zu ermöglichen, müssen alle daran beteiligten Personenkreise über die hierfür erforderlichen fachlichen Kenntnisse und persönlichen sowie moralischen Eigenschaften verfügen, diese Forderung gilt ganz besonders in Reitschulen und Ausbildungsbetrieben.
– Vor jeder Nutzung ist ein Pferd durch kundige Überprüfung auf seinen Gesundheitszustand und Verfassung zu inspizieren.
– Ergibt die Prüfung der Gesundheit oder Leistungsfähigkeit Zweifel, ist das Pferd rasch einer vertiefenden, kundigen Untersuchung zuzuführen.
– Die Ausrüstung muss vor Beginn jeder Nutzung eines Pferdes für dieses jeweils individuell zweckdienlich, korrekt angepasst werden und in einwandfreiem, sicherem Zustand sein.
– Die Zäumung muss individuell passend und richtig eingestellt sein. Sie darf weder Atmung noch Maultätigkeit unterbinden oder behindern. Auf Verwendung einwandfreier, passender und gepflegter Gebisse und sicherer Zügel ist zu achten.
– Alle (Zwangs-)Maßnahmen, die zu übertriebener Bei-Zäumung (Hyperflexion) führen, sind tierschutzwidrig.
– Führmaschinen und Laufbänder sollen nur nach sorgfältiger Eingewöhnung und nur unter eingreifnaher Aufsicht angewendet werden.
– Die mit Pferden bespannten Fahrzeuge müssen in fahr- und sicherheitstechnisch einwandfreiem Zustand sein.
– Die Fixierung von Extremitäten (Fußfesseln) ist tierschutzwidrig.
– Die Anwendung von Medikation an einem Pferd ist bei sportlichen Wettkämpfen, ähnlichen Veranstaltungen sowie im Training verboten und rechtswidrig; kranke Pferde müssen umgehend einer medizinischen Versorgung zugeführt werden. Die Doping-Problematik sollte allen Pferdeleuten bekannt sein, die mit Sport-, Freizeit-, Arbeits- oder Zuchtpferden in Kontakt sind.
– Für alle Pferde müssen die individuellen Grundbedürfnisse an Haltung, Sozialleben, korrekter Ernährung, Körper- und Hufpflege während ihres gesamten Lebens gewährleistet sein.
Ob dem Alter oder einer Krankheit in einem Gnadenhof wirksam begegnet werden kann, müssen palliativ geschulte Fachleute entscheiden – diese Entscheidung darf nicht im freien Ermessen von Besitzern oder (künftigen) Haltern liegen.
 
26.11.2024

 

 Die Weisheit der beiden „Alten“ - die seinerzeit bekannte, tägliche Erscheinung im Stadtbild von Wels: Eric Eder (Stall Dragonerkaserne) und sein Haflinger – im und unter dem Sattel ergraut.
 
Vor einiger Zeit führte mich ein gerichtlicher Auftrag in ein westliches Bundesland zu einem sehr vornehmen und großen Reitstall. Da sich bei der Befundaufnahme eine kurze Unterbrechung ergab, hatte ich die Gelegenheit folgende, eigentlich belanglose, aber doch denkwürdige Szene zu beobachten:
Ein – als Herrenreiter verkleideter – Mann trat mit seinem Pferde aus einer Box, die Zügel hingen über Hals und Widerrist, das Pferd folgte seinem „Gebieter“, ohne geführt zu werden, wie ein Furchentreter. Die Stallgasse führte nach links in die Reithalle, geradeaus zum Reiterstüberl und nach rechts auf die Weiden – dieses Tor war offen. Der Mann jedoch öffnete gegenüber das Tor zur Halle und setzte an „Tor frei“ zu rufen, als ihm die Frage im Halse stecken blieb: das Pferd hatte sich nämlich – plötzlich selbstständig geworden -  nach rechts durch das offene Tor in Richtung der Wiesen verdrückt. Mit einem entrüsteten Schrei hastete sein Reiter nach, konnte beim geschlossenen Eingang zu den Weiden das Pferd am verhängten Zügel ergreifen, riss es mit einem  ungestümen Riegler mit anschließendem Insternburger herum und brüllte es in der Folge mit Ausdrücken an, die ich hier nicht wiedergeben möchte.
Ich musste mich wieder meiner Aufgabe widmen. Als ich nach getaner Arbeit zu meinem Wagen ging, wartete dieser Mann dort auf mich, nunmehr gewöhnlicher Zivilist.
„Ich möchte mich bei Ihnen für diese Episode, die Sie vorhin gesehen haben, entschuldigen“ hub er an „ich weiß, wer Sie sind und was Sie jetzt von mir und unserem Stall denken werden!“
Ich begegnete ihm mit einer kühlen und distanzierten Höflichkeit und erwiderte nicht gänzlich unfreundlich: „Mir gegenüber ist eine Entschuldigung weder angebracht noch notwendig – Ihr Pferd sollten Sie um Verzeihung bitten – zuerst für das fachliche Fehlverhalten, es mit verhängtem Zügel und ohne sichere Führung nachtrotten zu lassen und dann dafür, dass Sie das Pferd grob und ungerecht bestraft haben, für seinen natürlichen Wunsch, auf die Wiese zu gehen!“
„Entschuldigt habe ich mich beim Pferd bereits…“ gab er zurück „… und habe den Satz angefügt, der früher das Finale jeder Ohrenbeichte bildete: Ich will mich ernstlich bessern!“
 

Ludwig Koch: Die Reitkunst im Bilde (OLMS 1982) Ein seltsames Paar II
 
 
Gutachten, Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv und ex libris Dris. Kaun.

Eine Bitte: Meine Aufsätze, Publikationen und Kommentare sollen Pferdeleuten unserer Tage zu Orientierung, Selbsteinschätzung und Beziehung zu Pferden dienen. Personen, die kommerziell mit Pferden Kontakt haben, mögen die von Anstand und Benehmen vorgegebenen Regeln respektieren, Quellen anführen und korrekt zitieren – danke!

Sollten Leser meiner Aufsätze einzelne Themen vertiefen wollen, so kann auch - unter den oben angeführten Bedingungen - aus dem reichen Fundus der kostenlosen Downloads auf www.pferd.co.at geschöpft werden.

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