Stürze oder Unfälle sind beim Reiten keine Seltenheit – umso wichtiger ist es, über die nötigen Sofortmaßnahmen Bescheid zu wissen und sich diese auch tatsächlich zuzutrauen. Erste Hilfe ist jedem zumutbar und kann im Ernstfall lebensrettend sein – hier ein Leitfaden von ProPferd-Autorin Nicole Steiner.
Wie man aus zahlreichen Statistiken weiß, ist Reiten eine Sportart mit erhöhtem Risiko- und Verletzungspotential. Der wohl schlimmste anzunehmende Unfall ist ein Sturz vom oder mit dem Pferd, der im besten Fall mit ein paar blauen Flecken abgeht, aber auch ernsthafte Verletzungen nach sich ziehen kann. In diesem Fall können die richtigen Sofortmaßnahmen sogar lebensrettend sein – und die sollte man daher beherrschen.
Zuallererst muss der/die Gestürzte aus der Gefahrenzone gebracht und die Unfallstelle abgesichert werden, anschließend setzt man einen Notruf (Tel. 144 in Österreich, Tel. 112 in Deutschland) ab. Nächster Schritt ist die sogenannte Erstversorgung: Ist die gestürzte Person benommen und liegt regungslos, muss sich der Helfer erst einmal nähern und herausfinden, ob die Person bei Bewusstsein ist. Diese Annäherung soll, wenn möglich, von vorne stattfinden, sodass der möglicherweise Verletzte nicht den Kopf drehen muss (eine automatische Reaktion) um den Helfer anzuschauen – das könnte bei einer Wirbelsäulenverletzung fatal sein. Wenn der Gestürzte bei Bewusstsein ist, kann man nach Befindlichkeit und Schmerzen fragen und ihm die weiteren Schritte der Erstversorgung erklären. Ist der Verletzte nicht bei Bewusstsein, muss rasch eine Atemkontrolle und in weiterer Folge die entsprechende Lagerung oder Wiederbelebung durchgeführt werden.
Helm abnehmen oder nicht?
Immer wieder unklar ist die Antwort auf die Frage, ob ein Helm abgenommen werden soll oder nicht – egal ob Reithelm, Rad- oder Motorradhelm. Ja, den Helm auf jeden Fall abnehmen, wenn der/die Verunglückte nicht reagiert, da darunter ungesehene Verletzungen oder Schwellungen vorliegen könnten. Bei einem bewusstlosen Opfer ist die Entfernung des Helms vor allem deshalb wichtig, da nur so eine genaue Atemkontrolle möglich ist, ebenso wie die Überprüfung ob der Mund-Rachenraum frei ist. Wenn die Situation es zulässt, sollte der Verletzte zur Helmabnahme auf den Rücken gedreht werden. Die wichtigsten Drehpunkte sind dabei Schulter und Hüfte – an diesen beiden Punkten gleichzeitig gestützt, wird die Wirbelsäule im Gesamten bewegt, was auch bei bereits vorhandenen Verletzungen kaum zu einer Verschlimmerung führt. Zur Helmabnahme sollte man sich hinter dem Kopf des Verletzten positionieren. Erst den Verschluss öffnen, dann mit einer Hand an der Vorderseite und einer an der Hinterseite des Helms langsam ziehen. Der Kopf wird von der Hand an der Unterseite stabilisiert und vorsichtig wieder auf den Boden gelegt.
Stabile Seitenlage
Ist der Verletzte bewusstlos, muss eine Atemkontrolle durchgeführt werden. Dazu den Kopf nach hinten überstrecken um die Atemwege zu öffnen. Dann zehn Sekunden lang auf Atemtätigkeit überprüfen. Atmet der Verletzte, sollte er umgehend in die stabile Seitenlage gebracht werden – in dieser Lage (der Kopf ist nach hinten überstreckt) wird der Atemweg freigehalten. Die stabile Seitenlage wird erreicht, indem der Helfer, der seitlich neben dem Verletzten kniet, zuerst den ihm am nächsten liegenden Arm des Verletzten vom Körper wegstreckt, dann mit einer Hand unter das gegenüberliegende Knie greift, dieses anzieht und mit seiner anderen Hand die gegenüberliegende Hand des Verunglückten ergreift und diese zum angezogenen Knie führt. In dieser Haltung wird der Verletzte vorsichtig auf die Seite des weggestreckten Armes gezogen. Als letztes wird der Kopf vorsichtig nach hinten überstreckt mit zum Boden gerichteten Mund. Kommt der Verletzte nicht zu Bewusstsein, muss die Atmung in der Seitenlage bis zum Eintreffen der Rettungskräfte überwacht werden.
HLW – Herz-Lungen-Wiederbelebung
Atmet die bewusstlose Person nicht, muss umgehend mit der Wiederbelebung begonnen werden. Wichtiger als die Beatmung ist dabei die Herzdruckmassage. Der Verletzte hat noch ausreichend Sauerstoff im Blut, wichtig ist jetzt, dass dieser im Körper verteilt wird. Die Herzdruckmassage wird in der Mitte des Brustkorbes durchgeführt, direkt auf dem Brustbein. Wichtig dabei ist die eigenen Arme durchzustrecken, sodass durch das Gewicht des ganzen Oberkörpers Druck ausgeübt werden kann. Gedrückt wird bei einem Erwachsenen 30 Mal und zwar mit einem Tempo von ca. 100/ Minute. Eine Eselsbrücke – das entspricht in etwa dem Takt des Radetzky Marsches. Zudrücken darf man ruhig mit aller Kraft, der Brustkorb muss zu ca. 1/3 eingedrückt werden. Es ist gut möglich, dass bei der Herzdruckmassage Rippen brechen, da sie bei richtiger Druckposition aber ganz nah am Brustbein brechen, ist dies für den Patienten ein geringes Übel.
Beatmung
Nach den 30 Herzdruckmassagen wird zwei Mal beatmet. Dafür sollte aus Hygienegründen ein Schutztuch verwendet werden – dieses gibt es in jedem Erste Hilfe-Set und inzwischen auch klein verpackt als Alltagsbegleiter für Schlüsselanhänger oder Satteltasche. Das Schutztuch über den Mund des Bewusstlosen breiten, mit einer Hand dessen Nase zuhalten, damit der Atem nicht durch die Nase wieder entweicht, und mit der anderen Hand am Kinn den Kopf nach hinten überstrecken. Nun den Mund über das Schutztuch auf den Mund des Bewusstlosen legen und so kräftig wie möglich ausatmen. In unserer Umgebungsluft befinden sich ungefähr 21% Sauerstoff, in der Luft die wir ausatmen sind es immer noch ca. 17% – also genug um noch eine weitere Person zu versorgen. Mit der Beatmung sollte man sich aber nicht aufhalten. Auch wenn es vielleicht mal nicht so gut funktioniert hat, sofort mit der Herzdruckmassage weitermachen. Wird der bereits vorhandene Sauerstoff nicht weitertransportiert, hilft auch eine gute Beatmung nicht. Die Abfolge 30x Herzdruckmassage und 2 Beatmungen wird so lange weitergeführt bis der Patient wieder selbstständig atmet oder die Rettungskräfte eintreffen. Da die Wiederbelebung aber unglaublich kräfteraubend ist, sollte, wenn mehrere Helfer vor Ort sind, unbedingt alle 2 Minuten abgewechselt werden.
Achtung bei Kindern!
In der Wiederbelebung gibt es kleine Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern zu beachten: Drücken Sie bei der Herzdruckmassage zwar kräftig und schnell, aber nicht ganz so tief wie bei Erwachsenen – und überstrecken Sie den Kopf nur leicht nach hinten, weil die Luftröhre von Kindern kürzer ist und einer starken Überdehnung möglicherweise nicht standhält. Da es bei Kindern möglich ist, dass zwar keine Atemtätigkeit vorhanden ist, das Herz aber noch schlägt, beginnt die Wiederbelebung bei Kindern mit 5 Initialbeatmungen – oft reicht das schon, um die Atmung wieder in Gang zu bringen. Ist die erneute Atemkontrolle negativ, wird eine Herz-Lungen-Wiederbelebung im Rhythmus 15 x Herzdruckmassage und 2x Beatmen gestartet.
Stark blutende Wunden
Auch die Erstversorgung von durch Sturz, Tritt oder Biss verursachten Wunden gehört zur Ersten Hilfe. Es geht dabei um Verletzungen, die in weiterer Folge vom Arzt versorgt werden, deshalb sollten auf keinen Fall irgendwelche Salben oder Desinfektionsmittel aufgetragen werden. Nur so hat der Arzt später einen guten Überblick über die Verletzung, außerdem könnte der Verletzte auf das verwendete Mittel allergisch reagieren. Stark blutende Wunden befinden sich meist an Armen oder Beinen, da dort dicke Blutgefäße vorhanden sind. Als erstes sollte die verletzte Gliedmaße nach oben gehalten werden, um die Blutung zu vermindern. Dann eine sterile Wundauflage auf die Verletzung drücken, wenn möglich vom Verletzten festhalten lassen. Im Folgenden wird ein saugfähiger Druckkörper auf Wunde und Wundauflage gelegt, z. B. eine Verbandsrolle. Darüber wird mit gutem Druck ein Dreieckstuch oder, in der Stallapotheke meist vorhanden, ein selbstklebender Verband angelegt. Ist man im Gelände unterwegs und hat kein Verbandsmaterial dabei, können auch ein T-Shirt oder andere, möglichst saubere Kleidungsstücke für den Druckverband verwendet werden – das wichtigste ist in dieser Situation, die Blutung zu stoppen und den Verletzten dann schnellstmöglich zu einem Arzt zu bringen.
Fremdkörper belassen
Steckt ein Fremdkörper, z. B. ein Nagel, in der Wunde, sollte dieser wenn möglich stecken gelassen werden. Dann wird nur ein leichter Verband rund um die Verletzung angelegt, bis professionelle Hilfe da ist. Zieht man den Fremdkörper heraus, könnte es zu einer unkontrollierten Blutung kommen. Lässt sich das Herausziehen nicht vermeiden, sollte sofort danach ein Druckverband angelegt werden, um den Blutverlust zu verringern.
Zuviel Sonne getankt
Gerade bei einer Sportart wie dem Reiten, die großteils im Freien stattfindet, besteht im Sommer auch die Gefahr eines Sonnenstichs. Treten Anzeichen wie Schwindel, Übelkeit und vermehrtes Schwitzen auf, sollte der Betroffene sofort in den Schatten gebracht werden und sich hinsetzen oder -legen. Auch ein nasses Handtuch auf Kopf und Nacken ist als Ersthilfe sinnvoll, wichtig ist aber, dass der Körper langsam abgekühlt wird und keinen „Temperaturschock“ erleidet.
Fazit
Gerade wenn man das Glück hat, das ganze Jahr über nicht viel mehr als ein paar Schürfwunden zu versorgen, sollte man in eine regelmäßige Auffrischung der Erste Hilfe Kenntnisse investieren. Als Stallveranstaltung organisiert, fördert so ein Kursabend noch dazu die Kameradschaft und stellt sicher, dass jeder weiß, wo die Erste Hilfe Ausrüstung gelagert ist und wie man sie im Ernstfall richtig verwendet. Ein Erste-Hilfe-Kurs kann jederzeit und ganz unkompliziert über Rettungsorganisationen wie den Samariterbund Österreich gebucht werden.
Verhalten im Notfall
1) RETTEN Ist der Verletzte in einer Lage oder an einem Ort, an dem ihm weitere Gefahr droht? Dann muss er aus der Gefahrenzone gebracht werden.
2) ABSICHERN – ist der Verletzte an einer Stelle, wo er gefahrlos bleiben kann, muss die Stelle abgesichert werden, damit für jeden Neuankömmling sofort ersichtlich ist, dass hier etwas passiert und Vorsicht geboten ist.
3) NOTRUF – den Notruf (Tel. 144 in Österreich, Tel. 112 in Deutschland) wählen und Hilfe anfordern.
4) ERSTVERSORGUNG – je nach Zustand und Verletzungen des Opfers die richtige Lagerung und Erstversorgung vornehmen.
CHECKLISTE
Die richtige Erstversorgung
– Bei einem Unfall zuerst Unfallstelle absichern und Notruf wählen.
– Dem Unfallopfer von vorne annähern und ansprechen.
– Reithelm abnehmen
– Ist der/die Verletzte bewusstlos, Atemkontrolle durchführen.
Atmet der/die Bewusstlose – stabile Seitenlage.
– Atmet der/die Bewusstlose nicht – Herz-Lungen-Wiederbelebung • Bei Erwachsenen: Rhythmus 30x Herzdruckmassage, 2x Beatmen • Bei Kindern: 5 Initialbeatmungen, erneute Atemkontrolle – wenn negativ: Rhythmus 15x Herzdruckmassage. 2x Beatmen
– Stark blutende Wunden mit Druckverband verschließen, keine Salben oder Desinfektionsmittel verwenden.
– Für frische Luft sorgen (beengende Kleidung öffnen)
– Steckt ein Fremdkörper in der Wunde, wenn möglich bis zur professionellen Versorgung stecken lassen, um starke Blutung zu vermeiden.
– Bei Anzeichen auf Sonnenstich Betroffenen in den Schatten bringen und ev. mit einem nassen Handtuch kühlen. Langsam abkühlen lassen, Temperaturschock ist nicht gut!
Richtig reagieren: Die verunglückte Person muss zuerst immer aus der Gefahrenzone gebracht werden, danach ist die Unfallstelle abzusichern und ein Notruf abzusetzen. / Foto: Archiv
Beim Abnehmen des Helmes sollte man behutsam und Schritt für Schritt vorgehen ... / Foto: Nicole Steiner
Man positioniert sich hinter dem Kopf des Verletzten, öffnet den Verschluss und zieht dann – mit einer Hand an der Vorderseite und einer an der Hinterseite des Helms – diesen langsam ab. / Foto: Nicole Steiner
Mit der Hand an der Unterseite wird der Kopf weiter gestützt und vorsichtig am Boden abgelegt. / Foto: Nicole Steiner
Stabile Seitenlage: Zuerst den zum Reiter nächstliegenden Arm ausstrecken ... / Foto: Samariterbund Österreich
Dann mit einer Hand unter das gegenüberliegende Knie greifen und dieses anziehen; anschließend den gegenüberliegenden Arm zum Knie führen. / Foto: Samariterbund Österreich
Die verletzte Person auf die Seite des weggestreckten Armes drehen. Zuletzt den Kopf vorsichtig nach hinten überstrecken und den Mund zu Boden richten. / Foto: Samariterbund Österreich
Beatmung: Nach 30 Herzdruckmassagen wird zweimal beatmet ... / Foto: Samariterbund Österreich
... dabei ein Schutztuch über den Mund des Verunglückten legen, Nase zuhalten und den Kopf nach hinten überstrecken. / Foto: Samariterbund Österreich
Herzmassage: Die Herzdruckmassage wird in der Mitte des Brustkorbs, direkt auf dem Brustbein durchgeführt. / Foto: Samariterbund Österreich
Die Arme durchstrecken und mit dem Gewicht des Oberkörpers Druck ausüben. Gedrückt wird bei einem Erwachsenen 30 Mal. / Foto: Samariterbund Österreich