Pferde-Mimik viel ausgefeilter und komplexer als bislang angenommen 01.06.2025 / News
Die Gesichtsausdrücke von Pferden sind erheblich variantenreicher und vielseitiger als bislang angenommen und helfen Pferden dabei, auch Signale wie den Unterschied zwischen Aggression und Spiel zu kommunizieren, so eine bahnbrechende britische Studie.
Die Mimik ist für Pferde ein wichtiger Mechanismus, um emotionale Zustände auszudrücken und miteinander zu kommunizieren. Symbolfoto: Pixabay
Pferde kommunizieren nicht nur mit ihrer Körpersprache, sondern haben auch eine große Bandbreite an mimischen Ausdrucksmöglichkeiten – diese Erkenntnis ist ziemlich genau zehn Jahre alt und wurde seither in zahlreichen Forschungsarbeiten bestätigt und untermauert. Wie andere Säugetiere – und wie auch der Mensch – verwenden auch Pferde die unter dem Gesicht liegenden Muskelstrukturen, einschließlich Nüstern, Lippen und Augen, um durch ihre Mimik in unterschiedlichen sozialen Situationen zu kommunizieren, ihre Emotionen und Gemütszustände auszudrücken.
Dass diese mimischen Ausdrucksmöglichkeiten von Pferde aber noch erheblich ausgefeilter, nuancenreicher und komplexer sind, als man bislang dachte – das hat aber selbst das Forschungsteam um Dr. Kate Lewis von der Universität Portsmouth überrascht und begeistert. In einem Interview mit der Tageszeitung ,The Guardian' erklärte Dr. Lewis, dass Pferde über ein nahezu unerschöpfliches Repertoir von Gesichtsausdrücken verfügen, mit dem sie auch feinste Gefühlsregungen ausdrücken können. Viele dieser Ausdrucksmöglichkeiten stimmen mit denen anderer Primaten überein. Und eine weitere wichtige Erkenntnis: Man darf sich nicht nur auf einen Aspekt im Gesichtsausdruck des Pferdes – beispelsweise die Stellung der Ohren – konzentrieren, sondern müsse stets das Zusammenspiel der einzelnen Gesichtsbewegungen, das den gesamten Gesichtsausdruck hervorbringt, betrachten.
Das Forschungsteam stützte sich in seiner Arbeit auf ein bereits bestehendes Verzeichnis von Gesichtsbewegungen von Pferden, das sogenannte ,Equine Facial Action Coding System' (EquiFACS), das 2015 entwickelt worden war, um die Kombinationen von Gesichtsausdrücken und Verhaltensweisen von 36 Hauspferden während verschiedener natürlicher Interaktionen zu entschlüsseln. Das Team von Dr. Lewis klassifizierte diese als freundlich, verspielt, aggressiv oder aufmerksam.
Frühere Studien hätten sich lediglich auf einige wenige, meist vom Menschen geschaffene Kontexte beschränkt, wie beispielsweise die Verhinderung des Zugangs eines Pferdes zu seinem Futter, was erwartungsgemäß zu Frustration und den damit verbundenen Gesichtsausdrücken führe. Diesmal war das Forschungsfeld deutlich offener und breiter gesteckt – und führte zu faszinierenden Ergebnissen.
Das Team analysierte 72 Stunden gefilmte Beobachtungen, um herauszufinden, welche Gesichtsbewegungen in den jeweiligen Kontexten typischerweise auftraten. „Das Schöne an unserem Vorgehen ist, dass wir die Gesichtsausdrücke systematisch dokumentiert und ein breites Spektrum natürlicher Verhaltensweisen abgedeckt haben“, so Dr. Lewis. „So etwas in diesem Umfang wurde bei Pferden noch nie versucht, und es ist wirklich spannend, die Feinheiten der Kommunikation der Tiere untereinander zu beobachten.“
Mithilfe von EquiFACS wurde eine Datenbank mit insgesamt 805 Gesichtsbewegungen für 22 verschiedene Verhaltensweisen erstellt. Netzwerkanalysetechniken (NetFACS) wurden eingesetzt, um die mit jedem Kontext signifikant verbundenen Gesichtsbewegungen zu ermitteln. Ganz allgemein zeigen Hauspferde eine breite Palette unterschiedlicher Gesichtsverhaltensweisen, die im Ethogramm definiert und beschrieben sind.
Die ForscherInnen stellten fest, dass fast alle Gesichtsbewegungen in allen verschiedenen Kontexten auftraten, einige jedoch spezifischer für bestimmte Interaktionsarten waren. Insbesondere fiel auf, dass die Tiere bei freundlichen, friedlichen Interaktionen mit anderen Pferden dazu neigten, die Nase nach vorne zu strecken. Im Gegensatz dazu waren die Ohren der Pferde typischerweise nach vorne gerichtet und angezogen, wenn sie etwas aufmerksam verfolgten.
Die ausgefeilte Mimik von Pferden wurde in insgesamt vier verschiedene Kategorien klassifiziert: a) freundlich (affiliative), b) aggressiv (agonistic), c) aufmerksam (attentional) und d) verspielt (play). Entscheidend ist nicht ein bestimmtes Merkmal (z.B. die Stellung der Ohren), sondern stets das Zusammenspiel aller Gesichtspartien und der daraus resultierende Gesamteindruck. Foto: Dr. Kate Lewis et.al./DOI: 10.7717/peerj.19309/fig-3
Bei aggressiven Begegnungen neigten die Ohren dazu, flach und nach hinten gerichtet zu sein, während die inneren Brauen angehoben, die Nüstern gebläht und der Kopf gesenkt war.
Beim Spielen war die Unterlippe oft gesenkt, das Kinn angehoben, die Lippen geöffnet, das Maul weit geöffnet und die Ohren gedreht und nach hinten gelegt. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass Pferde beim Spielen häufig eine Zunahme des sichtbaren Augenweißes aufwiesen, die Nase nach vorne geschoben und der Kopf eher nach oben oder nach rechts gedreht war – oder beides.
„Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, sich nicht nur auf einen Gesichtsaspekt wie die Ohren zu verlassen, um zu verstehen, was das Pferd kommunizieren möchte“, so Dr. Lewis. „Stattdessen müssen wir berücksichtigen, wie die einzelnen Gesichtsbewegungen zusammenwirken, um den gesamten Gesichtsausdruck zu erzeugen.“
So würden auch Primaten und einige Fleischfresser wie Bären beim Spielen ihr Maul öffnen, um zu signalisieren, dass die Interaktion nicht aggressiv ist, und so unerwünschte Kämpfe zu verhindern. In der vorliegenden neuen Studie konnte aber erstmals nachgewiesen werden, dass auch Pferde ein solches ,Spielgesicht' haben – und dass es diesselben Muskeln wie bei Primaten umfasst. Dies legt den Schluss nahe, dass sich das „Spielgesicht“ bei Säugetieren früher als bisher angenommen entwickelt habe, bevor sich Pferde und Primaten im Evolutionsbaum trennten.
Dr. Lewis weiter: „„Zwischen den Gesichtsausdrücken von nichtmenschlichen Primaten und Pferden gibt es sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede. Wenn wir also ein umfassendes Verständnis der Gesichtsausdrücke und ihrer evolutionären Ursprünge erlangen wollen, müssen wir über unsere eng verwandten Cousins, die Primaten, hinausblicken.“
Zusammenfassend schreiben die AutorInnen: „Basierend auf der systematischen Messung individueller Muskelbewegungen haben wir das erste umfassende Ethogramm erstellt, das zeigt, dass Hauspferde zu einer Vielzahl unterschiedlicher Gesichtszüge fähig sind. Wir fanden deutliche Ähnlichkeiten zwischen den Spielgesichtern von Pferden und den bei Primaten und Fleischfressern beobachteten Spielgesichtern mit offenem Maul. Dies untermauert die Hypothese, dass diese Gesichtszüge tief in der Biologie der Säugetiere verwurzelt sind. Im Gegensatz dazu unterscheidet sich das agonistische (also das mit Kampf und Konkurrenz verbundene) Gesichtsverhalten von Pferden erheblich von dem der Primaten. Dies ist wahrscheinlich auf die mangelnde Beweglichkeit der Ohrmuscheln bei Primaten zurückzuführen, die zur Entwicklung agonistischer Gesichtszüge führt, bei denen die untere Gesichtshälfte statt der Ohren bewegt wird."
Und weiter: „Um ein umfassendes Verständnis von Form und Funktion des Gesichtsverhaltens zu erlangen, ist es unerlässlich, über unsere eng verwandten Primatenverwandten hinaus auch auf phylogenetisch weiter entfernte Arten zu blicken. Die Identifizierung der Form des Gesichtsverhaltens von Pferden wird auch für zukünftige Arbeiten zur Erforschung des Wohlbefindens, des Sozialverhaltens und der Wahrnehmung von Pferden von unschätzbarem Wert sein und direkte Anwendungsmöglichkeiten für die Arbeit mit Pferden bieten."
Die Studie „An ethogram of facial behaviour in domestic horses: evolutionary perspectives on form and function" von Kate Lewis, Sebastian D. McBride, Jérôme Micheletta, Matthew O. Parker, Alan V. Rincon, Jen Wathan und Leanne Proops ist am 28. Mai 2025 in der Zeitschrift ,PeerJ' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:06.08.2015 - Was der Gesichtsausdruck eines Pferdes alles sagt
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 Hier die „Ausgangsposition" (A) der Pferdeohren – und nachdem die Muskeln zum Ohren-Drehen und Ohren-Anlegen betätigt wurden (B). / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g015  Bild A zeigt einen „neutralen" Gesichtsausdruck – Bild B den Ausdruck, nachdem die Nüstern leicht angezogen wurden (Pfeilrichtung beachen). / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g008  Hier wird die innere Augenbraue hochgezogen – eine Ausdrucks-Einheit, die bei Pferden oftmals zu beobachten ist. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g004  Hier eine „Landkarte" des Pferdegesichts mit den wichtigsten Ausdrucks-Regionen. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g002  Hier die Gesichtsmuskulatur des Pferdes – wie sich zeigt, sind vor allem die Muskeln rund um Ohren, Lippen und Nase außerordentlich groß und komplex. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.g001  Hier die 17 eigenständigen „Ausdrucks-Einheiten" des Pferdegesichts im Überblick – viele davon haben Pferde mit dem Menschen gemein. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0131738.t001
![]() Pferde haben eine große Bandbreite an mimischen Ausdrucksmöglichkeiten, und viele davon gleichen jenen des Menschen – das konnten britische Forscher im Rahmen einer aktuellen Studie nachweisen.
„Was uns überrascht hat, war die große Zahl komplexer Gesichtsbewegungen bei Pferden – und daß viele davon jenen des Menschen sehr gleichen. Abgesehen von den Unterschieden in der Struktur und der Bemuskelung des Gesichts zwischen Menschen und Pferden konnten wir – vor allem hinsichtlich der Bewegungen von Lippen und Augen – einige sehr ähnliche Gesichtsausdrücke entdecken", so eine der Leiterinnen der Studie, Jennifer Wathan, von der Universität von Sussex. Einige Gesichtsausdrücke glichen auf frappierende Weise jenen von Menschen und Schimpansen, so die Forscher, die ihre Ergebnisse kürzlich im Journal PLOS ONE veröffentlichten.
Wie andere Säugetiere – und wie auch der Mensch – verwenden Pferde die unter dem Gesicht liegenden Muskelstrukturen, einschließlich Nüstern, Lippen und Augen, um durch ihre Mimik in unterschiedlichen sozialen Situationen zu kommunizieren und Gemütszustände auszudrücken. Wie bereits frühere Studien gezeigt haben, ist dies für Pferde ein wichtiger Mechanismus, um miteinander zu kommunizieren. „Pferde sind vor allem visuelle Tiere, ihr Sehvermögen ist sogar jenem vom Hauskatzen oder Hunden überlegen – dennoch hat man vielfach ihre mimischen Ausdrucksmöglichkeiten übersehen", so Jennifer Wathan.
Um diese Möglichkeiten in ihrer gesamten Bandbreite darstellen zu können, haben die Forscher ein spezielles Kodierungs-System entwickelt, um die einzelnen Gesichtsausdrücke auf der Basis der darunterliegenden muskulären Strukturen beschreiben zu können. Sie nannten es das ,Equine Facial Action Coding System' (EquiFACS) – frei übersetzt: equines Gesichts-Ausdrucks-System. Die Forscher analysierten umfangreiches Video-Material, das natürliches Pferde-Verhalten dokumentierte, um möglichst alle unterschiedlichen Ausdrucksweisen zu identifizieren, die Pferde mit ihrem Gesicht darstellen können. Insgesamt wurden 86 Pferde unterschiedlichen Alters und verschiedener Rassen in die Untersuchung einbezogen.
Das Gesichts-Ausdrucks-System (Facial Action Coding System = FACS) wurde ursprünglich für den Menschen entwickelt. Um es auch auf Tiere und im konkreten Fall auf Pferde anwenden zu können, mussten in einem ersten Schritt die Anatomie und die muskulären Strukturen des Pferdegesichts genau analysiert werden. Dabei zeigte sich, daß die Muskeln rund um Ohren, Lippen und Nase des Pferdes außerordentlich groß und komplex waren. Anschließend konnten sich die Forscher daran machen, die auf den Video-Aufzeichnungen dokumentierten eigenständigen Gesichtsbewegungen den zugrundeliegenden Gesichtsmuskeln zuzuordnen.
Auf diese Weise konnten sie insgesamt 17 eigenständige ,Action Units', also Ausdrucks-Einheiten bzw. Ausdrucks-Möglichkeiten, bei Pferden identifizieren. Beim Menschen sind es übrigens 27 – beim Schimpansen 13, bei Orang-Utans 16, bei kleinen Menschenaffen und bei Hunden 16 und bei Katzen – die in dieser Hinsicht dem Menschen am nächsten kommen – sind es 21. Für die Wissenschaftler war es eine interessante Entdeckung, daß Pferde mehr ,Ausdrucks-Einheiten' besitzen als die meisten anderen Tierarten, für die ein solches System bereits entwickelt wurde.
In einem letzten Schritt wurden schließlich die 17 eigenständigen Gesichtsbewegungen bzw. Ausdrucks-Einheiten detailliert beschrieben – darunter waren etwa das ,Anheben der inneren Augenbraue', das ,Schließen bzw. Blinzeln der Augen' und eine breite Palette von Lippen-, Ohren- und Nüstern-Bewegungen sowie Bewegungen des Mauls, des Kiefers und des Kinns.
Prof. Karen McComb von der Universität Essex: „Früher dachte man, daß – je weiter eine Spezies vom Menschen entfernt wäre – auch die Ausdrucksmöglichkeiten des Gesichts zusehends weniger ausgeprägt wären. Durch die Entwicklung von EquiFACS haben wir erkannt, daß Pferde mit ihrem komplexen, stets in Veränderung begriffenem Sozialsystem ebenfalls über eine enorme Bandbreite von mimischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügen – und daß sie viele davon mit dem Menschen und anderen Tieren gemeinsam haben. Das bestärkt uns in der Annahme, daß nicht nur evolutionärer Druck, sondern auch soziale Faktoren einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung mimischer Ausdrucksmöglichkeiten haben."
Die Forscher weiter: „Durch jüngere Forschungsarbeiten ist deutlich geworden, daß Pferde durchaus komplexe mimische Ausdrucksweisen beherrschen – und daß bestimmte Ausdrucks-Merkmale mit Schmerz in Verbindung stehen (Anm.: siehe auch diesen Artikel dazu). Aber bis jetzt gibt es kaum Studien, die untersuchen, welche Bandbreite an Informationen Pferde durch ihre vielfältigen mimischen Ausdrucksmöglichkeiten vermitteln können. So wissen wir von keinen Forschungsarbeiten, in welchen etwa die Gesichts-Ausdrücke von Pferden im Zusammenhang mit positiven Erfahrungen oder Emotionen aufgezeigt werden – und das ist zweifellos ein wichtiger, bislang kaum verstandener Aspekt des Wohlbefindens von Pferden."
Die Forscher hoffen, mit dem von ihnen entwickelten Gesichts-Ausdrucks-System die Basis dafür gelegt zu haben, diese Forschungslücke zu schließen – denn eine systematische Aufzeichnung und Analyse von Gesichtsausdrücken kann in vielerlei Hinsicht nützlich sein, so Prof. McComb abschließend: „Mit EquiFACS können wir den Gesichtsausdruck in unterschiedlichen sozialen und emotionalen Situationen dokumentieren und so Einblick in die Art und Weise gewinnen, wie Pferde gerade ihre soziale Umgebung wahrnehmen. Das wird unser Verständnis ihres Verhaltens, ihrer Kommunikation und ihrer Psyche verbessern – und kann uns wertvolles Wissen liefern, um ihre medizinische Versorgung oder ihre Haltungsbedingungen zu optimieren."
Die Studie „EquiFACS: The Equine Facial Action Coding System" von Jen Wathan, Anne M. Burrows, Bridget M. Waller und Karen McComb ist in der August-Ausgabe des Journals PLOS ONE erschienen und kann in voller Länge hier nachgelesen werden.
26.07.2017 - Pferde studieren Gesichtsausdruck ihrer Artgenossen ganz genau
Pferde studieren Gesichtsausdruck ihrer Artgenossen ganz genau 26.07.2017 / News
 Mit diesen Pferde-Portraits wurden die Experimente durchgeführt. / Foto: J. Wathan/L. Proops/K. Grounds/K. McComb
Pferde können aus der Mimik ihrer Artgenossen wichtige soziale Informationen ablesen und orientieren auch ihr Verhalten danach – das konnten britische Wissenschaftler im Rahmen einer Studie nachweisen.
Wenn wir wissen wollen, wie ein Mitbürger gerade aufgelegt ist, ob er gut gelaunt oder griesgrämig ist, ob er freundliche Absichten hegt oder auf Krawall gebürstet ist, ob er neugierig und kontaktsuchend ist oder ob er lieber in Ruhe gelassen werden möchte: Dann schauen wir in sein Gesicht – und sind informiert. Lange Zeit galt diese Fähigkeit, schon kleinste Änderungen im Gesichtsausdruck eines anderen lesen und interpretieren zu können, als Zeichen höchster sozialer Kompetenz und eines besonders privilegierten evolutionären Status, der nur dem Menschen und allenfalls eng verwandten Primaten zukommt. Doch jüngste Forschungsarbeiten belegen: Pferde können das genauso.
Dass auch andere Tierarten zu einer derart diffizilen „mimischen" Kommunikation fähig sind, konnte in den letzten Jahren wissenschaftlich gut belegt werden – Hunde und Katzen zum Beispiel können das, aber eben auch Hauspferde. Sie verfügen über eine enorme Bandbreite mimischer Ausdrucksmöglichkeiten – mit deren Hilfe sie sehr effizient miteinander kommunizieren können, wie eine Studie nun nachweisen konnte: Pferde müssen sich nicht immer durch Körpersprache, durch akustische Signale oder Gerüche mitteilen – oft reicht ein Blick ins Gesicht des Artgenossen, der mehr sagt als tausend Worte.
So selbstverständlich, ja, banal die Erkenntnis anmutet, dass Pferde die Gesichtsausdrücke ihrer Artgenossen lesen und interpretieren können, so schwierig ist dieser Nachweis auch wissenschaftlich zu erbringen. Vor allem britische Wissenschaftler haben sich diesem Thema seit Jahren intensiv gewidmet – und dafür ein eigenes „Gesichts-Ausdruck-System" (Facial Action Coding System = FACS) emtwickelt, mit dessen Hilfe sich mimische Ausdrucksmöglichkeiten bei unterschiedlichen Spezies darstellen und kategorisieren lassen (siehe unseren ausführlichen Artikel dazu). Das für Pferde adaptierte Modell heißt EquiFACS und konnte immerhin 17 eigenständige Ausdrucks-Einheiten (Action Units) beim Pferd identifizieren – mehr sind es nur beim Menschen (27) und bei Katzen (21).
Mit Hilfe dieses Systems konnten die Wissenschaftler Jennifer Wathan, Leanne Proops, Kate Grounds und Karen McComb nun zeigen, dass Pferde tatsächlich die Gesichtsausdrücke von Artgenossen lesen und aus ihnen eindeutige Informationen gewinnen können – und das ohne jegliche Unterstützung durch andere Körpersignale oder -reize wie etwa akustische Geräusche oder Gerüche. Und das ist, so die Wissenschaftler, eine spannende, neue Erkenntnis: „Obwohl wir wissen, dass Pferde klare Gesichtsausdrücke produzieren, konnten wir bislang noch nie beweisen, dass die anderen Pferde um sie herum tatsächlich auf diese Ausdrücke achten und ihr eigenes Verhalten danach ausrichten und orientieren", so Dr. Leanne Proops von der Forschungsgruppe für Säugetier-Kommunikation und -kognition der Universität Sussex.
Um andere Einflussfaktoren wie Bewegungen, Töne oder Gerüche auszuschließen, haben Dr. Proops und ihre Kolleginnen die Reaktion von insgesamt 48 Testpferden (29 Wallache, 19 Stuten) analysiert, denen in einem neutralen Umfeld Fotos gezeigt wurden. Sie zeigten den einzelnen Tieren jeweils zwei Fotos des gleichen, ihnen jedoch unbekannten Pferdes mit jeweils unterschiedlichem Gesichtsausdruck. Insgesamt gab es drei dieser „Unterschieds-Paare" – und jedes Paar repräsentierte einen unterschiedlichen Gemütszustand: positive aufmerksam/agonistisch, entspannt/agonistisch und positive aufmerksam/entspannt. Die Forscher definierten diese Ausdrücke und ihre damit zusammenhängenden Emotionen nach dem bewährten EquiFACS-System.
Das Ergebnis der Versuche war eindeutig: Die Pferde tendierten beim Betrachten der Foto-Paare deutlich dazu, sich den Bildern mit positiv-aufmerksamer Grundstimmung mehr zu nähern als den Fotos mit agonistischer Grundstimmung, die Konkurrenz und Rivalität vermittelten. Sie bevorzugten auch Fotos mit entspanntem Ausdruck mehr als mit agonistischem. Zwischen ,entspannt' und ,positiv-aufmerksam' schien es hingegen keine Präferenzen zu geben – die Testpferde näherten sich beiden Fotos mehr oder weniger gleich stark,
„Wir waren überrascht von der Aussagekraft und der Deutlichkeit der Ergebnisse – wie klar die Pferde die unterschiedlichen Gesichts-Ausdrücke unterscheiden konnten und wie motiviert sie waren, sich den ,positiven' Fotografien anzunähern, wenn sie dazu die Möglichkeit hatten", so Dr. Proops im Gespräch mit dem Portal TheHorse.com. „Denn es waren schließlich nur fotografische Stimuli, die sie da zu sehen bekamen – und keine realen Pferde. Sie kamen oft ganz nah an die Gesichter heran und ,begrüßten' das unbekannte Pferd Nase an Nase, als ob es ein echtes Pferd wäre."
Für Dr. Proops und ihre Kolleginnen war dieses Experiment nur ein erster Schritt, um die Bedeutung derartiger mimischer Signale – und die Reaktionen darauf – für das soziale Verhalten von Pferden im Allgemeinen zu verstehen: „Vielleicht finden wir zuverlässige Unterschiede in der Art und Weise, wie unterschiedliche Pferde auf derartige Gesichts-Ausdrücke antworten bzw. reagieren", so Dr. Proops. „Das könnte für Pferdebesitzer und -halter von Nutzen sein – sie könnten etwa die unterschiedliche Art und Weise kennenlernen, in der Pferde auf soziale Signale reagieren und wie gut sie mit anderen Pferden in ihrer sozialen Umgebung zurechtkommen. Diese Arbeit geht noch weiter."
Dr. Proops regt sogar an, dass Pferdebesitzer diesen Test auf eigene Faust durchführen könnten: „Es ist ein sehr einfach Setup und erfordert nur Besitzer, der Fotos in einem abgegrenzten Bereich aufstellt und sein Pferd frei wählen lässt, mit welchen Stimuli es interagieren möchte – und mit welchen nicht. So könnten sie lernen, dass die Art und Weise, wie ihr Pferd auf diese Reize reagiert, etwas über die Persönlichkeit des Pferdes aussagt. Das untersuchen wir gerade in einem weiteren Projekt", so Dr. Proops. Das Pferd scheint in der Tat ein faszinierendes und unerschöpfliches Forschungsgebiet zu sein ...
Die Studie „Horses discriminate between facial expressions of conspecifics" von Jennifer Wathan, Leanne Proops, Kate Grounds und Karen McComb ist im Dezember 2016 in der Zeitschrift ,Scientific Reports' erschienen und kann in englischsprachiger Originalfassung hier nachgelesen werden.
11.06.2023 - Frustration und Enttäuschung sind auch bei Pferden nicht dasselbe
Frustration und Enttäuschung sind auch bei Pferden nicht dasselbe 11.06.2023 / News
Die Mimik von Pferden ist ausgeprägter und feiner als bislang vermutet – das hat ein Forscher-Duo in England in einer bemerkenswerten Studie nachgewiesen: Sie konnten zeigen, dass Pferde zwischen Frustration und Enttäuschung genau differenzieren und sich dies auch in ihren Gesichtsausdrücken beobachten lässt – wenn man genau genug hinschaut.
„Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Pferde in einer emotional komplexen Welt leben“, so die AutorInnen Claire Ricci-Bonot und Daniel Simon Mills in der Zeitschrift ,Applied Animal Behavior Science'. „Sie sind im Allgemeinen gesellige Tiere, die in einem komplexen sozialen System leben und in der Lage sind, über subtile visuelle Signale mit anderen zu kommunizieren.“ Dazu gehören etwa Augenrichtung, Ohrposition und Gesichtsausdruck. Das Forscher-Duo wies auch darauf hin, dass Pferde häufig negative emotionale Zustände aufweisen, die aber vom Menschen nicht immer erkannt werden. Ein Großteil unseres Verständnisses von Pferdeausdrücken basiert eher auf Anekdoten als auf wissenschaftlichen Beweisen, so ihr Befund.
Sie machten sich daran, potenzielle Gesichtsmarker für emotionale Zustände zu identifizieren, indem sie 31 Pferde unterschiedlichen Geschlechts (1 Hengst, 10 Wallache sowie 20 Stuten) und verschiedener Rassen im Alter zwischen 2 und 23 Jahren verwendeten. Pferde wurden darauf trainiert, in einer standardisierten Stallumgebung auf eine Futterbelohnung zu warten. Futterpellets wurden in einer speziell präparierten Futterbox unter einer durchsichtigen Plexiglasabdeckung platziert, die nach 10 Sekunden zurückgeschoben wurde, um dem Pferd den Zugang zum Futter freizugeben.
Die Versuchs-Anordnung: Eine speziell präparierte Futterbox gab unter einer transparenten Plexiglas-Abdeckung eine Futterbelohnung frei – oder auch nicht. Grafik: Claire Ricci-Bonot et.al.
Sobald sie sich an die Box gewöhnt hatten und nach 10 Sekunden mit dem Futter gerechnet hatten, wurden sie drei verschiedenen Test-Situationen ausgesetzt:
– Es gab die Phase, in der sie die Belohnung erwarteten, was als positiver emotionaler Zustand angesehen wurde („Erwartungsphase").
– Dann gab es eine „Frustrationsphase“, in der sie eine Minute lang auf die Futterbelohnung warten mussten, dann wurde das Plexiglas zurückgeschoben und sie konnten fressen.
– Die „Enttäuschungsphase“ bestand darin, dass zwar Zugang gewährt wurde, aber kein Essen verfügbar war. Die beiden letztgenannten Situationen galten als negative emotionale Zustände.
Alle Interaktionen wurden für eine spätere Auswertung und Analyse auf Video aufgezeichnet. Die Untersuchung der Videoaufzeichnungen von Gesichtsausdrücken wurde mit dem „Horse Facial Action Coding System" (EquiFACS) durchgeführt, einem objektiven System zur Kodierung von Gesichtsbewegungen auf der Grundlage der Kontraktion der darunter liegenden Muskeln sowie ihres Verhaltens.
Spezifische, mit Vorfreude verbundene Gesichtsmerkmale konnten nicht charakterisiert werden. Sie fanden jedoch heraus, dass sich das Auftreten von neun Handlungen und Verhaltensweisen deutlich zwischen den beiden Situationen unterschied, von denen vorhergesagt wurde, dass sie während der Fütterungsperiode Frustration und Enttäuschung hervorrufen würden.
Im Vergleich zur Enttäuschung zeigte sich, dass die Pferde bei Frustration dazu neigten, mehr Weißes in ihren Augen zu zeigen, ihre Ohren stärker drehten und eher dazu neigten, ihren Kopf nach links zu wenden. Im Gegensatz dazu war die Tendenz, mehr zu blinzeln, die Nase zu heben, mehr die Zunge zu zeigen und mehr Kauverhalten zu zeigen, die Kennzeichen der Enttäuschung. Es bestand auch die Tendenz, das Futter abzulecken. In der Frustrationssituation war die Wahrscheinlichkeit, dass Pferde in den Futternapf beißen, höher als in der Enttäuschung. Die AutorInnen fanden auch einen geschlechtsspezifischen Effekt: Stuten blinzeln in der Enttäuschungsphase häufiger als männliche Tiere.
Spannende Beobachtungen: Sowohl für den Zustand ,Frustration' als auch ,Enttäuschung' (Disappointment) konnten eindeutige Gesichts- und Verhaltensmerkmale definiert werden. Grafik: Claire Ricci-Bonot et.al.
Dazu die ForscherInnen: „Diese Veränderungen der Mimik und des Verhaltens könnten auch mit der Wahrnehmung der Situation durch das Pferd zusammenhängen: durch Sehen (Sehen des Futters durch die transparente Plexiglasscheibe), Geräusche (Hören des Futters, das in die Holzkiste fällt) oder Geruch (Riechen von Rückständen). Pelletfutter). Gesichtsausdrücke, die auf Vorfreude hinweisen, konnten jedoch nicht nachgewiesen werden, und so werfen diese Ergebnisse die wichtige Frage auf, ob die Zeit vor dem Füttern ein positives Ereignis für Pferde ist.“
Insgesamt zeige ihre Forschung, so die AutorInnen zusammenfassend, wie spezifische Maßnahmen des Gesichtsausdrucks bei Pferden möglicherweise zur Differenzierung ihres emotionalen Zustands eingesetzt werden könnten: „Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es unterschiedliche Qualitäten einer bestimmten emotionalen Wertigkeit (Frustration und Enttäuschung) geben kann, die sich von den zu diesem Zeitpunkt gezeigten Gesichtsausdrücken unterscheiden lassen. Wir müssen jedoch betonen, dass unser Ergebnis möglicherweise auf die Ernährungssituation beschränkt ist und daher weitere Forschung erforderlich ist.“
Die Studie „Recognising the facial expression of frustration in the horse during feeding period" von Claire Ricci-Bonot und Daniel Simon Mills erscheint im August 2023 in der Zeitschrift ,Applied Animal Behavior Science' und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
04.06.2023 - Studie: Mikroausdrücke könnten Fenster zu den wahren Gefühlen von Pferden sein
Studie: Mikroausdrücke könnten Fenster zu den wahren Gefühlen von Pferden sein 04.06.2023 / News
 Pferde haben eine ausgeprägte Mimik – und sie zeigen auch sogenannte Mikroausdrücke, wie ein Forscherteam der Universität Brüssel nachweisen konnte. / Symbolfoto: Archiv/Pixabay/Rebecca Scholz
ForscherInnen der Universität Brüssel fanden in einer bahnbrechenden Studie heraus, dass auch Pferde sogenannte Mikroexpressionen zeigen – also flüchtige, unbewusste Gesichtsausdrücke, die nur Sekundenbruchteile andauern. Mikroausdrücke wurden bislang nur beim Menschen beschrieben.
Menschen tun es ständig – sie zeigen im Gesicht für Sekundenbruchteile Emotionen, die eine große Bandbreite von Gefühlen ausdrücken können. Diese sogenannten Mikroausdrücke oder Mikroexpressionen sind oft diskret, aber für andere verständlich und offenbaren unbewusst die wahren Gefühle einer Person. Beim Menschen wurden sie mit den sogenannten Basisemotionen – Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Trauer und Freude – in Verbindung gebracht.
Wie aber sieht es bei Pferden mit derartigen Mikroexpressionen aus? Zeigen auch sie derartige Mikroausdrücke – und tun sie dies in einem sozialen Kontext?
Claude Tomberg und seine ForscherkollegInnen der Universität Brüssel sind diesen Fragen in einer grundlegenden Studie nachgegangen – und sie stellten einleitend fest, dass Mikroausdrücke bisher nur beim Menschen beschrieben wurden. Im Gegensatz zu Makroausdrücken sind Mikroausdrücke beim Menschen nicht das Ergebnis willentlicher Kontrolle, sondern werden unbewusst gezeigt und können nur schwer absichtlich erzeugt oder unterdrückt werden.
Das Studienteam verwendete für seine Untersuchung Pferde, da diese über die Fähigkeit verfügen, ein breites Spektrum an Gesichtsausdrücken zu zeigen – weniger als die von Menschen, aber mehr als die von Schimpansen oder Hunden. Der Gesichtsausdruck von Pferden kann alles von Schmerz bis hin zu positiven Emotionen ausdrücken. „Es wäre zu erwarten, dass der Gesichtsausdruck von Pferden auch als Kommunikationsmittel für soziale Interaktionen dienen könnte, da es sich bei Pferden um soziale Tiere handelt, die in einem sogenannten ,Fission-Fusion-System’ (FF-System) ähnlich dem Menschen leben.“ (,Fission-Fusion’ – also ,Spalten & Zusammengehen’ – kennzeichnet ein besonders komplexes soziales System und stellt an die einzelnen Mitglieder hohe kognitive Anforderungen, Anm.)
Das Studienteam zog für seine Studie 22 Pferde verschiedener Rassen im Alter von 4 bis 26 Jahren heran. Die Pferde wurden in Anwesenheit eines vertrauten Menschen unter kontrollierten Bedingungen im Putzbereich eines Stalls gefilmt, in dem eine Karotte in Sichtweite, aber für die Pferde unerreichbar platziert worden war. Das Filmmaterial wurde anschließend Bild für Bild auf Hinweise für Mikroausdrücke analysiert und ausgewertet, wobei das „Equine Facial Action Coding System“ (EquiFACS) angewendet wurde, um die Beurteilung etwaiger Mikroausdrücke zu erleichtern.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Alle Pferde zeigten Mikroausdrücke, so die Forscher, und zwei Drittel aller Gesichtsausdrücke waren Mikroausdrücke. Es wurde eine Reihe von Gesichtsausdrücken gefunden, die mit dem Kodierungssystem unterhalb der Schwelle von einer halben Sekunde gemessen wurden. Knapp ein Drittel der Mikroausdrücke standen im Zusammenhang mit dem Schließen der Augen und dem Absenken des Lids.
In der Studie zeigten die Pferde in Anwesenheit des Experimentators deutlich weniger Mimik und Mikroausdrücke als wenn das Pferd allein war. Die Erklärung der ForscherInnen: „Da die Pferde in unserer Studie ihre Aufmerksamkeit gegenüber dem Experimentator stark steigerten und 75 % der Gesamtdauer auf den Experimentator gerichtet waren, könnte die Abnahme des Gesichtsausdrucks mit einem hohen Grad an Aufmerksamkeit gegenüber dem Experimentator zusammenhängen.“ Mit anderen Worten: Die visuelle Aufmerksamkeit von Pferden kann „fixierte Aufmerksamkeitsmuster“ umfassen, bei denen der Körper unbeweglich ist und die Ohren und Augen auf den Reiz ausgerichtet sind. Beim Menschen wurde ein neutrales Gesicht mit hoher Konzentration in Verbindung gebracht.
Die mentalen Merkmale, die Mikroausdrücke bei Pferden steuern, seien noch unbekannt, so die AutorInnen weiter. Sie fanden keine statistische Übereinstimmung zwischen dem Ausdruck dieser Gesichtsbewegungen und auch keine Verhaltensindikatoren, die einen Zusammenhang dieser Mikroausdrücke mit Stress oder Schmerz belegen: „In unserer Studie gab es auch keine verhaltensbezogenen Anzeichen von Frustration, aber da unser Protokoll eine vermutlich frustrierende Situation beinhaltet [von jeder eine Karotte], konnten wir nicht ausschließen, dass einige der Gesichtsausdrücke … insbesondere subtile Anzeichen von Frustration zum Ausdruck bringen würden, denn Mikroausdrücke könnten flüchtige, unfreiwillige Ausdrucksformen von Emotionen sein.“
Die Verringerung der Mikroausdrücke in Anwesenheit eines menschlichen Experimentators stützt frühere Daten, dass Pferde sensibel auf den sozialen Kontext reagieren. „Wir nehmen an, dass einige der Mikroausdrücke mit dem Aufmerksamkeitszustand zusammenhängen oder von Pferden als soziale Signale in einer Pferd-Mensch-Beziehung verwendet werden könnten. Dennoch ist ihre Klassifizierung als Kommunikationssignale verfrüht, da diese Studie die erste ist, die sich mit den mentalen Merkmalen von Gesichtsmikroausdrücken bei einem nichtmenschlichen Tier befasst.“
Ihr Vorkommen in verschiedenen sozialen Kontexten sollte getestet werden, sagte das Studienteam. „Diese Studie zeigt, dass Pferde Gesichtsmikroausdrücke zeigen – und legt nahe, dass einige davon mit dem Aufmerksamkeitszustand zusammenhängen oder von Pferden als soziale Information in einer Beziehung zwischen den Arten verwendet werden könnten“, so die AutorInnen.
Zukünftige Forschungen sollten versuchen, die Funktion dieser flüchtigen Mikroausdrücke zu klären, um zu bestätigen, ob sie als soziale Informationen dienen könnten und, wenn ja, welche Art von sozialen Signalen sie übermitteln könnten. „Es wäre auch interessant zu untersuchen, ob die Fähigkeit der Pferde, Mikroausdrücke auszuführen, ein evolutionäres Spezialisierungsmerkmal sein könnte, das auch andere sehr soziale Tiere teilen.“
Wenn ihre Funktion als soziales Signal bestätigt wird, könnten Mikroausdrücke möglicherweise Informationen über die Entwicklung subtiler Merkmale der Mensch-Tier-Kommunikation liefern. „Da Mikroausdrücke vorübergehende, flüchtige, unwillkürliche Gesichtsausdrücke sind, könnten sie Informationen über den wahren inneren Zustand der Pferde liefern“ – also gleichsam ein „Fenster zu vorübergehenden inneren Zuständen des Tieres" sein, so das Resümee der AutorInnen. Die genaue Erkennung von Mikroausdrücken würde auch das Wohlbefinden verbessern, da sich Pferde als Beutetiere so entwickelt haben, dass sie als Überlebensstrategie den Ausdruck von Schmerz verhaltensmäßig verbergen oder unterdrücken.
Die Studie „Horses (Equus caballus) facial micro-expressions: insight into discreet social information" von Claude Tomberg, Maxime Petagna und Lucy-Anne de Selliers de Moranville ist am 27. Mai 2023 in der Zeitschrift ,Scientific Reports' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
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