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PZT-Training: Wie man die Körperwahrnehmung seines Pferdes schult
06.08.2024 / Wissen

Hinter dem Zungenbrecher „Propriozeption“ verbirgt sich nichts anderes als die Fähigkeit des Pferdes, den eigenen Körper im Raum zu spüren – eine elementare Voraussetzung für jegliche sportliche Betätigung und eine sichere, koordinierte Bewegung. Hier ein kleiner Einblick, wie man diese wichtige Fähigkeit trainieren kann.

Für das propriozeptive Training stehen viele Varianten und Möglichkeiten zur Verfügung – so etwa das Training mit Hütchen bzw. Kegeln, um Koordination und Gleichgewicht zu schulen. Foto: Tanita Prutej

 

Wer sich näher mit dem Thema Ausbildung und Training von Pferden – insbesondere von Sportpferden – beschäftigt, stößt früher oder später auch auf den Begriff ,Propriozeption‘ (PZT) oder ,PZT-Training‘. Doch was genau versteht man darunter? Wozu braucht man das? Was hat das mit mir und meinem Pferd zu tun? Und vor allem, wie kann ich es trainieren?

Propriozeption bezeichnet – vereinfacht gesagt – die Fähigkeit, die Position und Bewegung des eigenen Körpers im Raum zu spüren, ohne ihn zu sehen. Es geht also im Wesentlichen um die eigene Körperwahrnehmung.

Für die Wahrnehmung des eigenen Körpers hinsichtlich Lage, Haltung, Stellung, Spannung und Bewegung braucht unser Körper das Zusammenspiel mehrerer Sinne. Neben dem Tastsinn, der durch Sinneszellen der Haut gewährleistet wird, dem Gleichgewichtssinn, der durch das Vestibularorgan im Innenohr bestimmt ist, gibt es noch viele andere Sinneszellen (Rezeptoren), die für die Rückmeldung der Stellung von Gelenken, der Spannung von Muskeln und Sehnen und Veränderungen in diesem Bereich zuständig sind.

Diese Rezeptoren geben dem Gehirn entsprechende Rückmeldungen über unsere Bewegungsabläufe. Dies ist notwendig, um eine koordinierte Bewegung unseres Körpers überhaupt duchführen zu können.
Propriozeption ist eine erlernte Fähigkeit, d.h. sie kann durch Training verbessert werden, kann sich aber auch wieder verschlechtern, wenn die Rezeptoren beispielsweise durch Boxenruhe oder generell zu wenig Bewegung nicht mehr angesprochen und geschult werden.

Woran erkenne ich aber, ob mein Pferd propriozeptive Defizite hat? Nun, ein häufiges Alarmsignal bei betroffenen Pferden ist eine auffallende „Tollpatschigkeit“: Es stolpert über seine eigenen Beine, über am Boden liegende Stangen, bei Steinen, stößt sich überall, hat ständig kleine Schrammen und Verletzungen, weil es seine Größe und seine körperlichen Grenzen nicht richtig abschätzen kann.

Viele Pferdeställe sind wunderschön adaptiert, gepflastert und eingeebnet. Steine werden möglichst aus dem Weg geräumt, Stufen dürfen keine entstehen, damit sich unsere Pferde auf keinen Fall verletzen, wenn sie darüber stolpern sollten.

Das hat alles seinen Grund und seine Berechtigung – und doch führt dies nahezu zwangsläufig zu einer weitgehend ,künstlichen‘ Umgebung für unsere Hauspferde, die deutlich ärmer an Umwelt-, Bewegungs- und Sinnesreizen ist als ein naturbelassener Lebensraum. Und jeder Pferdemensch sollte sich daher die Frage stellen: Ist das alles wirklich im Sinne unserer Pferde?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns ansehen, wie propriozeptives Training funktioniert.
Propriozeptives Training dient nicht in erster Linie dem Muskelaufbau, sondern es geht darum, die diversen Rezeptoren wechselnden Reizen auszusetzen, um sie aufmerksam zu erhalten. Durch die Aufmerksamkeit der Rezeptoren erfolgt eine schnellere Reizweiterleitung an die verschaltenden Stellen im Gehirn und im Rückenmark, sodass auch eine schnellere Reaktion erfolgen kann. Dadurch wird die Verletzungsgefahr deutlich verringert.

Wenn man beispielsweise auf einen Stein tritt, so wird diese ungewöhnliche Bewegung von den Rezeptoren an das Gehirn gemeldet. Dieses gibt dann den Befehl einer Ausgleichsbewegung, um ein Überknöcheln zu verhindern, da sonst das Gelenk zu Schaden kommen könnte. Je besser die Propriozeption trainiert ist, desto schneller funktioniert das und desto unwahrscheinlicher wird eine Verletzung. 

Für welche Pferde eignet sich demnach propriozeptives Training?

Jedes Pferd profitiert davon, besonders aber junge Pferde, Pferde im Wiederaufbau nach Verletzungen und ältere Pferde.

Es ergeben sich viele Vorteile, von denen unser Pferd und auch wir profitieren können:

1. Verbesserte Körperwahrnehmung
Propriozeptives Training hilft Pferden, ein besseres Bewusstsein für ihre Körperposition im Raum zu entwickeln. Dies verbessert die Koordination und das Gleichgewicht, was besonders in anspruchsvollen Bewegungen und Manövern von Vorteil ist.

2. Verstärkte Gelenkstabilität
Durch gezielte Übungen wird die Muskulatur rund um die Gelenke gestärkt, was zu einer besseren Stabilität und einem geringeren Verletzungsrisiko führt.

3. Verbesserte Balance und Koordination
Pferde lernen, ihre Bewegungen feiner zu steuern und können sich dadurch eleganter und effizienter bewegen.

4. Erhöhte Beweglichkeit und Flexibilität
Propriozeptives Training beinhaltet oft Dehnübungen und Bewegungsabläufe, die die Flexibilität der Muskeln und Gelenke verbessern. Dies führt zu einer größeren Bewegungsfreiheit und einer verbesserten Leistung bei sportlichen Aktivitäten.

5. Schnellere Reaktionsfähigkeit
Ein besseres propriozeptives System ermöglicht es dem Pferd, schneller und präziser auf äußere Reize zu reagieren. Dies ist besonders wichtig in Sportarten wie Springreiten, Dressur und Vielseitigkeit, wo schnelle und präzise Bewegungen gefragt sind.

6.  Vorbeugung und Rehabilitation von Verletzungen
Propriozeptives Training kann präventiv wirken, indem es die Muskulatur stärkt und das Gleichgewicht verbessert, was wiederum Verletzungen vorbeugt. Es wird auch häufig in der Rehabilitation eingesetzt, um Pferde nach Verletzungen wieder aufzubauen und ihre volle Funktionalität wiederherzustellen.

7. Mentale Stimulation
Diese Art von Training bietet nicht nur physische Vorteile, sondern auch mentale Stimulation. Pferde müssen sich auf neue und manchmal ungewohnte Bewegungen konzentrieren, was ihre geistige Agilität und Lernfähigkeit fördert.

8. Verbesserte Leistung in Wettkämpfen
Pferde, die regelmäßig propriozeptives Training absolvieren, zeigen oft eine bessere Leistung in Wettkämpfen. Sie bewegen sich sicherer, haben eine bessere Haltung und können komplexe Bewegungen effektiver ausführen.

9. Vertrauensaufbau
Pferde, die lernen, ihre Körper besser zu kontrollieren, gewinnen an Selbstvertrauen. Dies kann sich positiv auf ihre Bereitschaft auswirken, neue Aufgaben zu übernehmen und schwierige Situationen zu meistern.

Zusammengefasst trägt propriozeptives Training erheblich zur allgemeinen Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Pferden bei, indem es deren körperliche und mentale Fähigkeiten stärkt.

Doch sehen wir uns im Folgenden an, wie ein solches Training im Detail aussieht!

Propriozeptives Training
Worauf sollte man beim propriozeptiven Training für Pferde achten – und wie soll es gestaltet sein, damit es effektiv und sicher gelingt? Dafür stehen eine ganze Reihe von Wegen und Möglichkeiten zur Verfügung – hier ein kleiner Überblick.

1. Propriozeptiver Parcours
Ein völlig natürliches propriozeptives Training ist das Gehen über verschiedene Untergründe.
Dabei kann man gleichsam einen ,Trainings-Parcours‘ aufbauen, oder einfach beim Ausreiten darauf achten, verschiedene Bodenformen zu beschreiten.
So kann man beispielsweise Asphalt, Kies, Wiese, Sand, Schotter, Wasser und andere Untergründe hintereinander anordnen.
Dies mag sehr simpel erscheinen, hat aber auf die Körperwahrnehmung einen großen Einfluss und fördert die Trittsicherheit der Pferde.

2.    Körperbänder

Foto: Tanita Prutej

Die einfachste Übung, die auch während einer Boxenruhe sinnvoll ist, ist die Förderung der Körperwahrnehmung mittels Körperbändern. Dazu eignen sich einfache elastische Bandagen. Diese werden locker anliegend gebunden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten und Wickeltechniken mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Körperbänder wirken direkt auf die feinen Rezeptoren unter der Haut, die auf Berührung reagieren. Über einen Zeitraum von 15 Minuten nimmt das Pferd die umwickelten Stellen bewusster wahr.

Danach tritt ein Gewöhnungseffekt ein.
Sie eignen sich besonders, wenn Pferde kein Raumgefühl haben, sich ständig stoßen oder bei Berührung an manchen Körperstellen erschrecken.

3.    Igelbälle

Foto: Tanita Prutej

Eine ähnliche Wirkung haben die Igelbälle. Wenn ich mit diesen über den Körper des Pferdes rolle, spreche ich ebenfalls die Tastrezeptoren unter der Haut an und fördere die Körperwahrnehmung. Allerdings kann ich hier gezielter manche Bereiche fördern und flächiger Arbeiten als mit den Körperbändern.

4. Balancepads

Foto: Tanita Prutej

Balancepads sind eine gute Möglichkeit, um Balance und Gleichgewicht zu trainieren und die kleine gelenksstabilisierende Muskulatur zu stärken.

Es empfiehlt sich an den Vorderbeinen zu beginnen, aber alle 4 Beine können gleichzeitig auf den Pads stehen, wenn das Pferd diese bereits kennen gelernt hat. Wichtig ist es hier, langsam und vorsichtig vorzugehen.

Sobald das Pferd auf mindestens 2 Pads steht, kann es sein, dass es zu schwanken beginnt. Das ist völlig normal, weil das Pferd sein Gleichgewicht sucht. Man lässt es so lange draufstehen, bis es von selbst von den Pads steigt.

5.  Hütchentraining

Foto: Tanita Prutej

Das Pferd wird am Halfter oder auch geritten in 8-er Schleifen, Slalom oder auch in Kleeblattform um Hütchen geführt. Dadurch trainiert man die Koordination, Konzentration und das Gleichgewicht. Das Pferd setzt seine Beine bewusster und achtet mehr darauf, wo es diese absetzt. Gleichzeitig wird die Biegung der Wirbelsäule geübt.

6.  Stangentraining

Foto: Tanita Prutej

Stangentraining eignet sich hervorragend, um die Aufmerksamkeit und Konzentration des Pferdes zu trainieren.

Man beginnt mit einer am Boden liegenden Stange, wobei darauf geachtet werden muss, dass diese nicht wegrollen kann, damit sich das Pferd nicht verletzt, wenn es anstößt.

Wenn das Pferd nicht anstößt, kann man den Schwierigkeitsgrad erhöhen und weitere Stangen dazu legen. Hier geht es nicht um einen bestimmten Abstand, denn auch wenn wir ausreiten, liegen die Wurzeln nicht nach vorgegebenen Abständen.

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass das Pferd sich nach der dritten Runde adaptiert, also an die Entfernungen gewöhnt hat. Dann kann bzw. sollte man wieder etwas verändern, indem man die Entfernung verändert oder weitere Stangen dazulegt.

Besonders anspruchsvoll ist ein „Stangenmikado“, bei dem viele Stangen im Kreis aufgelegt werden.
Man kann die Pferde auch rückwärts über die Stangen schicken, was ebenfalls eine sehr schwierige Übung für die meisten Pferde ist.

Damit das Training gelingen kann, müssen gewisse Grundsätze eingehalten werden:

– Lahme Pferde sollten – wenn überhaupt – nur nach Rücksprache mit dem Tierarzt bewegt bzw. trainiert werden, hier ist besondere Vorsicht angebracht.
– Wenn das Pferd müde wird oder die Konzentration nachlässt, sollte man das Training beenden. Dies merkt man, indem bereits gut funktionierende Abläufe wieder schlechter bewältigt werden können.
– Die Dauer des Trainings ist dem Zustand deines Pferdes anzupassen.
– Die Intensität des Trainings bestimmt ebenfalls das Pferd! Wenn etwas nicht funktioniert, geht einen Schritt zurück und versucht es mit einer leichteren Übung oder sucht einen ausgebildeten Tiermasseur, Tierbewegungslehrer- oder Trainer.

Propriozeptives Training soll Spaß machen, dem Reiter und dem Pferd Abwechslung bieten und nebenbei noch einen positiven Effekt auf den Körper des Pferdes, aber auch auf uns haben.
Viel Spaß beim Umsetzen!
Mag.a Dagmar Zorn

Weitere Infos über PZT-Training findet man auf der Website der ARGE Tierphysiotherapie (https://www.arge-tierphysiotherapie.at), die dazu ein eigenes Ausbildungsfach (https://www.arge-tierphysiotherapie.at/pzt-training) etabliert hat.

 

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