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Cool in allen Lebenslagen: Tipps für einen stressfreien Alltag mit Pferden
12.03.2018 / Wissen

Vorbereitung auf den Tierarzt: Das Desinfizieren kann einfach mit einem nassen Tupfer geübt werden. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Vorbereitung auf den Hufschmied: Das Pferd sollte die Hufe auch einen längeren Zeitraum oben halten können. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Mit einem Hammer können vorsichtig Geräusche und Berührungen simuliert werden. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Desensibilisierung: Einfach die „bösen" Gegenstände in den Alltag einbauen – wie etwa hier eine Sprühflasche. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Das Pferd merkt dann sehr rasch, dass von diesen Gegenständen keinerlei „Gefahr" ausgeht ... (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Berührungs-Training: Das Berühren empfindlicher Körperstellen ist eine leichte und schnelle Übung, die Untersuchungen später erleichtert. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
Regelmäßige, sanfte Berührungen etwa von Augen oder Ohren zeigen dem Pferd, dass es dabei nichts befürchten muss ... (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)
... und dieses Muster kann es dann auch bei einer Behandlung oder in Notsituationen mühelos abrufen. (Fotocredits: Foto: Nicole Steiner)

Nicht jedes Pferd findet die gleichen Dinge furchteinflößend, und doch gibt es etliche Alltagssituationen wie z. B. Tierarzt- oder Hufschmied-Behandlungen, die für viele Pferde ein Problem darstellen. ProPferd-Autorin Nicole Steiner gibt Tipps, wie man sich und sein Pferd im Vorfeld gut vorbereitet und dadurch den Stresspegel im Alltag deutlich senkt.


Um dem Pferd die Zeit zu geben, die es braucht, und dabei selbst nicht gestresst zu werden, sollte man schlicht und einfach so früh wie möglich mit dem Üben anfangen: Alles, was das Pferd von klein auf in positivem Zusammenhang kennengelernt hat, wird ihm später keine Angst machen – und je früher das geschieht, umso besser funktioniert es. Bei Dingen, die schon einmal zu Panik und Widersetzlichkeit geführt haben, kann es hingegen schon eine Weile dauern, bis genug positive Erfahrungen gesammelt sind, um die negativen in den Hintergrund zu drängen. War die Vorbereitung erfolgreich, sollte man das Thema auch nicht gleich ad acta legen, sondern einfach gelegentlich ein paar Übungen zum „Auffrischen“ einbauen.

Die Sprühflaschen-Panik
Ein eher harmloses und doch lästiges Beispiel für ein „Pferdeschreckgespenst“ ist die Sprühflasche. Sie versetzt viele Pferde jedes Frühjahr aufs Neue in Panik. Wer sich diesen Stress ersparen möchte, sollte schon ein paar Wochen vor der ersten Fliegenplage die Sprayflasche auspacken, sie der Umwelt und dem Geldbeutel zuliebe erst mal mit Wasser füllen und sie einfach mal dabei haben. Beim Putzen steht sie neben der Putzkiste, abends vielleicht mal auf der Boxenwand, beim Führen hängt sie locker in der freien Hand des Menschen herunter. Das gibt dem Pferd zum Einen die Gelegenheit, dieses Ding mal selbst in Augenschein zu nehmen, zum Anderen gewöhnt es sich an die Anwesenheit der Sprühflasche ohne sofort einen „Angriff“ zu erwarten. Wenn der Anblick der Sprühflasche zur Gewohnheit geworden ist, kommt das zischende Sprühgeräusch hinzu – aber der Sprühregen geht nicht in Richtung Pferd, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Mit dem Pferd am langen Führstrick dreht man ein paar Runden am Reitplatz, die Sprühflasche vor sich, und sprüht einfach munter durch die Gegend. Wenn die vermeintliche Gefahr sich von ihm wegbewegt, statt im Angriff auf es zu, versteht das Fluchttier Pferd bald, dass es sich um keine Gefahr handeln kann und die Neugier ist geweckt. Sobald alle Anzeichen von Angst vollkommen verschwunden sind, darf sich der Sprühstrahl dann auch langsam von allen Seiten dem Pferd nähern, sollte sich aber zwischendurch auch immer wieder entfernen, um den Eindruck der Harmlosigkeit beim Pferd weiter zu verstärken. Annäherung und Rückzug nennt man dieses Prinzip im Natural Horsemanship. So eine „psychologisch“ aufgebaute Vorbereitung lässt sich natürlich auch auf andere Alltagsgegenstände wie z. B. Wasserschlauch, Schermaschine oder Pferdestaubsauger umlegen.

Wenn der Doktor kommt
Ein weitaus heikleres Thema ist für viele Pferde der Tierarzt – oft genügt schon der Anblick eines solchen, um für angelegte Ohren zu sorgen. Die meisten Besuche des Tierarztes sind für das Pferd entweder unangenehm, schmerzhaft oder beides. Es ist also durchaus verständlich, dass viele Pferde Prozeduren wie Impfen oder Fieber messen nicht so toll finden und sich tatkräftig dagegen wehren. Umso wichtiger für die medizinische Versorgung des Pferdes und die Sicherheit des Tierarztes ist es also, sein Pferd im Vorfeld auf die verschiedensten Behandlungen vorzubereiten. Mit den Körperteilen des Pferdes, die wir im täglichen Umgang brauchen, wie Sattellage, Gurtlage oder Kopf beschäftigen wir uns oft und achten auch darauf, dass das Pferd sich dort problemlos berühren lässt. Andere Bereiche wie sämtliche Körperöffnungen (Augen, Ohren, Nüstern, After, etc.) oder die Pferdebeine werden meist sträflich vernachlässigt – dabei gehört auch das zur Verantwortung des Besitzers und ist nicht Sache des Tierarztes oder Hufschmiedes.

Was ist Gefahr?
Pferde lernen unter anderem durch Desensibilisierung – sie müssen als Fluchttiere lernen zu unterscheiden, was wirklich gefährlich ist und was nicht, da sie ansonsten ständig auf der Flucht wären. Diese Eigenschaft kann man sich zunutze machen, indem man dem Pferd durch regelmäßige Berührung und Simulation die Angst nimmt, sodass es auch in einer Behandlung oder Notsituation ein gewohntes Muster „abrufen“ kann. Im Anschluss ans Putzen auch mal die Nüstern und das Maul reiben, mit kreisenden Bewegungen vom Kopf über die Ohren den Hals hinunter massieren, den Schweif anheben – das ist ein vergleichsweise geringer Aufwand, der das Pferd aber auf lebenswichtige Prozeduren wie das Legen einer Nasensonde oder Rektaluntersuchungen vorbereiten kann. Durch die regelmäßig notwendige Zahnbehandlung ist gerade auch das Maul eine wichtige Zone, mit etwas Übung mögen es die meisten Pferde sogar, auf der Innenseite der Lippen oder am Zahnfleisch massiert zu werden. Auch an Injektionen kann das Pferd im Vorfeld gewöhnt werden, indem man zuerst das Desinfizieren der Hautpartie am Hals simuliert – mit einem nassen Tupfer schnell und fest über eine Stelle reiben. Zwischendurch kann auch z. B. mit einem Hufauskratzer kurz an verschiedene Stellen am Hals gedrückt werden – das Pferd lernt, dass etwas zwar kurz unangenehm sein kann, aber insgesamt keine Bedrohung darstellt.

Der richtige Zeitpunkt
Besonders wichtig bei all diesen Übungen ist es, immer erst dann aufzuhören, wenn das Pferd sich entspannt. So lange dranzubleiben, bis das Pferd seinen Stress etwas abgebaut hat und die Angst verschwindet, ist manchmal nicht leicht, aber nur so lernt das Pferd, dass es sich um nichts Schlimmes handelt. Hört man z. B. mit dem Simulieren der Desinfektion am Hals auf, sobald das Pferd anfängt herumzutänzeln und mit dem Kopf zu schlagen, lernt man dem Pferd, dass die unangenehme Berührung dann aufhört, wenn es sich zur Wehr setzt – genau das wird es dann wieder tun. Hört man dann auf, wenn es kurz stillsteht und den Kopf senkt, merkt es sich, dass unangenehme Berührungen nicht einfach verschwinden – aber umso schneller vorbei sind, wenn man ruhig bleibt und mitmacht.

Beim Hufschmied/Hufpfleger
Noch häufiger als der Besuch des Tierarztes ist der des Hufschmieds / -pflegers nötig – und auch hier hängt die Sicherheit des Fachpersonals und das Ermöglichen einer sorgfältigen Hufbearbeitung von der richtigen Einstellung von Pferd und Besitzer ab.
Die erste Übung sollte damit beginnen, dem Pferd alle vier Beine von oben bis unten abzustreichen, ebenso den Bauch und die Flanken – alles Bereiche, die bei der Hufbearbeitung berührt werden. Wer sein Pferd noch nicht gut kennt oder sich unsicher ist, sollte dafür zu Anfang einen Stick oder eine Gerte als Verlängerung verwenden, um sich selbst aus der Gefahrenzone schlagender Hufe zu bringen. Klappt das gut, kann als nächstes zur Massage übergegangen werden. Die Pferdebeine zu massieren hat nicht nur den Effekt der Desensibilisierung auf Berührung, es mildert auch die anerzogene Erwartungshaltung des Pferdes. Wir Menschen als geradlinig denkende Raubtiere berühren die Beine unserer Pferde meist nur, wenn wir etwas wollen, z. B. Hufe auskratzen, bandagieren oder eben wenn der Hufschmied da ist. Eine Massage nimmt den Druck vom Pferd und macht ihm die Berührung der Beine angenehm. Das Hufegeben als solches sollte jedem Pferd geläufig sein, wichtig ist dabei, darauf zu achten, dass das Pferd auch balanciert auf den verbleibenden Beinen steht und es ggf. noch einmal umzustellen, bevor man den Huf aufnimmt. Hufe auskratzen dauert in der Regel nicht sehr lang, deshalb ist es sinnvoll, die Hufe in Vorbereitung auf die Hufbearbeitung auch mal länger aufzuhalten, um das Gleichgewicht und die Toleranz des Pferdes zu stärken.

Es hämmert, es hämmert …
Eine weitere sinnvolle Vorbereitung besteht im Gewöhnen an das verwendete Werkzeug. Natürlich hat kaum ein Pferdebesitzer eine ganze Hufschmiedeausrüstung zur Verfügung, mit einem simplen Hammer kann man aber schon die meisten Abläufe beim Hufschmied simulieren. Als erstes sollte man das Pferd an die Geräusche gewöhnen, also mit dem Hammerstiel erst einmal auf den eigenen Oberschenkel oder die Schuhsohle klopfen. Findet das Pferd dieses Geräusch in Ordnung, kann man den Huf hochheben und mit dem Stiel des Hammers, und später auch mit dem Metallstück, leicht auf den Huf klopfen. Immer abwechselnd lockerer und fester, um dem Pferd die Möglichkeit zu geben sich beim leichten Klopfen etwas zu entspannen, bis auch das festere Klopfen kein Problem mehr ist. Auch das Feilen kann simuliert werden, indem man mit dem Pferd zum Einen die Halteposition des Hufschmiedes übt – also Pferdebein zwischen den eigenen Oberschenkeln eingeklemmt – und zum Anderen mit dem Hammerstiel über die Hufsohle reibt, dabei die Arme weit zur Seite rausschwenkt und auch mal den Pferdbauch berührt.

Bei all diesen Schritten gilt natürlich: Erst zum nächst schwierigen übergehen, wenn die letzte Übung für Pferd und Mensch absolut stressfrei und entspannt geklappt hat.

Unser Kopfkino
Nicht nur das Pferd muss davon überzeugt werden, dass ihm keine Gefahr droht, auch unser Unterbewusstsein braucht manchmal etwas Nachhilfe. Oft verursacht uns die bloße Erinnerung an Stresssituationen schon ein mulmiges Gefühl – was das sensible Pferd natürlich sofort aufnimmt und es in seiner eigenen Angst bestärkt. Positiv Denken ist aber oft gar nicht so leicht, die schlechten Erinnerungen lassen sich nicht einfach abschalten. Im Gegensatz zu den Pferden können wir das aber schon rein gedanklich üben. Auch hier gilt – früh genug anfangen, denn manche schlechte Erinnerung ist wirklich hartnäckig. Um sich das eigene Pferd brav und entspannt z. B. beim Hufschmied vorzustellen, gibt es einen kleinen Trick: Sich erst die Situation mit einem anderen bekannten Pferd, das wirklich brav und entspannt ist, in allen Details ausmalen, bis das eine einfach abrufbare Vorstellung ist. Dann Stück für Stück das andere Pferd gegen das eigene „austauschen“. Erst Schweif, dann Fellfarbe, dann Größe und Besonderheiten… bis schließlich in Gedanken das eigene Pferd wie ein Lamm beim Hufschmied steht. Klingt seltsam, funktioniert aber wirklich. Und es ist erstaunlich, wie viel tatsächlich von unserer Einstellung abhängt. Kombiniert mit der Vorbereitung des Pferdes (die Fortschritte dabei erleichtern es einem ja zusätzlich, sich das Pferd diszipliniert und ruhig vorzustellen) kann das mentale Training unglaubliche Veränderungen erzielen. Und ausprobieren kostet ja nichts…


CHECKLISTE: Zehn wichtige Grundsätze für einen stressfreien Alltag mit Pferden
– Früh übt sich… einfach alles besser! Wer früh genug anfängt, sich und sein Pferd auf alltägliche Herausforderungen vorzubereiten, ist klar im Vorteil.

– „Furchteinflößende“ Gegenstände wie die Sprühflasche sollten einfach mal mit dabei sein beim Putzen oder Führen.

–  „Gefahr läuft nicht davon“ – wenn sich der „gefährliche“ Gegenstand also vom Pferd wegbewegt, statt auf es zu, kann es nicht so schlimm sein.

–  Annäherung und Rückzug – immer wieder annähern und ganz wichtig auch wieder zurückziehen, damit das Pferd seine Angst verliert.

–  Berührungen an allen Körperteilen sollten im täglichen Umgang immer wieder geübt werden – besonders sensibel und wichtig sind für die Behandlung durch den Tierarzt die Körperöffnungen.

–  Den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören nicht verpassen – die Übung sollte dann beendet werden, wenn das Pferd beginnt, sich zu entspannen.

–  Pferdebeine und Bauch abstreichen bzw. massieren – hier überall wird der Hufschmied / -pfleger mit dem Pferd in Berührung kommen.

–  Simulationen – mit einem Hammer vorsichtig leichter und fester auf die Hufe klopfen und die schwingenden Bewegungen beim Feilen nachahmen gewöhnt das Pferd an die Abläufe beim Schmied. Die Hufe auch mal länger hochzuheben verbessert zudem Balance und Toleranz des Pferdes.

–  Eins nach dem anderen – erst wenn eine Übung stressfrei und entspannt abläuft, sollte zur nächsten übergegangen werden.

–  Positives Denken ist gerade in der Arbeit mit Pferden sehr wichtig. Die Pferde werden immer versuchen, unsere Erwartungen zu erfüllen – unsere Aufgabe ist es, das Richtige zu erwarten.

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