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Pferde-Mimik viel ausgefeilter und komplexer als bislang angenommen
01.06.2025 / News

Die Gesichtsausdrücke von Pferden sind erheblich variantenreicher und vielseitiger als bislang angenommen und helfen Pferden dabei, auch Signale wie den Unterschied zwischen Aggression und Spiel zu kommunizieren, so eine bahnbrechende britische Studie.

Die Mimik ist für Pferde ein wichtiger Mechanismus, um emotionale Zustände auszudrücken und miteinander zu kommunizieren. Symbolfoto: Pixabay

 

Pferde kommunizieren nicht nur mit ihrer Körpersprache, sondern haben auch eine große Bandbreite an mimischen Ausdrucksmöglichkeiten – diese Erkenntnis ist ziemlich genau zehn Jahre alt und wurde seither in zahlreichen Forschungsarbeiten bestätigt und untermauert. Wie andere Säugetiere – und wie auch der Mensch – verwenden auch Pferde die unter dem Gesicht liegenden Muskelstrukturen, einschließlich Nüstern, Lippen und Augen, um durch ihre Mimik in unterschiedlichen sozialen Situationen zu kommunizieren, ihre Emotionen und Gemütszustände auszudrücken. 

Dass diese mimischen Ausdrucksmöglichkeiten von Pferde aber noch erheblich ausgefeilter, nuancenreicher und komplexer sind, als man bislang dachte – das hat aber selbst das Forschungsteam um Dr. Kate Lewis von der Universität Portsmouth überrascht und begeistert. In einem Interview mit der Tageszeitung ,The Guardian' erklärte Dr. Lewis, dass Pferde über ein nahezu unerschöpfliches Repertoir von Gesichtsausdrücken verfügen, mit dem sie auch feinste Gefühlsregungen ausdrücken können. Viele dieser Ausdrucksmöglichkeiten stimmen mit denen anderer Primaten überein. Und eine weitere wichtige Erkenntnis: Man darf sich nicht nur auf einen Aspekt im Gesichtsausdruck des Pferdes – beispelsweise die Stellung der Ohren – konzentrieren, sondern müsse stets das Zusammenspiel der einzelnen Gesichtsbewegungen, das den gesamten Gesichtsausdruck hervorbringt, betrachten.

Das Forschungsteam stützte sich in seiner Arbeit auf ein bereits bestehendes Verzeichnis von Gesichtsbewegungen von Pferden, das sogenannte ,Equine Facial Action Coding System' (EquiFACS), das 2015 entwickelt worden war, um die Kombinationen von Gesichtsausdrücken und Verhaltensweisen von 36 Hauspferden während verschiedener natürlicher Interaktionen zu entschlüsseln. Das Team von Dr. Lewis klassifizierte diese als freundlich, verspielt, aggressiv oder aufmerksam.

Frühere Studien hätten sich lediglich auf einige wenige, meist vom Menschen geschaffene Kontexte beschränkt, wie beispielsweise die Verhinderung des Zugangs eines Pferdes zu seinem Futter, was erwartungsgemäß zu Frustration und den damit verbundenen Gesichtsausdrücken führe. Diesmal war das Forschungsfeld deutlich offener und breiter gesteckt – und führte zu faszinierenden Ergebnissen.

Das Team analysierte 72 Stunden gefilmte Beobachtungen, um herauszufinden, welche Gesichtsbewegungen in den jeweiligen Kontexten typischerweise auftraten. „Das Schöne an unserem Vorgehen ist, dass wir die Gesichtsausdrücke systematisch dokumentiert und ein breites Spektrum natürlicher Verhaltensweisen abgedeckt haben“, so Dr. Lewis. „So etwas in diesem Umfang wurde bei Pferden noch nie versucht, und es ist wirklich spannend, die Feinheiten der Kommunikation der Tiere untereinander zu beobachten.“

Mithilfe von EquiFACS wurde eine Datenbank mit insgesamt 805 Gesichtsbewegungen für 22 verschiedene Verhaltensweisen erstellt. Netzwerkanalysetechniken (NetFACS) wurden eingesetzt, um die mit jedem Kontext signifikant verbundenen Gesichtsbewegungen zu ermitteln. Ganz allgemein zeigen Hauspferde eine breite Palette unterschiedlicher Gesichtsverhaltensweisen, die im Ethogramm definiert und beschrieben sind. 

Die ForscherInnen stellten fest, dass fast alle Gesichtsbewegungen in allen verschiedenen Kontexten auftraten, einige jedoch spezifischer für bestimmte Interaktionsarten waren. Insbesondere fiel auf, dass die Tiere bei freundlichen, friedlichen Interaktionen mit anderen Pferden dazu neigten, die Nase nach vorne zu strecken. Im Gegensatz dazu waren die Ohren der Pferde typischerweise nach vorne gerichtet und angezogen, wenn sie etwas aufmerksam verfolgten.

Die ausgefeilte Mimik von Pferden wurde in insgesamt vier verschiedene Kategorien klassifiziert: a) freundlich (affiliative), b) aggressiv (agonistic), c) aufmerksam (attentional) und d) verspielt (play). Entscheidend ist nicht ein bestimmtes Merkmal (z.B. die Stellung der Ohren), sondern stets das Zusammenspiel aller Gesichtspartien und der daraus resultierende Gesamteindruck. Foto: Dr. Kate Lewis et.al./DOI: 10.7717/peerj.19309/fig-3

 

Bei aggressiven Begegnungen neigten die Ohren dazu, flach und nach hinten gerichtet zu sein, während die inneren Brauen angehoben, die Nüstern gebläht und der Kopf gesenkt war.

Beim Spielen war die Unterlippe oft gesenkt, das Kinn angehoben, die Lippen geöffnet, das Maul weit geöffnet und die Ohren gedreht und nach hinten gelegt. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass Pferde beim Spielen häufig eine Zunahme des sichtbaren Augenweißes aufwiesen, die Nase nach vorne geschoben und der Kopf eher nach oben oder nach rechts gedreht war – oder beides.

„Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, sich nicht nur auf einen Gesichtsaspekt wie die Ohren zu verlassen, um zu verstehen, was das Pferd kommunizieren möchte“, so Dr. Lewis. „Stattdessen müssen wir berücksichtigen, wie die einzelnen Gesichtsbewegungen zusammenwirken, um den gesamten Gesichtsausdruck zu erzeugen.“ 

So würden auch Primaten und einige Fleischfresser wie Bären beim Spielen ihr Maul öffnen, um zu signalisieren, dass die Interaktion nicht aggressiv ist, und so unerwünschte Kämpfe zu verhindern. In der vorliegenden neuen Studie konnte aber erstmals nachgewiesen werden, dass auch Pferde ein solches ,Spielgesicht' haben – und dass es diesselben Muskeln wie bei Primaten umfasst. Dies legt den Schluss nahe, dass sich das „Spielgesicht“ bei Säugetieren früher als bisher angenommen entwickelt habe, bevor sich Pferde und Primaten im Evolutionsbaum trennten.

Dr. Lewis weiter: „„Zwischen den Gesichtsausdrücken von nichtmenschlichen Primaten und Pferden gibt es sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede. Wenn wir also ein umfassendes Verständnis der Gesichtsausdrücke und ihrer evolutionären Ursprünge erlangen wollen, müssen wir über unsere eng verwandten Cousins, die Primaten, hinausblicken.“

Zusammenfassend schreiben die AutorInnen: „Basierend auf der systematischen Messung individueller Muskelbewegungen haben wir das erste umfassende Ethogramm erstellt, das zeigt, dass Hauspferde zu einer Vielzahl unterschiedlicher Gesichtszüge fähig sind. Wir fanden deutliche Ähnlichkeiten zwischen den Spielgesichtern von Pferden und den bei Primaten und Fleischfressern beobachteten Spielgesichtern mit offenem Maul. Dies untermauert die Hypothese, dass diese Gesichtszüge tief in der Biologie der Säugetiere verwurzelt sind. Im Gegensatz dazu unterscheidet sich das agonistische (also das mit Kampf und Konkurrenz verbundene) Gesichtsverhalten von Pferden erheblich von dem der Primaten. Dies ist wahrscheinlich auf die mangelnde Beweglichkeit der Ohrmuscheln bei Primaten zurückzuführen, die zur Entwicklung agonistischer Gesichtszüge führt, bei denen die untere Gesichtshälfte statt der Ohren bewegt wird."

Und weiter: „Um ein umfassendes Verständnis von Form und Funktion des Gesichtsverhaltens zu erlangen, ist es unerlässlich, über unsere eng verwandten Primatenverwandten hinaus auch auf phylogenetisch weiter entfernte Arten zu blicken. Die Identifizierung der Form des Gesichtsverhaltens von Pferden wird auch für zukünftige Arbeiten zur Erforschung des Wohlbefindens, des Sozialverhaltens und der Wahrnehmung von Pferden von unschätzbarem Wert sein und direkte Anwendungsmöglichkeiten für die Arbeit mit Pferden bieten."

Die Studie „An ethogram of facial behaviour in domestic horses: evolutionary perspectives on form and function" von Kate Lewis​, Sebastian D. McBride, Jérôme Micheletta, Matthew O. Parker, Alan V. Rincon, Jen Wathan und Leanne Proops ist am 28. Mai 2025 in der Zeitschrift ,PeerJ' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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