Die beunruhigende Antwort: Ja – wenn es nach einer britischen Studie geht. Doch die Wirklichkeit ist diffiziler als eine einfache Prozentzahl, so die Analyse von ProPferd-Autor Martin Haller.
„Viele Reiter sind zu schwer für ihre Pferde" – diese Meldung sorgte 2013 für eine lebhafte Online-Debatte in halb Europa, die an Intensität und Leidenschaftlichkeit kaum Wünsche offen ließ. Auslöser war eine britische Studie, in der unangenehme Fakten präsentiert wurden: Die Autoren Emma Halliday und Hayley Randle untersuchten insgesamt 152 Reiter sowie deren Pferde in britischen Reitställen und führten bei ihnen Gewichtsmessungen durch, um die Relation zwischen Reiter- und Pferdegewicht zu ermitteln. Die Ergebnisse waren einigermaßen beunruhigend: Nur 5 % aller untersuchten Reiter waren statistisch im idealen Gewichtsbereich von max. 10 % des Gewichts ihres Pferdes. 63 % lagen im Normalbereich von 10–15 % – aber 32 % wogen mehr als 15 % des Gewichts ihres Pferdes – ein Wert, den Tierärzte bereits als kritisch beurteilen und der für die Pferde ein gesundheitliches Risiko darstellen könnte. Das Fazit der Autorinnen: Die Reiter werden – einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend folgend – größer und schwerer und belasten damit auch ihre Pferde immer stärker. Ein zu hohes Reitergewicht stelle, so die Forscher, ein Risiko für das Wohl des Pferdes dar und könne zu Rückenproblemen und Lahmheiten, aber auch zu Verhaltensstörungen und Widersetzlichkeiten führen – daher müsse man sich mit diesem Problem ernsthaft auseinandersetzen. Die Autorinnen forderten Richtlinien und Empfehlungen, um Pferde künftig besser vor zu schweren Reitern zu schützen.
Wie schwer ist zu schwer?
Die Studie löste in der Öffentlichkeit eine heftige Diskussion aus, denn viele Reiter interpretierten die Äußerungen der Studienautoren so, dass alles über die magischen 10 % quasi automatisch Tierquälerei darstellen würde. Dem ist jedoch nicht so: Die Autorinnen geben selbst zu, dass die 10-Prozent-Relation zwar theoretisch ideal sein mag, um das Pferd möglichst wenig zu belasten – dass sie jedoch angesichts der gesellschaftlichen Breite des Reitsports unrealistisch ist. Seit es Aufzeichnungen bzw. Messungen über die Gewichtsrelation von Reitern und Pferden gibt, bewegt sich diese Relation zwischen 14,2 und 16,6 Prozent, so die Forscher weiter. Die spannende Frage ist aber: Ist das bereits zuviel – und ab welcher genauen Relation wird die Belastung für ein Pferd zu groß? Wieviel Gewicht kann ein Pferd mühelos und ohne gesundheitliche Nachteile tragen – eine eigentlich einfache Frage, aber gibt es auch eine einfache Antwort?
Um es gleich vorweg zu sagen: Nein – eine einfache Antwort kann es nicht geben, denn die Fähigkeit eines Pferdes, Gewicht zu tragen, ohne dabei Schaden zu nehmen, hängt von einer Vielzahl verschiedener Faktoren ab: etwa von seiner Größe, von seinem Fundament, von der Art der Belastung, seinem Alter, Trainingszustand und natürlich von seiner allgemeinen Gesundheit und Fitness. Und nicht zuletzt ist auch die Frage entscheidend, in welchem Tempo das Pferd das in Frage stehende Gewicht tragen muss. Davon später mehr. Beginnen wir mit einem kleinen Ausflug in die Vergangenheit – denn Pferde dienen seit Jahrtausenden dem Menschen als Trag- und Reittier – und irgendwer wird sich doch wohl Gedanken darüber gemacht haben, wieviel Gewicht ein Pferd „ver-tragen“ kann – und wieviel zuviel ist.
Militärische Erfahrungswerte
Erste Erfahrungswerte lieferten groß angelegte Studien diverser Militärs, die für die Planung von Feldzügen, Nachschubrouten etc. möglichst präzise wissen mussten, wie viel ein Pferd tragen kann (oder können sollte) und dabei dennoch dauerhaft einsatzfähig bleibt. Man kam zu dem Schluss, dass ein gut trainiertes, gefüttertes und gepflegtes Pferd mit passender Ausrüstung rund 10 % seines Gewichts mühelos auch bei hohem Tempo trägt – und bis zu 18–20 % unter optimalen Voraussetzungen im langsamen Tempo gut tragen kann. Die Leichte Kavallerie (Husaren, Ulanen) war auf agilen, flinken Pferden von ca. 500 kg beritten und rekrutierte eher kleinwüchsige, leichte Reiter, um das Gesamtgewicht (Reiter inkl. Ausrüstung) stets unter 100 kg zu halten; die Schwere Kavallerie (Dragoner) benützte kräftige Pferde von 600 kg und belastete diese mit max. 120 kg – das Verhältnis blieb also in etwa gewahrt und konnte in langsamer Gangart wenig schaden. Das Handbuch für Pferde-Management (,Manual of Horse Management’) der US-Kavallerie aus dem Jahr 1920 spricht ebenfalls davon, dass ein Pferd nicht mehr als 20 % seines Körpergewichts tragen sollte, um gesund und dauerhaft einsetzbar zu bleiben.
Max. 20 % sind akzeptabel
Auch eine im Jahr 2008 veröffentlichte Studie scheint dies zu untermauern: Forscher der Ohio State University untersuchten dabei die Tragkraft von acht leichten Reitpferden unterschiedlichen Alters (6 bis 18 Jahre alt) und unterschiedlichen Gewichts (von 391 bis 635 kg). Sie belasteten die Pferde in 45-minütigen Übungseinheiten mit jeweils 15, 20, 25 und 30 % ihres Körpergewichts und erhoben, ob und wie sich diese Belastungen auf relevante Gesundheits-Indikatoren auswirkten, sie überpüften u. a. die Herz- und Atemfrequenz, die Körpertemperatur und auch die Creatin-Kinase als Indikator für Muskelbelastung bzw. -schädigung. Die Resultate der Studie deuten an, dass für leichte Reitpferde ein Totalgewicht (Reiter samt Ausrüstung) im Gesamtausmaß von nicht mehr als 20 % des Pferdegewichts akzeptabel ist und das Pferd nicht stresst und auch nicht überfordert. Belastungen mit 25 oder gar 30 % führten hingegen zu einem messbaren Anstieg von Herz- und Atemfrequenz und auch der Körpertemperatur, was auf eine Mehrbelastung schließen lässt. Obwohl die Autoren nicht ausdrücklich betonen, dass ein erfahrener, ausbalancierter Reiter für das Pferd leichter zu tragen ist, darf jedoch geschlossen werden, dass ein unerfahrener Reiter für das Pferd schwieriger und weniger komfortabel zu tragen ist, weil er seine Balance verliert, seine Hilfen für diverse Gangartwechsel ungenau gibt und weniger gut in der Lage ist, den Bewegungen des Tieres effizient zu folgen.
Die Art der Belastung
Die Gewichts-Relation allein ist jedoch – wie schon zuvor gesagt – nur einer von mehreren Faktoren, der die Tragfähigkeit bzw. Belastbarkeit von Pferden beeinflusst. Ein weiterer ist die Art der Belastung, der Pferde heutzutage ausgesetzt sind und die sich sehr negativ auf ihren Gesundheitszustand auswirken kann, wie auch Tierarzt Dr. Horst Steininger aus Graz zu bedenken gibt: „Das Training unserer Turnierpferde wird immer anspruchsvoller und kann unter falschen Anforderungen oder schlechten Bedingungen unphysiologisch ablaufen. Das Pferd ist dafür konstruiert, 15 Stunden langsam durch die Steppe zu wandern und hin und wieder einen Sprint hinzulegen. 23 Stunden Boxenhaltung und eine Stunde harten Trainings auf ungeeignetem Boden sind riskant!“ Vor allem bei Dressurpferden, so Steininger, sieht er einen Anstieg von Problemen besonders an Sehnen und Bändern, während Springpferde eher seltener, dafür an Gelenkserkrankungen laborieren. Eine mögliche Erklärung sieht der Tierarzt darin, dass sich heutige Dressurcracks noch exaltierter bewegen müssen bzw. können als früher, viel höher und weiter treten als ihre Vorgänger und damit besonders auf tiefen Böden stark beansprucht werden. „Die Zucht hat große Fortschritte gemacht, hat die Hufrollenentzündung und die Chip-Probleme eingedämmt, aber Knochen und Sehnen lassen sich genetisch kaum verstärken. Daher ist das Problem Tragfähigkeit und Haltbarkeit eher in der individuellen Verwendung begründet, z. B. in plötzlicher Überlastung, schlechtem Boden, mangelndem Aufwärmen, zu harten Anforderungen oder falschem Reiten usw. Ein scharfer Ausritt nach fünf trainingsfreien Tagen ist völlig unphysiologisch!“
Das Fundament
Entscheidenden Einfluss auf die Tragfähigkeit eines Pferdes hat natürlich auch das Fundament. Ein Pferd mit kräftigem Fundament und stärkeren Knochen wird eher in der Lage sein, mehr Gewicht aufzunehmen als ein Pferd mit weniger Knochensubstanz. Ein grobknochiges Pferd wird ganz allgemein auch die Anlage zu starker Muskelausbildung haben, ein feinknochiges hingegen eher zu schwacher Bemuskelung (Eine Ausnahme sind die blutbetonten Renn-Typen wie z. B. Engl. Vollblut, Araber, Achal Tekkiner etc. – diese sind bei feinem Fundament auch leicht gebaut und besitzen wenig üppige Muskulatur, was aber durch die hohe Qualität und Dichte des Gewebes bzw. die Leistungsfähigkeit der Muskeln und Organe ausgeglichen wird.).
Schon vor ca. 90 Jahren legte der Hippologe Prof. Johann U. Duerst eine Methode zur Berechnung der Stabilität des Fundaments fest, die er Röhrenbelastungsindex nannte und wie folgt lautet: Umfang des Röhrbeins (10 cm unter dem Erbsenbein) mal Hundert, dividiert durch das Körpergewicht. Dieser Wert liegt für Wildpferde bei rund 4,5 oder etwas höher, bei Arabern und Vollblütern bei ca. 3,8 bis 4,2, bei Sportpferden bei ca. 3,4 bis 3,8, steigt für Ponys wieder in den Bereich von 4,5 bis 6,0 an und liegt bei Kaltblütern bei recht mageren 3 bis 3,5. Je höher dieser Index ist, desto „stabiler“ das Pferd gegenüber kinetischer Energie, wie sie bei forcierter Fortbewegung auftritt; liegt er niedriger, so sollte das Tier keine forcierte, sondern eher gleichförmige Arbeit verrichten müssen (Rennpferd im Galopp versus Zugpferd im Schritt). Ein schwaches Fundament oder eine zarte/dünne Röhre ist immer ein negatives Merkmal und Hinweis auf mangelhafte Stabilität – wobei das Pferd jedoch immer als Gesamtheit und nicht in Einzelteilen zu betrachten ist.
Ideale Relationen
Mutter Natur hat ein „Idealverhältnis Röhrbein-Gewicht“ bei Wildpferden und verwilderten Hauspferden festgelegt: Primitive Pferdetypen weisen etwa 20 bis 22,5 cm Röhrbeinumfang bei rund 450 kg Körpermasse auf, woraus sich rund 5 cm pro 100 kg ergeben. Bei stark domestizierten Rassen sinkt dieser statistische Wert auf rund 16,25 bis 18,75 cm beim selben Gewicht, also auf nur ca. 3,9 cm pro 100 kg. Das zeigt auf, dass unsere Pferde durch die Domestikation und Zucht an Knochen bzw. Fundament verloren haben – und dieser Prozess hat sich durch die züchterische Selektion der letzten 30 bis 40 Jahre noch weiter verschärft. Linda Impey, englische Zuchtrichterin für Kleinpferde und Ponys, bringt es auf den Punkt: „Wir verlieren zunehmend Substanz, denn es sind immer elegantere Tiere gefragt. Der alte Schlag ist nicht mehr elegant und bewegungsstark genug, im Sport punktet er kaum noch. Der heutige Käufer will in der Regel ein Reitpony, das wie ein kleines Vollblut aussieht und sich bewegt wie ein großes Spitzenpferd. Dadurch verlieren wir leider zunehmend die traditionelle Robustheit und Stabilität, während unsere Jugendlichen immer größer und schwerer werden.“ Eine fatale Schere, die sich da auftut – und die nicht zuletzt auch die Zucht vor eine neue Herausforderung stellt. Aber das ist eine andere Geschichte ...
Welches Format?
Auch das Format des Pferdes, also seine relative Rumpflänge, ist von großer Bedeutung. Die Binsenweisheit, dass der kurze Rücken immer auch tragfähiger sei als der längere/lange muss relativiert werden. Das günstig gebaute Pferd steht im ganz leichten Rechteck-Format, aber nicht weil sein Rücken lang ist, sondern weil es lange, kräftige Schulterpartien und Kruppe besitzt! Zwischen diesen spannt sich dann ein relativ kurzer Rücken mit kräftiger Bemuskelung auf, dem eine deutlich längere Bauchlinie gegenüber liegt. Ein wesentlicher Teil der Belastbarkeit liegt nämlich in der kräftigen Ausprägung der Bauch- und tiefen Kruppenmuskulatur – und dazu sind u. a. auch korrektes Reiten „über den Rücken“ und passendes Sattelzeug nötig.
Resümee
Eine exakte Prozentzahl für eine angemessene, gesundheitlich unbedenkliche Gewichtsrelation zwischen Reiter und Pferd lässt sich aus alldem nicht ableiten – sehr wohl aber einige Anhaltspunkte, in welcher Bandbreite sich das Reitergewicht (inkl. Ausrüstung) bewegen sollte:
– Große, schlanke Pferde mit einem Stockmaß von ca. 168 cm und rund 600 kg Körpergewicht, normalem Fundament und guten Bewegungen sollten mit max. 10-15 % belastet werden, also mit 60 bis maximal 90 kg – bei hoher Anforderung sicher eher im unteren Bereich. Bei rund 10 kg Gewicht der Ausrüstung und Kleidung (Sattel 5 kg, Riemenzeug 2 kg, Kleidung 3 kg) bleibt somit für den Reiter/die Reiterin ein theoretisches Idealgewicht von höchstens 80 kg.
– Belastet man ein ohnehin eher feinknochiges Tier mit satten 20 % oder mehr seines Eigengewichts, dann sind Überlastungsschäden quasi vorprogrammiert; hier sind 10 bis allerhöchstens 15 % angezeigt.
– Besitzt ein Pferd ein stabiles Fundament, so sollten auch 15 bis 20 % seines Gewichts als „Zuladung“ kein Problem sein – vorausgesetzt, dass alle anderen Parameter günstig ausfallen (Hufgröße, Hufform, Exterieur, Gesundheit, Ausrüstung, Beschlag, Anforderung etc.)
– Ein gut konstruiertes, mittelgroßes Pferd mit starkem Fundament wird relativ mühelos rund 20 % seines Eigengewichts tragen, solange das Tempo nicht zu forsch wird. Je fragiler das Pferd und je schneller die Pace, desto geringer die zumutbare Belastung. Dazu sagte der legendäre Galoppertrainer Alois Leidenfrost: „Ein Galopprennpferd mit 470 kg Eigengewicht ist bei 60 km/h und einem Gewicht von rund 52 kg maximal beladen und bleibt oft doch nur zwei, drei Jahre an den Beinen gesund; daher gibt es im Rennsport das Sprichwort „Speed kills" – Tempo tötet: Je schneller die Gangart, desto negativer macht sich das Reitergewicht bemerkbar.“
Mit anderen Worten: Man kann auch ein korrekt gebautes Pferd durch falsches Ausbilden/Reiten und unpassendes Sattelzeug schädigen – und das geschieht leider tagtäglich in vielen Reitbetrieben weltweit. Das (zu) hohe Reitergewicht ist dabei wohl auch ein Aspekt – aber beileibe nicht der einzige, und wohl auch nicht der wichtigste. Dennoch ist es sinnvoll, bei der Auswahl eines Schulpferdes, beim Kauf eines eigenen Pferdes oder bei einer Reitbeteiligung auch darauf zu achten, dass der/die Reiter/in für das gewählte Pferd nicht nur bezüglich Ausbildung und Können, sondern auch hinsichtlich Größe und Gewicht geeignet ist. Martin Haller