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Phänomenales Pferde-Gedächtnis: Warum Pferde Freunde fürs Leben sind
03.06.2016 / Wissen

Ein Pferd ist ein Freund fürs Leben: Auch nach langen Trennungsphasen bleiben Pferde Menschen, mit denen sie in der Vergangenheit positive Begegnungen hatten, loyal.
Ein Pferd ist ein Freund fürs Leben: Auch nach langen Trennungsphasen bleiben Pferde Menschen, mit denen sie in der Vergangenheit positive Begegnungen hatten, loyal. / Foto: Irene Gams

Pferde sind wahre Gedächtnis-Künstler und besitzen ein außergewöhnliches Erinnerungsvermögen: Wissenschaftler konnten nachweisen, daß Pferde menschliche Freunde auch nach langen Trennungsphasen wiedererkennen.

 

Das Lernverhalten von Pferden ist bereits in zahlreichen Studien untersucht worden. Wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit den Gedächtnisleistungen von Pferden beschäftigen, sind jedoch deutlich seltener – eine der interessantesten wurde im Jahr 2010 von der französischen Verhaltensforscherin Carol Sankey durchgeführt und im Journal ,Animal Behavior' veröffentlicht. Sankey entdeckte, dass Pferde generell ein ausgezeichnetes Erinnerungsvermögen haben, was es ihnen erlaubt, sich an menschliche Freunde auch nach langen Trennungen zu erinnern. Außerdem behalten sie auch komplexe Lösungsstrategien für Probleme mehr als zehn Jahre lang in Erinnerung. Das gilt im Übrigen auch für die Mensch-Pferd-Beziehung:

– Pferde bleiben Menschen, mit denen sie in der Vergangenheit positive Begegnungen hatten, auch später loyal.
– Sie erinnern sich an Menschen selbst nach langen Trennungen.
– Pferde verstehen Sprachbefehle besser als erwartet.

Die Verhaltensforscherin der Universität von Rennes und ihr Team studierten 20 Anglo-Araber und drei französische Warmblüter, auf einem Pferdegut im französischen Chamberet, Frankreich. Die Wissenschaftler untersuchten, wie gut sich die Pferde an eine weibliche Trainerin und ihre Anweisungen nach bis zu acht Monaten Trennung erinnern würden. Das Trainingsprogramm für die Pferde bestand aus 41 Schritten, die mit der üblichen Pflege bzw. medizinischer Versorgung in Zusammenhang standen. Beispielsweise mussten die Pferde beim Befehl "reste!" („bleib") stillstehen, nach Aufforderung ihre Hufe geben, ein Thermometer in ihr Rektum einführen lassen und anderes mehr. Wenn die Pferde getan haben, was man von ihnen verlangte, wurden sie mit einem Leckerli belohnt. Gegenüber diesen Testpersonen zeigten die Pferde auch deutlich mehr positive Verhaltensweisen wie Schnuppern und Lecken – was bei Pferden als Zeichen von Zugehörigkeit und Zuneigung gilt, und nicht unmittelbar mit dem Wunsch nach mehr Leckerlis in Verbindung steht. Pferde, die ohne positive Verstärkung trainiert wurden, zeigten hingegen vier bis sechs mal mehr 'negatives' Verhalten, wie Beißen, Treten oder Steigen.

Nach einer mehrmonatigen Unterbrechung des Trainingsprogramms war Interessantes zu beobachten: Die Pferde, die mit den Leckerlis trainiert wurden, zeigten nach acht Monaten Trennung dieselbe Verbundenheit zur selben Testperson – sie hatten nicht nur die positive Erfahrungen, sondern auch die Person, mit der diese in Verbindung stand nicht vergessen. Und noch etwas stellten die Forscher fest: Die Pferde schienen neue Leute mit mehr Bereitschaft zu akzeptieren, was darauf deutet, dass sie generell eine „positive Erinnerung an Menschen" entwickelt hatten.

Pferde merken sich menschliche Worte
„Nach unseren Ergebnissen verhalten sich Pferde – wenn es um Lernen mit Belohnungen geht – nicht grundsätzlich anders, als wir es aus der menschlichen Lernpsychologie kennen. Sie lernen und erinnern sich besser, wenn Lernen mit einer positiven Situation verbunden ist – genauso ist es auch beim Menschen."

Eine weitere bemerkenswerte Entdeckung von Carol Sankey: Pferde verstehen Sprachbefehle besser als erwartet. „Pferde sind fähig, menschliche Worte zu erlernen und sich zu merken", so Sankey, „sie können die menschliche Stimmen aufgrund der spezifischen Bandbreite ihres Gehörs sogar besser als sogar Hunde wahrnehmen. Während es absolut üblich ist, etwa Hunde mit mündlichen Befehlen zu trainieren, basiert der größte Teil des Reittrainings auf fühlbaren Signalen basiert - Druck der Zügeln, Bewegungen der Beine des Reiters, Gewichtsverlagerung im Sattel etc. Pferdetrainer könnten, so die Wissenschaftler, mit größerem Erfolg arbeiten, wenn sie mehr sprachliche Befehle in das Ausbildungsprogramm einbauen würden.

Die starke Bindung zu Menschen ist vermutlich eine Erweiterung des natürlichen Pferdeverhaltens in der Wildnis, wo Pferde zu ihren eigenen (Pferde-)Verwandten und Freunden starke Bindungen aufbauen, aber auch offen für neue Bekanntschaften sind, sofern diese nicht bedrohlich erscheinen. „Pferde pflegen Langzeit-Verbindungen mit einigen Mitgliedern ihrer Familie, aber kommunizieren zeitweise auch mit Mitgliedern anderer Gruppen, wenn sie neue Verbände bilden", so Carol Sankey. Pferde sind, so die Forscherin, loyal und intelligent und haben ein sehr lang anhaltendes Gedächtnis – sowohl von guten als auch von schlechten Erfahrungen. Mit anderen Worten: Pferde können verzeihen, aber sie vergessen nie.

Pferdegedächtnis arbeitet ,cross-modal'
Das Pferdegedächtnisses weist übrigens noch eine weitere Besonderheit auf: Es arbeitet „cross-modal" – d. h. Pferde können verschiedene Sinneseindrücke miteinander verknüpfen und fehlende Signale durch andere ersetzen. Eine 2012 im Fachmagazin ,Animal Cognition' veröffentlichte Studie konnte diese spezielle Facette des pferdlichen Gedächtnisses wissenschaftlich untermauern. „Cross-modales" Erinnerungsvermögen bedeutet – wie die Studienautoren Jessica Frances Lampe (Universität Edinburgh/GB) und Jeffrey Andre (James Madison University in Harrisonburg/USA) erklären – dass das Gehirn die Signale verschiedener Sinnesorgane, etwa des Gehörs, der Augen oder des Geruchssinns, miteinander verknüpfen und ein fehlendes Signal durch andere ersetzen bzw. kompensieren kann.

Mit insgesamt zwölf Pferden wurden mehrere Experimente durchgeführt, in denen z. B. die Pferde von vertrauten sowie von fremden Personen besucht und gestreichelt wurden und dann hinter einer Holzwand verschwanden. Danach spielte man eine Tonaufnahme der vertrauten oder der fremden Person vor. Stimmte die Tonaufnahme mit dem Geruch und dem Aussehen der eben erschienenen Person nicht überein, waren die Pferde deutlich neugieriger und aufmerksamer als bei einer übereinstimmenden Tonprobe – sie schienen von der Diskrepanz zwischen Stimme und Aussehen enorm überrascht. Das sei, so die Forscher, ein deutlicher Beweis, dass Pferde Aussehen, Geruch und Stimme einer Person zu einer kohärenten Erinnerung zusammenfügen können – und eine Unstimmigkeit bei diesen Signalen sofort bemerken. Mehr noch: Pferde können ein fehlendes Signal problemlos durch andere ersetzen bzw. kompensieren. Diese Fähigkeit – über die u. a. auch der Mensch, Hunde und bestimmte Affenarten verfügen – ist für das Fluchttier Pferd von großem Nutzen, denn so können Gefahren oder Feinde bereits anhand eines einziges Sinneseindrucks – etwa eines Geräuschs oder eines Geruchs – frühzeitig identifiziert werden.

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