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Kinesio-Taping für Pferde
17.08.2023 / Wissen

Was im Leistungssport und in der Rehabilitation beim Menschen schon viele Jahre lang erfolgreich angewendet wird, hat sich auch in der Pferdeszene etabliert. Autorin Katharina Meissner-Gibhart über Grundlagen, Anwendung und Wirkung von Kinesio-Pferdetaping.

 

Bereits 1988 begann die Erfolgsgeschichte der bunten Kinesio-Tapes, als sie erstmals bei den Olympischen Spielen in Seoul von Sportlern in der Öffentlichkeit getragen wurden. Dr. Kenzo Kase, der vor einigen Jahrzehnten von Japan nach Amerika ausgewandert ist und seitdem dort lebt und praktiziert, erfand das spezielle Tape bereits 1972 und konnte damit in kürzester Zeit Erfolge verbuchen. Mittlerweile erfreut sich diese Therapiemethode auf der ganzen Welt großer Beliebtheit und viele kopieren seine Methode bzw. seine Tapes. So konnte auch eine Kinesio-Tape-Anwendung bei Pferden nicht lange auf sich warten lassen: Dr. Sybille Molle, Fachtierärztin für Pferde in Italien, hat die Ausbildung für das Taping am Menschen nach Dr. Kenzo Kase besucht und bereits selbst mit dem Kinesio-Tape an Pferden Erfahrungen gemacht. Nachdem sie schließlich auch noch die Prüfung zum Kinesio-Tape Practitioner sowie anschließend zum Instructor ablegte, begann sie gemeinsam mit Gudrun Collins, Physiotherapeutin und ebenfalls Kinesio-Tape Instructor, sowie Dr. Kenzo Kase, Unterrichtsmaterialien für einen Kinesio-Taping Kurs am Pferd zusammen zu stellen. Nach intensiven Studien und vielen praktischen Anwendungen fand Mitte August 2012 der weltweit erste Kinesio-Pferdetaping Kurs nach der Originalmethode von Dr. Kenzo Kase in Baden (NÖ) am Schildbachhof statt – für den er extra den Kinesio-Tape Einsatz bei den Olympischen Spielen in London unterbrach.

Das Tape wird je nach Anwendung auch in X­-, Y­- oder Netz-Form zugeschnitten und aufgeklebt.
 
Lymphabfluss: Diese übereinander fixierten Tapes unter­ stützen beim Aktivieren des Flusses.
 

Was sind Kinesio-Tapes?
Die Kinesio-Tapes sind elastische Bänder, die aus 100 % Baumwolle und elastischen Fasern bestehen und mit einem medizinischen, wärmeaktiven Acryl-Kleber beschichtet sind. Die Dicke des Kinesio-Tapes entspricht ungefähr der Dicke der Haut. Der Kleber ist wellenartig am Tape aufgebracht und erlaubt der Haut zu atmen. Die Tapes sind latexfrei und in unterschiedlichen Farben erhältlich (rot, blau, schwarz, beige) – die dafür verwendeten Farbstoffe werden ausschließlich aus Pflanzen gewonnen. Das Kinesio Tape ist mit einer zehnprozentigen Vorspannung auf einem Papierträger aufgebracht und lässt sich nur entlang seiner Längsachse dehnen. Dr. Kase hatte bei der Entwicklung seines Kinesio-Tapes auch eine weitere Eigenschaft besonders im Blick – die Mobilität und Flexibilität des Patienten trotz des Tapes. Wird das Tape also richtig angewendet, sind Mensch oder Tier in ihrer normalen Beweglichkeit kaum eingeschränkt. Das Kinesio-Tape, das aufs Pferd geklebt wird, ist übrigens genau das selbe, das auch bei der Therapie am Menschen angewendet wird. Trotz des Haarkleides beim Pferd ist ein Scheren fast nie notwendig – das Tape hält auf sauberem, weitgehend staubfreiem und trockenem Fell in den meisten Fällen sehr gut.

Die Anwendung der Tapes

Je nachdem ob Muskeln, Bänder, Sehnen, Gelenke, das Lymphsystem etc. damit behandelt werden sollen, wird das Tape an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlicher Spannung aufgeklebt. Die Kinesio-Tapes können auch über einen längeren Zeitraum (mehrere Tage) getragen werden und damit sowohl unmittelbar als auch langfristig nützen. Neben Effekten bei der Rehabilitation kranker bzw. verletzter Tiere kann diese Taping Methode ebenso zur Erholung nach Wettkämpfen oder nach langen Transporten genützt werden. Dr. Sybille Molle behandelt seit einigen Jahren Freizeit- sowie auch zahlreiche Sportpferde mit Kinesio-Tapes und zeigt sich von der Wirkung begeistert: „Ich wende das Kinesio Taping oft in Fällen an, wo man keine Medikamente anwenden kann bzw. darf, weil diese z. B. in die Doping Liste fallen würden. Es ist sehr effektiv, wenns darum geht, das Pferd während eines Wettkampfs oder auch einer langen Wettkampfsaison fit zu halten. Die Tapes begünstigen die Heilung von Mikrotraumen in den Muskeln sehr, womit einer eventuell nachfolgenden ernsthaften Verletzung oft vorgebeugt werden kann.“

Für die auffälligen Farben der Kinesio-Tapes hat Dr. Kase übrigens eine erstaunlich simple Erklärung: „Ich hatte zur Zeit der Entwicklung der Kinesio-Tapes eine junge Patientin, die fand, dass die beigen Tapes einfach alt, hässlich und „krank“ aussehen würden. Also habe ich mich bewusst für knallige Signalfarben wie z. B. rot und blau entschieden. Natürlich ist es so, dass Farben aus psychologischer Sicht den Menschen generell schon beeinflussen – d. h. rot wirkt z. B. wärmend, blau dagegen kühlend – dazu gibt’s auch Studien, allerdings ist es wissenschaftlich nicht bewiesen, dass die farblichen Tapes tatsächlich deswegen einen besonderen Effekt haben.

Anwendungsgebiete
Es gibt grob eingeteilt fünf physiologische Hauptanwendungsgebiete bei der Anwendung des Kinesio-Tapes: Haut, Faszien, Zirkulatorische und Lymphatische Systeme, Muskeln und Gelenke. Je nachdem welche Struktur oder welches Gewebe vom Tape beeinflusst werden soll, ändert sich die Art der Anbringung aufs Fell. An der Haut und den oberflächlichen Faszien kann durch die Dekompression und die ständige geringe Stimulation der Hautrezeptoren eine Linderung von Schmerzen und Entzündungen unterstützt werden. In Zirkulatorischen und Lymphatischen Systemen kann das Kinesio Tape den lymphatischen Fluss sowie den Flüssigkeitsaustausch zwischen den Gewebeschichten optimieren – sowie dadurch dazu beitragen, Ödeme und Schmerzen zu reduzieren. Die speziellen Wirkungen des Tapes bei tiefen Faszien und Muskeln sind eine Unterstützung bei Schmerzreduktion, besserer Beweglichkeit, Optimierung von Tonus und Kraft, schneller Regeneration des Gewebes und einer Verminderung von Erschöpfungssymptomen. Schlussendlich kann das Kinesio Tape auch dabei helfen, das Gelenk mechanisch zu stabilisieren – durch die Unterstützung von Bändern und Sehnen, Schutz vor Schonhaltungen und Schmerz, eine Verbesserung der kinästhetischen Wahrnehmung (= Tiefensensibilität) und einen Ausgleich von Agonisten und Antagonisten (beugende und streckende Muskeln).

Richtig aufgeklebt

Nach der Lokalisation des zu behandelnden Bereichs wird Maß genommen ...


Wie schon erwähnt, richtet sich die Art der Anbringung des Tapes nach dem Zielgewebe, das unterstützt werden soll. Je nach Größe des zu behandelnden Gebietes wird das Tape noch auf dem Papierträger haftend passend abgeschnitten. Nach Abzug des Papiers, entweder als Ganzes oder erst nach und nach, wird der sogenannte Anker, also das eine Ende als Startpunkt – ohne das Tape zu spannen – am Fell fixiert. Der mittlere Teil des Kinesio-Tape Streifens kann nun je nach Anlage mit bestimmter vorgegebener Spannung gedehnt am Fell aufgebracht werden und danach wird das Ende des Tapestreifens – wiederum ohne Spannung – am Fell aufgeklebt. Prinzipiell ist es – je nach Ziel – auch erwünscht, dass das Tape auf vorgedehntes Gewebe geklebt wird, das heißt z. B. das Bein oder der Hals wird in eine bestimmte Richtung bewegt, damit die Haut und darunter liegende Strukturen dort gespannt sind. Abhängig davon, was das Tape bewirken soll, kann entweder der ganze Streifen verwendet werden oder er wird in X, Y oder auch Netzform zugeschnitten.

Ausrichtung und Spannung

Ohne Spannung: Der „Anker" des Tapes wird ohne Spannung unterhalb des Zielgebiets auf das Fell geklebt.

Dehnung:  Über den Bändern bzw. dem Gelenk des Pferdes wird der mittlere Teil des Tapes nun gedehnt. Das Ende wird wieder ohne Spannung fixiert.

 

Fertig: Nun streicht man noch mit der Hand ein paar Mal über das Tape, damit es gut haftet.


Auch die Richtung der Spannung des Tapes spielt eine große Rolle. Gudrun Collins betont: „Der Effekt des Tapes hängt maßgeblich vom richtigen Anbringen auf dem Fell des Pferdes ab. Es kommt ganz darauf an, welche Art der Applikation ich habe und wo. Klebt man ein Kinesio Tape mit hoher Spannung im Bereich des Pferdebauches, ist das fürs Pferd sicherlich unangenehm. Außerdem kann es bei zu hoher Spannung zu Mikrotraumen bzw. Hautreizungen kommen. Daher sollte man beim Pferd auch nicht zuviel Spannung anwenden.“ Dr. Kenzo Kase schlägt in die gleiche Kerbe: „Deswegen ist uns immer wichtig: Weniger ist mehr! Dann ist auch die Gefahr geringer, etwas falsch zu machen. Außerdem ist es enorm wichtig, immer nach dem Tapen den Zustand des Pferdes, sein Verhalten, seine Bewegung zu testen und eventuell etwas zu korrigieren bzw. wieder zu entfernen. Dieser Check hat oberste Priorität!“

In Kombination
In der Praxis wird das Kinesio Tape als komplementäre Therapiemethode mit anderen Therapien gemeinsam verwendet und ist hier auch sehr erfolgreich. Dr. Sybille Molle erzählt von ihren Erfahrungen: „Das Kinesio Taping als einzige Methode zu verwenden ist meist nicht sinnvoll oder empfehlenswert. Es gibt viele verschiedene manuelle Therapien, die man hier gemeinsam anwenden kann: Manuelle Lymphdrainage, Akupunktur, Osteopathie und viele andere. Und nach so einer Behandlung klebe ich dann meist ein Tape. Andernfalls wäre eine Tape Behandlung wohl nicht so effektiv bzw. es könnte schon durchaus nützen, aber dann würde es mit unserer Philosophie nicht zusammenpassen. Das Kinesio Taping ist nun mal als komplementäre Therapie zu verstehen, die sich gut in Kombination anwenden lässt.“

Forschung und Wirkung
Wie bei den meisten komplementären Methoden gibt es natürlich auch beim Kinesio Taping viele, die an der Sinnhaftigkeit bzw. der Wirkung und Wirksamkeit dieser Methode zweifeln. Einige Studien im Humanbereich zeigen tolle Heilungsergebnisse, viele wiederum widerlegen positive bzw. jegliche Wirkungen. Dr. Kenzo Kase dazu: „Ich forsche nun seit über 30 Jahren in diesem Bereich. Außerdem gibt es ein eigenes Forschungskomitee, dass sich seit langem mit nichts anderem als der Durchführung und Untersuchung von Studien beschäftigt – jedes Jahr gibt es ein bis zwei Symposien, wo die aktuellsten Studien veröffentlicht und präsentiert werden. Es existieren mittlerweile insgesamt über 600 Studien, allerdings ist ein Großteil davon in Japan gemacht worden und noch gar nicht vollständig übersetzt. Uns liegt die Forschungsarbeit auf jeden Fall sehr am Herzen.“ Wie im Humanbereich sind auch im Pferdebereich die praktischen Erfahrungswerte positiv – schließlich wendet Dr. Sybille Molle die Methode mit großem Erfolg an, aber hier gibt es aufgrund der kurzen Zeit noch kaum Studien. Die erste Studie mit dem Titel „Use of kinesio taping for the treatment of sacroiliac joint dysfunction in the horse“ hat Dr. Molle nun selbst durchgeführt und im August auch an der Vetmeduni Vienna vorgestellt. Sybille Molle: „Im Pferdebereich gibt’s momentan leider noch nicht genug Studien, weil klinische, fundierte Forschung einfach Zeit braucht. Ich hatte in meiner Pilotstudie, die über zweieinhalb Monate dauerte, sieben Pferde – die Resultate waren zu 100 % erfolgreich und signifikant.“

 

 

Dr. Kenzo Kase (mitte) mit den Instruktoren Gudrun Collins (l.) und Dr. Sybille Molle (r.)

 

Ausblick
Nach dem Gespräch mit den drei Kinesio-Tape Praktikern ist klar: Sie alle sind, Studien hin oder her, von ihrer Methode mit ganzem Herzen überzeugt, sehen sie doch schließlich tagtäglich was es ihren Patienten bringt. Wird das Kinesio Taping am Pferd nun vermehrt angewendet, wird es in absehbarer Zeit auf jeden Fall einige interessante Studien mehr geben, die dann vielleicht auch wissenschaftlich zeigen, was das Kinesio Taping bewirken kann. Am Ende unseres Gesprächs liegt den drei Praktikern nur mehr eines am Herzen: „Wir möchten die Pferdebesitzer dazu anregen, sich immer – egal ob beim Kinesio Taping oder bei anderen Therapiemethoden – nach den kompetentesten Therapeuten oder Ärzten umzusehen. Es gibt leider mittlerweile so viele, die glauben sie können nach Kurzkursen, die wenige Stunden dauern, erfolgreich ein Pferd therapieren. Doch leider ist das nicht nur falsch, da eine ausreichende Bildung in Anatomie, Physiologie und vor allem Pathologie fehlt, sondern kann auch noch gefährlich werden. Daher Augen auf! Das Pferd verdient schließlich nur das Beste!“

Bakk. rer. nat. Katharina Meissner-Gibhart

Dieser Artikel ist erstmals im Oktober 2012 in der Zeitschrift ,Pferdplus' erschienen. Katharina Meissner-Gibhart war beim damals durchgeführten ersten Kinesio-Pferdetapingkurs nach der Originalmethode von Dr. Kenzo Kase dabei.


KINESIO-TAPING

Sinnvolle Anwendungsgebiete
– Schmerzen
– Ödeme
– Verletzungen des Bandapparates bzw. der Gelenksstrukturen
– Entzündung
– Erschöpfung
– Instabile Gelenke
– Überbeanspruchte oder schwache Muskeln
– Störung der Körperwahrnehmung
– Beweglichkeitseinschränkungen
– Dysbalancen im Gangbild und viele andere mehr

Wo Kinesio Taping nicht angewendet werden soll:
– Aktives, bösartiges Gewebe
– Aktive Cellulitis oder Hautinfektion
– Offene Wunden, sensible  oder heilende Haut
– Tiefe Venenthrombosen (Blutgerinnsel)
– Bekannte Hautreaktionen auf dieses Produkt


Weitere Informationen:
www.KinesioTaping.com
www.kinesio-austria.at
www.schildbachhof.at

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