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Interview: Warum das Pferd eine „Haftungsfalle“ ist
22.04.2016 / Wissen

Dr. Nina Ollinger ist Rechtsanwältin in Purkersdorf und Spezialistin für Rechtsfragen rund ums Pferd.
Dr. Nina Ollinger ist Rechtsanwältin in Purkersdorf und Spezialistin für Rechtsfragen rund ums Pferd. / Foto: privat

Im Umgang mit Pferden ist rasch etwas passiert – doch wer haftet für den entstandenen Schaden? Rechtsanwältin Dr. Nina Ollinger hat dieser spannenden Frage ein Buch gewidmet.

 

ProPferd: Ihr kürzlich erschienenes Buch trägt den einprägsamen Titel ,Haftungsfalle Pferd'. Wieso sind unsere geliebten Pferde ,Haftungsfallen'?
Dr. Ollinger: Der Begriff soll zum Ausdruck bringen, daß wir es mit einem Lebewesen zu tun haben – und daß wir im Umgang mit ihm sehr leicht in eine Art ,Falle’ treten können, z. B. wenn wir in bestimmten Situationen nicht aufpassen. Keinesfalls soll der Titel negativ verstanden werden. Ich will nicht Angst schüren, sondern sensibilisieren, das ist mir ganz besonders wichtig, auch bei meinen Vorträgen, die ich zu diesem Thema halte. Es soll jedem bewusst sein, daß im Umgang mit Pferden leicht etwas passieren kann, und zwar auch dann, wenn ich schon 40 Jahre lang mit ihnen zu tun habe. Darum ist mir die Aufklärung über mögliche Risiken, Gefahren und Fallen so wichtig.

ProPferd: Können Sie dem juristischen Laien kurz erklären: Was bedeutet ,Haftung' eigentlich – was für Folgen kann es haben, für ein Verhalten ,haftbar' zu sein?
Dr. Ollinger: ,Haften’ heißt rein juristisch im Wesentlichen: für eine Schuld einstehen. D.h. es passiert irgendetwas – und man steht vor der Frage: Hat daran jemand Schuld, muss jemand dafür Schadenersatz leisten – oder war es einfach nur Pech, also juristisch gesehen Zufall, für den niemand haftet?

ProPferd: Haften heißt also letztlich: finanziell für etwas einstehen müssen....?
Dr. Ollinger: Richtig – im schlimmsten Fall sogar persönlich, wenn das Geschehen auch noch strafrechtlich relevant war, wenn z. B. Vorsatz dazukäme.

ProPferd: Was sind die häufigsten Auslöser bzw. Gründe für rechtliche Streitigkeiten rund ums Pferd – worüber wird am häufigsten gestritten?
Dr. Ollinger: Aus meiner Erfahrung gibt es die meisten Verfahren im Zusammenhang mit Kaufverträgen bzw. im Anschluss daran, d. h. daß im Nachhinein irgendetwas aus Sicht des Käufers nicht passt. Das können gesundheitliche Probleme sein, die möglicherweise bei Kaufabschluss vorhanden waren, aber auch Rittigkeitsprobleme und ihre möglichen Ursachen etc., darüber wird sehr oft gestritten. Es gibt bei einem Pferdekauf aber auch ein großes Bedürfnis nach Beratung und Information. Wir werden sehr oft kontaktiert und um Rat gefragt: Wie ist etwas einzuschätzen – und wie soll ich weitermachen?

ProPferd: Gehen Pferdehalter oder Reiter häufiger vor Gericht als andere – sind sie besonders ,streitbar'?
Dr. Ollinger: Das kann ich so nicht bestätigen – es ist aber eine Klientel, die eine besondere Betreuung und Beratung braucht, einfach deshalb, weil es ums Thema Pferd geht, weil es ein Lebewesen ist und die emotionale Betroffenheit daher eine andere ist. Um es so zu vergleichen: Familienrecht ist auch etwas ganz anderes als das Einklagen einer Honorarnote, das sind einfach zwei paar Schuhe. Wenn jemand jahrelang von einem Pferd in seinem Leben begleitet wird und diesem Pferd passiert dann irgendetwas, an dem möglicherweise ein Dritter Schuld ist – dann muss man mit diesem Menschen auch einfühlsamer umgehen. Das ist aber wohl bei jedem anderen Haustier ähnlich. Natürlich geht es auch – um auf das Thema Pferdekauf zurückzukommen – häufig um relativ viel Geld. D. h. wenn man sich überlegt, ob man ein Pferd wieder an den Verkäufer zurückgeben kann oder nicht, dann hat das auch erhebliche wirtschaftliche Folgen, denn ein Pferd kostet jedes Monat viel Geld.

ProPferd: Es gibt offenbar einige Personengruppen unter den Pferdeleuten, für die besondere ,Spielregeln' gelten und die besonders leicht in eine ,Haftungsfalle' geraten können. Da wären zum ersten die Reitlehrer – warum müssen die gleichsam besonders aufpassen bei ihrer Tätigkeit?
Dr. Ollinger: Es liegt in der Natur der Sache, daß Reitlehrer mit Personen zu tun haben, die vom Pferd vielfach wenig oder anfangs gar keine Ahnung haben. Bis zu jenem Zeitpunkt, an dem man ein Pferd im Griff hat und in der Bahn kontrolliert galoppieren kann, ist es einfach besonders gefährlich. Ein Reitlehrer wird, wenn wirklich etwas passiert, sehr stark daran gemessen, wie er sich im konkreten Fall verhalten hat, ob er die Lage richtig eingeschätzt hat, das Kind richtig beurteilt hat, ob nicht doch ein paar Longestunden mehr notwendig gewesen wären, ob das Schulpferd passend war usw. D.h. einem Reitlehrer wird – etwa bei einer Gruppenstunde mit mehreren Schülern – tatsächlich irrsinnig viel abverlangt an Aufmerksamkeit, Einschätzungsvermögen, Reaktionsfähigkeit, Fachkenntnis etc.. Darin liegt natürlich auch ein enormes Haftungspotential, das immer wieder Anlass für rechtliche Auseinandersetzungen bietet, wenn irgendetwas passiert ist, wenn etwa ein Kind vom Pferd gefallen ist und sich verletzt hat. Er wird im Ernstfall sehr daran gemessen, ob er sich diesen einzelnen Schüler auch wirklich individuell angesehen hat, dessen Vorkenntnisse überprüft und dessen Angaben gecheckt hat, die Ausrüstung kontrolliert hat usw.

ProPferd: Ein Reitlehrer hat also ganz besondere Sorgfaltspflichten...
Dr. Ollinger: Absolut – wenn wirklich etwas schiefgeht, wird er im Nachhinein sehr hart geprüft, ob er nicht einen Fehler gemacht hat. An ihn wird auch ein höherer Sorgfaltsmaßstab angelegt, nämlich die sogenannte ,Sachverständigenhaftung’, d. h. es wird von ihm erwartet, daß er auch ein höheres Wissen mitbringt, wenn er sich hinstellt und Reitunterricht gibt. Das muss jedem bewusst sein, der diese Tätigkeit ausübt. Wichtig ist natürlich auch die Frage, ob der Betrieb für den angebotenen Unterricht auch optimal organisiert ist, ob die Abläufe stimmen, damit es zu bestimmten Problemen gar nicht erst kommt.

ProPferd: Eine weitere Personengruppe wären die Reitstallbesitzer – was ist bei diesen Besonderes zu beachten?
Dr. Ollinger: Als Reitstallbetreiber kann ich bei vielen Themen schnell in ein Haftungsproblem geraten: Ich muss auf die Pferde meiner Einsteller gewissenhaft aufpassen, ich muss den Koppelgang ordentlich organisieren, ich muss schauen, daß die Koppeln, die Wege, die Reithalle etc. in Ordnung sind – es kann also vieles passieren, aus dem sich möglicherweise eine Haftung ergeben könnte. Ein Reitstallbetreiber muss also – ähnlich wie ein Reitlehrer – auf sehr viele Dinge achtgeben, muss ganz genau wissen, was in seinem Stall passiert. Die Fütterung ist ein großes Thema, die Qualität der Futtermittel, ihre Lagerung etc., ebenso die Medikamentengabe, die nach dem Tierschutzgesetz eigentlich den Tierärzten vorbehalten ist: Hier kann man – vielleicht nur, weil man helfen wollte – ziemlich schnell ein Problem bekommen. Ein immer wiederkehrendes Thema ist auch die Einzäunung, die bestimmten Kriterien entsprechen muss, damit Pferde eben nicht ausbrechen oder über Zäune springen können. Und natürlich haftet ein Stallbetreiber auch für seine Angestellten, wenn diese z. B. bei der Fütterung oder beim Koppelgang etwas falsch machen und ein Pferd dadurch zu Schaden kommt.
Aus der Praxis muss ich aber hinzufügen, daß der durchschnittliche Reitstallbetreiber meines Erachtens nach sehr gut darüber informiert ist, worauf er rein rechtlich aufpassen muss und wovon er besser die Finger lässt, um nicht ein Haftungsproblem zu bekommen. Hier ist der Wissensstand im Normalfall sehr hoch.

ProPferd: Welche Probleme kann ich als normaler Pferdebesitzer bzw. Reiter hinsichtlich einer möglichen Haftung bekommen – worauf muss ich besonders achten, wo soll ich besonders vorsichtig sein?
Dr. Ollinger: Der Pferdebesitzer muss sein Pferd kennen und sein Verhalten einschätzen können – er muss wissen, was er sozusagen mit dem Pferd tun kann und was er besser lassen soll, sprich: wo die Eigenarten seines Pferdes zu Problemen führen können. Ich bin letztlich für Schäden, die mein Pferd verursacht, weitgehend haftbar und verantwortlich, und zwar aufgrund der sogenannten ,Tierhalterhaftung’.

ProPferd: Die bedeutet genau was?
Dr. Ollinger: Bei der Tierhalterhaftung sucht man sich gleichsam ein dem Vorfall bzw. Unfall vorgelagertes Verschulden. Das Problem der Tierhalterhaftung ist vielfach: Ich war in dem Moment vielleicht gar nicht da – und trotzdem trifft mich als Tierhalter in letzter Konsequenz die Verantwortung für einen Unfall und somit die Haftung.

ProPferd: Auch wenn mich kein Verschulden trifft?
Dr. Ollinger: Das kann vorkommen. Das Schlimme an der Tierhalterhaftung ist nämlich, daß ich meine Unschuld nachweisen muss. Mich trifft vielleicht an dem konkreten Vorfall wirklich kein Verschulden, ich kann das aber – z. B. aufgrund einer vorgelagerten Nachlässigkeit – vielleicht nicht nachweisen und bleibe über, weil das Gesetz eben die Beweislastumkehr vorsieht. Ich weise deshalb auch in meinen Vorträgen immer sehr eindringlich darauf hin: Wenn etwas passiert ist – sofort die Beweise sichern, die Polizei kommen lassen, alles aufnehmen lassen, alles dokumentieren, fotografieren, ein Gedächtnisprotokoll anfertigen usw. Oft liegt kein subjektives Verschulden vor, weil ich eben z. B. gerade auf Urlaub war – aber im Vorfeld hätte ich dies oder jenes besser machen müssen, das Pferd sorgfältiger verwahren müssen etc., dann wäre es auch nicht ausgebrochen und hätte einen Unfall verursacht. Die Tierhalterhaftung ist in solchen Fällen schon sehr tückisch.

ProPferd: Sie erwähnen in Ihrem Buch zwei sehr markante Beispiele, nämlich das eines Trabrennfahrers, der unmittelbar vor einer Ausfahrt kollabierte und von seinem Gefährt stürzte – und für den Schaden, den das herrenlose Gespann danach verursachte, dennoch aufkommen musste, was doch ziemlich heftig ist...
Dr. Ollinger: Das ist eben der Unterschied zwischen subjektivem Verschulden und objektiver Haftbarkeit. Man kann es vielleicht so erklären: Das Gesetz sieht es so, daß ich mich als Pferdebesitzer einer „Sache“ (unter Anführungszeichen!) bediene, die für andere, natürlich auch für mich selbst, gefährlich sein kann. Immer, wenn ich ein Pferd nicht beherrsche, kann es Schaden verursachen. Und ich kann zwar subjektiv dieses Risiko für mich in Kauf nehmen – es aber nicht auf andere abwälzen und sagen: Wenn Dir mein Pferd etwas tut, hast Du halt Pech gehabt! Das geht rein rechtlich nicht. Hier macht der Gesetzgeber quasi eine Verschiebung und sagt: Du nimmst das Risiko „Pferd“ auf Dich – musst aber auch dann dafür haften, wenn es nicht subjektiv vorwerfbar ist, also wenn Du gar nicht schuld bist. Dessen sollte man sich als Pferdebesitzer schon bewusst sein.

ProPferd: Das zweite Beispiel ist das eines Fahrers, der sein Gespann auf einem Parkplatz an einen Strommast gebunden hat, um sich in einem Gasthof zu stärken. Das Pferd geriet aus unbekannten Gründen in Panik, der Karabiner brach aufgrund eines Materialfehlers, den der Fahrer nicht erkennen konnte – trotzdem muss dieser für den vom Pferd verursachten Schaden aufkommen...?
Dr. Ollinger: Der Fall ist ganz ähnlich gelagert: Subjektiv hat der Fahrer nichts falsch gemacht, er war nicht unachtsam und auch nicht fahrlässig, aber objektiv hat sein Pferd einen Schaden verursacht, für den jemand geradestehen muss, und das ist eben der Tierhalter. Man kann es auch so sehen: Das wahre Opfer eines solchen Unfalls – zum Beispiel jenen, den das fahrerlose Gespann über den Haufen gefahren hat oder dessen Auto dadurch beschädigt wurde – soll nicht einfach nur Pech gehabt haben und ohne jegliche Entschädigung dastehen. Und Schadenersatz setzt immer ein Verschulden voraus, und dieses trägt in diesen Fällen eben der Tierhalter. Wer auch sonst?

ProPferd: Wie kann ich mich als Pferdebesitzer am besten vor Schadenersatzansprüchen schützen – welche Tipps können Sie geben?
Dr. Ollinger: Man soll schon darüber Bescheid wissen, wo ich besonders aufpassen muss und wo mögliche Probleme und Haftungsfallen lauern. Man soll seine Rechte und Pflichten kennen – gerade auch im Verhältnis zum Reitstallbesitzer, bei dem ich mein Pferd eingestellt habe, oder gegenüber dem Reitlehrer, bei dem ich Unterricht nehme. Ein Vertrag ist ein gutes Mittel, um die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar zu definieren und die Fronten zu klären – auf Augenhöhe und in zivilisierter Art und Weise.
Mir ist aber natürlich auch bewusst, daß man nicht alles verhindern kann, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen. Es kann einfach immer etwas passieren – und dann braucht man eine Versicherung. Eine Pferdehaftpflichtversicherung ist jedem Pferdebesitzer dringend zu empfehlen, die kostet auch nicht so viel und deckt allfällige Schadenersatzansprüche ab. Beim Auto ist eine Haftpflichtversicherung eine Selbstverständlichkeit – beim Pferd sollte sie das ebenso sein, dazu rate ich auch allen meinen Klienten.

ProPferd: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Dr. Nina Ollinger führte Leopold Pingitzer.


BUCHTIPP: Dr. Nina Ollinger: „Haftungsfalle Pferd – Zentrale Rechtsfragen rund ums Pferd praktisch dargestellt“; Wien, Graz, Neuer Wissenschaftlicher Verlag, 2015, 103 Seiten, broschiert ISBN: 978-3-7083-1039-8, Preis: 19,80 Euro, erhältlich im Buchhandel bzw. über den Online-Shop des Neuen Wissenschaftlichen Verlags.

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