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Tierärzte als Pferdeflüsterer: Behandlungs-Techniken für schwierige Pferde-Patienten
06.06.2016 / Wissen

Nicht alle Pferde bleiben so brav und gelassen, wenn sich der Tierarzt nähert...
Nicht alle Pferde bleiben so brav und gelassen, wenn sich der Tierarzt nähert... / Foto: Petr Blaha/Archiv

Tierärzte haben bei ihrer täglichen Arbeit ein beträchtliches Verletzungsrisiko – das man mit einfachen Techniken aus der Lern- und Verhaltenspsychologie aber deutlich verringern kann.

 

Bei ihrer Arbeit sind Pferdetierärzte sowie deren Assistenten einem erheblichen Verletzungsrisiko ausgesetzt – haben sie es doch häufig mit Pferden „im Ausnahmezustand" zu tun, also mit Tieren, die verletzt und von Schmerzen gepeinigt sind, unter Schock stehen oder von lästigen Krankheiten geplagt werden. Und selbst bei einfachen Kontroll-Untersuchungen kann es gefährlich werden, denn nicht alle Pferde bleiben brav und gelassen, wenn sich ein Tierarzt nähert – und legen bedrohlich die Ohren an, wenn er dann auch noch eine Spritze zückt.

Mit anderen Worten: Der Job eines Tierarztes kann mitunter ziemlich gefährlich sein – wie groß das Verletzungsrisiko von Veterinären  tatsächlich ist, darüber gibt es jedoch kaum abgesicherte Zahlen und Fakten. Für die britische Tierärztin Dr. Gemma Pearson war dies der Anlass, eine eigene kleine Studie darüber zu beginnen, die sie vor einigen Jahren im Rahmen der Int. Pferdewissenschafts-Konferenz in Edinburgh (GBR) vorgestellt hat und die dort auf großes Interesse gestoßen ist. Die Quintessenz daraus: Verletzungen von Tierärzten, Pferdebesitzern und Pferden können deutlich reduziert werden, indem man bei problematischen Pferde-Patienten einfache Techniken anwendet, die aus der Verhaltensforschung und der Lernpsychologie bekannt sind.

Dr. Pearson beobachtete Tierärzte und deren Hilfspersonal der Pferdeklinik an der tierärztlichen Hochschule (Royal School of Veterinary Studies) in Edinburgh über einen Zeitraum von 12 Monaten hinweg. In diesem Zeitraum wurden nicht weniger als acht Mitglieder des Personals verletzt und mussten ärztlich behandelt werden, bei fünf davon war eine Einlieferung ins Krankenhaus erforderlich. Wie ihre Auswertungen weiters ergaben, gingen 20 vollständige Arbeitstage aufgrund der Verletzungen des Behandlungspersonals verloren. Tierärzte und Assisten gaben bei einer Befragung an, dass sie nahezu täglich mit Pferde-Patienten konfrontiert sind, die schwierig im Handling seien und die für das Personal daher ein Sicherheitsrisiko darstellten.

Dr. Gemma Pearson: „Wie man sich vorstellen kann, herrscht an einer Pferdeklinik wie Edinburgh, die sich um schwierige Fälle aus ganz Schottland und Teilen von Nordengland kümmern muss, ein enormer zeitlicher und auch wirtschaftlicher Druck – umso wichtiger ist es für eine solche Einrichtung, Strategien zu entwickeln, mit denen die Behandlung von Problempatienten einfacher, rascher und sicherer wird." Pearsons Lösung waren einfache, wissenschaftlich abgesicherte Ausbildungs- bzw. Lerntechniken, die den Umgang mit schwierigen Pferden erleichtern sollten. Sie konzentrierte sich dabei auf zwei der häufigsten problematischen Verhaltensweisen: wenn Pferde sich weigern, in den Behandlungsstand zu gehen – und wenn Pferde Angst vor Injektionsnadeln haben. Beide Problemfälle kommen, so das Klinikpersonal, nahezu täglich vor und seien stets eine Quelle von Gefahr.

„Um die Pferde dazu zu bringen, in den Behandlungsstand zu gehen, haben wir die Technik der ,negativen Verstärkung' angewendet, deren Wirkung in zahlreichen Studien nachgewiesen wurde. Wir haben dabei beim Pferd einen Reiz bzw. Stimulus gesetzt, gegen den es eine leichte Abneigung hatte – und haben bei entsprechend positivem Verhalten das Pferd dadurch belohnt, dass wir diesen Reiz reduziert oder auch ganz eingestellt haben. Auf diese Weise hat das Pferd gelernt, dass der negative Reiz dann verschwindet, wenn es sich dem Behandlungsstand nähert und schließlich hineingeht. Innerhalb sehr kurzer Zeit ließen sich unsere vierbeinigen ,Problempatienten' ruhig und ohne Widersetzlichkeit in den Behandlungsstand führen und blieben dort auch", so Pearson. „Das hat einerseits die Zeit der Untersuchung deutlich verkürzt – und die Tierärzte und Assistenten konnten in dieser Zeit auch andere Dinge erledigen. Es war ein voller Erfolg."

Um nadelscheue Pferde zu behandeln, hat Pearson eine andere Technik angewendet, die als „Überschatten" (,overshadowing') bekannt ist. Dabei wird beim Pferd ein neutraler Reiz eingesetzt, z. B. auf leichten Druck des Pferdehalters einige Schritte nach rückwärts oder vorwärts zu gehen, während man ihm zugleich das Objekt zeigt, vor dem es sich fürchtet, in diesem Fall also die Nadel. Pearson: „Wir haben sehr behutsam begonnen und dabei die Tätigkeit des Injizierens in viele kleine Schritte zerlegt. Zuerst muss sichergestellt sein, dass das Pferd auf den neutralen Reiz gut und entspannt reagiert – damit konnten wir seine Furcht vor der Nadel überschatten bzw. überdecken. Innerhalb einer einzigen Session konnten wir die Injektion beim Pferd setzen, ohne es hat dabei nicht die geringste Reaktion gezeigt."

Der Schlüssel bei beiden Techniken ist sicherzustellen, dass das Pferd stets absolut ruhig und entspannt bleibt – das reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass es ängstlich oder unkontrolliert reagiert. Entspannte Pferde fürchten sich nicht – und man kann in Folge die Behandlung effizient und mit einem Miniimum an Stress sowohl für das Pferd als auch für den Tierarzt durchführen, so Pearson weiter.

Selbstverständlich werden auch andere konventionelle Techniken zur Beruhigung von Pferden wie die Sedierung oder die Nasenbremse immer ihren Platz bei der tierärztlichen Untersuchung und Behandlung haben, meint Pearson – aber Veterinäre, die diese beschriebenen einfachen Trainingstechniken ebenfalls anwenden, können ihr eigenes Verletzungsrisiko senken und das Vertrauen ihrer Kunden stärken. Pearson abschließend: „Wir sind der Überzeugung, dass Pferde und Pferdebesitzer enorm profitieren, wenn der Stress und die Angst vor einem Tierarztbesuch minimiert werden können."

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