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Betretungsverbot, fristlose Kündigung: Was bei Einstellverträgen rechtlich geht – und was nicht
07.05.2020 / Wissen

Betretungsverbote dürfen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen ausgesprochen werden – im vorliegenden Fall waren sie nicht gerechtfertigt, so Dr. Nina Ollinger.
Betretungsverbote dürfen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen ausgesprochen werden – im vorliegenden Fall waren sie nicht gerechtfertigt, so Dr. Nina Ollinger. / Symbolfoto: Archiv Martin Haller

Für eine Einstellerin in Tirol ist ein Albtraum Wirklichkeit geworden: Sie durfte wegen einer Stallsperre plötzlich nicht mehr zu ihrem kranken Pferd – selbst Tierarzt und Hufschmied wollte man den Zutritt verweigern. Doch ist das rechtlich überhaupt zulässig? Wir haben nachgefragt …

 

Die zurückliegenden Wochen waren für Reiterin Anna R. und ihr Pferd Tabor (Namen von der Redaktion geändert, Anm.) alles andere als leicht, wie sie gegenüber ProPferd schilderte. Anfang März wurde bei ihrem Wallach ein akutes Hüftproblem und Lahmheit diagnostiziert. Anna erhielt einen Behandlungsplan und spezielle Übungen, wie Tabor bewegt und gymnastiziert werden sollte, um wieder rasch fit zu werden. Doch Mitte März machte die Corona-Krise einen dicken Strich durch den schönen Behandlungsplan: Die Besuchszeiten im Stall wurden extrem eingeschränkt, eine Woche später wurde sogar – unter Hinweis auf die Quarantäne-Bestimmungen für Tirol – ein generelles Betretungsverbot auf unbestimmte Zeit ausgesprochen, obwohl nichts von einem konkreten Infektionsfall im Stall bekannt war.

Anna war extrem beunruhigt und machte sich Sorgen um die Gesundheit ihres Pferdes – doch die Stallbesitzer zeigten sich unnachgiebig. Anna beschwerte sich, es kam zum Streit und sogar zu einer zwischenzeitlichen Kündigung, die jedoch zwei Tage später wieder zurückgenommen wurde.
Ende März wurden schließlich neue Regeln für die Einsteller bekanntgegeben: Der Stallbesuch sollte wieder möglich sein, jedoch nur zweimal in der Woche für jeweils eine Stunde, und zwar allein, Reitbeteiligungen durften bis auf weiteres nicht in den Stall – und Anna wurde auch verboten, diverse Utensilien im Stall zu benutzen. Die notwendige Gymnastizierung von Tabor konnte unter diesen Umständen nicht durchgeführt werden.

In den nächsten Tagen verschlechterte sich Tabors Zustand, er wurde immer steifer und war von einer Genesung immer weiter entfernt. Anna versuchte, das Beste daraus zu machen und ihn so gut es ging zu mobilisieren – doch die Zeit reichte schlicht und einfach nicht, um das notwendige Bewegungs-Programm durchzuführen. Mitte April erhielt Anna schließlich einen alarmierenden Anruf – doch nicht vom Stallbesitzer, sondern von einer befreundeten Einstellerin: Tabor würde stark lahmen und scheine große Schmerzen zu haben! Sie schickte auch ein Handy-Video, auf dem die Lahmheit von Tabor deutlich zu sehen war. Anna kontaktierte daraufhin den Stallbesitzer und teilte ihm mit, dass sie umgehend Tierarzt und Hufschmied verständigen werde und diese in den Stall kommen würden, um Tabor zu behandeln.

Als noch am gleichen Abend der Hufschmied in den Stall kam, bestätigten sich Annas Befürchtungen: Tabor hatte starke Schmerzen, stand nur mehr auf drei Beinen, seine Sehne war angeschwollen und pulsierte stark. Die Schmerzen kamen, wie sich beim Abdrücken des Hufes zeigte, eindeutig vom Huf – und waren so schlimm, dass Tabor fast zusammenbrach, Anna zerriß es förmlich das Herz. Mitten in der Untersuchung geschah dann das Unglaubliche – der Stallbesitzer tauchte plötzlich auf, erklärte, dass Anna nun keine Stallzeit hätte – und schmiss sie samt dem Hufschmied hinaus! Die beiden konnten es kaum fassen.

Anna aber war nun wild entschlossen, ihr Pferd nicht im Stich zu lassen. Vom Parkplatz aus rief sie ihren Tierarzt an, der nach ca. 45 Minuten am Hof erschien. Sie eröffnete ihm, dass man von seiten des Stallbesitzers nicht erwünscht wäre und dass dieser zuvor sogar sie und den Hufschmied aus dem Stall geschmissen hätte. Der Tierarzt schüttelte nur den Kopf und meinte, dass er soetwas gar nicht könne – in einem solchen Fall dürfe man jederzeit in den Stall. Man ging gemeinsam zu Tabor, der nun sogar leichtes Fieber zeigte. Nach einer Untersuchung vermutete der Tierarzt ein Hufabszeß als wahrscheinlichen Grund für die Lahmheit – doch der Huf wäre zu hart, um es öffnen zu können. Er legte einen speziellen Hufverband an, damit der Huf schneller aufweicht – und verabreichte Tabor zwei Spritzen, um seine Schmerzen zu lindern. Am nächsten Vormittag sollte Anna nochmals kommen und ihm ein Fußbad und einen Verbandswechsel machen.

Am nächsten Tag kam Anna mit einem Helfer in den Stall, der sie beim Verbandswechsel unterstützen und ihr auch sonst beistehen sollte, denn die ganze Situation zehrte an ihren Nerven, es ging ihr psychisch sehr schlecht. Der Stallbesitzer wollte sie erneut hinauswerfen, verwies auf das geltende Stallverbot – und drohte sogar, die Polizei zu rufen. Anna und ihr Helfer aber ließen sich nicht einschüchtern, gingen zu ihrem Pferd und legten einen frischen Hufverband an. Wieder Zuhause kontaktierte sie einen Anwalt, der ihr zu einer fristlosen Kündigung riet und empfahl, das Pferd so rasch wie möglich aus dem Stall zu bringen, damit seine medizinische Versorgung gewährleistet ist. Am nächsten Tag holte Anna ihren Tabor schließlich ab und brachte ihn in einen anderen Stall. Mittlerweile ist er zum Glück wieder auf dem Weg der Besserung.

Auch wenn dieser konkrete Fall, so dramatisch er für das Pferd und seine Besitzerin verlaufen ist, ein glückliches Ende fand, so führt er doch vor Augen, wie eine eigentlich einfache Situation wie die Versorgung eines Pferdes in Corona-Zeiten entgleisen kann – und wie problematisch Stallsperren und Betretungsverbote in Einstellbetrieben grundsätzlich sind. Wir haben die Rechtsanwältin und Spezialistin für Pferderecht Dr. Nina Ollinger (www.ra-ollinger.at) um ihre Interpretation des Falles gebeten – und nachgefragt, welche juristischen Lehren man daraus ziehen kann und wie man sich sowohl als Einstellerin als auch als Stallbesitzerin in Konfliktsituationen am besten verhält, um eine derartige Eskalation zu vermeiden.

Fr. Dr. Ollinger, was sind für sie die wichtigsten Schlussfolgerungen aus dem geschilderten Fall in Tirol?
Dr. Ollinger: Der  Fall zeigt für mich plakativ auf, welche Probleme entstehen können bei allgemeiner Unsicherheit über die Rechtslage. In den letzten Wochen hat sich sehr viel ereignet. Vorschriften sind praktisch über Nacht in Kraft getreten, wie auch am 1.5.2020. Man kann wohl von der Bevölkerung nicht verlangen, dass sie gerade in speziellen Bereichen deren Anwendbarkeit sofort versteht und umsetzen kann. In den letzten Wochen habe ich gelernt, welche Sicherheit ein Rechtsstaat bietet, in dem allen Beteiligten die Rechtslage und die wechselseitigen Rechte und Pflichten im Wesentlichen klar sind. Das ist seit 16.3.2020 doch entschieden anders und es kam vielerorts zu Stallsperren, Unsicherheiten und offensichtlich auch einigen Zusammenstößen in der geschilderten Art. Viele Menschen haben sich wohl in Situationen wiedergefunden, wo sie rechtlichen Beistand gebraucht haben oder noch brauchen.

Hätte die Einstellerin hier irgendetwas anders machen oder sich anders verhalten sollen? Was hätten Sie an ihrer Stelle getan?
Dr. Ollinger: Die Einstellerin hat sich aus meiner Sicht richtig verhalten. Sie hätte sogar noch weiter gehen können und das ihr empfohlene außerordentliche Kündigungsrecht schon wesentlich früher ausüben können. Ein Betretungsverbot für Einsteller ist den ab 16.3.2020 in Geltung gestandenen Verordnungen nicht zu entnehmen. Damit liegt ein Vertragsbruch vor und das Recht auf außerordentliche Kündigung bestand somit sofort. Ich hätte der Einstellerin, genauso wie es ihr geraten wurde, eine fristlose Kündigung nahegelegt. Ich hätte genauso gehandelt.

Wie wichtig war das Handy-Video, das die Pferdebesitzerin von einer anderen Einstellerin zugeschickt bekommen hat?
Dr. Ollinger: Das Handy-Video hat aus juristischer Sicht für allfällige Schadenersatzansprüche aufgrund der gesundheitlichen Probleme von Tabor Relevanz; für die Begründung eines außerordentlichen Kündigungsrechtes ebenso, wenngleich dazu aus meiner Sicht der Ausspruch des Betretungsverbotes bereits ausreicht.

Kann man dem Stallbetreiber zugute halten, dass er die Stallsperre quasi im guten Glauben verhängt hat, um den Quarantäne-Bestimmungen in Tirol nachzukommen?
Dr. Ollinger: Nun, grundsätzlich gilt: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Wenngleich man dem Stallbetreiber möglicherweise keine moralischen Vorwürfe machen kann – wobei auch das zu hinterfragen ist, wenn es um die Gesundheit des Pferdes geht – hilft ein Handeln „im guten Glauben“ nicht, um die allfällige Haftung des Stallbetreibers für Schäden der Einstellerin abzuwehren bzw hat dies auch keinen Einfluss auf das außerordentliche Kündigungsrecht der Einstellerin.

Wann ist eine Stallsperre durch den Stallbetreiber überhaupt möglich bzw. rechtlich zulässig?
Dr. Ollinger: Eine Stallsperre durch den Stallbetreiber wäre meines Erachtens nur dann rechtlich zulässig, wenn über den Stall selbst Quarantäne verhängt worden wäre oder der Amtsarzt bzw Amtstierarzt entsprechende Maßnahmen setzt. Meines Erachtens ist es auch nicht Aufgabe des Stallbetreibers, einen Stall zu sperren wegen Quarantäne-Bestimmungen. Hätten die Quarantäne-Bestimmungen in Tirol dazu geführt, dass ein Einsteller das Haus nicht zur Versorgung seines Tieres verlassen dürfte, wäre auch eine Stallsperre durch den Stallbetreiber nicht notwendig gewesen. Die Notwendigkeit von Stallsperren hat sich in den letzten Wochen aufgrund der bestehenden Gesetzeslagen nicht gestellt.

Darf man einem Hufschmied oder Tierarzt den Zutritt zu einem gesperrten Stall verweigern, obwohl die Behandlung eines Tieres notwendig ist?  
Dr. Ollinger: Hufschmied oder Tierarzt durfte und darf der Zutritt zur Behandlung eines Tieres nicht verwehrt werden. Das stellt schon das Tierschutzgesetz sicher. Die Verwehrung des Zutrittes wäre aber auch nicht durch die erlassenen Verordnungen gedeckt gewesen.

Unter welchen Bedingungen bzw. bei welchen konkreten Gründen ist eine fristlose Kündigung des Einstellvertrags durch den Einsteller möglich?
Dr. Ollinger: Eine fristlose Kündigung eines Einstellvertrages ist für beide Seiten, sowohl Einsteller als auch Einstellbetrieb, nur dann möglich, wenn die Aufrechterhaltung des Einstellvertrages einer Seite nicht länger zugemutet werden kann. Dh, ist ein Grund so schwerwiegend, dass man die Kündigungsfrist nicht mehr „aushalten“ kann, dann ist ein außerordentlicher Kündigungsgrund gegeben. Um beim konkreten Beispiel zu bleiben: Wird einem der Zutritt zum Pferd verwehrt, wird einem Pferd die tierärztliche Versorgung oder der Termin beim Hufschmied verwehrt, ist ein äußerlicher Kündigungsgrund meiner Ansicht nach auf jeden Fall gegeben.

Wie gehe ich dabei als Einsteller konkret vor – schriftliche oder mündliche Kündigung, mit Zeugen oder auch ohne etc.?
Dr. Ollinger: Sofern der Einstellvertrag nicht vorschreibt, dass eine Kündigung schriftlich zu erfolgen hat, kann diese auch mündlich erfolgen. Es empfiehlt sich, die Kündigung schriftlich vorzunehmen bzw im Anschluss an eine ausgesprochene mündliche Kündigung diese schriftlich nachzureichen, wobei E-Mail, SMS, WhatsApp, etc ausreichend ist. Mündliche Kündigungen mit Zeugen sind natürlich auch möglich, doch auch hier empfiehlt es sich, die Kündigung auch schriftlich auszuführen, um Missverständnisse zu vermeiden und einen Beweis zu schaffen.

Unter welchen Bedingungen bzw. bei welchen konkreten Gründen ist eine fristlose Kündigung des Einstellvertrags durch den Stallbetreiber möglich?
Dr. Ollinger: Genauso wie der Einsteller kann auch der Stallbetreiber den Einstellvertrag fristlos kündigen, wenn ihm die Aufrechterhaltung des Vertrages für die Dauer der Kündigungszeit nicht mehr zumutbar ist. Das ist etwa auch dann denkbar, wenn der Stallbetreiber in den ersten Wochen der Corona-Situation Maßnahmen ergriffen hat, um die Ansteckungsgefahr so weit wie möglich zu minimieren und Einsteller sich an diese Vorgaben nicht halten, wie etwa Höchstzahlen beim Reiten in der Halle. Achtung: Derartige Vorschriften sind seit 1.5.2020 nicht mehr notwendig; es zählt nur noch der Mindestabstand und die Setzung der notwendigen Schutzmaßnahmen.

Wie muss eine solche fristlose Kündigung formal erfolgen, damit sie rechtswirksam ist?
Dr. Ollinger: Hier gilt das oben Ausgeführte; im Regelfall reicht die mündliche Kündigung, die Schriftform ist empfehlenswert.

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