Mit der dreiteiligen Neuverfilmung des ,Winnetou'-Stoffes ist dem Fernsehsender RTL ein Weihnachts-Coup gelungen. Doch wie schon die Verfilmungen der 60er Jahre hat auch diese mit der Lebenswirklichkeit der ,native Americans' nur ansatzweise zu tun.
Ob es einem nun passt oder nicht: Karl May hat mit seinen Winnetou-Romanen das Indianer-Bild ganzer Generationen wesentlich geprägt – und dieses kulturelle Erbe wirkt bis in die Gegenwart. Davon konnte man sich auch bei der kürzlich ausgestrahlten Neuverfilmung des Winnetou-Stoffes durch den TV-Sender RTL überzeugen, die sich einmal mehr als Quotenbringer entpuppte und auch von der Kritik wohlwollend aufgenommen wurde: Das Bild des „edlen Wilden", das der äußerst produktive Schriftsteller mit Abenteuerromanen wie „Der Schatz im Silbersee" oder eben „Winnetou 1–3" so wesentlich mitprägte, hat offenkundig nichts von seiner Anziehungskraft verloren, ganz besonders im deutschen Sprachraum, wo uns nach wie vor Karl May-Festspiele an vielen Orten in den Wilden Westen zurückversetzen.
Mythos und Realität
Daß dieses vielfach idealisierte Indianerbild mit der Lebenswirklichkeit der amerikanischen Ureinwohner, insbesondere der Prärie-Indianer, nicht viel zu tun hat, ist ein Faktum, an dem auch die Neuverfilmung nicht grundlegend rühren wollte. Immerhin aber bemühte man sich doch in einigen Details um mehr Realismus – und trug damit auch neueren wissenschaftlichen Forschungen über die Kultur und Lebenswelt der ,native americans' zumindest ein wenig Rechnung. So wird etwa von den „Apachen“ mehrheitlich mit War-Bridle und teils ohne Sattel geritten, was zumindest ein Versuch ist, die Realität abzubilden. Die verwendeten Hanfseile und ihre Knüpfung sind zwar Quatsch, aber immerhin sind die Pferde gut ausgebildet – Reißen an Kandaren in offenen Mäulern und hackende Sporen bleiben wohltuend unsichtbar.
Rund 50 Film-Pferde waren im Einsatz, die Schauspieler erhielten für den Dreh speziellen Reitunterricht und waren danach relativ sattelfest; Winnetou Nik Xhelilaj (33) und Wotan Wilke Möhring (49) wirken als Reiter tatsächlich relativ wenig hölzern und großteils entspannt – keine leichte Übung, wie Möhring in Interviews zugab: „Das Schlimmste ist es, eine schwierige Szene auf einem Pferd zu spielen. Das Pferd erfordert schon maximale Konzentration, ist kamerascheu und ein Fluchttier. Man muss sich wirklich darum kümmern – und daher ist es nicht cool, dabei auch noch spielen zu müssen.“
Leider bleibt dem Fernsehpublikum einmal mehr der Habitus des Mustangs völlig verborgen, der bisher noch in keinem einzigen Film des Western-Genres erfasst und wiedergegeben wurde. Auch diesmal geben attraktive Warmblutpferde sowie Pintos und Appaloosas den Mustang-Part. Ebenso wie Schauspieler jeglicher Herkunft außer der indianischen auf Indianerrollen abonniert sind, werden keine originalen Cow-Ponies als Reittiere gecastet. Filmhelden reiten verfälschend schöne, große Pferde – sind sie doch selbst immer verfälscht schön und groß. Doch das ist nicht die einzige historische Unschärfe. Romane und Filme verschweigen allzu oft, dass eine Vielzahl der indianischen Völker nur in kleinem Umfang Pferde verwendeten oder völlig auf sie verzichteten; sie blieben mehr oder weniger Fußgänger oder Kanufahrer, waren aber trotzdem „echte Indianer“.
Geborene Reiter?
Die Besiedelung Nordamerikas durch die als Indianer bekannte Volksgruppe begann vor rund 15.000 Jahren aus Asien über die passierbare Beringstraße (Sandia-Kultur), gefolgt von einer zweiten Welle vor rund 10.000 Jahren (Clovis-Kultur). Daraus entwickelte sich in diesem unvorstellbar großen Kontinent eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Kulturen, die zahllose Lebensformen umfasste, in denen saisonale Großwildjagd (Bison, Hirsch) und Ackerbau sowie Fischfang als Lebensgrundlage dienten. Kunst und kulturelle Vielfalt, soziale Regeln und politische Rituale waren ebenfalls von großer Bedeutung und entsprechend differenziert. Vielfach wird übersehen, daß nur eine dieser Kulturen zum Leitmotiv, zum plakativen Symbol für alle anderen wurde – nämlich jene der späten Prärieindianer in den ,great plains', die Pferde als ,sacred dogs' (heilige Hunde, große Hunde) rasch und effizient in ihren nomadischen Lebensalltag integrierten. Die Pferde machten sie mobiler und führten zu einer beträchtlichen Ausweitung ihres Lebensraums, auch die zuvor so mühsame Jagd auf Bisons wurde mit den Pferden wesentlich einfacher.
Zweifellos entwickelten Stämme wie die Comanche, Lakota oder Cheyenne durch die gefährliche und anspruchsvolle Büffeljagd zu Pferd erstaunliche reiterliche Fähigkeiten, die ihnen auch in kriegerischen Auseinandersetzungen zugute kamen. Die Prärieindianer wurden durch das Pferd zu einem gefährlichen Widersacher – gegenüber anderen indianischen Kulturen ebenso wie gegenüber dem weißen Mann. Tatsächlich konnten die tollkühnen Steppenreiter auf ihren kleinen, kräftigen Ponys lange Zeit den US-Truppen erfolgreich Paroli bieten und noch 1866 entscheidende Siege feiern. Erst die Erfindung des Repetiergewehrs sowie industrielle Tötungsmittel wie die Hotchkiss-Schnellfeuerkanonen änderten dies schlagartig – und machten aus den kriegerischen Auseinandersetzungen ein rücksichtsloses Abschlachten. Krankheiten und Hunger taten ein Übriges, um die indianische Kultur innerhalb weniger Jahrzehnte zusammenbrechen zu lassen: Während um 1500 nach Schätzungen zwischen 2,8 und 5,7 Millionen Ureinwohner in Nordamerika lebten, so waren es nach dem Massaker am Wounded Knee 1890 nur noch 250.000.
Das Flüstern der Prärien
Heutige amerikanische Pferdeflüsterer berufen sich gerne auf indianische Vorfahren oder Methoden, wobei in aller Regel ein esoterischer Mix geboten wird, der sich in Europa und den Oststaaten gut vermarkten lässt. Ein Sioux-Opa oder eine Cheyenne-Oma bürgt allemal für angeborenes Pferde-Know-how und den besonderen Zugang zum Tier. Bei genauem Hinsehen entpuppen sich die Methoden dann als hippologisches und tierpsychologisches Allgemeingut, verziert mit etwas Kriegsbemalung und Federschmuck. Ob Indianer sich jemals solcher oder ähnlicher Methoden bedienten, ist historisch durchaus fragwürdig und jedenfalls ungesichert. Einige Beobachter beschreiben sehr brutale Fang- und Einreit-Methoden (Einbrechen), andere aber auch mildere und sogar in tierpsychologische oder quasi-hypnotische Bereiche gehende; selbst Kombinationen beider kommen vor. George Catlin (1796-1872) – der wohl authentischste Chronist des indianischen Lebens – bemerkt eine eher langsame Methode, auch Frank Dobie meint, dass im Vergleich zum Cowboy der Indianer weniger brutal vorging. Nirgendwo wird aber etwas beschrieben, das als Vorläufer der heute als „Pferdeflüstern“ bekannten Methoden zu erkennen wäre. Daß die Indianer generell ihre Pferde vollkommen gewalt- und druckfrei und mit Achtung geritten und ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihnen aufgebaut haben, ist in dieser verallgemeinernden Form ein romantischer Mythos, der mit der Lebenswirklichkeit der indianischen Völker wenig zu tun hat.
Das heißt aber nicht, dass ausnahmslos jeder Indianer ein Pferdeschinder war, wenngleich Zeitzeugen öfter von Härte und Brutalität als von liebevoller Behandlung berichten. Zweifellos hat es auch unter den Indianern kundige und fähige Trainer und Ausbilder gegeben hat, die ihre Pferde mit Respekt und Horsemanship behandelten. So findet man in der Literatur durchaus einige Passagen, die auf einen sensibleren Zugang schließen lassen, etwa das Blasen des Atems in die Nüstern eines Wildfangs, um diesen zu beruhigen; auch das Berühren des ganzen Pferdes bis zur völligen Akzeptanz scheint sinnvoll; ebenso das monotone Murmeln oder Summen zur Gewöhnung an die menschliche Stimme. Vermutlich wollte man sich keinerlei emotionalen Schnickschnack leisten, war jeglicher Ressourcenverschwendung abgeneigt und hatte unter iberischem Einfluss einen völlig unsentimentalen Zugang zum Wesen Pferd – die sie dennoch verehrten und wussten, was sie an ihnen hatten.
Anzeichen derartiger Wertschätzung sind u. a. die Totemstäbe der Sioux-Gruppe, die für im Kampf getötete Pferde geschnitzt wurden, oder auch die Winterfütterung vieler Stämme mit Cottonseed-Sträuchern und Rinde, Laub oder Heu. Maximilian von Neuwied schildert ein Einstallen der Pferde in Winterzelten zwischen hölzernen Abtrennungen und die abendliche Fütterung mit Mais, nachdem sie tagsüber in Gebüschen und auf Grasland gehütet wurden. Symbolische Bemalung zur Abwendung von Wunden in der Schlacht und das Schmücken mit Amuletten weisen auf eine gewisse Wertigkeit hin. Andererseits wurden bei vielen Stämmen Pferde als Fleischtiere geschlachtet und verzehrt, Haut und Haare jedenfalls genutzt und Pferde bei Bestattungen in oft größerer Zahl zeremoniell geopfert. All das lässt den Vergleich mit asiatischen Reitervölkern aufkommen, etwa den Skythen oder Mongolen, die genau wie die Indianer Pferde als wertvoll und nützlich schätzten und durchaus in ihre Kulturen einflochten, sie aber dennoch nutzten und auch ausnutzten. Das Pferd als Nahrungsmittel, als Währungseinheit und Tauschobjekt oder Gegenstand ritueller Verehrung ist uns aus vielen Kulturen bekannt und per se kein Beweis einer besonderen inneren Verbindung.
Kunstreiter oder Kosaken?
Die legendäre indianische Reitkunst entwickelte sich zwar rasch, sobald eine Gruppe in den Besitz von Pferden gelangt war, war jedoch genauso mühselig erworben wie überall sonst auf der Welt. Einmal begriffen, war aber dank ständigen Gebrauchs und lebensnotwendigen Einsatzes von Pferden schnell eine hohe Fertigkeit erreicht, die dann der nächsten Generation ein Aufwachsen mit und auf Pferden leicht machte.
Auch diese „geborenen Reiter“ mussten erst mühsam lernen, sich am Pferd zu halten. Oft nur ungenügend ausgerüstet und kaum unterwiesen, dienten zwei lange Stöcke dem Anfänger als Stützen, wenn er wacklig auf dem Gaul saß. Ob Indianer ein besonderes Talent hatten, kann nicht geklärt werden, denn die Berichte der Europäer sind wenig zuverlässig bzw. aufschlussreich. Immer wieder wird gebetsmühlehaft die Reitkunst der Indianer gerühmt, wobei keinerlei konkrete Techniken, Methoden oder Stile beschrieben werden (können?). Gab es diese überhaupt? Experten zweifeln daran und gehen aufgrund der Fotodokumente und Schilderungen davon aus, dass es sich bei der indianischen „Reitweise“ schlicht um eine ebenso effiziente wie pragmatische Gebrauchsreiterei mit beachtlichen akrobatischen Elementen gehandelt haben muss. Ob sie in unserem Sinne gut oder schlecht war, bleibt offen und ist vermutlich auch nur von akademischem Interesse. Die Prärie-Indianer beeindruckten jedermann durch sicheres, ausdauerndes und behändes Reiten mit oft nur einfacher Ausrüstung.
Mal wird die Brutalität schaudernd kritisiert, mal die Akrobatik bewundernd gelobt – aber ob die Indianer übergreifend eine besondere Affinität zu Pferden, besondere reiterliche Talente besaßen, wurde nicht überliefert. Von allen bekannten Reitervölkern war Prärie-Indianern die relativ kürzeste Blütezeit vergönnt. Die Mongolen und ihre westlichen Nachfolger, die Magyaren und Kosaken der östlichen Steppen (Don- und Wolga), die Turkvölker in ihren zahlreichen Varianten, die Altgriechen, Kelten und Iberer und etliche weitere konnten ihr Horsemanship über viele Jahrhunderte entwickeln und bewahren. Nicht so die Indianer, deren Blütezeit zu Pferd je nach Stamm und Lebensraum insgesamt nur 100 bis maximal 250 Jahre dauerte und dann jäh endete. Trotzdem konnten einige Völker oder Gruppen recht gute Zuchten aufbauen, deren bekannteste als der Appaloosa des Nez Percé-Stammes in die Geschichte einging.
Knieschlingen als Steigbügel-Ersatz
Alle scheinen beachtliche akrobatische Leistungen zu Pferd vollbracht zu haben, die mit einfachen Hilfsmitteln erzielt wurden. Die Knieschlingen an Indianersätteln oder Bauchschlingen erlaubten sicheres freihändiges Reiten und einen Seithang am Pferd. Die athletischen Reiter erlangen eine beeindruckende Fertigkeit, die allerdings wenig mit Reitkunst im europäischen Sinn zu tun hat, sondern weit eher mit unserem Voltigieren oder Zirkusreiten und mit Distanzrennen vergleichbar ist.
Es ist von keinem indianischen Volk bekannt, dass es eine besondere Form des Reitens gepflegt oder entwickelt hätte. Sehr wohl sind Reiterspiele überliefert, die als Übung und Prüfung gedient haben könnten; sie haben den heutigen Mounted Games, Ponyspielen oder Gymkhanas geähnelt und waren ähnlich diesen auf Gehorsam und Reaktionsschnelligkeit des Pferdes ausgelegt, weniger auf dessen gymnastische Ausbildung. Die Komantschen waren als die „besten Reiter der Welt“ bekannt, doch auch von ihnen wird lediglich ein brutales Vorwärtspeitschen in Rennen zitiert, kein technisch ausgefeiltes Reit- oder Ausbildungssystem. George Catlin beschreibt hingegen ein Wettrennen, bei dem die Reiter sich jeglicher Kleidung und Ausrüstung entledigen mussten, also keinerlei Hilfsmittel hatten (Sporen, Peitschen etc.). Ein Spruch bezüglich der indianischen „Reitkünste“ ist bemerkenswert: Ein US-Kavallerist reitet sein Pferd zuschanden und lässt es stehen; ein Mexikaner findet es und reitet noch einen Tag darauf, ehe er es liegen lässt; ein Komantsche findet es und reitet darauf – solange er will. Offenbar waren es vor allem die physischen Leistungen Ausdauer und Schnelligkeit der Pferde und die akrobatischen Qualitäten der Reiter, welche an der Reiterei der Komantschen interessierten und faszinierten. Von Reitkunst in unserem Sinne ist dem Autor keine Literatur bekannt; man findet keine Hinweise auf Anzeichen einer systematischen und abstrakten Reiterei.
Dennoch muss es besonders ausgebildete Pferde von sehr hohem Wert gegeben haben, denn es sind Fälle überliefert, wo sich Indianer um keinen Preis von bewährten Büffel-Pferden trennen wollten (Varianten des Themas existieren). Jagd- und Kriegspferde mussten eine spezielle und gründliche Ausbildung haben, denn schon ein winziger Fehler konnte den sicheren Tod bedeuten. Gute Büffel-Pferde waren z. B. darauf trainiert, sofort nach einem erfolgreichen Schuss oder Lanzenstoß auf den Bison abzuwenden und aus der Gefahrenzone zu laufen. Kriegspferde konnten auf Befehl abgelegt werden oder kehrten auf ein Signal immer zu ihrem gestürzten Reiter zurück, was nur mit Geduld und positiver Prägung zu erzielen ist. Catlin und andere geben einen durchschnittlichen Bestand mit ca. acht oder zehn Pferden pro Familie an, wovon ca. drei gut abgerichtete Büffelpferde gewesen seien. Robert Denhardt meint, dass das weitgehende Fehlen von brauchbaren Sätteln und das freihändige Reiten (wegen der Schusswaffen) die Qualität des indianischen Reiters ausmachten – im Gegensatz zum Spanier, der „brüsk und herrisch geritten sei“. Scharfe Gebisse und Sporen fehlten ebenfalls weitgehend, zumindest in der frühen Phase der Reiterei; auch das vermutlich ein „mildernder Umstand“ für die Pferde. Man darf also dem roten Mann keinesfalls unterstellen, nur ein rüder Rennreiter gewesen zu sein. Offenbar besaß er tatsächlich Methoden, zumindest fallweise verlässliche und sogar menschenbezogene Gebrauchspferde zu erziehen – und dieses Erbe sollte man keineswegs geringschätzen.
Martin Haller
Literaturliste (Auswahl)
George Catlin, Die Indianer Nordamerikas, List
Robert Denhardt, The Horse of the Americas, University of Oklahoma Press
Frank Dobie, The Mustangs, Hammond & Hammond
Peter Farb, Glück und Ende der Prärieindianer, Beitrag Reader´s Digest ca. 1975
Thomas Jeier, Das große Buch der Indianer, Ueberreuter
Albert Marrin, Cowboys, Indians and Gunfighters, Atheneum/Macmillan
H. J. Stammel, Der Indianer, Orbis Verlag
Colin Taylor, The Plains Indians, Tiger Press