Magazin 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Man o'War – zum 100. Geburtstag einer Legende
13.03.2017 / Wissen

Man o'War als Dreijähriger im Jahr 1920. (Fotocredits: Foto: Wikipedia/Handicapper)
Ein Herz und eine Seele: Man o'War im Alter von 24 Jahren mit seinem Pfleger Will Harbut. (Fotocredits: Foto: The Saturday Evening Post)
Die Statue von Man o'War im Kentucky Horse Park. (Fotocredits: Foto: Wikipedia/Jlvsclrk)

Am 29. März 2017 jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des grandiosen Man o'War, der für viele Turf-Enthusiasten der schnellste und beste Vollblüter aller Zeiten war.

 

Am 29. März feiert der Kentucky Horse Park – die wohl berühmteste Stätte des amerikanischen Pferderennsports – den 100. Geburtstag eines Pferdes, dem dieser Sport viel zu verdanken hat: Man o'War. Zu Ehren des Jahrhundert-Pferdes wird an diesem Tag eine Ausstellung mit dem Titel „Man o'War: The Mostest Horse that Ever Was" im ,International Museum of the Horse' eröffnet – als Auftakt für zahlreiche weitere Fest-Events und Aktivitäten, die dem Ausnahmepferd gewidmet sind. In Kentucky weiß man, was man diesem Pferd schuldig ist: Man o'War hat maßgeblich dazu beigetragen, den Vollblut-Rennsport in den USA auf eine neue Stufe zu heben. Er war wesentlich mehr als nur ein Rennpferd – er wurde zu seiner Zeit eine amerikanische Ikone, ein Nationalheld und eine Inspiration für ein ganzes Volk, das zu Tausenden die Rennbahnen stürmte und seine triumphalen Auftritte gebannt an den Radios mitverfolgte. Er war der erste equine Superstar des 20. Jahrhunderts – und ebnete durch seine enorme Popularität den Weg für viele weitere.

Man o'War wurde am 29. März 1917 auf der Nursery Farm in der Nähe von Lexington/Kentucky geboren, sein Züchter war August Belmont jr., der als Pferdeliebhaber und Vollblutzüchter in die Fußstapfen seines berühmten, aus Deutschland stammenden Vaters getreten war. Er diente zu diesem Zeitpunkt als Soldat der US-Armee in Frankreich – und seine Frau gab dem neugeborenen Fohlen ihm zu Ehren den Namen ,Man o'War'. Die Abstammung des Fohlens konnte sich sehen lassen – seine Mutter Mahubah stammte vom britischen Triple Crown-Gewinner Rock Sand, und sein Vater Fair Play war selbst hocherfolgreich auf der Rennbahn, aber in der Zucht eine noch größere Koryphäe, wie sich herausstellen sollte. Da sich August Belmont jr. entschloss, im Jahr 1918 seinen Rennstall aufzulösen und sämtliche Pferde zu verkaufen, wurde Man o'War bei der Jährlingsauktion in Saratoga angeboten, wo der feurige, langbeinige Jährling einiges Aufsehen erregte und  nach einem spannenden Bieterduell zwischen Robert L. Gerry, Sr. und Samuel D. Riddle für stattliche 5.000,– US-Dollar (das entspricht einem heutigen Wert von ca. 80.000,– US-Dollar) an letzteren ging.

So kam Man o'War auf die Glen Riddle Farm in der Nähe von Berlin in Maryland und wurde dort ins Training genommen. Wie sich herausstellte, war der statuöse Fuchs alles andere als einfach im Handling und wehrte sich heftig gegen das Anreiten, was nur mit allergrößter Mühe und viel Geduld möglich war. Sein Trainer Louis Feustel meinte später, dass sich der Umgang mit Man o'War angefühlt habe wie der Versuch, „einen Tiger am Schwanz festzuhalten". Es ist zweifellos Lou Feustels Horsmanship, seinem Geschick und seiner Beharrlichkeit zu verdanken, dass sich ,Red' – wie man den Fuchs aufgrund seines leuchtenden, kupferroten Fells nannte – irgendwann schließlich doch anreiten ließ – und dass dabei keine Gewalt oder Grausamkeit angewendet wurde: Das hätte das Pferd für immer ruiniert, so Feustel später. Den Ausschlag gab schließlich, wie Besitzer Sam Riddle später bestätigte, Man o'Wars Intelligenz: „Es hat nie ein intelligenteres Pferd als ihn gegeben. Er hat irgendwann erkannt, da wir zu viele und zu stark für ihn waren – und dass er mehr gewinnen kann, indem er nachgibt und nicht, indem er weiterkämpft. Darum hat er nachgegeben. Aber wie alle guten Pferde hatte er ein gutes Gedächtnis – er hat das niemals vergessen."

Schon bei seinem ersten Rennen am 6. Juni 1919 im Belmont Park stellte sich heraus, dass Man o'War alle Mühen und Anstrengungen wert war und dass sein Besitzer einen Rohdiamanten mit großer Zukunft im Stall hatte: Man o'War gewann unter Jockey Johnny Loftus mit sechs Längen Vorsprung – es war der Auftakt für eine beeindruckende Siegesserie: In den folgenden vier Wochen – bis zum 5. Juli 1919 – gewann Man o'War nicht weniger als vier weitere Rennen, und dies mit geradezu aufreizender Dominanz: Nie schien er an seine Grenzen gehen zu müssen – und konnte dennoch alle Konkurrenten in Schach halten und jedes Rennen mit zumindest einer Länge Vorsprung gewinnen, ohne dass Loftus auch nur ein einziges Mal die Gerte einsetzen musste.

Die spektakuläre Art seiner ersten Erfolge und seine auffallende Erscheinung weckten rasch das Interesse der Medien, die den kraftstrotzenden, langbeinigen Fuchs bei seinen Auftritten fortan besonders aufmerksam verfolgten. Das war bereits bei den nächsten Rennen der Fall, die Man o'War im August 1919 am Saratoga Race Course im Bundesstaat New York bestritt: Sein erster Start am 2. August in den ,United States Hotel Stakes' wurde ein vielbeachteter Triumph mit zwei Längen Vorsprung – und Reds sechster Sieg in Serie. Und viele glaubten, dass es auch im ,Sanford Memorial', das am 13. August gelaufen wurde, nicht anders sein würde – Man o'War schien unbesiegbar, ein Ausnahmegalopper, vielleicht der beste Zweijährige im US-Turf dieses Jahres. Doch es kam – zur Überraschung und zum Schrecken vieler Fans – anders: Nach aufopferndem Rennen und trotz einer beeindruckenden Aufholjagd lief Man o'War diesmal nur als Zweiter durchs Ziel, geschlagen von einem Pferd, das ausgerechnet ,Upset' hieß (was wörtlich ,verärgert' oder ,bestürzt' heißt, im Sport aber auch für eine überraschende Niederlage verwendet wird). Was war geschehen?

Viel ist über diese eine – und einzige – Niederlage von Man o'War geschrieben und spekuliert worden. Faktum ist, dass er nicht nur mit 130 Pfund ein außerordentlich hohes Gewicht tragen musste, sondern auch noch einen denkbar schlechten Start erwischte und schon auf den ersten Metern in deutlichen Rückstand geriet. Zudem war er lange in ungünstiger Position im Feld eingesperrt – erst auf der letzten Achtelmeile öffnete sich für Man o'War der Weg nach außen, an den Konkurrenten vorbei. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte Upset – dessen Handicap 15 Pfund unter jenem von Man o'War lag – bereits zum Schlusspurt angesetzt und raste der Ziellinie entgegegen. Man o'War hielt dagegen und flog mit mächtigen Galoppsprüngen heran – doch es reichte nicht mehr ganz, im Ziel lag er eine halbe Länge (manche sagen, dass es nur eine Kopflänge war) hinter Upset und war erstmals in seiner Karriere besiegt worden. Jockey Johnny Loftus war geschockt und brachte lange kein einziges Wort heraus – und machte später niemanden außer sich und seine eigenen Fehler für die Niederlage verantwortlich, was wohl auch den Tatsachen entsprach. Gerüchte, dass er auf eine Niederlage von Man o'War gewettet und diesen im Rennen absichtlich zurückgehalten hatte, konnten niemals bewiesen werden.

An Man o'Wars Ruhm änderte die Niederlage jedoch wenig – dazu war seine Vorstellung, insbesondere auf der letzten Achtelmeile, zu eindrucksvoll gewesen: Noch ein paar Meter mehr, und er wäre unzweifelhaft an Upset vorbeigezogen. Alle Experten waren sich einig: ,Red' war und blieb ein Ausnahmepferd, das nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände um Haaresbreite verloren hatte. Turf-Journalist David Alexander meinte später sogar, dass die Niederlage seine Legende sogar noch beflügelt und für Man o'War als eine Art „Lebens-Makel" fungiert habe: Sie verlieh ihm eine Verwundbarkeit, die aus dem übermächtigen Champion ein menschliches, liebenswertes Wesen machte.

Im Übrigen währte der Schock über die Niederlage nur kurz: Exakt zehn Tage später, am 23. August 1919, hatte Man o'War Gelegenheit zur Revanche – denn in den ,Grand Union Hotel Stakes' war auch Upset wieder am Start. Und ,Red' nützte sie auf eine Weise, die keine Zweifel an seiner Vorherrschaft aufkommen ließ. Johnny Loftus machte diesmal alles richtig und pilotierte  den Hengst zu einem ungefährdeten  Sieg: Eine Achtelmeile vor dem Ziel blickte er über seine rechte Schulter, dann über seine linke – und sah, dass von niemandem Gefahr drohte. Er wollte ,Red' ein wenig zurücknehmen und zog die Zügel an – doch dieser wehrte sich und war kaum einzubremsen. Ein Reporter notierte: „Um die Galoppsprünge des Pferdes zu verkürzen, musste der großartige Jockey fast aufrecht in den Steigbügeln stehen und alle Kraft einsetzen, die in seinen Armen steckte." Die Zuschauer schrien, er solle den Hengst doch gehen lassen – doch Loftus ignorierte sie: Der Sieg war ihm sicher – und die gesparte Energie konnte Man o'War zu einem späteren Zeitpunkt besser gebrauchen.

Mit zwei weiteren überlegenen Siegen in Saratoga und im Belmont Park – jeweils mit vier bzw. 2,5 Längen Vorsprung auf seine Verfolger – beendete Man o'War seine Zweijährigen-Saison, die mit 9 Triumphen in 10 Rennen glanzvoll war. Doch noch erheblich glanzvoller war die Show, die Man o'War als Dreijähriger bot und die ihn endgültig unsterblich machte: Er besiegte seine Gegner nicht bloß – er deklassierte sie förmlich, und das, obowohl er mit 138 Pfund das bei weitem größte Handicap zu tragen hatte, bis zu 32 Pfund mehr als die Pferde, gegen die er antrat. Dennoch gewann er sämtliche Rennen mit geradezu aufreizender Überlegenheit – darunter Klassiker wie die Preakness Stakes und die Belmont Stakes, und er hätte ohne jeden Zweifel auch das Kentucky Derby und damit die sogenannte ,Triple Crown' gewonnen wie ein Jahr zuvor Sir Barton – doch Sam Riddle verzichtete auf einen Start, weil ihm das Mitte Mai angesetzte Rennen über die Distanz von 1 1/4 Meilen (2 km) für den Saisonanfang des jungen Hengstes zu anstrengend schien. Außerdem existierte damals der Begriff ,Triple Crown' noch nicht – der wurde erst zehn Jahre später mit dem medial vielbeachteten Triumph von Gallant Fox geprägt. Doch Man o'War war auch ohne diese ,dreifache Krone' der König des Turf – und genoß spätestens nach seinem epochalen Sieg in den Belmont Stakes mit 20 (!) Längen Vorsprung die Aura der Unbesiegbarkeit. Wie schon zuvor bei den Preakness Stakes stellte Man o'War auch hier einen neuen amerikanischen Rekord auf (2:14.20) und unterbot die Zeit von Vorjahressieger Sir Barton um mehr als drei Sekunden.

Die Dominanz von ,Red' war so überwältigend, dass sich mit Fortdauer der Saison immer weniger Besitzer fanden, die ihre Pferde gegen ihn laufen lassen und damit riskieren wollten, vor den Augen der Welt gedemütigt zu werden. So kam es im September bei den Lawrence Realization Stakes, die im Belmont Park ausgetragen wurden, tatsächlich zu der kuriosen Situation, dass sich kein einziger Gegner für Man o'War fand – und das Rennen nur ausgetragen wurde, weil sich Sam Riddles Nichte – Sarah Jeffords – breitschlagen ließ und doch noch ihr Pferd Hoodwink nannte. Das ungleiche Duell bescherte dem amerikanischen Pferderennsport gleich mehrere Rekorde: Man o'War siegte mit 100 (!) Längen Vorsprung – und das noch dazu in der neuen Weltrekord-Zeit über 1 5/8 Meilen von 2:40-4/5. Damit unterbot Man o'War die bis dahin bestehende Rekordmarke um sechs Sekunden – es ist ein Rekord, der von keinem anderen Pferd mehr erreicht werden konnte und daher bis zum heutigen Tag Bestand hat.

Nach einer makellosen Saison mit 10 Siegen in 10 Rennen, in denen Man o'War nicht weniger als drei Weltrekorde, zwei US-amerikanische Rekorde und drei Bahnrekorde aufgestellt hatte, kam es am 12. Oktober 1920 im ,Kenilworth Park Gold Cup' zu einem sogenannten ,match race' zwischen Sir Barton und Man o'War, den beiden besten Pferden der damaligen Zeit. Das Rennen wurde auf Film festgehalten – und gibt noch heute einen Eindruck von der enormen Begeisterung und Faszination, die Man o'War damals auslöste. Er gewann das Duell in gewohnter Leichtigkeit – mit sieben Längen Vorsprung. Er stand nun am Zenit seines Ruhms, er hatte alle Gegner demoralisiert und hinweggefegt – und die Zeitungen überschlugen sich in Lobeshymnen: Man nannte ihn ein „Mirakel", ein „Superpferd", „Geschwindigkeits-Wunder" und die „lebende Flamme" – und die Welt gierte förmlich nach neuen Superlativen und neuen Beweisen seiner Einzigartigkeit. Doch Besitzer Sam Riddle war nicht länger bereit, diese der Welt zu geben – und gab Ende Oktober 1920 den offiziellen Rücktritt von Man o'War bekannt – ,Red' würde keine Rennen mehr laufen, sondern nur noch das beschauliche Leben eines Zuchthengstes genießen.

Den Ausschlag für diese Entscheidung gab vermutlich die Tatsache, dass sich Man o'War in seinen letzten beiden Rennen eine kleine Verletzung zugezogen hatte, als er mit einem Hinterbein sein Vorderbein streifte und dieses daraufhin anschwoll. Obwohl in beiden Fällen die Schwellung rasch verschwand und kein erkennbarer Schaden zurückblieb, war Riddle skeptisch geworden – und vielleicht auch beunruhigt durch die Tatsache, dass ein einziger Fehltritt in einem Rennen die Karriere seines geliebten Pferdes hätte beenden können. Und er wusste auch, dass es – sollte Man o'War weiter Rennen gehen – zusehends schwerer für ihn würde, da man sein Handicap wegen seiner schieren Überlegenheit weiter erhöhen würde, auf 140 Pfund oder sogar noch weiter. Das alles wollte er Man o'War nicht länger zumuten – und traf eine Entscheidung zum Wohl des Pferdes.

So ging Man o'War in die Zucht – zunächst auf Elizabeth Daingerfields Hinata Farm in der Nähe von Lexington, später auf der von Sam Riddle erworbenen und ausgebauten Faraway Farm in Lexington selbst. Auch als Vererber setzte Man o'War Maßstäbe, wie sich schon nach wenigen Jahren zeigen sollte. Zu seinen Nachkommen zählten Turf-Ikonen wie American Flag oder Crusader, die beide die Belmont Stakes gewannen, vor allem aber auch der grandiose War Admiral, der im Jahr 1937 die Triple Crown gewann und ,Horse of the Year' wurde. Auf Man o'War geht aber auch – über seinen Sohn Hard Tack – der überragende Seabiscuit zurück, der ebenfalls zu den ganz großen Helden des US-Turf gehört. Insgesamt zeichnete Man o'War für 64 Stakes-Sieger und viele weitere Champions verantwortlich – und das, obwohl er in jeder Saison maximal 25 Stuten deckte. Er hinterließ bleibende Spuren in der US-amerikanischen Vollblutzucht – und im Pedigree des letzten Triple Crown-Gewinners American Pharoah (2015) taucht sein Name nicht weniger als 17 Mal auf.

Wer über Man o'Wars lange Gestütslaufbahn berichtet, der stößt dabei auch unwillkürlich auf einen Mann, der mit den Jahren in Kentucky fast ebensolche Berühmtheit erlangte wie das Pferd, auf das er aufpasste – Man o'Wars langjähriger, treuer Pfleger Will Harbut. Harbut war Afroamerikaner und ein begnadeter Pferdemann, der sogar den Ruf eines ,Pferdeflüsterers' genoss. Als im Jahr 1930 Harrie B. Scott neuer Verwalter der Faraway Farm in Lexington wurde, da nahm er auch seinen Angestellten Will Harbut mit und vertraute ihm die Obhut über den wertvollsten Schatz der Farm an – Man o'War. Will Harbut wurde nicht nur der Pfleger des legendären Hengstes, sondern auch sein bester Freund, ja, sein Seelenverwandter. Bis zu seinem Tod soll es keinen einzigen Tag gegeben haben, an dem Will sich nicht um den geliebten Hengst gekümmert hat: Er war alles für ihn – er war der erste, den Man o'War in der Früh sah und der letzte, den er am Abend zu Gesicht bekam, er fütterte und tränkte ihn, er mistete seine Box aus, putzte und massierte ihn, kratzte seine Hufe aus, brachte ihn auf die Koppel oder zum Decken und führte ihn den zahllosen Besuchern vor, die jedes Jahr zu Tausenden auf die Faraway Farm kamen, um den legendären Hengst zu bestaunen.

So wild, rebellisch und ungestüm sich Man o'War während seiner Rennkarriere oft benommen hatte – an der Hand von Will Harbut war er ruhig und gelassen. Es schien eine magische Verbindung zwischen den beiden zu bestehen – ganz ohne Zweifel hatte Man o'War Vertrauen zu diesem freundlichen Mann mit der melodischen Stimme und den großen, sanften Händen gefasst, der intuitiv zu verstehen schien, was Man o'War brauchte oder wenn ihm etwas fehlte. Will sorgte für einen geregelten Tagesablauf, bei dem die Bedürfnisse des Hengstes stets Vorrang vor der Schaulust der Besucher hatten. Wenn Man o'War gerade ein Schläfchen machte, als ein Bus voller Schaulustiger ankam, dann kam es keinesfalls in Frage, ihn zu wecken, und Will Harbut belehrte sie mit strenger Stimme: „Wenn Man o'War aufstehen möchte, dann steht er auf. Und wenn er sich hinlegen möchte, dann legt er sich hin." Und wenn es Zeit war, den Hengst zu füttern, verscheuchte er alle Besucher und erklärte, dass sie nun zu warten hätten – seine Majestät müsse speisen.

Viele Fotografien dieser Jahre zeigen Will Harbut und Man o'War – und meist sind es die üblichen Posen, die Mensch und Pferd dabei einnehmen: das Pferd mit stolz erhobenem Kopf und gespitzten Ohren, daneben der Mann in steifer Haltung, der mit ernstem Blick das Pferd am Zügel hält. Nur wenige Fotos aber konnten den Zauber der tiefen Freundschaft sichtbar machen, die beide verbunden hat – und zu diesen raren Dokumenten zählen jene Bilder des Fotografen Ivan Dmitri, die dieser im Jahr 1941 für die Titelseite der ,Saturday Evening Post" aufnahm. Das Bild, das für den Magazin-Cover ausgewählt wurde, zeigt tatsächlich einen Menschen und SEIN Pferd – beziehungsweise ein Pferd mit SEINEM Menschen: Man o'War, dieses gewaltige Pferd, das einst seine Gegner in Grund und Boden galoppiert und die Schwerkraft herausgefordert hatte, lehnt sich sanft und vertrauensvoll gegen einen selig lächelnden Mann, der das Halfter ganz losgelassen hat, um den Kopf des Pferdes zu umfassen. Besser und deutlicher als alle Beschreibungen zeigt dieses Foto, was Will Harbut für Man o'War war – der Mensch, der ihn wieder mit den Menschen versöhnt hat.

Scherzhaft meinte man damals in Kentucky, dass weder Man o'War noch Will Harbut ohne den anderen leben könnten – und es musste einmal der Tag kommen, an dem das Schicksal die Probe aufs Exempel machte: Will Harbut erlitt einen schweren Schlaganfall, der ihn partiell lähmte und erblinden ließ. Er starb am 3. Oktober 1947 – in seinem Nachruf in der Zeitschrift ,The Blood Horse' war zu lesen, er hinterlässt „seine Frau, sechs Söhne, drei Töchter – und Man o'War". Tatsächlich war es auch für Man o'War ein Schlag, von dem er sich nicht mehr erholen sollte – kaum einen Monat später legte er sich in seiner Box nieder, um niemals wieder aufzustehen. Er starb am 1. November 1947 im Alter von 30 Jahren an Herzversagen.

Sam Riddle ließ einen riesigen Eichensarg anfertigen, in dem der Hengst aufgebahrt wurde – Tausende kamen, um auf der Faraway Farm von ihm Abschied zu nehmen. Sein Begräbnis wurde zu einem Medienereignis und live im Radio übertragen. Danach wurde eine lebensgroße Bronzeskulptur über seinem Grab errichtet. Als die Farm in den 70er Jahren nach dem Tod des Besitzers aufgelöst und verkauft wurde, übersiedelten die sterblichen Überreste und die Bronzeskulptur von Man o'War in den naheliegenden Kentucky Horse Park. Das Grabmal von Man o'War ist dort längst zu einer Pilgerstätte und einem Besuchermagneten geworden – ein stolzes, weithin sichtbares  Zeichen der Ehrerbietung gegenüber einem Pferd, das alle Grenzen gesprengt und alle Begriffe neu definiert hat. Vielen gilt er bis heute als bester Vollblüter aller Zeiten – im Ranking des ,Blood-Horse magazine' der 100 besten US-Galopperchampions des 20. Jahrhunderts reihte man ihn auf Platz 1, ebenso in einem Ranking der Nachrichtenagentur Associated Press und einem der Zeitschrift Sports Illustrated aus dem Jahr 1992. Man o'War war ein Pferd für die Ewigkeit.

Viele wundervolle Fotos von Man o'War – darunter auch zahlreiche mit seinem langjährigen Pfleger Will Harbut – findet man auf dieser Pinterest-Seite. Weitere Hintergrund-Infos (etwa seine detaillierten Rennergebnisse) bietet die englische Wikipedia-Seite (leider nicht die sehr kurz geratene deutschsprachige).

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen