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Pferde verbergen Zahnschmerzen besonders gut
11.02.2025 / News

Der Status der Zähne sollte regelmäßig von Spezialisten kontrolliert werden, um Probleme möglichst frühzeitig zu erkennen und es gar nicht erst zu Schmerzen kommen zu lassen.
Der Status der Zähne sollte regelmäßig von Spezialisten kontrolliert werden, um Probleme möglichst frühzeitig zu erkennen und es gar nicht erst zu Schmerzen kommen zu lassen. / Symbolfoto: Archiv

Viele Schmerzen sind Pferden buchstäblich ins Gesicht geschrieben und können mit Hilfe einer ,Skala des Schmerzausdrucks’ (HGS = Horse Grimace Scale) effektiv erkannt und beschrieben werden. Doch ausgerechnet bei Zahnschmerzen ist dieses Hilfsmittel offenbar wenig treffsicher, so eine aktuelle Studie aus Großbritannien.


Die ,Skala des Schmerzausdrucks’ (Horse Grimace Scale = HGS) ist ein auf Gesichtsausdrücken basierendes Schmerzbeurteilungsinstrument, das bestimmte Gesichtspartien und deren Veränderungen bewertet, darunter: steif nach hinten angelegte Ohren, Anspannung der Augenhöhlen, glasiger oder zurückgezogener Ausdruck, Anspannung von Maul und Lippen, angespannte Nüstern, generell erhöhte Spannung der Gesichtsmuskulatur.

Obwohl die ,Skala des Schmerzausdrucks’ erfolgreich zur Beurteilung von Schmerzen im Zusammenhang mit Lahmheit, Koliken und Kastrations-OPs eingesetzt wurde, war seine Effektivität bei der Erkennung von Zahnschmerzen bislang ungewiss – und es gab dazu auch keinerlei wissenschaftliche Evidenz. Das wollte ein Forscherteam der Fakultät für Veterinärmedizin und -wissenschaften der Universität Nottingham ändern und führte erstmals eine gezielte Untersuchung zu der Frage durch, inwiefern HGS ein zuverlässiges Instrument zur Erkennung von Zahnschmerzen bei Pferden sein könnte.

Zahnerkrankungen sind bei Pferden durchaus ein häufiges Problem, wobei Erkrankungen wie EOTRH (Equine Odontoclastic Tooth Resorption and Hypercementosis, übersetzt etwa: odontoklastische Zahnresorption und Zementwucherung bei Pferden) und Zahnfleisch-Entzündungen (Parodontitis = PD) als besonders schmerzhaft gelten.

Angesichts der Bedeutung einer genauen Schmerzbeurteilung führte das Forscherteam rund um Dr. Amelia E. Sidwell eine Studie durch, um die Nützlichkeit der ,Horse Grimace Scale’ und einer numerischen Bewertungsskala (numerical rating scale = NRS) zur Beurteilung von Zahnschmerzen bei Pferden, die nachweislich an diversen Zahnerkrankungen litten, zu bewerten und zu vergleichen.

Die Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Pool House Equine Hospital durchgeführt wurde, wollte im Wesentlichen herauszufinden, ob eine auf Gesichtsausdrücken basierende Schmerzskala (HGS) eine objektive Bewertung von Schmerzen in Zahnbehandlungen bei Pferden ermöglicht. Ein weiteres Ziel war es, herauszufinden, ob bestimmte Zahnerkrankungen mit stärkeren Schmerzen verbunden sind.  

In die Studie wurden insgesamt 12 Pferde einbezogen, die zur Zahnextraktion in eine spezialisierte Pferdeklinik eingeliefert worden waren.  Zu den gestellten Diagnosen gehörten: Backenzahnfraktur (5 Fälle), Infektionen der Zahnwurzel-Spitzen (3 Fälle), Zahn-Fehlentwicklungen (2 Fälle), Zahnfleisch-Entzündungen (Parodontitis – 1 Fall), Zahnresorption und Zementwucherung bei Pferden (EOTRH – 1 Fall).

Jeder Fall wurde von einem erfahrenen Kliniker anhand der HGS und einer numerischen Bewertung auf Schmerzen untersucht. Darüber hinaus wurden Fotos des Pferdekopfs mit Gesichtsausdrücken in einen Fragebogen aufgenommen, der zur Bewertung an Pferdetierärzte, -pfleger und Tiermedizinstudenten im letzten Studienjahr weitergeleitet wurde. Insgesamt konnten so 31 Fragebögen – davon 22 Tierärzte, vier Tiermedizinstudenten sowie fünf Tierpfleger – in die Auswertung einbezogen werden.

Das Forscherteam stellte fest, dass zwischen den einzelnen Beobachtern, die beide Schmerzskalen verwendeten, eine schlechte Korrelation bestand, was auf eine geringe Zuverlässigkeit bei der Beurteilung von Zahnschmerzen hindeutet. Die höchsten mittleren Schmerzwerte waren mit Parodontitis und EOTRH verbunden, was mit der vorhandenen Literatur über die schmerzhafte Natur dieser Erkrankungen übereinstimmt.

Sie kamen zu dem Schluss, dass Instrumente zur Identifizierung akuter Schmerzen (wie HGS) für die Beurteilung chronischer Schmerzen wie Zahnschmerzen offenbar unzuverlässig sind. Eine mögliche Erklärung, so die AutorInnen: „Es kann sein, dass Pferde mit Zahnerkrankungen keine für Kliniker erkennbaren Gesichtsausdrücke von Schmerzen zeigen, insbesondere in Anwesenheit eines Beobachters, oder dass Kliniker nicht über die Fähigkeiten verfügen, schmerzbezogene Gesichtsmerkmale ohne weitere Schulung genau zu bewerten, insbesondere da diese mit anderen negativen emotionalen Zuständen verwechselt werden könnten.“ Sie empfahlen daher die Entwicklung eines spezifischen Ethogramms für Zahnschmerzen bei Pferden, um diese genauer bewerten und beurteilen zu können.

Die AutorInnen wiesen auch auf einige limitierende Faktoren der vorliegenden Untersuchung hin: So weist die Studie nur eine kleine, nicht repräsentative Stichprobengröße von Pferden und Fragebogenteilnehmern auf, darüber hinaus wurden keine positiven oder negativen Kontrollen für die Schmerzbewertung verwendet. Die Aussagekraft sei daher noch in weiteren Studien zu überprüfen.

Dennoch sollte das vorliegende Ergbebnis vor allem Tierärzte zum Nachdenken anregen, so die AutorInnen abschließend: „Die Ergebnisse der Fragebögen zeigen, dass Veterinäre im Allgemeinen glauben, Zahnschmerzen bei Pferden gut erkennen zu können. Die schlechte Interobserver-Reliabilität sowohl des NRS als auch des HGS deutet jedoch darauf hin, dass Tierärzten die Werkzeuge fehlen, um Schmerzen objektiv zu messen, und dass zwischen verschiedenen Veterinärfachleuten wenig Übereinstimmung besteht. Darüber hinaus besteht offenbar die Möglichkeit einer Desensibilisierung gegenüber Schmerzen mit zunehmender Erfahrung. Tierärzte sollten sich dessen bewusst sein.“

Ihr abschließendes Resümee: „Insgesamt zeigt diese Studie, dass das HGS möglicherweise kein geeignetes Instrument ist, um Zahnschmerzen bei Pferden durch ungeschulte Beobachter objektiv zu erkennen oder zu messen. Daher sind weitere Arbeiten erforderlich, um das Verhalten von Pferden mit Zahnerkrankungen besser zu verstehen und Instrumente zur Bewertung von Zahnschmerzen in einem klinischen Umfeld zu entwickeln.“

Für Pferdebesitzer kann die Schlussfolgerung freilich nur lauten: Möglichst regelmäßig mit seinem Vierbeiner zur Zahnkontrolle beim Spezialisten, um Zahnprobleme frühzeitig zu erkennen – und es gar nicht erst zu Schmerzen kommen zu lassen!

Die Studie „Application of the horse grimace scale in horses with dental disease: Preliminary findings" von Amelia E. Sidwell, Marco Duz, Bradley Hill, Sarah Freeman und Sam L. Hole ist am 9. Nov. 2024 in der Zeitschrift ,VetRecord' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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