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Richtiges Verhalten gegenüber Reitern & Gespannen im Straßenverkehr
13.12.2015 / Wissen

Fahrzeuglenker sollten bei der Begegnung mit Pferden stets den Überblick bewahren und sich situationsgerecht verhalten.
Fahrzeuglenker sollten bei der Begegnung mit Pferden stets den Überblick bewahren und sich situationsgerecht verhalten. / Foto: Dr. Reinhard Kaun

Vorsicht und Rücksicht sollten generell das Verhalten im öffentlichen Verkehr bestimmen – ganz besonders gelten diese zwei Grundsätze aber gegenüber Reitern und Gespannen. Dr. Reinhard Kaun hat die wichtigsten Verhaltensregeln für Auto- und Motorradfahrer bei der Begegnung mit vierbeinigen Pferdestärken zusammengestellt.

 

Neben Verhaltensregeln und Verkehrszeichen ist der sogenannte Vertrauensgrundsatz eine der tragenden Säulen für eine möglichst risikoarme Abwicklung des Verkehrs auf öffentlichen Straßen.

Verkehr auf öffentlichen Straßen – § 3 StVO
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme; dessen ungeachtet darf jeder Straßenbenützer vertrauen, dass andere Personen die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen, außer er müsste annehmen, dass es sich um Kinder, Menschen mit Sehbehinderung mit weißem Stock oder gelber Armbinde, Menschen mit offensichtlicher körperlicher Beeinträchtigung oder um Personen handelt, aus deren augenfälligem Gehaben geschlossen werden muss, dass sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten.*
(2) Der Lenker eines Fahrzeuges hat sich gegenüber Personen, gegenüber denen der Vertrauensgrundsatz gemäß Abs. 1 nicht gilt, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass eine Gefährdung dieser Personen ausgeschlossen ist.
Cave: Da Pferde als „unberechenbare, von ihren Trieben und Instinkten geleitete Wesen“ gelten (zit. OGH), deren Verkehrsverhalten keine Spurtreue garantiert, kann der Vertrauensgrundsatz prinzipiell nur für Reiter oder Gespann-Fahrer gelten, nie aber für Pferde!
Reitern und Gespann- Fahrern muss das jederzeitige Bestreben, den Verkehr auf öffentlichen Straßen nicht zu behindern, auf andere Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen und der Rechtsfigur der Allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gerecht zu werden, nachvollziehbar unterstellt werden können.
Inwieweit dieses Bestreben auf die Pferde umsetzbar ist, hängt vom Ausbildungsstand der Pferde, deren Durchlässigkeit und Grundgehorsam sowie deren Gewöhnung an – auch kritische – Verkehrssituationen ab.
Es ist deshalb ein Grunderfordernis, dass sowohl Reiter und Fahrer wie auch Pferde an die Alltagssituationen modernen Straßenverkehrs mit der Vielzahl an Erscheinungsbildern zeitgemäßer Fahrzeuge nachweislich gewöhnt werden.
Bei Übungsritten und Übungsfahrten sollten Reit- und Fahrschüler, der Wagen sowie Reit- und Fahrlehrer ebenso gekennzeichnet und für andere Verkehrsteilnehmer klar erkennbar sein, wie dies bei Schülern, Lehrern und Fahrzeugen von öffentlichen Fahrschulen zum Erwerb des Führerscheins der Fall ist.
*Ist für einen KFZ- Lenker klar erkennbar, dass sich ein Reiter oder Gespann- Fahrer auf Grund des Verhaltens der Pferde „in Not“ befindet, hat er sich situationsgerecht zu verhalten!

Verhalten von Fahrzeuglenkern
– In Gegenden mit besonderem Pferdereichtum bzw. vielen Pferde haltenden Betrieben ist grundsätzlich mit dem Auftauchen von Pferden im Straßenverkehr zu rechnen und deshalb eine erhöhte Aufmerksamkeit an den Tag zu legen – Vorhersehbarkeit ist gegeben!
– Koppeln und Weiden entlang öffentlicher Straßen, Hinweisschilder wie „Achtung Pferde“ oder „Pferde queren“ weisen auf eine Vorhersehbarkeit auf eine Begegnung mit Pferden/Reitern/Fahren hin und nehmen den KFZ- Lenker in die (Haftungs-) Pflicht.
– Geführte, gerittene und eingespannte Pferde sind gleichgestellte Verkehrsteilnehmer, die die Straße benützen müssen!
– Berittene und geführte Pferde dürfen weder die Bankette noch einen Geh- oder Radweg benützen, ein Ausweichen über den Straßenrand hinaus ist weder erlaubt noch als zumutbar zu unterstellen.
– Wenn ein Fahrzeuglenker erkennt, dass der Sicherheitsabstand bei seitlicher Begegnung oder Überholen bzw. Vorbeifahren von 1.50 -2.00 m nicht einzuhalten ist, hat er sein Fahrzeug anzuhalten; keineswegs hat ein Fahrzeuglenker – mit Ausnahme von Einsatzfahrzeugen – prinzipielle Priorität vor geführten, berittenen oder eingespannten Pferden.
– Erkennt ein Fahrzeuglenker, dass sich ein Reiter oder Gespann-Fahrer – Pferde bedingt - in Schwierigkeiten befindet, so hat er sein Fahrzeug in sicherem Abstand und bei leise laufendem oder abgestelltem Motor anzuhalten. Hupsignale oder „Aufdrehen“ des
Motors sind zu unterlassen, es bestünde sonst Haftungsrelevanz nach § 1320 (Antreiben, Reizen) ABGB.
– Motorradfahrer, die sich von hinten Reitern oder Gespannen nähern, sollen ihr Tempo den Umständen entsprechend reduzieren und mit angemessener Geschwindigkeit und Sicherheitsabstand von 1.50 – 2.00 m überholen; das meist gut gemeinte „Vorbeihuschen“ im Leerlauf verunsichert und erschreckt die Pferde, speziell Gespann-Pferde mit Scheuledern – weil sie den „akustischen Entfernungsmesser“ mit den Ohren nicht aktivieren können.
– Im Pferdeland Großbritannien überholt kein Kraftfahrzeug ein gerittenes Pferd oder ein Gespann, ohne vom Reiter oder Fahrer(Beifahrer) durch Handzeichen dazu „eingeladen“ worden zu sein – dieses Verhalten wäre auch bei uns wünschenswert.

Verständigung zwischen Fahrzeuglenkern und Reitern & Fahrern
– Am Sichersten ist es, wenn zwischen den beiden Personen, also KFZ-Lenker und Reiter/Gespann-Fahrer – Augenkontakt und konsensuelles Nicken erfolgt.
– Der Reiter zeigt durch Heben und senkrechtes Hochstrecken der rechten Hand an, dass er entweder sein Tempo verringert, einen Gangartenwechsel plant oder Anhalten möchte – in jedem dieser Fälle sollte ein Kraftfahrzeug jeweils mindestens 3 m – besser aber noch mehr - Abstand zum Pferd oder Gespann-Wagen einhalten.
– Hebt der Reiter die rechte Hand mit geballter Faust und führt damit pumpende Bewegungen nach oben und unten aus, so zeigt er an, dass er das Tempo nunmehr erhöhen wird.
– Einen Richtungswechsel zeigt der Reiter mit Armzeichen an, die denen des Radfahrers gleichen.
– Der Gespann-Fahrer hebt die rechte, im Ellbogen abgewinkelte Hand mit der senkrecht nach oben gerichteten Peitsche, wenn er plant, vom Trabe in den Schritt, oder vom Schritt in den Halt zu parieren.
– Einen Richtungswechsel nach links zeigt der Gespann-Fahrer an, indem er die rechte Hand mit waagrecht über dem Kopfe nach links zeigender Peitsche hebt.
– Einen Richtungswechsel nach rechts leitet der Fahrer im Straßenverkehr mit Hinterlegen der Peitsche und Armzeichen – nach rechts zeigend – ein. Im städtischen Verkehr werden Richtungswechsel prinzipiell im Schritt gefahren.
– Befindet sich im Fond oder Beifahrersitz ein – wie es die Regel vorschreibt – Beifahrer, so kann dieser einfache Armzeichen, wünschenswert unterstützt durch eine Kelle, geben und stellt durch Blickkontakt mit dem Fahrzeuglenker hinter dem Gespann und Kommunikation mit dem Gespann- Fahrer sicher, dass das beabsichtigte Manöver beachtet und verstanden wurde.
– Bei jedem Zweifel muss der Kraftfahrzeuglenker in sicherem Abstand hinter geführten, gerittenen oder gefahrenen Pferden bleiben oder bei Bedarf anhalten.
– (Wander-) Reitgruppen bewegen sich entlang der Straße in Reihe, also jeweils hintereinander, überqueren diese aber im Glied, also alle zu gleicher Zeit nebeneinander, um den Fließverkehr nicht länger als nötig zu behindern. Der Spitzen- und der Schlussreiter können speziell gekennzeichnet sein. Gegen- und Folgeverkehr haben anzuhalten und ohne Druck (Hupen, Motor auf Touren bringen, bedrohliches langsames Näherrollen) der Reitergruppe das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dies ist nicht etwa die Gewährung einer Gnade, sondern Pflicht!
§ 1 StVO: (1) Dieses Bundesgesetz gilt für Straßen mit öffentlichem Verkehr. Als solche gelten Straßen, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können.

Maße und Geschwindigkeiten
– Eine Pferdelänge beträgt 3 m, eine Pferdebreite 80 cm.
– Sicherheitsabstand zu Pferden seitlich 1,50 – 2 m, nach hinten 3 m.
– Pferde im Schritt > 5 – 7 km/h
– Pferde im Trab > 12 – 22 km/h
– Pferde in geregeltem Galopp > 30 – 40 km/h
– Pferde, die durchgehen > 50 km/h und mehr
Gewicht
– Ponys ~ 250 kg
– Kleinpferde, Haflinger ~ 400 kg
– Großpferde ~ 550 – 700 kg
– Noriker, Shire, Ardenner ~ 950 und >>
Widerristhöhe
– Ponys ~ unter 130 cm
– Kleinpferde ~ unter 147 cm
– Großpferde ~ über 148 cm
– Shirehorses ~ bis 2.19 m
– Ausschlagen nach hinten: die Reichweite entspricht ca. der Widerristhöhe.

„Spezialverkehr“
– „Durchgehen“ liegt in der hierarchischen Ordnung der typischen Tiergefahren an erster Stelle beim Pferde. „Durchgehen“ bedeutet bei entkommenen Pferden, berittenen Pferden und bei Pferden im Geschirr regelmäßig totalen oder vorübergehenden Kontrollverlust. Bei mehreren durchgehenden Pferden kann sich eine unkontrollierbare „Massenpanik“ aufbauen.
– Durchgehende Pferde sind nicht steuerbar und reagieren irrational. Hemmende Hindernisse und Menschen werden überrannt!
– Radfahrer, Mountainbiker, Jogger und Hunde zählen zu den häufigen Auslösern für Durchgehen (Flucht).
– Als Ende des 19. Jahrhunderts Hochräder in den Städten und den nahen Erholungsgebieten Einzug hielten, häuften sich Unfälle infolge durchgehender Gespanne: der Radfahrer (nicht das Fahrrad) wurde als Gefahr erkannt und in kk. Circularen wurden Verhaltenvorschriften an die „Velocipädisten“ erlassen.
– Der Mensch als vernünftiges Wesen sollte stets bei Konfrontation mit Pferden den Überblick bewahren und sich situationsgerecht verhalten. Hunde sollten in Zweifel angeleint werden.
– Jeder Umgang mit Pferden muss mit Ruhe, ohne Hektik und vertrauensbegründend erfolgen.
– In Ausnahmesituationen sollte in unmittelbarer Nähe von Pferden Rauchen unterlassen werden, die Benützung von Mobiltelefonen auf Notfälle beschränkt bleiben.


Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun ist Fachtierarzt für Pferdeheilkunde, Fachtierarzt für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin sowie Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger (Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Pferdewissenschaften) Kontakt: 2070 Retz, Herrengasse 7, Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at

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