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Dr. Reinhard Kaun über das "Nachreiten" und "Verreiten" eines Pferdes
19.05.2020 / Wissen

Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt und gerichtlich beeideter Sachverständiger.
Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt und gerichtlich beeideter Sachverständiger. / Foto: privat

Dass ein Pferd auch zukünftig reitbar bleibt, liegt in der Verantwortung des Käufers – das Verreiten kann einem Pferd einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen, wie Dr. Reinhard Kaun an einem exemplarischen Gerichtsurteil verdeutlicht.

 

Die Klägerin, die in ihrer Jugend nicht unbedingt unproblematische Reiterfahrungen gemacht hatte, beschloss in ihren Dreißigern ein eigenes Pferd anzuschaffen und nahm zu diesem Zwecke auf Basis eines Angebots im Internet Kontakt zur Beklagten auf. Diese bot – aus wirtschaftlichen Gründen dazu gezwungen – ihre siebenjährige, hoch im Blut stehende Stute zum Verkauf an, das Pferd hatte bisher als Freizeitpferd gedient, trug ihre Eigentümerin durch Reiterpass und Reiternadel und wurde mit Eigenschaften wie ruhig, geduldig und anfängertauglich beschrieben. Bei zwei Proberitten fühlte sich das Pferd unter der Kaufinteressentin und nunmehrigen Klägerin „gut“ an, sodass es – nach zufriedenstellender Kaufuntersuchung – zum Kaufabschluss kam.

Die Klägerin kam mit dem Pferd jedoch nicht zurecht, ein beigezogener Reitlehrer, der das Pferd auch unter Beritt nahm, verschlimmerte das Problem und eine zusätzlich konsultierte Spezialtierärztin attestierte dem Pferde gesundheitliche Risikobehaftungen im orthopädischen Bereich – man ging vor Gericht unter Berufung auf §§ ABGB 922, 923, 924 und 871 (Irrtum).

Die Korrektheit der Ankaufuntersuchung wurde angezweifelt. 

Das Beweisverfahren, die rechtliche Beurteilung und das Gutachten des SV brachten zutage:

– Die Beklagte hat durch ihr Verhalten keinen Anlass zum Irrtum der Klägerin gegeben, zumal ein braves und ruhiges Freizeitpferd vereinbart war. Zum Zeitpunkt der Übergabe wies das verfahrensgegenständliche Pferd diese Eigenschaften auf.

– Das Pferd war mit keinen Mängeln im Sinne von vorliegend behaupteten Erkrankungen behaftet.

– Die Ergebnisse der Kaufuntersuchungen waren richtig.

– Der veränderte Gemütszustand des Pferdes ist einzig und allein nach Inbesitznahme des Pferdes durch die Klägerin, insbesondere durch die Intervention ihres Reitlehrers bzw. Bereiters entstanden, er hatte das Pferd systematisch und grob – durch Videos belegt – „verritten“.

– Dass das Pferd auch zukünftig reitbar bleibt, liegt in der Verantwortung der Klägerin.

Neben den notwendigen veterinärmedizinischen Untersuchungen hatte sich der beauftragte Gerichtsgutachter zur Erhebung der reiterlichen Befunde einer „neutralen Fremdreiterin“ bedient, die das Pferd unter widrigen Umweltbedingungen für eine gute halbe Stunde unter Beritt hatte und dabei feststellte, dass die Stute  „ein normales und unproblematisches Pferd sei, das auf Hilfen so reagiert, wie man dies erwartet“. Das in der Klage u.a. behauptete „Steigen“ konnte nicht reproduziert werden.
Die Klage wurde abgewiesen (LG Graz 41 Cg 71/18 g)

Forensische Relevanz
– Es liegt in der Verantwortung des Käufers eines Pferdes, dass dieses auch nach korrekten Kriterien der Reitlehren „nachgeritten“ werden kann.

– Das „Verreiten“ eines Pferdes aus Unvermögen oder mit tierquälerischen Interventionen ist geeignet, einem Pferde nicht wieder gutzumachenden Schaden zuzufügen.

Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun – Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Forensische Hippologie
Fachtierarzt für Pferdeheilkunde em., Fachtierarzt für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin em., Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, A 2070 Retz, Herrengasse 7, Tel. +43.699.10401385, Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at

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