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Experten-Report: Der Weg zum Pferdewohl im Sport ist noch weit
15.05.2025 / News

Viele Sportpferde sind weit vom ,happy athlete
Viele Sportpferde sind weit vom ,happy athlete' entfernt, den die Präambel der FEI eigentlich fordert – zu diesem traurigen Resümee kommt der unabhängige Experten-Report. / Symbolfoto: Fotolia/Kseniya-Abramova

Beim FEI Weltcup-Finale in Basel (2.–6. April 2025) hat erstmals ein unabhängiges Experten-Team hinter die Kulissen geblickt und beobachtet, ob zentrale Tierschutz- und Tierwohl-Standards eingehalten wurden. Nun liegt der Abschlussbericht vor – der über weite Strecken ernüchternd ausfällt.

 

Grundsätzlich muss man von einem sehr positiven und begrüßenswerten Schritt sprechen: Die Veranstalter des diesjährigen FEI Weltcup-Finales in den Disziplinen Springen, Dressur und Voltigieren in Basel (2.–6. April) wollten die vielerorts üblichen Lippenbekenntnisse in Sachen Tierwohl und Tierschutz im Pferdesport hinter sich lassen und stattdessen Taten setzen.

Turnierorganisator Thomas Straumann suchte die Zusammenarbeit mit einem externen Experten-Team und wurde schließlich bei der 2024 gegründeten Initiative ,R-haltenswert’ fündig, die sich insbesondere für das Pferdewohl im Turniersport einsetzt, um dessen soziale Akzeptanz auch in Zukunft sicherzustellen – frei nach dem Motto: Pferdesport ist entweder pferdefreundlich, ethisch und nachhaltig – oder ein Sport ohne Berechtigung und ohne Zukunft.

Im Rahmen eines Pilotprojekts schickte ,R-haltenswert’ ein dreiköpfiges EQC-Team (Equine Quality Control) nach Basel, um – ergänzend zu den offiziellen FEI-Stewards – auf den Abreiteplätzen das Warm-up der Turnierpferde zu beobachten und zu dokumentieren. Dabei sollte im Wesentlichen darauf geachtet werden, ob die im Sport geltenden Tierschutzstandards nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch tatsächlich ,gelebt’ und eingehalten und von den Stewards auch eingemahnt werden.

Nun hat ,R-haltenswert’ seinen umfassenden Abschluss-Report veröffentlicht – und dieser ist nicht nur außerordentlich spannend und interessant, sondern macht auch deutlich, dass der Pferdesport insgesamt noch einen weiten Weg bis zu einer breiten und im Idealfall lückenlosen Einhaltung der Tierwohl-Standards zurücklegen muss.

Die drei EQC-Beobachter – allesamt Pferdewirtschaftsmeister oder selbst im Spitzensport aktiv – achteten insbesondere darauf, ob die Pferde auf den Vorbereitungsplätzen Konflikt- bzw. Stressverhalten oder Signale von Unwohlsein zeigen. Derartige Zeichen können z.B. aufgesperrte Mäuler, Schweifschlagen oder Farbveränderungen auf der Zunge sein, auch am Gesichtsausdruck lassen sich Druck- und Stress-Signale ablesen. All diese Anzeichen wurden vom EQC-Team genau registriert und auch fotografisch dokumentiert.

Das Resümee fällt für viele ReiterInnen wenig schmeichelhaft aus – auch wenn, wie ausdrücklich betont wird, niemand persönlich genannt und kritisiert wurde. Der Gesamteindruck in den drei Disziplinen war oftmals ernüchternd. So heißt es zur Dressur wörtlich:

Die Pferde wurden in den ersten Momenten der jeweiligen Aufwärmphase in der Regel noch recht harmonisch vorbereitet. Im weiteren Verlauf entstand aus dem ersten positiven Eindruck in Folge von strengen technischen Korrekturen und intensivem, teils sehr unnatürlich wirkendem Ausformen der Grundgangarten immer häufiger negative Spannung. Insbesondere im näher rückenden Dunstkreis der anstehenden Prüfung stieg der Stresspegel, der sich durch disharmonische Korrekturmomente zum Ausdruck brachte, die mit steigender Spannung in unverhältnismäßig starkem Druck auf das Maul der Pferde sichtbar wurde und durch gestresst wirkende, oftmals laute Atmung zu hören war. Sperrende Unterkiefer und sichtbar stark gedrückte Zungen verleihen den sehr dynamischen und athletischen Bewegung den schalen Beigeschmack der Überforderung und teils unschönen Behandlung der Pferde."

Und weiter: „Hinzu kam, dass die Kandare in vielen Fällen nicht korrekt verschnallt wurde. Strotzende oder durchfallende Kinnketten trugen sichtlich zur Verschlechterung der Anlehnung im Sinne eines zufriedenen lebendigen Mauls und eines weichen geschmeidigen Genicks bei. Nach unserem Dafürhalten wurde sowohl auf die Thematik der unkorrekt verschnalltem Zäumungen, als auch auf die vielfach zu eng eingestellte Kopf-Hals-Haltung seitens der Stewards deutlich zu wenig geachtet, bzw. Einfluss genommen, dies betrifft auch sichtbar verfärbte Zungen einiger Pferde."

Doch auch die Behandlung der Springpferde ließ zu wünschen übrig. Hierzu heißt es im Report: „Der reiterliche Umgang mit den Springpferden wirkte im Vergleich mit den Dressurpferden zunächst gelassener und toleranter. Ein erster dominanter Eindruck war leider, dass viele Pferde optisch sehr über die Zäumung definiert waren. Das Gesicht vieler Pferde bekamen wir nicht so leicht zu sehen. Masken, viele Lederriemen, viele Hebelgebisse, Martingal und Schlaufzügel - auch Schlaufzügel durch den Pelhamriemen – bestimmten das Erscheinungsbild. (...) Die Pferde werden im Warm-Up vor einer Prüfung für den Parcours vorbereitet, das Reiten hatte oftmals keinen gymnastizierenden Charakter. Die Zäumung diente eher der Kontrolle im Parcours. Einige Reiter machten den Eindruck, dass sie besonders das Anreiten und Überreiten der Hindernisse exzellent beherrschen, andere reiterliche Fähigkeiten waren in dieser Zeit bei der Mehrheit der Reiter kaum zu erkennen oder wurden im Turnierverlauf an Mitarbeitende delegiert. Auch falsch verschnallte Sporen (über die horizontale Linie nach oben zeigende Sporen) waren für dieses sportliche Level erstaunlich oft zu sehen.

Das Abspringen verlief trotz vieler Pferde auf engem Raum und vieler Betreuer rund um die Hindernisse zwischenmenschlich in stets ruhigem und respektvollem Miteinander.

Eindrücklich geblieben ist der auffällig häufige Gebrauch von Korrekturzügeln, aufwändigen Zäumungen und Hebelgebissen. Schlaufzügel wurden zum Spazierenreiten, Arbeiten der Pferde, sowie Prüfungsvorbereitung inklusive Abspringen bis hin zu Höchstabmessungen verwendet."

Resümierend heißt es: „Dieser auf diese Art und Weise betriebene Springsport erweckte bei uns den Eindruck eines Mikrokosmos, der vollkommen vergessen hat oder mittlerweile aktiv ausblendet, welche Verantwortung und Verpflichtung er gegenüber dem Pferd, aber auch gegenüber der Außenwirkung des Reitsports an sich hat."

Auch in der Disziplin Voltigieren gab es Beanstandungen. So heißt es im Report: „Die Pferde wurden auch alternativ zur Longenarbeit geritten, leider auch teilweise mit Schlaufzügeln. Die gymnastische Ansprache fiel qualitativ sehr unterschiedlich aus, einige Pferde machten einen beweglichen, motivierten und durchlässigen Eindruck, andere waren unbeweglicher, oder auch sichtbar eingeschränkt und entsprechend weniger gut vorbereitet.

Die gängige Variante der Longenarbeit fand über das Ausbinden mit langen Dreieckszügeln statt, die Longe im Gebissring verschnallt (Kappzaum wäre mit und ohne Gebiss erlaubt). Wir konnten nicht nachvollziehen, warum die Longenführenden keine Handschuhe trugen, das machte einen unprofessionellen Eindruck."

In der weiteren Folge werden vier zentrale ,dringende Beanstandungen' eingehend beschrieben, die man auf den Abreiteplätzen beobachtet hatte, nämlich

– Bewegungs- und Zungenauffälligkeit
– eingeschränkt wirkende Luftzufuhr
– zu eng verschnalltes Reithalfter und Zungenfehler
– zuviel Druck auf Unterkiefer durch falsch verschnallte Kinnkette

Dabei betonen die Autoren, dass „die vier hier geschilderten Fallbeispiele eine Ausprägung der bereits eingangs geschilderten systematischen Defizite darstellten und hier in aller Deutlichkeit gefragt werden muss, wie es überhaupt zu derartigen Tierwohlbeeinträchtigungen kommen kann, die dem Grunde nach gerade durch die Anwesenheit der Stewards vermieden werden sollen." Diese griffen aber, wie es im Bericht heißt, trotz Aufforderung durch das EQC-Team nicht ein. Im Report heißt es dazu: „Hier wurden strukturelle Missstände offenbar, aus denen dringender Handlungsbedarf abgeleitet werden muss."

Für André Hascher von der Initiative ,R-haltenswert' ist klar: „Wir haben systemische Probleme mit dem Pferdewohl. Wir müssen alle zusammen dringende Veränderungen herbeiführen – und vor allem muss die FEI aufhören wegzuschauen."

Die Experten von ,R-haltenswert' bieten in ihrem Report auch konstruktive Vorschläge für die Überarbeitung der FEI-Richtlinien, um die beobachteten strukturellen Defizite zu beseitigen. Das FEI-Regelwerk müsse diesbezüglich dringend angepasst werden. 

Vor allem aber heißt es zusammenfassend: „Der alles entscheidende Faktor bleibt die korrekte Umsetzung. Eine transparente und öffentlichkeitswirksame Prüfung dieser Umsetzung mit entsprechendem Qualitätssiegel kann die Einhaltung aufwerten und die Gewöhnung an Schwächen offenlegen. Auch diese Prüfung muss unabhängig geschehen.

Die vielen positiven und dankenden Rückmeldungen im Verlauf der Tätigkeit für die Organisation R-haltenswert bestärken unsere Wahrnehmung darin, dass die aktuellen Themen im Reitsport eine hohe Aktualität und Wichtigkeit – und damit eine große Tragweite haben.

Dies ist eine Tragweite, welche weit über den Pferdesport hinausreicht. Alle Akteure im Pferdesport müssen sich der Verantwortung bewusst sein, dass sie in ihrem Verhalten und dessen Außenwirkung auch außerhalb des Pferdesports wahrgenommen werden.

Die größte Gefahr für die dringend gebotene Einhaltung des Wohles der Pferde ist der Glaube, man hätte dafür bereits genügend getan."

Dem ist nichts hinzuzufügen ...

Der vollständige Report der Initiative ,R-haltenswert' zum Weltcup-Finale in Basel 2025 steht in deutscher und englischer Sprache hier zum Download zur Verfügung.

 

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