Kinesio-Taping für Pferde 17.08.2023 / Wissen
Was im Leistungssport und in der Rehabilitation beim Menschen schon viele Jahre lang erfolgreich angewendet wird, hat sich auch in der Pferdeszene etabliert. Autorin Katharina Meissner-Gibhart über Grundlagen, Anwendung und Wirkung von Kinesio-Pferdetaping.
Bereits 1988 begann die Erfolgsgeschichte der bunten Kinesio-Tapes, als sie erstmals bei den Olympischen Spielen in Seoul von Sportlern in der Öffentlichkeit getragen wurden. Dr. Kenzo Kase, der vor einigen Jahrzehnten von Japan nach Amerika ausgewandert ist und seitdem dort lebt und praktiziert, erfand das spezielle Tape bereits 1972 und konnte damit in kürzester Zeit Erfolge verbuchen. Mittlerweile erfreut sich diese Therapiemethode auf der ganzen Welt großer Beliebtheit und viele kopieren seine Methode bzw. seine Tapes. So konnte auch eine Kinesio-Tape-Anwendung bei Pferden nicht lange auf sich warten lassen: Dr. Sybille Molle, Fachtierärztin für Pferde in Italien, hat die Ausbildung für das Taping am Menschen nach Dr. Kenzo Kase besucht und bereits selbst mit dem Kinesio-Tape an Pferden Erfahrungen gemacht. Nachdem sie schließlich auch noch die Prüfung zum Kinesio-Tape Practitioner sowie anschließend zum Instructor ablegte, begann sie gemeinsam mit Gudrun Collins, Physiotherapeutin und ebenfalls Kinesio-Tape Instructor, sowie Dr. Kenzo Kase, Unterrichtsmaterialien für einen Kinesio-Taping Kurs am Pferd zusammen zu stellen. Nach intensiven Studien und vielen praktischen Anwendungen fand Mitte August 2012 der weltweit erste Kinesio-Pferdetaping Kurs nach der Originalmethode von Dr. Kenzo Kase in Baden (NÖ) am Schildbachhof statt – für den er extra den Kinesio-Tape Einsatz bei den Olympischen Spielen in London unterbrach.
Das Tape wird je nach Anwendung auch in X-, Y- oder Netz-Form zugeschnitten und aufgeklebt.
Lymphabfluss: Diese übereinander fixierten Tapes unter stützen beim Aktivieren des Flusses.
Was sind Kinesio-Tapes?
Die Kinesio-Tapes sind elastische Bänder, die aus 100 % Baumwolle und elastischen Fasern bestehen und mit einem medizinischen, wärmeaktiven Acryl-Kleber beschichtet sind. Die Dicke des Kinesio-Tapes entspricht ungefähr der Dicke der Haut. Der Kleber ist wellenartig am Tape aufgebracht und erlaubt der Haut zu atmen. Die Tapes sind latexfrei und in unterschiedlichen Farben erhältlich (rot, blau, schwarz, beige) – die dafür verwendeten Farbstoffe werden ausschließlich aus Pflanzen gewonnen. Das Kinesio Tape ist mit einer zehnprozentigen Vorspannung auf einem Papierträger aufgebracht und lässt sich nur entlang seiner Längsachse dehnen. Dr. Kase hatte bei der Entwicklung seines Kinesio-Tapes auch eine weitere Eigenschaft besonders im Blick – die Mobilität und Flexibilität des Patienten trotz des Tapes. Wird das Tape also richtig angewendet, sind Mensch oder Tier in ihrer normalen Beweglichkeit kaum eingeschränkt. Das Kinesio-Tape, das aufs Pferd geklebt wird, ist übrigens genau das selbe, das auch bei der Therapie am Menschen angewendet wird. Trotz des Haarkleides beim Pferd ist ein Scheren fast nie notwendig – das Tape hält auf sauberem, weitgehend staubfreiem und trockenem Fell in den meisten Fällen sehr gut.
Die Anwendung der Tapes
Je nachdem ob Muskeln, Bänder, Sehnen, Gelenke, das Lymphsystem etc. damit behandelt werden sollen, wird das Tape an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlicher Spannung aufgeklebt. Die Kinesio-Tapes können auch über einen längeren Zeitraum (mehrere Tage) getragen werden und damit sowohl unmittelbar als auch langfristig nützen. Neben Effekten bei der Rehabilitation kranker bzw. verletzter Tiere kann diese Taping Methode ebenso zur Erholung nach Wettkämpfen oder nach langen Transporten genützt werden. Dr. Sybille Molle behandelt seit einigen Jahren Freizeit- sowie auch zahlreiche Sportpferde mit Kinesio-Tapes und zeigt sich von der Wirkung begeistert: „Ich wende das Kinesio Taping oft in Fällen an, wo man keine Medikamente anwenden kann bzw. darf, weil diese z. B. in die Doping Liste fallen würden. Es ist sehr effektiv, wenns darum geht, das Pferd während eines Wettkampfs oder auch einer langen Wettkampfsaison fit zu halten. Die Tapes begünstigen die Heilung von Mikrotraumen in den Muskeln sehr, womit einer eventuell nachfolgenden ernsthaften Verletzung oft vorgebeugt werden kann.“
Für die auffälligen Farben der Kinesio-Tapes hat Dr. Kase übrigens eine erstaunlich simple Erklärung: „Ich hatte zur Zeit der Entwicklung der Kinesio-Tapes eine junge Patientin, die fand, dass die beigen Tapes einfach alt, hässlich und „krank“ aussehen würden. Also habe ich mich bewusst für knallige Signalfarben wie z. B. rot und blau entschieden. Natürlich ist es so, dass Farben aus psychologischer Sicht den Menschen generell schon beeinflussen – d. h. rot wirkt z. B. wärmend, blau dagegen kühlend – dazu gibt’s auch Studien, allerdings ist es wissenschaftlich nicht bewiesen, dass die farblichen Tapes tatsächlich deswegen einen besonderen Effekt haben.
Anwendungsgebiete
Es gibt grob eingeteilt fünf physiologische Hauptanwendungsgebiete bei der Anwendung des Kinesio-Tapes: Haut, Faszien, Zirkulatorische und Lymphatische Systeme, Muskeln und Gelenke. Je nachdem welche Struktur oder welches Gewebe vom Tape beeinflusst werden soll, ändert sich die Art der Anbringung aufs Fell. An der Haut und den oberflächlichen Faszien kann durch die Dekompression und die ständige geringe Stimulation der Hautrezeptoren eine Linderung von Schmerzen und Entzündungen unterstützt werden. In Zirkulatorischen und Lymphatischen Systemen kann das Kinesio Tape den lymphatischen Fluss sowie den Flüssigkeitsaustausch zwischen den Gewebeschichten optimieren – sowie dadurch dazu beitragen, Ödeme und Schmerzen zu reduzieren. Die speziellen Wirkungen des Tapes bei tiefen Faszien und Muskeln sind eine Unterstützung bei Schmerzreduktion, besserer Beweglichkeit, Optimierung von Tonus und Kraft, schneller Regeneration des Gewebes und einer Verminderung von Erschöpfungssymptomen. Schlussendlich kann das Kinesio Tape auch dabei helfen, das Gelenk mechanisch zu stabilisieren – durch die Unterstützung von Bändern und Sehnen, Schutz vor Schonhaltungen und Schmerz, eine Verbesserung der kinästhetischen Wahrnehmung (= Tiefensensibilität) und einen Ausgleich von Agonisten und Antagonisten (beugende und streckende Muskeln).
Richtig aufgeklebt
Nach der Lokalisation des zu behandelnden Bereichs wird Maß genommen ...
Wie schon erwähnt, richtet sich die Art der Anbringung des Tapes nach dem Zielgewebe, das unterstützt werden soll. Je nach Größe des zu behandelnden Gebietes wird das Tape noch auf dem Papierträger haftend passend abgeschnitten. Nach Abzug des Papiers, entweder als Ganzes oder erst nach und nach, wird der sogenannte Anker, also das eine Ende als Startpunkt – ohne das Tape zu spannen – am Fell fixiert. Der mittlere Teil des Kinesio-Tape Streifens kann nun je nach Anlage mit bestimmter vorgegebener Spannung gedehnt am Fell aufgebracht werden und danach wird das Ende des Tapestreifens – wiederum ohne Spannung – am Fell aufgeklebt. Prinzipiell ist es – je nach Ziel – auch erwünscht, dass das Tape auf vorgedehntes Gewebe geklebt wird, das heißt z. B. das Bein oder der Hals wird in eine bestimmte Richtung bewegt, damit die Haut und darunter liegende Strukturen dort gespannt sind. Abhängig davon, was das Tape bewirken soll, kann entweder der ganze Streifen verwendet werden oder er wird in X, Y oder auch Netzform zugeschnitten.
Ausrichtung und Spannung
Ohne Spannung: Der „Anker" des Tapes wird ohne Spannung unterhalb des Zielgebiets auf das Fell geklebt.
Dehnung: Über den Bändern bzw. dem Gelenk des Pferdes wird der mittlere Teil des Tapes nun gedehnt. Das Ende wird wieder ohne Spannung fixiert.
Fertig: Nun streicht man noch mit der Hand ein paar Mal über das Tape, damit es gut haftet.
Auch die Richtung der Spannung des Tapes spielt eine große Rolle. Gudrun Collins betont: „Der Effekt des Tapes hängt maßgeblich vom richtigen Anbringen auf dem Fell des Pferdes ab. Es kommt ganz darauf an, welche Art der Applikation ich habe und wo. Klebt man ein Kinesio Tape mit hoher Spannung im Bereich des Pferdebauches, ist das fürs Pferd sicherlich unangenehm. Außerdem kann es bei zu hoher Spannung zu Mikrotraumen bzw. Hautreizungen kommen. Daher sollte man beim Pferd auch nicht zuviel Spannung anwenden.“ Dr. Kenzo Kase schlägt in die gleiche Kerbe: „Deswegen ist uns immer wichtig: Weniger ist mehr! Dann ist auch die Gefahr geringer, etwas falsch zu machen. Außerdem ist es enorm wichtig, immer nach dem Tapen den Zustand des Pferdes, sein Verhalten, seine Bewegung zu testen und eventuell etwas zu korrigieren bzw. wieder zu entfernen. Dieser Check hat oberste Priorität!“
In Kombination
In der Praxis wird das Kinesio Tape als komplementäre Therapiemethode mit anderen Therapien gemeinsam verwendet und ist hier auch sehr erfolgreich. Dr. Sybille Molle erzählt von ihren Erfahrungen: „Das Kinesio Taping als einzige Methode zu verwenden ist meist nicht sinnvoll oder empfehlenswert. Es gibt viele verschiedene manuelle Therapien, die man hier gemeinsam anwenden kann: Manuelle Lymphdrainage, Akupunktur, Osteopathie und viele andere. Und nach so einer Behandlung klebe ich dann meist ein Tape. Andernfalls wäre eine Tape Behandlung wohl nicht so effektiv bzw. es könnte schon durchaus nützen, aber dann würde es mit unserer Philosophie nicht zusammenpassen. Das Kinesio Taping ist nun mal als komplementäre Therapie zu verstehen, die sich gut in Kombination anwenden lässt.“
Forschung und Wirkung
Wie bei den meisten komplementären Methoden gibt es natürlich auch beim Kinesio Taping viele, die an der Sinnhaftigkeit bzw. der Wirkung und Wirksamkeit dieser Methode zweifeln. Einige Studien im Humanbereich zeigen tolle Heilungsergebnisse, viele wiederum widerlegen positive bzw. jegliche Wirkungen. Dr. Kenzo Kase dazu: „Ich forsche nun seit über 30 Jahren in diesem Bereich. Außerdem gibt es ein eigenes Forschungskomitee, dass sich seit langem mit nichts anderem als der Durchführung und Untersuchung von Studien beschäftigt – jedes Jahr gibt es ein bis zwei Symposien, wo die aktuellsten Studien veröffentlicht und präsentiert werden. Es existieren mittlerweile insgesamt über 600 Studien, allerdings ist ein Großteil davon in Japan gemacht worden und noch gar nicht vollständig übersetzt. Uns liegt die Forschungsarbeit auf jeden Fall sehr am Herzen.“ Wie im Humanbereich sind auch im Pferdebereich die praktischen Erfahrungswerte positiv – schließlich wendet Dr. Sybille Molle die Methode mit großem Erfolg an, aber hier gibt es aufgrund der kurzen Zeit noch kaum Studien. Die erste Studie mit dem Titel „Use of kinesio taping for the treatment of sacroiliac joint dysfunction in the horse“ hat Dr. Molle nun selbst durchgeführt und im August auch an der Vetmeduni Vienna vorgestellt. Sybille Molle: „Im Pferdebereich gibt’s momentan leider noch nicht genug Studien, weil klinische, fundierte Forschung einfach Zeit braucht. Ich hatte in meiner Pilotstudie, die über zweieinhalb Monate dauerte, sieben Pferde – die Resultate waren zu 100 % erfolgreich und signifikant.“
Dr. Kenzo Kase (mitte) mit den Instruktoren Gudrun Collins (l.) und Dr. Sybille Molle (r.)
Ausblick
Nach dem Gespräch mit den drei Kinesio-Tape Praktikern ist klar: Sie alle sind, Studien hin oder her, von ihrer Methode mit ganzem Herzen überzeugt, sehen sie doch schließlich tagtäglich was es ihren Patienten bringt. Wird das Kinesio Taping am Pferd nun vermehrt angewendet, wird es in absehbarer Zeit auf jeden Fall einige interessante Studien mehr geben, die dann vielleicht auch wissenschaftlich zeigen, was das Kinesio Taping bewirken kann. Am Ende unseres Gesprächs liegt den drei Praktikern nur mehr eines am Herzen: „Wir möchten die Pferdebesitzer dazu anregen, sich immer – egal ob beim Kinesio Taping oder bei anderen Therapiemethoden – nach den kompetentesten Therapeuten oder Ärzten umzusehen. Es gibt leider mittlerweile so viele, die glauben sie können nach Kurzkursen, die wenige Stunden dauern, erfolgreich ein Pferd therapieren. Doch leider ist das nicht nur falsch, da eine ausreichende Bildung in Anatomie, Physiologie und vor allem Pathologie fehlt, sondern kann auch noch gefährlich werden. Daher Augen auf! Das Pferd verdient schließlich nur das Beste!“
Bakk. rer. nat. Katharina Meissner-Gibhart
Dieser Artikel ist erstmals im Oktober 2012 in der Zeitschrift ,Pferdplus' erschienen. Katharina Meissner-Gibhart war beim damals durchgeführten ersten Kinesio-Pferdetapingkurs nach der Originalmethode von Dr. Kenzo Kase dabei.
KINESIO-TAPING
Sinnvolle Anwendungsgebiete
– Schmerzen
– Ödeme
– Verletzungen des Bandapparates bzw. der Gelenksstrukturen
– Entzündung
– Erschöpfung
– Instabile Gelenke
– Überbeanspruchte oder schwache Muskeln
– Störung der Körperwahrnehmung
– Beweglichkeitseinschränkungen
– Dysbalancen im Gangbild und viele andere mehr
Wo Kinesio Taping nicht angewendet werden soll:
– Aktives, bösartiges Gewebe
– Aktive Cellulitis oder Hautinfektion
– Offene Wunden, sensible oder heilende Haut
– Tiefe Venenthrombosen (Blutgerinnsel)
– Bekannte Hautreaktionen auf dieses Produkt
Weitere Informationen:
www.KinesioTaping.com
www.kinesio-austria.at
www.schildbachhof.at
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:06.04.2022 - Kinesio-Tapes bei Pferden: Studie bestätigt positive Wirkung
Kinesio-Tapes bei Pferden: Studie bestätigt positive Wirkung 06.04.2022 / News
Kinesio-Tapes könnten bei Pferden noch wirkungsvoller sein als beim Menschen – und zwar wegen ihres sehr entwickelten großen Haut-Muskels, der den gesamten Rumpf umfasst und vom Hals-Nacken-Bereich bis zu den Vorder- und Hinterbeinen reicht, so die Studien-Autorinnen. / Symbolfoto: Gundula Lorenz
Kinesio-Tapes, die bei zehn Dressurpferden getestet wurden, schienen die darunter liegenden Muskeln zu stimulieren, was zu mehr Längsaktivität und längeren Schritten führte: „Es scheint die Kontraktion der Bauchmuskeln zu aktivieren“, so die Autorin einer aktuellen Studie.
Kinesio-Tapes – auf die Haut geklebte, elastische Textilbänder – haben sich längst einen fixen Platz im Alltag und insbesondere im Sport erobert, wo sie in vielfältiger Weise eingesetzt werden. Meistens werden sie bei muskulären Problemen und Sehnen- oder Gelenkschmerzen angewendet, etwa bei Muskelverspannungen und -verletzungen, Sehnenscheidenentzündungen, Verletzungen der Bänder, Arthrose und Rückenschmerzen. Teilweise werden sie verwendet, um Fehlhaltungen und Haltungsschwächen zu korrigieren oder Verletzungen präventiv zu behandeln. Es wird ihnen auch nachgesagt, die Durchblutung zu verbessern, einer frühzeitigen Ermüdung bei langen Belastungen wie einem Marathon vorzu beugen und Muskelkater zu lindern. Durch die spezifische Art des Anlegens auf die Haut und die besondere Anordnung sollen sie insgesamt eine stimulierende Wirkung auf Muskelpartien, Gelenke sowie das Lymph- und Nervensystem haben, heißt es.
Wenngleich wissenschaftliche Bestätigungen für derartige Wirkungen noch weitgehend ausstehen, sind die bunten Tapes vor allem bei Sportlern enorm populär, und sie könnten bei Pferden sogar noch wirksamer sein als bei Menschen, so Sophie Biau, Forschungskoordinatorin an der Ecole National d' Reitsport, in Saumur, Frankreich. Der Grund dafür liegt buchstäblich auf der Haut: „Pferde sind auf der Hautebene sehr empfindlich, weil ihre Haut viel reicher an Rezeptoren ist als unsere, und sie haben einen sehr entwickelten ‚Haut-Muskel‘ (CTM = cutaneus trunci musculus), der nahezu den gesamten Rumpf umhüllt und vom Hals-Nacken-Bereich bis zu den Vorder- und Hinterbeinen reicht.“
Um die Wirkung von Kinesio-Tapes zu überprüfen, testeten Biau und ihre Kollegin Isabelle Burgaud, DVM, vom French Horse and Equitation Institute (IFCE), ebenfalls in Saumur, insgesamt 10 erwachsene Dressurpferde mit entsprechenden Tapes während Schritt-Trab-Einheiten an der Hand und an der Longe. Sie konzentrierten sich dabei auf zwei Bauchmuskeln ab, die an der Kernstabilität und -bewegung beteiligt sind: dem äußeren schrägen Bauchmuskel (obliquus externus abdominis, OEA) und dem geraden Bauchmuskel (rectus abdominis, RA).
Die Wissenschaftler platzierten 10 Zentimeter (4 Zoll) breite Tapes über den RA-Muskeln und 6 Zentimeter (2,3 Zoll) breite Bänder in einer X-Form über den OEA-Muskeln. Für die Testphase des Experiments dehnten sie das Tape auf 25 % Spannung über den RA-Muskeln und 100 % Spannung über den OEA-Muskeln. In der Kontrollphase trugen die Pferde das gleiche Tape-Design, jedoch ohne Spannung.
Vor und nach einer 16-minütigen Longiereinheit, die Schritt, Trab und Galopp umfasste, wurden die Pferde in Schritt und Trab jeweils eine Strecke von 50 Metern auf einer geraden Sandbahn an der Hand geführt. Dabei waren die Pferde mit einem 3D-Beschleunigungsmesser mit Datenlogger ausgestattet. Jedes Pferd wurde an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in zufälliger Reihenfolge einem experimentellen Test sowie einem Kontrolldurchlauf unterzogen.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Vor und nach der Longiereinheit war die Längsaktivität (sprich: die Vorwärtsbewegung des Pferdes) im Trab um 28 % bzw. 16 % höher, wenn das Band unter Spannung angelegt wurde, verglichen mit dem Kontrollband ohne jegliche Spannung, so die Forscherinnen. Das könnte daran liegen, dass das Tape in der Stehphase zu einer Kontraktion der Bauchmuskulatur geführt hat. Dies könnte die thorakolumbale Streckung (also die Streckung der Brust- und Lendenwirbelsäule) einigermaßen verringern und gleichzeitig die lumbosakrale Flexion (also die Begung/Krümmung im Bereich von Lendenwirbelsäule und Kreuzbein) erhöhen – was zu einer verbesserten Längsaktivität führt, so die Wissenschaflterinnen weiter.
Darüberhinaus machten die Pferde weniger Trabschritte, wenn das Band gedehnt wurde, was darauf hindeutet, dass sie ihre Schritte verlängerten. Das könnte an einer erhöhten Bauchmuskelkraft und/oder einer möglichen Stimulation des großen Hautmuskels (CTM) liegen, der teilweise unter den Bändern liegt, so die Autorinnen.
Ob bei Pferden oder Menschen: Die Wissenschaftlerinnen vermuten, dass kinesiologisches Taping auf der Haut die Faszien (also das die Muskeln umgebende Bindegewebe), das Lymphsystem, sensorische Rezeptoren und die Muskeln selbst stimulieren könnte. Wenn sich das Tape von der Ursprungsstelle des Muskels bis zu seinem Ansatzpunkt am anderen Ende dehnt, kann es einen elastischen Zug auf die Faszie erzeugen, der den Muskel dazu anregt, sich während der Bewegung zusammenzuziehen, was möglicherweise die Muskelkraft verbessert.
Das Tape selbst scheint den Pferden übrigens keinerlei Beschwerden zu bereiten, so die Forscherinnen, sofern man es sanft in Haarwuchsrichtung entfernt. „Meiner Erfahrung nach hatte ich keine Probleme beim Abnehmen des Tapes und konnte auch keine allergischen Reaktionen oder andere Probleme erkennen, obwohl einige Pferde das Tape zwei bis drei Wochen lang behielten“, so Isabelle Burgaud gegenüber dem Portal TheHorse.com. „Wenn sich die Haare erneuern und ausfallen, löst sich das Klebeband nach etwa drei Wochen von selbst.“
Die Technik könnte besonders hilfreich für Pferde sein, die sich von Rückenschmerzen oder Verletzungen erholen, so Biau abschließend – und stellt auch eine Möglichkeit zur Verbesserung eines Trainingsprogramms dar. „Wir wissen, dass wir, um den Rücken eines Pferdes zu entlasten, zuerst die Bauchmuskeln stärken müssen“, sagte sie. „Kein Bauch, kein Rücken‘ – und das gilt noch mehr für das Pferd als für den Menschen.“
Die Studie „Application of kinesiology taping to equine abdominal musculature in a tension frame for muscle facilitation increases longitudinal activity at the trot„ von Sophie Biau und Isabelle Burgaud ist am 31. Okt. 2021 in der Zeitschrift ,Equine Veterinary Journal’ erschienen und kann in englischer Kurzfassung hier nachgelesen werden.
14.07.2020 - Gundulas Blog: Kinesiologisches Taping im Pferdetraining
Gundulas Blog: Kinesiologisches Taping im Pferdetraining 14.07.2020 / Blogs
Tapeanlage für die Rückenlendenbinde (Fascia Thorakolumbale) / Foto: Gundula Lorenz Tapeanlage zur Unterstützung des Fesselkopfes / Foto: Gundula Lorenz
Gundula Lorenz ist von Kindheit an mit Pferden verbunden, geprüfter Behindertenreitlehrwart (heute „Lehrwart für integratives Reiten“) und hat sich viele Jahre intensiv mit der funktionellen Anatomie und dem Bewegungsapparat des Pferdes beschäftigt. Sie besuchte die Fachschule für osteopathische Pferdetherapie von Barbara Welter Böller und entwickelte das Konzept Equino FIT® – ein ganzheitliches Trainings- und Ausbildungsprogramm für Reiter und Trainer, bei dem unphysiologische und verbrauchende Bewegungsmuster vermieden, Selbstheilungskräfte unterstützt und ein harmonisches Miteinander von Mensch und Tier gefördert werden sollen. In ihre Arbeit und ihre vielfältigen Erfahrungen bei der Pferdeausbildung gibt sie auf ihrem ProPferd-Blog Einblick!
Bunte Bänder, die auf der Haut von Fußballern, Radfahrern oder Leichtathleten kleben, erregen heutzutage kaum noch Aufsehen – sie sind in vielen Bereichen des Sports längst alltäglich und omnipräsent. Derartige Tapes können sowohl im therapeutischen Bereich, als auch im Training zur Unterstützung verwendet werden – je nachdem, wie die Art der Klebetechnik ist und ob man sie nach dem Training wieder entfernt.
Anfang der 80-ziger Jahre wurden diese Klebebänder von dem japanischen Arzt Kenzo Kase entwickelt. Er nannte seine Erfindung „Kinesiologisches Tape“ – vereinfacht ausgedrückt ein Band für die Bewegung (vom griechischen kinesis = Bewegung sowie vom englischen tape = Band).
Diese Bänder bestehen aus einem elastischen Baumwollgeflecht, auf dem ein Kleber wellenförmigen aufgebracht ist. Von ihrer Dicke, Dehnfähigkeit und auch ihrem Gewicht sind sie der Haut sehr ähnlich, und sie beinhalten keine medizinischen Wirkstoffe. Die genaue Funktion – ob sie einen Muskel stärken, entspannen oder ob man mehr Stabilität in eine Bewegung bekommt – hängt nur von der Klebeart und Positionierung des Bandes ab: eine wunderbare Erfindung zur Unterstützung der Bewegung!
Mit ca. 18 Jahren wurde ich an meinem Knie operiert. Und ich kann mich erinnern, wie meine Mutter in der Zeit der Rehabilitation hinter mir stand und immer wieder sagte „aufsetzen, abrollen, aufsetzen, abrollen….“. Da ich ja schon vor der Operation mein Knie schonte und mir eine komische Art zu gehen angewöhnte, musste ich nach der OP wieder meine Bewegung umstellen und wieder lernen, „normal“ zu gehen. Das konnte ich als Mensch recht einfach und problemlos bewerkstelligen, doch bei Tieren sieht es schon anders aus, und vor allem bei der Spezies Fluchttier Pferd!
Später, als ich mich schon intensiv dem Pferdetraining widmete, bildete ich mich auf diesem Sektor weiter – und war vom Funktionsprinzip der ,Kinesio-Tapes‘ begeistert. Jetzt hatte ich neben den Körperübungen, mit denen man gezielte Muskelgruppen ansprechen kann, noch ein Werkzeug mehr, um Bewegungen zu beeinflussen.
Ich konnte mit diesen „Kinesiologischen Tapes“ die Bewegung von Pferden auf eine sanfte Art und Weise formen, wie das wohl mit keinem anderen Hilfsmittel möglich gewesen wäre. Denn ihr wisst ja: Nur weil ein Ausbinder eingeschnallt ist, wenn auch korrekt, heißt es nicht, dass das Pferd die Muskelgruppen verwendet, die man gerne hätte. Wie oft sieht man Pferde, die auch mit Hilfzügel, ihren Unterhals zum Vorschein bringen.
Natürlich ist Wissen über Anatomie und Bewegung dafür sehr hilfreich und für mich ein weiterer Punkt, der dafür spricht, sich mit diesen Themen auseinander zu setzen (was eigentlich jeder tun sollte, der Pferde trainieren möchte!)
Abschließend möchte ich noch anhand von zwei Beispielen zeigen, wofür man diese „Kinesiologischen Tapes“ in einer Trainingseinheit verwenden kann:
– Tapeanlage zur Unterstützung des Fesselkopfes: Immer wieder sieht man Pferde, die sehr tief mit einem oder auch beiden Fesselköpfen, meist an der Hinterhand, fesseln. Verwendet man hier eine Klebeart, die den Fesselkopf von unten her stützt, gibt man dem Pferd bzw. seinem Sehnenapparat mehr Sicherheit und Halt und kann so Verschleißerscheinungen vorbeugen. Zudem ist es vorteilhaft, darüber noch eine Bandage oder Gamasche zu geben, um einen besseren halt des Tapes zu gewährleisten.
– Tapeanlage für die Rückenlendenbinde (Fascia Thorakolumbale): In meiner Ausbildung hörten wir von Barbara Welter Böller immer wieder: „Den Rücken und die Fesselköpfe Eurer Pferde musst ihr hegen und pflegen wie euer größtes Gut.“
Eine Faszientapeanlage im Rückenbereich hat neben dem präventiven auch noch einen „Wellness-Effekt“. Der Rücken ist mit seiner Faszie außerdem ein zentrales Element des Körpers – und somit habe ich mit dieser Tapeanlage Einfluss in alle „Richtungen“, sowohl auf die Vorhand, als auch die Hinterhand (siehe andere Blogs).
An Tagen, wo man keinen Sattel, Longiergurt oder sonstiges verwendet, kann man sein Pferd mit dieser Tapeanlage im Gelände an der Hand führen oder auch mit Kappzaum/Knotehalfter an der Longe bewegen. Das Pferd wird es Euch mit einer entspannten Haltung und einem zufriedenen Abschnauben danken. Denn wer kennt nicht das angenehme Gefühl, wenn Verspannungen und Verklebungen gelöst werden – noch dazu auf eine so sanfte, angenehme Art.
Auch wenn die Wissenschaft dieser Erfindung noch skeptisch gegenübersteht, ich bin von den Kinesio-Tapes zutiefst begeistert und vollauf überzeugt!
Eure Gundula
PS: Wollt Ihr mehr darüber lernen, dann informiert Euch bitte hier:
www.modul-taping.equinofit.at oder www.modul-taping.equinopathie.at
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