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Hippologische Betrachtungen des Dr. K.: Über den Gehorsam von Pferden
08.02.2025 / News

Jeder Pferdemensch wünscht sich ein gut ausgebildetes, williges und gehorsames Pferd – doch was genau bedeutet Gehorsam, und wie lässt er sich im Idealfall erreichen und erhalten?

 

In meinen frühen Jahren als Turnierrichter für Fahren und Materialprüfungen (für Reitpferde) gab es in den Dressurprotokollen noch die sogenannten Schlussnoten – eine Klaviatur an Möglichkeiten, auf denen gute Richter gerne „spielten“, weil sie die Möglichkeit boten, Fahrern oder Reitern jedweden Geschlechts „hippologische Botschaften“ zu senden, die weit über den reinen Formalismus der Hufschlagfiguren und Gangarten hinausreichten, nämlich die Grundlagen guter hippologischer Ausbildung von Turnierpferden; einer dieser Punkte in den „Schlussnoten der Dressurprotokolle“ bezog sich auf „Gehorsam und Losgelassenheit“, ein weiterer auf die „Reinheit der Gänge“– also Eigenschaften, die ein gut ausgebildetes und gefördertes Pferd – nicht nur im Turniersport – auszeichnen sollten.

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Heinz Meyer: Die Skala und das System der Ausbildung, WuWei 2012:

„Als „Gehorsam“ wird die prompte Reaktion des Pferdes auf disziplinierende Reize des Menschen benannt, das heißt eine Reaktion gemäß dem erlernten Verhalten und unter Ausschluss von Verhaltensweisen, die das gelernte Verhalten ignorieren, sowie von Verhaltensweisen, die für den Menschen unkontrollierbar sind bzw. die den Menschen die Kontrolle über das Pferd nicht erreichen oder verlieren lassen.
Der in einem speziellen Sinne verstandene Gehorsam gegenüber dem Reiter beinhaltet die prompte Reaktion des Pferdes auf die reiterliche Einwirkung bzw. die reittechnischen „Hilfen“.

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Das „Können eines Pferdemenschen“ besteht sowohl bei der Ausbildung als auch bei der späteren Förderung eines Pferdes zu seiner geplanten Bestimmung (als Freizeitpferd, Turnierpferd, Arbeitspferd, Gespann-Pferd, Therapie-Pferd)  darin, die als „Ersuchen zur Mitarbeit“ gedachten helfenden Signale („Hilfen“ mit Körpergewicht, mit Zügel oder Leinen, mit Schenkel oder Peitsche, mit der Stimme, mit Körpersprache) so einzusetzen, dass sie vom Pferde verstanden und umgesetzt – und vor Allem – ohne jede „schlechte Erinnerung“ wieder abgerufen und neuerlich befolgt werden können.
Ich verweise an die Definition für „Pferdemensch“ in den letzten Essays – Wissen, Können und Empathie sind Voraussetzungen, den richtigen Zeitpunkt zur Hilfe-Stellung zu erkennen.

 

Um es gleich zu Beginn klar zu stellen: Wenn ich hier über meine persönliche Sicht auf den Gehorsam von Pferden schreibe, meine ich keinesfalls das, was man gemeinhin als „Kadaver-Gehorsam“ – also blinde, ohne Widerspruch ausgeführte Befehlsbefolgung – nein, ich meine damit, dass ein gut ausgebildetes und gefördertes Pferd dem Wunsch des Reiters, Fahrers, Eigentümer usw., der durch dessen „Hilfe“ signalisiert wird, willig und schnell nachkommt, also „durchlässig“ ist, weil es den Sinn der Hilfe erkannt hat, aber nicht, weil es bei Ungehorsam Ungemach oder Strafe fürchtet.
„Angst vor Strafe“ führt zu Ver-Spannung, auch bei Menschen, militärischer Ungehorsam ist regelmäßig mit rüden Zurechtweisungen verbunden – Angst ist ein gefährlicher Kamerad!

 

„…..ein ungehorsames Pferd ist nicht nur unnütz, sondern stiftet oft auch so viel Unheil wie ein Verräter!“
schreibt Xenophon (430-354 v.Ch.) im Hippologischen Lehrbuch der Antike „Über die Reitkunst“

…und führt nach seinem Verständnis Beispiele an, die ich seit jeher als „Grundgehorsam“, british horsepeople als „basic obedience“ , bezeichnen.
Gemeint sind die vorauszusetzenden Eigenschaften von Pferden, die ein geregeltes und reibungsfreies Zusammenleben mit Menschen und Umweltbedingungen unserer Zeit ermöglichen – rechtlich gesehen – im Sinne der Allgemeinen Verkehrssicherungspflicht; es gibt keinen Normenkatalog, es gibt keine  abrufbare und allgemeingültige, niedergeschriebene Liste, selbst unter Pferdeleuten und Gutachtern wird eine Aufzählung nicht einheitlich ausfallen: Ich lege hier meine persönlichen Vorstellungen eines “gehorsamen Pferdes“ dar, die auf meiner Lebenserfahrung als Pferdemensch, Tierarzt und Gerichtsgutachter gegründet sind und die man auch schlicht als gutes Benehmen eines Pferdes betrachten könnte.

So, wie gutes Benehmen bei erwachsenen Menschen als „Ausbildner der nächsten Generation“ von Kindern und Heranwachsenden, nichts mit Härte, Gewalt, Kasernenton und Triller-Pfeife zu tun hat, auch nichts mit gekünstelter Manieriertheit, sondern in
– vor-bildlichem Leben und Beispiel geben,
– mit Erklären und Begründen,
– mit Konsequenz im eigenen Tun,
– mit Grenzen zeigen, aber auch einhalten,
– mit verständnisvollem, fachlich fundiertem Korrigieren,
verbunden ist, so ist es Aufgabe erfahrener Pferdemenschen, sowohl Mensch wie auch Pferd in gutem Benehmen und gesundem Gehorsam – jeweils der Art entsprechend - zu fördern.

 

Pferd

Ruhiges Stehen bei allen notwendigen Manipulationen
– Putzen und Hufpflege
– Aufzäumen
– Satteln und Aufschirren
– Neben anderen Pferden
– Untersuchungen allgemein und Hufe
– Erhebung der PAT-Werte

Ruhiges Stehenbleiben
– Beim Aufsitzen
– Beim Anspannen
– Auf Aufsteigen von Fahrgästen
– Bei verkehrsbedingtem Halt
– Bei Veranstaltungen und Paraden
– Bei Siegerehrungen

Ruhiges Stehenbleiben, versammelt mit Anlehnung am Gebiss
– Bei Dressuraufgaben
– Bei Grußaufstellung am Anfang und am Ende einer Prüfung
– In (den wenigen) Situationen, in denen vom Sattel oder Bock „herunter“-gesprochen wird.
– Bei Siegerehrungen
– Bei verkehrsbedingten Anlässen  

Ruhiges Führen im Schritt ohne zu Drängen oder zu Eilen
– Beim Herausführen aus der Box
– Beim Führen aus dem Stall
– Am Weg zur oder von der Koppel
– Beim Vorführen zur Inspektion/Lahmheitsuntersuchung

Ruhiges Wegführen im Schritt
– Von anderen Pferden
– Problemloses Weggehen von anderen Pferden ohne zu Kleben
– Problemloses „Alleine zurückbleiben“, wenn andere Pferde den Reitplatz/Reithalle verlassen.
 
Verlässliches Rückwärts-Richten ohne Zwang
– Immer aus einer korrekten Haltparade
– An der Hand mit Halfter
– An der Hand mit Zaum
– Unter dem Sattel
– Vom Bock aus

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Insterburger
Der Begriff (angeblich) in einem Kavallerieausbildungsregiment im ostpreußischen Insterburg geboren – bezeichnet die rüden Einwirkungsmethoden reiterlich wenig begabter Rekruten. Es ist die nachdrücklichste aller Zügeleinwirkungen und funktioniert quasi „als grober Keil auf einen groben Klotz“ – ähnlich wie das Ziehen der Notbremse.  
[….]

Michael Strick: Die Natur der Deutschen Reitlehre, WuWei 2011

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Grobheiten gegen das Pferdemaul oder den Nasenrücken, Reißen am Zügel oder am Führstrick, gegen das Pferd treten, es anzuschreien oder den Nasen- oder Sperr-Riemen „anzuknallen“ sind schwerwiegende Verstöße gegen das Wohlbefinden des Pferdes, die – weit über schlechtes Benehmen hinausragend – tierquälerische Relevanz haben.

Mensch

Umgang mit dem Pferde bei täglichen Verrichtungen
– Das Pferd sollte an die ruhige, leise Stimme seines „Menschen“ gewöhnt werden, im Falle einer Ermahnung oder Korrektur genügt dann ein etwas schärferer Ton- Pferde können feinste Nuancen unterscheiden.
– Ruhe und gleichbleibende Abläufe bei den täglichen Pflege- und Arbeitsverrichtungen geben dem Pferd die Sicherheit des Gewohnten.
– Reden mit dem Pferde in leisem, ruhigem, dunklen Tone bindet die Aufmerksamkeit und gewährleistet eine stete Kommunikation. Dauer-Gequassel stört andere Menschen.
– Gehorsam des Pferdes immer wieder verbal und mit liebevollen Berührungen loben.
– Anschreien und Grobheiten sind verpönt

Umgang mit dem Pferde bei der Arbeit
– Beim Führen am Halfter oder Zaumzeug zu straffe Spannung zum Kopf oder zum Maule vermeiden – Nachgeben üben, um einseitige Verspannungen und Ladenverhärtungen zu vermeiden
– Zackeln und Drängeln beim Führen durch korrektes Stehenbleiben, Wenden und neuerliches, ruhiges Angehen korrigieren, nicht durch grobe Paraden.
– „Suspekte“ Gegenstände beäugen und beriechen lassen – von allen Richtungen!
– Zu bedenken ist immer, dass ALLES, was das eigene Pferd irritiert oder als störend empfindet auch für andere Pferde – am Platz, in der Halle, bei einer Parade -   ein Störfaktor ist: dauerndes lautes Einreden, Schimpfen, Grobheiten bei vermeintlichen Hilfen, Zungenschnalzen, Peitschenschnalzen, Gertenfuchteln.
– Manche Reiter und Fahrer haben die Grundeinstellung „Geht nicht, gibt’s nicht“ – und versuchen dann Abhilfe mit Gewalt zu finden; eine solche Art, einem Pferd zu begegnen, ist ebenso dumm wie kurzsichtig und ohne jeden erzieherisch fördernden Effekt – denn wie heißt ein alter „Western“: Gott vergibt, Django nie -ähnliches könnte man von Pferden behaupten.
– „Niemals ein Pferd im Zorn zu behandeln, ist für das Pferd die beste Lehre und Gewohnheit!“ (Xenophon, Über die Reitkunst)

 

Leser, die „open minded“, also bereit sind, das zu lesen, was ich mit diesen Zeilen meine und nicht ihrer eigenen Voreingenommenheit huldigen, erkennen es sehr schnell:
Grundlage für Gehorsam – auch bei Pferden – ist verständnisvoll und wissend eingesetzte Disziplin.

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„Ausbildungslehren, die in einer vollkommen falsch verstandenen Liebe zu Pferden das rechtzeitige Schaffen dieser Voraussetzungen für einen Gehorsam ablehnen, müssen falsch sein, auch wenn es Einzelfälle gibt, in denen dieser Irrtum vielleicht nicht zum Tragen kommt.“

[Kurt Albrecht: Dogmen der Reitkunst, Orac-Pietsch, 1981]

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Kürzlich sah ich einen Film über einen kurzen Ausschnitt aus dem Arbeitstag   von Polizeipferden in Hannover. Die beiden Polizeibeamten im Sattel – eine Frau und ein Mann - machten den wohltuenden Eindruck eines harmonischen Teams von Pferden und Menschen; sie zeigten bei ihrer gewohnten Inspektionstour, bestehend aus Streifendienst, Bestrafen von Parksündern oder bei Verstoß gegen das Fahrverbot in der Fußgängerzone, Ermahnen undisziplinierter Radfahrer, aber auch Erteilung von Auskünften an Fußgänger - was unter „gut erzogenen und gehorsamen Pferden“ zu verstehen ist. Patrouillierend gingen die beiden mächtigen Braunen einen beachtlichen Schritt, leicht am Gebiss stehend, gelassen, aber aufmerksam am Verkehrsgeschehen teilnehmend, ganz offensichtlich mit-denkend und mit-arbeitend. Haltparaden kamen unsichtbar und anlassbezogen, beim Halten gab es kein tänzeln und jedes Rückwärtsrichten erfolgte aus einer korrekten Haltparade – das Herz des alten Pferdemannes schlug einfach höher.
Strafmandate wurden im Sattel geschrieben und vom Sattel aus an die Windschutzscheibe geklemmt – ich hatte den Eindruck, dass die beiden Pferde in den Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit ihrer Reitenden im Nahbereich gebunden war, das weite Umfeld wach und streng im Blick hatten.
In einer Situation musste die Polizeibeamtin absitzen – mit einer Selbstverständlichkeit und Noblesse streifte sie den Zügel über Hals und Kopf ihres Pferdes und übergab ihn dem, im Sattel verbliebenen Kollegen. Das nunmehrige Handpferd nahm Haltung an und stellte sich mit einer erhabenen Geste neben seinen berittenen Kameraden – kein Unmut, kein Kopfschütteln, kein Schweifschlagen – ein Bild von Gehorsam und Disziplin, erarbeitet mit empathischen und gefühlvollen Pferdemenschen und angenommen von wunderbaren Pferden, die erkennbar keinen Wimpernschlag lang daran dachten, ihren „Menschen“ Kummer zu bereiten.
Dieser Film war ein Zufallsfund – ich kann keine Quellenangabe machen – bin aber sicher, dass unter dem Schlagwort „Polizeireiterstaffel Hannover“ einiges im World Wide Net zu finden sein wird – im Grunde kostenloses Lehrmaterial!

Klarstellen muss ich an dieser Stelle, dass meiner Achtung vor den Pferden sowie Reiterinnen und Reitern der Polizeistaffeln allerorten keineswegs eine ideologische Einstellung zugrunde liegt:


Ein großer Mann - wie der 1939 geborene Polizeireiter Klaus Balkenhol, Deutscher Meister, Olympia- und Weltmeisterschaftsgewinner im Dressurreiten erzielte seine Erfolge mit den Polizeipferden Rabauke und Goldstern – braucht ein großes Pferd, ein kleiner Mann jedoch will aufs hohe Ross.

Foto: IMAGO/Thomas Zimmermann

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Ziviler Ungehorsam (aus lateinisch civilis ‚bürgerlich‘; deshalb (selten) auch bürgerlicher Ungehorsam) ist eine Form politischer Partizipation, deren Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Durch einen symbolischen,[2] aus Gewissensgründen vollzogenen und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen zielt der handelnde Staatsbürger mit einem Akt zivilen Ungehorsams auf die Beseitigung einer so wahrgenommenen Unrechtssituation und betont damit sein moralisches Recht auf Partizipation. Die Normen können sich durch Gesetze, Pflichten oder auch Befehle eines Staates oder einer Einheit in einem staatlichen Gefüge manifestieren. Durch den symbolischen Verstoß soll zur Beseitigung des Unrechts Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung genommen werden. Der Ungehorsame nimmt dabei bewusst in Kauf, auf Basis der geltenden Gesetze für seine Handlungen bestraft zu werden. Häufig beansprucht er ein Recht auf Widerstand für sich, das sich jedoch von einem verfassungsgemäß gegebenen Widerstandsrecht[3] unterscheidet. Demjenigen, der zivilen Ungehorsam übt, geht es damit um die Durchsetzung von Bürger- und Menschenrechten innerhalb der bestehenden Ordnung,[4] nicht um Widerstand, der auf die Ablösung einer bestehenden Herrschaftsstruktur gerichtet ist. Die Methoden und Aktionsformen von zivilem Ungehorsam und Widerstand gleichen sich jedoch in vielen Fällen.
Als moderne Väter des Konzepts gelten Henry David Thoreau, Mohandas Karamchand Gandhi und Martin Luther King, Jr. Im philosophischen Diskurs nehmen seit der Veröffentlichung seines Artikels The Justification of Civil Disobedience[5] John Rawls’ Überlegungen eine zentrale Stellung ein.
Wikipedia

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In meinem persönlichen Empfinden wohnt dem Substantiv „Ungehorsam“ ein schaler, negativer Beigeschmack inne, der auch dann nicht wohlschmeckender wird, wenn man das Adjektiv „ziviler“ davorsetzt.

Wann wird die Grenze überschritten, die „zivilen Ungehorsam“ vom Gesetzesbruch, von Regelverletzung und von Missachtung der allgemein akzeptierten Ordnung trennt? Sind es tatsächlich „nur“ die Au-Besetzer, die Klima-Kleber, die Flughafen-Blockierer und die berufsmäßigen Demonstrierer (beherzte Demonstranten sind hier nicht gemeint!!) gegen Alles und Jedes – getrieben von der alleinigen Maxime: Ich bin dafür, dass wir dagegen sind – also der persönliche Unmut, pars pro toto - zur vox populi, zur Stimme des allgemeinen Volkes, erhoben wird.
Das äußerst kluge Buch der, an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main forschenden und lehrenden Rechts-Wissenschaftlerin Samira Akbarian mit dem programmatischen Titel „Recht brechen - Eine Theorie des zivilen Ungehorsams“ [Verlag C.H.Beck 2024] mag moralische Unterstützung bieten, wem eine konkrete Standortbestimmung für die eigene Person noch nicht gelungen ist.


Es fällt mir eine ungute Entwicklung in fast allen Gesellschaftsschichten auf: selbst und sogar Personen, die in ihrer Freizeit und bei ihrem freiwilligen Engagement – in Rettungsdiensten, Feuerwehren und Hilfswerken – aber auch in Sportvereinen ohne viel zu murren, Obrigkeits-Strukturen  akzeptieren (mag es vereinzelt neben dem Bedürfnis zu helfen, auch der paramilitärische „Zauber der Montur“ mit „Keksen“ an den Schultern sein) und sich bereitwillig einer  Personal-Hierarchie paramilitärischer oder statutengemäßer Abstufung unterwerfen, verändern ihre „Einstellung zu Recht und Ordnung“  im privaten, bürgerlichen Umfeld manchmal diametral und spontan zu – in ihrem Ermessen  - „zivilem Ungehorsam“ [abgeleitet vom lateinischen „civis“ für Bürger, Mitbürger – und als Gegensatz zu „militärisch“ aufgefasst]: aus Trotz gegen Regeln und mit Verstößen gegen anerkannte Normen und traditionelle Gepflogenheiten.
Die logische Frage nach dem „Warum“, also nach dem Motiv dieser gesellschaftsschädlichen Entwicklung, kann ich aus meiner Lebenserfahrung nur so beantworten:
Den weltweit agierenden  Zertrümmerern von gesellschaftlichen, öffentlichen wie privaten und moralisch-ethischen Wertvorstellungen ist es gelungen, viele Individuen aller Schichten, Farben und geschlechtlichen Nuancen so grundlegend zu verunsichern und in die Irre zu führen, dass die persönliche und individuelle „Haltung“ von Menschen fast zwanghaft der Strömung des Mainstreams folgt – ein Heer an Followern, von Nachläufern und Furchentretern ist entstanden, geprägt und geeint  von der Angst, nicht „geliked“  oder von einem  „shit-storm“ weggeblasen zu werden..

 

Julius v. Blaas, 1890
 

Manche Leser werden nun denken: Der alte Herr hat den Faden verloren und ist etwas entgleist: keineswegs – und nein, keiner der angeblich Heiligen Stühle – weder der Vatikanische in Rom noch die equestrischen in Lausanne oder Laxenburg – haben mich zum hippologischen Moralapostel berufen:

Es ist die Sorge um die Pferde unserer Zeit und unserer Breiten, die mich bewog, beklommen zu sein – und auch der Wunsch, dem allgemeinen Geschwafel von „Alternativlosigkeit“ etwas entgegenzusetzen, nämlich den Appell an Pferdemenschen, erhobenen Hauptes „Zivil- Courage“ zu üben: also „Mut aufzubringen für die eigene Überzeugung, wenngleich Widerstand oder Nachteile zu erwarten sind, sobald  die eigene Meinung offen und ohne Rücksicht auf mögliche negative Folgen geäußert wird“ – übrigens: Zivilcourage wird übersetzt mit „Bürgermut“! [Duden: Das Bedeutungswörterbuch]

Die Welt der Wissenschaftler aller möglichen Geschlechter hechelt auf der Rennbahn der Studien auf Jagd nach impact-Punkten durch die Arena der Publikationen, auf der manischen Suche nach stets neuen Begriffen und Definitionen am großen Tummelplatz des „Tierschutzes“.
Da der Terminus „Tierwohl“ mittlerweile von  Supermarktketten vereinnahmt und besetzt wurde, werden neue verbale Verunstaltungen ins „Netz (www.)“
geworfen, um die (angeblich) seit Jahrzehnten gerungen wurde: „Positiver Tierschutz – PAW - Positiv Animal Welfare“ – mit dem Ziele „ein positives Wohlergehen von Tieren“ zu erreichen.

Diese gekünstelte und sinnwidrige Sprache schadet in meinen Augen der „Sache“ mehr als sie ihr hilft:
– denn Tierschutz ist prinzipiell positiv, er kann jedoch unterlassen oder vernachlässigt werden.
Wohlergehen von Tieren ist prinzipiell positiv, ist es jedoch nicht gewährleistet, liegt ein „Unwohlsein“ [eine Störung des (körperlichen) Wohlbefindens; Duden: Bedeutungswörterbuch] oder ein „Mangel an Wohlbefinden“ vor – und nicht: Negativer Tierschutz oder Negativ Animal Welfare – beides ist eine contradictio in dictu!
–  Würde man den Gedanken der Studie „A consensus on the definition of  positive animal welfare“ [Biology Letters] zu Ende verfolgen, müssten
-    Ein positives Tierschutzgesetz
-    Ein negatives Tierschutzgesetz
-    und eine adaptierte Formulierung im Strafgesetz § 222 geschaffen werden,
    um einem advokatorischen Definitionsstreit vor Gericht zu entkommen.    


Tierschutz im Allgemeinen, und die Sorge und Gewährleistung für das Wohlbefinden von Pferden im Sinne einer Angewandten hippologischen Ethik ist nicht Sache des Staates oder seiner Behörden – es ist eine Obliegenheit für jeden Bürger – also Aufgabe und Pflicht für jeden Ehrenwerten: das wichtigste Instrument zur Erfüllung ist des Bürgers Mut – Zivilcourage; der Staat stellt mit Gesetzen, Verordnungen und Behörden die „Keule“ zur Verfügung: Wer nicht hören will, muss fühlen!“

Wie rief doch Martin Luther King am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington: „I have a dream!“

Als beachtenswerte Punkte für eines Pferdemenschen Mut im täglichen Leben, mit Pferden, die unbedingte Priorität haben sollten, erachte ich, als Beispiele,  folgende:

– Unabhängig von deren Haltung und Nutzung muss das Wohlbefinden der Pferde in Haltung, Arbeit, Zucht und sportlicher Verwendung jederzeit oberste Priorität haben.
– Bei sportlichem Einsatz und bei der Arbeit ist auf erkennbare Anzeichen mangelnder Losgelassenheit (Zähneknirschen, Schweifschlagen, Schlauchgeräusch, Einrollen, Verwerfen, Widersetzlichkeit usw.) zu achten, diese dürfen nicht ohne Korrektur überritten werden.
– Beim täglichen Training ist auf das Alter und den Reifegrad der Pferde und korrekten Reit- und Fahrstil zu achten. Die körperliche, geistige und psychische Reife ist bei Warmblutpferden erst um das sechste Lebensjahr erreicht.
– Überforderung beim täglichen Training in Form von körperlicher, psychischer und zeitlicher Über-Belastung ist Tierquälerei, wenn Vorsatz und bewusstes Handeln zugrunde liegen.
Pferden unter sechs Lebensjahren muss, älteren Pferden soll bei konzentrierter Arbeit unter dem Sattel oder im Geschirr alle zehn bis fünfzehn Minuten eine Schrittpause mit der Möglichkeit, sich zu strecken, geboten werden – Verlust des Schrittes, Verwerfen, Falscher Knick und Nachschwitzen sind Alarmsignale für Überforderung.
– Kinder und Jugendliche sind in ihrem Verhalten und Benehmen gegenüber Pferden stets von wissenden Leitpersonen zu führen und nötigenfalls umgehend konstruktiv zu korrigieren. Insbesondere Verwendung von Sporen und Gerten sind zu überwachen.
– Personen, die mit Pferden Umgang pflegen, müssen in der Lage sein, deren Befindlichkeit zu erkennen und zu beurteilen, im Zweifel sind vertiefend erfahrene Fachleute um Rat zu bitten.
– Bei der Ausbildung und Nutzung von Pferden dürfen nur solche Leistungen, Verhaltens- und Bewegungsabläufe verlangt werden, die für die Rasse und das Individuum von Natur aus angelegt und möglich sind – der Gangart „reiner SCHRITT“, der Beachtung von Lebensalter, individuellem Trainings- und Ausbildungsstand – geistig, psychisch, körperlich - ist stets hoher Stellenwert beizumessen.
– Verspätete Strafe ist immer ungeeignet, um eine Leistung zu erzwingen oder unerwünschtes Verhalten zu verändern; angebrachte, berechtigte und notwendige Korrekturen müssen augenblicklich und emotionslos erfolgen.
– Ausbildungsziele durch Zwang, Bestrafung oder Gewalt erreichen zu wollen, ist tierschutzwidrig und hat strafrechtlichen Charakter (Vorsatz!), unabhängig davon, wer dagegen verstößt.
– Hilfengebung muss dem Pferde gelehrt werden und in der Folge bekannt sein, um „abgerufen“ werden zu können, soll verständlich, ruhig und gleichbleibend wie konsequent erfolgen und dem Ausbildungsstand entsprechen.
– Vor jeder Nutzung ist ein Pferd durch kundige Überprüfung auf seinen Gesundheitszustand und die allgemeine Verfassung zu inspizieren.
– Ergibt die Prüfung der Gesundheit oder Leistungsfähigkeit Zweifel, ist das Pferd ohne Verzug einer vertiefenden, fachgerechten Untersuchung zuzuführen.
– Die gesamte Ausrüstung muss vor Beginn jeder Nutzung eines Pferdes für dieses jeweils individuell zweckdienlich, korrekt angepasst werden und in einwandfreiem, sicherem Zustand sein.
– Die Zäumung muss individuell passend und richtig eingestellt sein. Sie darf weder Atmung noch Maultätigkeit unterbinden oder behindern. Auf Verwendung einwandfreier, passender und gepflegter Gebisse und sicherer Zügel ist zu achten.
– Alle (Zwangs-)Maßnahmen, die zu übertriebener Bei-Zäumung (Hyperflexion) führen, sind tierschutzwidrig.


Jeder Mensch, der mit Pferden Kontakt pflegt, könnte als Eigeninitiative seinen Umgang mit Pferden nach diesem beispielhaften Katalog überprüfen und allfällige Abweichungen korrigieren und – ohne Scheu – die eigenen Verbesserungen mit anderen Pferde- und Reiterleuten besprechen – das wäre „Zivilcourage für Pferdeleute“ – bevor, ja, bevor mit dem Finger auf andere gezeigt wird oder hinter deren Rücken getuschelt, pardon, über soziale Medien Quatsch verbreitet wird.

Ein Influencer und seine Follower – wo Licht ist, ist auch Dunkel.


Gutachten, Entscheidungen, Patientenberichte, PPTs, Bilder und Lichtbilder, Grafiken sowie Literatur stammen aus dem Privatarchiv und ex libris Dris. Kaun.

Meine Aufsätze, Publikationen, Betrachtungen und Kommentare zur Klinisch angewandten, forensischen und ethischen Hippologie stellen, wenn nicht anders gekennzeichnet, meine persönliche Meinung dar und sollen Pferdeleuten unserer Tage zur persönlichen Orientierung und helfen und dienen.

Personen aus dem kommerziellen Umfeld der Pferdewelt (Veranstalter von Kursen und Lehrgängen, Autoren, Publizisten, Sachverständige oder Rechtsberufe) mögen die von Anstand und gutem Benehmen diktierte Regel, nicht zu stehlen, respektieren und deshalb Quellen gemäß der Zitiervorschriften benennen.

Sollten Leser meiner Schriften Einzelnes vertiefen wollen, so kann – unter den angeführten Bedingungen – aus dem reichen Fundus der Downloads von Unv. Lektor VetRat Mag. et Dr. med. vet. Reinhard Kaun auf www.pferd.co.at geschöpft werden – auch persönliche Kontaktaufnahme unter tierarztdr.kaun@pferd.co.at ist möglich – in sozialen Medien wird nicht verkehrt.   

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