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Nur keine Panik: So meistert man Schrecksekunden am Pferd
26.02.2018 / Wissen

Auch in solchen Fällen sollte der Reiter versuchen, die Kontrolle zu behalten – und das gelingt viel besser, wenn man für derartige Situationen vorbereitet ist. (Fotocredits: Foto: Fotolia/S. Kobold)
Entspannt im Sattel? Das Pferd merkt deutlich, ob der Reiter wirklich entspannt sitzt ... (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
... oder ganz und gar nicht, wie hier!
Annäherung: Das Pfer wird nur so weit geritten, wie es sich traut. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Pause: Die Pause ist die Belohnung für die Auseinandersetzung mit dem neuen Objekt. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Rückzug: Man lässt das Pferd so weit weggehen, dass es sich wieder entspannt. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Ufo gelandet? Mit dem Menschen an der Seite fällt es dem Pferd leichter, sich das unbekannte Objekt anzusehen ... (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)

Unerwartete Situationen können Pferd und Reiter fast überall begegnen und beim Pferd Panik und gefährliche Fluchtreaktionen auslösen. Wie man mit den richtigen Ideen und Übungen das negative Muster unterbrechen und die Situation für beide Seiten entschärfen kann, verrät ProPferd-Autorin Nicole Steiner.


Pferd und Reiter bummeln gemütlich dahin – und plötzlich fliegt im Gebüsch ein Vogel auf, ein lautes Geräusch ertönt oder ein Hund springt bellend an den Zaun. Das Pferd reißt den Kopf hoch, springt zur Seite oder versucht zu fliehen. In diesem Moment hat man wenig Zeit um zu reagieren – es geht in erster Linie darum, im Sattel zu bleiben und sich selbst und das Pferd vor einer Verletzung zu bewahren.

Ein Zügel ist besser als zwei
Um in einer solchen Situation die Kontrolle wiederzuerlangen, eignet sich oft ein Zügel besser als beide. Den Zug auf beiden Zügeln kann ein Pferd in Panik leichter ignorieren, zieht der Reiter fester an einem Zügel, dreht er das Pferd ein – auf einem kleinen Radius kann es nicht mehr so schnell laufen und lässt sich dann leichter unter Kontrolle bringen. Diese Notbremse durch laterale Biegung lässt sich auch im Vorfeld üben und noch effektiver machen.

Zuerst wird im Stehen das Drehen des Kopfes auf beide Seite geübt. Dazu den Zügel auf dieser Seite annehmen und zum eigenen Körper und leicht nach oben führen, bis das Pferdemaul einen leichten Zug verspürt. Die Spannung wird erst nachgelassen, wenn das Pferd den Kopf in die gewünschte Richtung dreht. Die meisten Pferde verstehen die Übung sehr schnell und sie kann der Reihe nach auch im Schritt, Trab und Galopp geübt werden. Jetzt wird die Spannung am Zügel aber erst nachgelassen, wenn das Pferd den Hals gebogen hat UND stehen geblieben ist. Wird dieser Not-Stopp Schritt für Schritt eintrainiert und dann gelegentlich wiederholt, ist er mit großer Wahrscheinlichkeit auch in einer Schrecksituation sofort abrufbar.

Aus Erlebtem lernen
Gerade wenn man im Schreckmoment selbst kaum Zeit hatte nachzudenken, kommt häufig danach die Gedankenspirale im Kopf. Beim nächsten Ritt ist man dann schon von Anfang an nervös und hält Ausschau nach möglichen Gefahrenquellen. Das spürt das Pferd natürlich sofort und ist ebenfalls angespannt und alarmiert – die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Schreckerlebnis wiederholt, steigt.

Diesem Teufelskreis kann man entkommen, indem man sich einmal bewusst mit dem Erlebten auseinandersetzt und sich überlegt, ob man das Problem früher hätte erkennen können (z. B. Anspannung des Pferdes bereits einige Sekunden bevor es sich erschreckte), was man in der Situation hätte besser machen können und ob es sich um eine Gefahrenquelle handelt, mit der man das Pferd vertraut machen könnte, um ein Erschrecken in Zukunft zu vermeiden. Danach soll und muss das Erlebnis ad acta gelegt werden. Wenn das nicht leicht gelingt, helfen mentale „Löschstrategien“,  wie das Bild von einer Tafel löschen oder die erlebte Situation gedanklich von einem Fluss wegspülen zu lassen – Hauptsache sie verschwindet nachhaltig.

Die einschätzbare Gefahr
Viele Pferde haben Stellen im Gelände oder am Hof, Gegenstände oder andere „Gespenster“, die ihnen schon aus einiger Entfernung ungeheuerlich sind oder vor denen sie sich sogar regelmäßig schrecken. Dass man sich diesen Gespenstern nähert, merkt man meist schon einige Zeit vorher, weil das Pferd sich anspannt, versteift, den Schritt verlangsamt oder sich klammheimlich hinter den anderen Mitreitern versteckt. Hier heißt es vorbeugen und verschiedene Strategien ausprobieren, um dem Pferd zu helfen seine Ängste zu überwinden.

Anführer sein
In erster Linie heißt das, dass wir uns nicht von der Panik des Pferdes anstecken lassen dürfen, selbst ruhig bleiben und überlegt handeln müssen. Fürchtet sich der Reiter, wenn auch eher vor der Reaktion des Pferdes als vor dem Gegenstand selbst, sendet er unmissverständliche Signale an sein Pferd aus. Das Pferd wiederum fühlt sich in seinem Instinkt bestätigt und wird sich erst recht fürchten.

Weiters bedeutet der „Anführer“ zu sein aber auch, seinem Pferd aktiv zu helfen, die Situation zu überstehen und sich zu beruhigen. Wer keinen Plan hat, verliert auf Dauer Punkte in der Rangordnung.

Körperhaltung und Atmung
Wer sich anspannt, die Luft anhält oder flach atmet, hat Angst, soviel ist jedem Pferd klar. Also ist es sinnvoll, gerade in einer angespannten Situation darauf zu achten, bewusst tief und ruhig in den Bauch zu atmen und die Muskeln in einem möglichen Maß entspannt zu halten. Sitzt der Reiter angespannt am Pferd, klammert mit Beinen und Zügeln, hat das Pferd eher das Gefühl ein Raubtier im Nacken zu haben, als seinen vertrauenswürdigen Partner. Die Schwierigkeit besteht darin, genug Körperspannung zu haben, um bei einem eventuellen Sprung des Pferdes im Sattel zu bleiben und trotzdem eine lockere Haltung anzunehmen. Eine ruhige Atemfrequenz lässt sich erreichen, indem man lange einatmet und doppelt solange aus. Als Hilfe kann man beim Einatmen bis drei zählen und beim Ausatmen bis sechs. Weiters hilft es, sich vorzustellen in der Körpermitte mit schwerem Sand gefüllt zu sein und die Beine lang zu machen. Damit wirkt man den typischen „Klammerbewegungen“ entgegen. Wer das zu Hause gelegentlich übt, kann es im Ernstfall leichter abrufen und damit dem eigenen Körper und seinem Pferd ein Stück Ruhe vermitteln.

Nach vorne schauen
Hat das Pferd etwas Besorgniserregendes entdeckt, wird es meist langsamer, bleibt stehen oder versucht zur Seite auszuweichen. Automatisch richtet der Reiter seinen Blick auch auf das Objekt – gerade dieser Focus vermittelt dem Pferd aber, dass es damit wirklich etwas auf sich hat. Besser ist es, den Blick in die Ferne zu richten – natürlich in die Richtung, in die man reiten möchte – und dem Gegenstand gar keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Oft gibt das dem Pferd schon genügend Sicherheit, um sich vorbei zu trauen.

Ablenkung
Um ein unruhiges Pferd von der vermeintlichen Gefahr abzulenken, eignen sich auch z. B. Seitengänge sehr gut. Schenkelweichen, Schulterherein, Kruppherein –natürlich werden es keine turnierreifen Lektionen werden, sie sollen nur bewirken dass das Pferd sich auf den Reiter und die gestellte Aufgabe konzentriert. Durch das Abfragen solcher Übungen zeigt der Reiter dem Pferd, dass er selbst keinen Grund zur Besorgnis sieht und deshalb die Aufmerksamkeit des Pferdes einfordert.

Gut zu Fuß
Für viele Pferde ist es sehr beruhigend, ihren ranghöheren Partner in der stressigen Situation dort zu haben, wo sie ihn auch sehen können. So „führt“ der Mensch sie durch die Gefahrenzone und sie sehen unmittelbar an dessen Körperhaltung, dass er ganz entspannt ist und somit auch keine Gefahr drohen kann. Das soll nicht heißen, dass man als Reiter in jeder schwierigen Situation abspringen soll, aber besonders bei chronisch-schwierigen Stellen im Gelände ist es einen Versuch wert, sie dem Pferd einmal vom Boden aus näher zu bringen. Idealerweise aber nicht mit Trense und Zügel, sondern mit geeignetem Halfter und einem langen Seil, um dem Pferd genug Freiraum geben zu können und sich selbst nicht in die Gefahrenzone eines wegspringenden Pferdes zu bringen.

Annäherung und Rückzug
... ist ein Prinzip, das sehr dem natürlichen Wesen des Pferdes entspricht und deshalb viel im Natural Horsemanship gelehrt wird. Steckt man also in einer Situation fest, in der das Pferd ernsthaft Angst hat – z. B. wie an einer Schwelle stehen bleibt und nicht mehr weiter will – sollte man es nicht mit allen Mitteln zwingen, sondern ihm die Zeit geben,  sich der Gefahr seiner Natur entsprechend anzunähern.

Steht es an der „Schwelle“, wird das Pferd erst einmal rückwärts gerichtet, bis eine Distanz zum vermeintlich gefährlichen Ort/Objekt hergestellt ist, in der das Pferd sich wieder sicher fühlt, dann wird es wieder freundlich zum Vorwärtsgehen animiert. Traut sich das Pferd weiter nach vorn als beim letzten Mal, lässt man ihm eine kurze Pause, dann geht’s wieder rückwärts und wieder nach vorne. Das ganze Spiel wird einige Male wiederholt, dabei sollte jedes Mal ein bisschen weniger rückwärts nötig sein, damit das Pferd sich entspannt und ein bisschen mehr vorwärts möglich sein, bevor das Pferd an seine Grenze stößt. Natürlich muss man sich für diese Übung Zeit nehmen, aber sie stärkt das Vertrauen des Pferdes in seinen Reiter (weil es nicht genötigt wird, sondern eine natürliche Verhaltensweise anwenden kann), sie stärkt die emotionale Fitness des Pferdes (weil es sich mit der gefürchteten Situation intensiv auseinandersetzen muss und die belohnende Pause dann bekommt, wenn es einen Fortschritt schafft) und macht das Passieren der schwierigen Stelle im Endeffekt zur eigenen Idee des Pferdes – was für eine langfristige Verbesserung ein großer Schritt ist.

Bachblüten
Sowohl für das Pferd als auch für den Reiter können Bachblüten eine große Unterstützung bei der Verarbeitung von Schreckmomenten sein. Empfehlenswert wären z. B.:
Rock Rose – bei Panik und großer Angst
Star of Bethlehem – bei körperlichem oder seelischem Schock
Mimulus – bei Angst vor bekannten Dingen oder Situationen
Haben Pferd und Reiter gerade einen großen Schrecken hinter sich, ist es immer gut, die Notfalltropfen zur Hand zu haben – eine Blütenmischung für Notfälle, die Rock Rose, Star of Bethlehem und drei weitere Bachblüten beinhaltet.

Resümee
Gegen einen Schrecken ist man beim „Fluchttier Pferd“ nie ganz gefeit. Durch eine gute Beziehung zwischen Mensch und Pferd und ein paar Notfallstrategien lässt sich aber dafür sorgen, dass weder Pferd noch Mensch einen dauerhaften Schaden davontragen. Schließlich soll die Zeit mit dem Pferd ja entspannend und angenehm für beide Seiten sein.


Checkliste: Sicherheit für Pferd & Reiter
– Sicherheit geht vor – die Verletzungsgefahr für Pferd und Reiter so gering wie möglich zu halten, sollte im Schreckmoment oberste Priorität haben.
– Ein Zügel statt zwei  – als Notbremse eignet sich der Zug an einem Zügel oft besser, da das Pferd den Kopf drehen und auf einem kleinen Radius automatisch das Tempo drosseln muss.
– Nachdem man sich gedanklich mit dem Schreckmoment befasst und daraus gelernt hat, ist es wichtig, die Situation wieder aus dem Gedächtnis zu löschen, damit die Angst nicht ständig mitreitet.
– Der Reiter sollte gerade in stressigen Situationen beweisen, dass er ranghöher ist und seinem Pferd helfen, die Angst zu überwinden.
– Eine möglichst entspannte Körperhaltung und tiefe Bauchatmung vermitteln dem Pferd die nötige Ruhe.
– Nach vorne schauen, statt selbst auf das furchterregende Objekt zu starren, gibt dem Pferd Focus in die richtige Richtung.
– Aufmerksamkeit einfordern – durch Seitengänge oder ähnliche Lektionen muss das Pferd sich mehr auf den Reiter konzentrieren.
– Vom Boden aus lassen sich manche Gespenster leichter erforschen, der Mensch ist als ruhiges Vorbild für das Pferd greifbarer.
– Annäherung und Rückzug ist eine sehr pferdegerechte Strategie, die dem Pferd ermöglicht, sich in seinem ganz eigenen Tempo dem Objekt anzunähern.
– Flowerpower in Form von Bachblüten ist eine gute Hilfe für Pferd und Reiter, um Erlebtes zu verarbeiten und gestärkt in neue Situationen zu gehen.

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