Ihr wisst ja: Als Pferdemensch ist man nie zu alt, um dazuzulernen und eine Erfahrung reicher zu werden. Das habe ich mir unlängst wieder gedacht, als ich im Zuge von Trainingseinheiten zwei bemerkenswerte ,Aha-Erlebnisse‘ hatte.
Wie Ihr wisst, haben wir bei beim Bau unseres Hofes Gastboxen für Kurse oder auch Tages- bzw. Wochen-Gäste mitgeplant. Und ich muss sagen, dass es wirklich sehr gut anläuft.
Eine Stute mit Besitzerin kam für ein paar Trainingstage auf den Hof. Eigentlich wollten die beiden schon einen Tag früher kommen, doch die Stute wollte nicht in den Hänger einsteigen – und irgendwann haben ihre Menschen kapituliert.
Neuer Tag – neuer Versuch, und siehe da: Diesmal klappte es! Und so begannen wir unsere Trainingstage halt etwas später …
Wie drücke ich es am Besten aus – die Stute hatte neben ihren körperlichen Themen auch noch die Thematik, dass sie sich kaum bis gar nicht hinlegt. So fehlt ihr die tiefe Regeneration und wir kennen das sicher alle von uns, wenn wir durch Schlafmangel so richtig überdreht sind. Vielleicht denken sich jetzt manche: Pferde können ja auch im Stehen schlafen! Stimmt schon – doch um sich richtig zu erholen und zu entspannen, sollten sie sich auch hinlegen. Stell Dir vor Du bist ständig „auf den Beinen“, dann freust Du Dich auch mal über einen Sessel oder möchtest Dich irgendwann einfach nur noch hinlegen!
Zu ihrem Überdreht-Sein kam noch dazu, dass die Stute und ihre Besitzerin – ich will es mal so sagen – in zwei verschiedenen „Ländern" befanden, also nicht die gleiche Sprache gesprochen haben.
Was meine ich damit? Stell Dir vor, Du wirst als Steirerin plötzlich nach Japan gebeamt und kannst kein Wort Japanisch, kannst auch die Schriftzeichen deuten. Es ist völlig klar, dass es da zu Missverständnissen kommt und der Stress gleichsam vorprogrammiert ist.
Genau das war auch bei der Stute und ihrer Besitzerin der Fall. Wir legten daher in unseren Trainingseinheiten neben körperlichen Übungen sehr viel Wert auf das Lernen einer gemeinsamen Sprache zwischen den beiden. Und es war gigantisch, wie sich ihre Beziehung Schritt für Schritt änderte.
Und siehe da: In der zweiten Nacht schlief die Stute im Liegen! Yeahhh – wie gigantisch ist das denn!!!!!
Aus dem Grund empfehle ich jedem meiner Schüler, ein Trainingstagebuch zu führen. Denn wie oft schnalzen wir mit der Zunge – und hat das wirklich nur eine Bedeutung …?
Das führt mich gleich zum nächsten Beispiel.
Ein weiteres Pferd-Besitzer-Paar war bei mir zum Training, und beim Ankommen merkte man schon, dass auch diese Stute quasi „auf 180“ war. Also holte ich den Pulsmesser und ihr Puls war auf 90 – ein normaler Ruhepuls liegt ca. bei 30-35. 90 ist eigentlich schon schneller Trab oder bei trainierten Pferden auch Galopp. Natürlich hängt der Puls vom Trainingszustand ab. Doch beim Ruhepuls gibt es nicht so massive Schwankungen.
Schnell merkte ich, dass die Besitzerin immer wieder mit der Zunge schnalzte, egal ob das Pferd vorwärts oder rückwärts gehen sollte. Naja der Körper und die Zeichen sprechen was anderes als die Sprache – also kann sich die Stute aussuchen, wonach sie sich richtet und wie sie reagiert? Nein, natürlich nicht – denn sie soll ja unserer Anweisungen folgen. Aber welchen?
Nachdem wir auch hier an der „gemeinsamen Sprache“ gearbeitet haben, sank der Puls kontinuierlich. Man merkte, dass das Pferd plötzlich ankam und endlich mal entspannen konnte. Auch nach der Trainingseinheit verharrte die Stute noch am Viereck und ihr Puls war jetzt ein normaler Ruhepuls von 30.
Es ist schon genial, was eine so „kleine“ Sache bewirken und welch große Veränderung und Erleichterung sie für Pferd und Besitzer bringen kann!
An jedem wirklich nur ein Büchlein, wo ihr groß draufschreibt „Trainingswörterbuch“ und Euch Eure „Vokabeln“ darin aufschreibt. Wenn ihr dabei Hilfe braucht, bin ich natürlich gerne für Euch da!
Eure
Gundula
Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. Außerdem wirkt sie im Team von Dr. Tuuli Tietze und den SMARTen Vorreiterinnen als lizenzierte Trainerin mit. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie auf ihrem ProPferd-Blog Einblick!