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Baldrian, Kamille & Co: Beruhigende Futterzusätze für Pferde
21.05.2025 / News

Viele Situationen und Umstände können bei Pferden Stress und Nervosität auslösen, eine detaillierte Analyse der Ursachen sollte immer an erster Stelle stehen.
Viele Situationen und Umstände können bei Pferden Stress und Nervosität auslösen, eine detaillierte Analyse der Ursachen sollte immer an erster Stelle stehen. / Symbolfoto: Archiv Dr. Reinhard Kaun

Hier ein Überblick, welche Inhaltsstoffe in Futterergänzungen beruhigend wirken und was man vor der Auswahl oder Verabreichung eines Produkts an Pferde beachten sollte.


Es gibt eine breite Palette an Situationen, in denen Pferde aufgeregt, unkonzentriert, gestresst und nervös sind – z. B. bei bestimmten Trainingssituationen oder Turniereinsätzen, Schwierigkeiten oder Abneigungen gegenüber medizinischen Eingriffen, beim Beschlagen, bei Verlade- und Transportproblemen, Trennungs- oder Absetzstress, Stereotypien und vielem mehr. In besonders schlimmen Fällen wird dann ein schnell wirkendes Beruhigungsmittel verabreicht – oder sogar der Tierarzt gerufen, um eine Sedierung vorzunehmen, was aber zweifellos keine Dauerlösung ist.

In vielen Fällen versuchen es die PferdebesitzerInnen mit beruhigenden Inhaltsstoffen, wie sie in zahlreichen Futterzusätzen und Nahrungsergänzungen enthalten sind. Dabei handelt es sich nicht um chemische Beruhigungsmittel, sondern um Produkte, die Pferden helfen sollen, konzentriert zu bleiben und weniger gestresst und nervös zu sein.

Sue McDonnell, PhD, Cert. AAB, Gründerin und Leiterin des ,Equine Behavior Program’ an der Fakultät für Veterinärmedizin der Universität von Pennsylvania in Kennett Square (USA), meint im Interview mit dem Portal ,The Horse’, dass sie wöchentlich mehrere Anrufe von Tierärzten erhält, die nach Empfehlungen für derartige beruhigende Mittel suchen. Tatsächlich können bestimmte Inhaltsstoffe in Futterzusätzen hilfreich sein, damit Pferde mit für sie herausfordernden Situationen besser und entspannter umgehen können – und so auch für ihre BesitzerInnen sicherer werden.

Bevor man aber zu derartigen Mitteln greift, sollte man sein nervöses Pferd und seine Umgebung genauer analysieren, so Sue McDonnell: Da Pferde Kampf-oder-Flucht-Tiere sind, greifen sie in Stresssituationen oft auf ihre Instinkte zurück – sie sind evolutionär gleichsam darauf programmiert, vor neuen Umständen oder Bedingungen, die außerhalb ihrer gewohnten Routine liegen, zu fliehen. Wenn ihnen das nicht gelingt, drücken sie ihre nervöse Energie oft auf unangenehme Weise aus.

Als Pferdebesitzer können und sollen wir versuchen, ein Ventil für diese Energie zu finden, so Sue McDonnell weiter. Das kann schon etwas Einfaches sein, wie zusätzliche Weidezeit zu gewähren oder ein Pferd vor dem Reiten zu longieren. Darüber hinaus kann das Konfrontieren mit verschiedenen Situationen dazu beitragen, sie gegenüber neuen Umständen zu desensibilisieren und sie insgesamt toleranter und ,cooler’ zu machen. Wenn man bei diesem Prozess Hilfe benötigt, sollte man nicht davor zurückscheuen, die Zusammenarbeit mit erfahrenen TrainerInnen zu suchen. Diese Fachleute können Pferden helfen, ihre Nervosität zu überwinden und Besitzern und Reitern Trainings- und Haltungsempfehlungen geben.

McDonnell empfiehlt außerdem eine Beurteilung des Gesundheitszustands des Pferdes, um sicherzustellen, dass das problematische Verhalten des Pferdes nicht auf medizinische Ursachen zurückzuführen ist. So können beispielsweise Erkrankungen wie Magengeschwüre Verhaltensprobleme nach sich ziehen können, auch Pferde, die aufgrund einer Verletzung Schmerzen haben, können unerwünschtes oder gar aggressives Verhalten zeigen.

Die Bewertung der Ernährung eines Pferdes vor der Zugabe eines Beruhigungsmittels ist ebenfalls sehr wichtig, da verschiedene Nahrungsbestandteile das Verhalten beeinflussen können: Ungleichgewichte und Mängel bestimmter Nährstoffe können zu Verhaltensstörungen beitragen. In diesen Fällen kann ein Futterzusatz, der einen dieser fehlenden Nährstoffe enthält, hilfreich sein. Auch hier ist es empfehlenswert, mit einem/r PferdeernährungsberaterIn zusammenzuarbeiten, um die Ernährung seines Pferdes zu beurteilen und festzustellen, ob evtl. Über- oder Unterernährung vorliegt und möglicherweise Verhaltensprobleme verursacht oder verstärkt.

Erst wenn all diese begleitenden Umstände abgeklärt sind, sollte man auf beruhigende Mittel bzw. Inhaltsstoffe zurückgreifen. Sue McDonnell hat im Folgenden einige der gängigsten und wirksamsten natürlichen Beruhigungsmittel auf dem Markt zusammengestellt – die ersten drei sind darauf ausgelegt, bestimmte Mängel zu beheben, während die letzten vier lediglich hilfreiche Ergänzungsmittel sind.

Magnesium
Magnesium ist ein wichtiger Nährstoff in beruhigenden Nahrungsergänzungsmitteln. Es wird oft schlecht aus dem Futter aufgenommen, daher kann eine Supplementierung erforderlich sein, um den Bedarf des Pferdes zu decken. Magnesium ist wichtig für die Muskelkontraktion und die Nervensignalübertragung. Fehlfunktionen des Nervensystems können dazu führen, dass Pferde nervös, gereizt oder besonders empfindlich auf neue Situationen reagieren. Lassen Sie die Ernährung Ihres Pferdes von einem qualifizierten Pferdeernährungsberater beurteilen und geben Sie gegebenenfalls Magnesium hinzu. Bei einem echten Mangel sollten Sie innerhalb weniger Tage nach Beginn der Magnesiumgabe eine Verhaltensänderung feststellen.

L-Tryptophan
L-Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure und muss daher über die Nahrung des Pferdes zugeführt werden – der Körper des Pferdes kann es nicht selbst produzieren. L-Tryptophan ist an der Synthese von Serotonin beteiligt, einem Hormon des zentralen Nervensystems und Neurotransmitter, der Gefühle der Entspannung und Zufriedenheit hervorrufen kann und oft als Anti-Stress-Hormon gilt.¹ „Ein Problem bei der Verwendung von L-Tryptophan ist, dass es in Pferdeprodukten meist in Kombination mit einem oder mehreren anderen Inhaltsstoffen vorkommt, für deren Sicherheit und Wirksamkeit es kaum oder keine fundierten Belege gibt“, warnt McDonnell. „Die wichtigste Botschaft für die Verwendung von L-Tryptophan als Beruhigungsmittel ist daher meiner Meinung nach, ein Produkt zu finden, das L-Tryptophan als einzigen Wirkstoff enthält.“

B-Vitamine
Mehrere B-Vitamine wirken zusammen, um die Gesundheit des Nervensystems zu fördern. Die meisten Pferde mit einer gesunden Dickdarmmikrobenpopulation produzieren ausreichende Mengen dieser Nährstoffe. Stärkereiche Ernährung, Stress und Antibiotikagabe können jedoch die Mikrobenpopulation reduzieren und somit die Vitaminproduktion verringern. Die Gabe von Präbiotika und Probiotika oder die Ergänzung einzelner B-Vitamine kann helfen. Thiamin (Vitamin B1) ist eines der B-Vitamine, das im Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel eine Rolle spielt. Pferde mit B1-Mangel wirken oft gestresst und nervös. Eine Ergänzung der Ernährung mit diesem Vitamin kann zu positiven Verhaltensänderungen führen.

Alpha-Casozepin
Das Milchpeptid Alpha-Casozepin hat sich als beruhigendes Nahrungsergänzungsmittel bewährt. Einige der Aminosäuren in diesem Protein werden mit der beruhigenden Wirkung in Verbindung gebracht, die beim Säugen junger Säugetiere beobachtet wird. Die Struktur von Alpha-Casozepin ähnelt der einiger angstlösender Benzodiazepine (Sedativa aus angstlösenden Medikamenten) und scheint auch wie diese zu wirken. Es scheint jedoch keine der bei Benzodiazepinen manchmal beobachteten Nebenwirkungen (Unruhe, Koordinationsstörungen und sogar Schwerfälligkeit) zu verursachen. Dieses Peptid wurde auch an anderen Tierarten wie Ratten, Katzen und Hunden untersucht, und Forscher konnten positive Auswirkungen auf Stress und Angst feststellen. In McDonnells Labor führten Forschungsteams mehrere Alpha-Casozepin-Studien durch und fanden heraus, dass eine Supplementierung dazu beiträgt, den Stresspegel von Pferden unter normalen Managementbedingungen zu senken und ihnen das Behalten neu erlernter Aufgaben zu erleichtern.²

Ashwagandha (Schlafbeere)
Ashwagandha (Withania somnifera/Schlafbeere) ist ein Kraut, das sowohl bei Menschen als auch bei Tieren als natürliches Antidepressivum eingesetzt wird. Erfahrungsberichte deuten darauf hin, dass es Stress und Anspannung reduzieren kann, indem es die Kampf-oder-Flucht-Reaktion von Cortisol (dem Stresshormon) reduziert. Einige Besitzer berichten von einem Rückgang von Stereotypen wie Koppen und Weben, nachdem sie die Ernährung ihrer Pferde mit Ashwagandha ergänzt haben. Das Kraut könnte auch Schmerzen lindern, beispielsweise bei Sportverletzungen oder Arthritis. Wissenschaftler haben jedoch noch keine Peer-Review-Studien durchgeführt, um dies zu bestätigen.

Auch dieser Hinweis sei angebracht: Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat in einer Mitteilung vom September 2024 vor den möglichen Gesundheitsrisiken von Schlafbeeren-Präparaten für Kinder, Schwangere, Stillende sowie Personen mit einer Lebererkrankung gewarnt: Die oftmals versprochenen positiven Wirkungen seien „wissenschaftlich nicht belegt und die gesundheitlichen Risiken, die mit der Einnahme dieser Pflanzenzubereitungen verbunden sein können, bisher nicht gut untersucht. Mit Blick auf die momentan verfügbaren Erkenntnisse empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) insbesondere Kindern, Schwangeren und Stillenden sowie Personen mit einer bestehenden oder früheren Erkrankung der Leber keine Ashwagandha-Präparate einzunehmen. Aufgrund mangelnder Daten und Kenntnislücken rät das BfR auch anderen Teilen der Allgemeinbevölkerung zur Zurückhaltung bei der Einnahme dieser Mittel.“

Baldrianwurzel
Baldrianwurzel ist ein weiteres häufig in beruhigenden Produkten enthaltenes Kraut. Beim Menschen kann es Nervosität lindern, Angstzustände reduzieren und schlaffördernd wirken. Bei Pferden wird es auch als krampflösendes Mittel (zur Behandlung von Koliken) eingesetzt. Einige Pferdeverbände haben diese Zutat jedoch verboten, sodass es für Turniere möglicherweise nicht geeignet ist. Darüber hinaus kann Baldrian die Wirkung synthetischer Beruhigungsmittel oder Tranquilizer verstärken. Man soll es daher keinem Pferd verabreichen, das für Eingriffe wie Zahnbehandlungen oder das Scheren des Körpers ein Beruhigungsmittel benötigt.

Kamille
Ein weiteres häufig verwendetes pflanzliches Heilmittel ist die Kamille aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Für die beobachtete beruhigende und sedierende Wirkung ist Apigenin, der in Kamille in relativ großen Mengen vorkommende Pflanzennährstoff, verantwortlich. Obwohl die Kamille mehrere Blütenarten umfasst, werden die deutschen und englischen Sorten am häufigsten zur Beruhigung eingesetzt. Beim Menschen wird Kamille zur Behandlung von Schlaflosigkeit und Angstzuständen eingesetzt. Sie wirkt zudem entzündungshemmend und durchfallhemmend – ein potenzieller zusätzlicher Vorteil für nervöse Pferde. Zu beachten ist jedoch: Viele Pferdeverbände verbieten die Verwendung von Beruhigungsmitteln, selbst von natürlichen wie Kamille.

Resümee
Pferdebesitzer sollten die möglichen Ursachen für das unerwünschte Verhalten ihres Pferdes gründlich prüfen, bevor sie ein Beruhigungsmittel ausprobieren. Schließen Sie zunächst gesundheitliche Probleme, Trainingsprobleme und unausgewogene Ernährung als Ursachen aus. Wenn Sie sich für ein Beruhigungsmittel entscheiden, achten Sie darauf, dass es wissenschaftlich belegt ist und seine Wirksamkeit, Sicherheit und Zulassung für Wettkämpfe Ihrer Rasse und/oder Disziplin belegt.

Insgesamt empfiehlt Sue McDonnell, nur solche Nahrungsergänzungsmittel zu verwenden, deren Inhaltsstoffe in verblindeten, von Experten begutachteten Studien positive Ergebnisse gezeigt haben: „Das Vertrauen in eine unbewiesene oder unwirksame Behandlung kann die Sicherheitsrisiken für Mensch und Pferd erhöhen. Aus Sicht des Pferdewohls sollten nur bekannte und sichere Behandlungen angewendet werden.“

Ihr ganz persönlicher Tipp: Probieren Sie jedes Nahrungsergänzungsmittel zunächst an einem normalen Tag zu Hause aus, um die Wirkung bei Ihrem Pferd zu beurteilen, bevor Sie es in einer Stresssituation auf dem Hof oder unterwegs anwenden. Probieren Sie jeweils nur ein Produkt aus, um die Wirksamkeit zu prüfen und sicherzustellen, dass keine Nebenwirkungen auftreten.

 

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