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Muskelaufbau beim Pferd – Fakten und Mythen
04.04.2016 / Wissen

Modell-Athlet Pferd: Leistungspferde im Spitzensport weisen eine beeindruckende Bemuskelung auf – dabei müssen Training und Ernährung optimal zusammenpassen.
Modell-Athlet Pferd: Leistungspferde im Spitzensport weisen eine beeindruckende Bemuskelung auf – dabei müssen Training und Ernährung optimal zusammenpassen. / Foto: Julia Rau

Um Muskeln aufzubauen, brauchen Pferde entsprechendes Training, das ist klar. Doch wie im humanen Leistungssport ist es auch in der Reiterei verlockend, zu Zusatzpräparaten zu greifen, die schnellen Muskelaufbau versprechen. Dr. Stefanie Handl hat recherechiert, was an diesen Mitteln dran ist.

 

Nahrungs- und Futtermittel, die die Leistung verbessern sollen, werden als ergogene Substanzen bezeichnet (aus den griechischen Wörtern ergon = Arbeit und genan = produzieren). Sie sollen folgende Wirkungen haben:
– Vergrößerung der Energiereserven
– Verbesserung der Energieausnutzung
– Zuwachs von Muskelmasse
– Verbesserte Nervenleitung und Koordination
– Regeneration von sportbedingten Schäden
– psychologische Effekte (beruhigend/anregend)
Im Folgenden sollen vor allem die Futterzusätze, die Muskelzuwachs versprechen, näher betrachtet werden. Dies sind Proteine und Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe, Antioxidantien, L-Karnitin und Gamma-Oryzanol.

Aminosäuren – Bausteine der Muskulatur
Proteine sind die Bausteine der Körpersubstanz und steuern als Boten den Stoffwechsel. Sie bestehen aus 20 verschiedenen Aminosäuren, die durch unterschiedliche Anordnung und Struktur die unterschiedlichen Eiweißmoleküle bilden. Einige dieser Aminosäuren kann das Pferd im Körper selbst herstellen, während andere unbedingt mit dem Futter aufgenommen werden müssen (= essenzielle Aminosäuren).
Bei erwachsenen Pferden ergibt sich der Eiweißbedarf hauptsächlich aus dem ständigen Umbau von Körpersubstanz. Der – geringe – Mehrbedarf beim arbeitenden Pferd entsteht aus

– dem Stickstoffverlust über den Schweiß
– dem Eiweißbedarf der Darmbakterien, die größere Futtermenge umsetzen müssen
– dem Verbrauch von Aminosäuren für die Energiegewinnung (nur bei großer Beanspruchung)
– dem Zuwachs von Muskelmasse

Dieser Mehrbedarf fällt in der Praxis aber nicht ins Gewicht. Generell kann gesagt werden, dass erwachsene, gesunde Pferde keine Eiweißergänzung brauchen. Eine Ration, die den Energiebedarf deckt, deckt sicher auch den Bedarf an Protein. Bei einer praxisüblichen  Fütterung mit Gras/Heu und Getreide nimmt ein erwachsenes Pferd sogar schon mehr Eiweiß zu sich, als es bräuchte. Das liegt daran, dass die Pflanzen auf unseren kultivierten Wiesen viel eiweißreicher sind als das karge Steppengras, mit dem die Vorfahren unserer Pferde auskommen mussten. Der Körper kann aber einen Überschuss an Eiweiß nicht speichern, sondern alles, was im Moment nicht benötigt wird, muss abgebaut und ausgeschieden werden. Das kostet Energie und belastet auf Dauer Leber und Nieren. Eine Eiweißüberversorgung ist beim Sportler auch insofern kontraproduktiv, als dass sie dem Körper Wasser entzieht – die Eiweißabbauprodukte werden nämlich mit dem Harn ausgeschieden.

Kann nun aber die gezielte Supplementierung mit einzelnen Aminosäuren den Muskelstoffwechsel unterstützen? Bei menschlichen Athleten sind diese sehr beliebt, bei Spitzensportlern werden sogar individuell zusammengemischte Aminosäuren-Ergänzungen eingesetzt. Leider ist gezielte Forschung, welche Aminosäuren nun in der Muskulatur des Pferdes verbraucht werden, sehr schwierig. Während einige Studien positive Effekte auf das Muskelwachstum unter der Gabe von Lysin und Tryptophan messen konnten, fanden andere WissenschaftlerInnen keinen Effekt auf die Leistung. Hier ist mehr Forschung nötig, bevor konkrete Empfehlungen gegeben werden können.

Antioxidantien
Antioxidantien binden im Körper auftretende Sauerstoffverbindungen, so genannte freie Radikale, die aus der Umwelt aufgenommen oder im Stoffwechsel ständig gebildet werden. Kommt es zu einer Anhäufung an freien Radikalen, sind diese in der Lage, Zellmembranen, Enzyme und DNA zu zerstören. Da bei vermehrter Muskeltätigkeit auch vermehrt Radikale entstehen, enthalten viele Präparate für die Muskulatur Antioxidantien: Karotinoide, Vitamin E, Vitamin C und Selen.

Ein tatsächlicher Mangel an Karotinoiden und Vitamin E ist aber nur zu befürchten, wenn lange gelagerte Futtermittel (Heu, Getreide) verfüttert werden (Winter). Beta-Karotine sind in grünen/gelben/roten Pflanzen enthalten. Vitamin E kann auch durch Keimöle (Maiskeimöl, Weizenkeimöl) zugeführt werden. Für Rennpferde oder bei Stress wird eine höhere Zufuhr (das 2–4-fache des Bedarfs) von Vitamin E empfohlen, um die Zellen vor Sauerstoffradikalen zu schützen. Der Beweis für eine leistungssteigernde Wirkung fehlt, eine Überdosierung ist jedenfalls ungefährlich. Der Vitamin E-Bedarf des Pferdes steigt außerdem, wenn ungesättigte Fettsäuren verfüttert werden (z. B. Leinsamen oder Leinöl, Omega-3-Fettsäuren), da diese besonders leicht verderben. Insofern können hochleistende Pferde, die eine fettreiche Ration bekommen, einen höheren Vitamin E-Bedarf haben.
Vitamin C ist für das Pferd kein essentieller Nährstoff, da es Vitamin C aus Glukose in der Leber synthetisieren kann. Das können fast alle Säugetiere mit Ausnahme von Primaten (inkl. dem Menschen), Meerschweinchen und manchen Fledermäusen. Eine zusätzliche Vitamin-C Gabe kann bei gestressten oder alten Pferden hilfreich sein, auch hier ist eine Überversorgung unbedenklich.

Der Selen-Gehalt im Futter variiert in Abhängigkeit von der Düngung, dem Vegetationsstadium und der Konservierungsmethode. Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass der natürliche Selengehalt im Heu, geerntet in Ostösterreich und den Nachbarländern, gering und eine Zufütterung daher nötig ist. Selen ist in vielen Ergänzungsfuttermitteln enthalten. Zu beachten ist aber, dass Pferde eine geringe Toleranz gegenüber einer Selen-Überversorgung haben. Während ein Selengehalt von 0,1-0,12 mg/kg Futter (in der Trockensubstanz) empfohlen wird, können bereits bei einer Aufnahme des 20-fachen (2 mg/kg Futter-Trockensubtanz) chronische Vergiftungserscheinungen auftreten, die sich in Haarausfall und Lahmheiten, bis hin zum Ausschuhen, äußern. Es dürfen daher nicht mehrere selenhältige Präparate kombiniert werden!
Eine Leistungssteigerung oder Muskelzuwachs sind durch Antioxidantien sicher nicht zu erwarten. Sie könnten aber die negativen Effekte von hartem Training mildern und die Regeneration beschleunigen.

Magnesium
Magnesium ist wichtig für die Muskel- und Nerventätigkeit. Zudem fördert es die Verbrennung von Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten. Ein Magnesiummangel äußert sich in Verspannungen, Muskelkrämpfen und Erregbarkeit. Deswegen wird Magnesium oft als ‚natürliches Beruhigungsmittel" bei nervösen, ängstlichen Pferden empfohlen. Das kann aber nur funktionieren, wenn tatsächlich ein Magnesiummangel vorliegt, der durch die Ergänzung behoben wird.  Mit den meisten praxisüblichen Rationen wird die Versorgung aber gesichert, v. a., wenn Getreideprodukte gefüttert werden. Eine zusätzliche Magnesiumgabe, um ‚auf Nummer sicher‘ zu gehen, ist unschädlich, eine Leistungssteigerung darf man nicht erhoffen.

B-Vitamine
Die B-Vitamine haben vielfältige Aufgaben im Kohlenhydrat- und Energiestoffwechsel. Sie sind in Getreide und Grünfutter in reichlichen Mengen enthalten (Ausnahme: Vitamin B12, welches nur in tierischen Futtermitteln vorkommt) und werden außerdem von der Darmflora synthetisiert. Ein Mangel an B-Vitaminen ist daher bei gesunden Pferden unwahrscheinlich. Bei gestressten Tieren oder Hochleistungspferden, wo die Darmflora durch hohe Getreidemengen beeinträchtigt ist, können B-Vitamine zugefüttert werden, eine Überversorgung ist ungefährlich. Eine gute Vitamin B-Quelle ist Bierhefe.

L-Karnitin
L-Karnitin entsteht im Körper aus den Aminosäuren Lysin und Methionin. Es ist essentiell für den Transport von Fettsäuren durch die Zellemembranen der Muskulatur hindurch in die Mitochondrien, die ‚Kraftwerke‘ der Zelle, und ist auch am Glukosestoffwechsel beteiligt. Es ist in pflanzlichen Futtermitteln kaum enthalten, daher ist das Pferd auf die Eigensynthese angewiesen. Die  Muskulatur des Pferdes hat aber von Natur aus eine hohen Karnitin-Gehalt.

L-Karnitin wurde bei kranken Menschen und Tieren erfolgreich eingesetzt, auch unterstützend bei Übergewicht, um den Abbau von Muskelmasse zu verhindern. Es wird in der humanen Sportlerernährung als Supplement verwendet, da man sich davon eine Steigerung der Leistung erhofft. Weder beim Menschen noch beim Pferd konnte aber bisher gezeigt werden, dass Karnitin tatsächlich zu Leistungssteigerung oder Muskelaufbau führt. Lediglich bei 1–2-jährigen Pferden am Beginn ihres Trainings könnte es eine positive Wirkung haben, da diese noch einen geringen Karnitin-Gehalt in der Muskulatur aufweisen.

Doping aus der Natur?
Gamma-Oryzanol, einer fettlöslichen Substanz aus dem Reiskorn, wird anabole Wirkung auf die Muskulatur zugeschrieben. Neben dem antioxidativen Effekt (s. o.) wird diese Wirkung einer Hemmung des Abbaus von Testosteron zugeschrieben. Erhöhte Testosteronspiegel stimulieren die Ausschüttung von Wachstumshormonen und dadurch die Zunahme an Körpersubtanz, außerdem machen sie aktiver und reduzieren Müdigkeit. Soweit die Theorie – dieser Effekt konnte bisher weder in der Human- noch in der Veterinärmedizin bewiesen werden. Wenn Gamma-Oryzanol tatsächlich positive Effekte auf den Muskelstoffwechsel hat, dann liegen sie an der antioxidativen Wirkung, sagen ForscherInnen.

Aber Vorsicht: Gamma-Oryzanol steht auf der Dopingliste, sein Einsatz bei Sportpferden ist verboten, obwohl es keine Beweise gibt, dass es tatsächlich zu einem Anstieg des Testosterongehaltes im Blut oder Harn führt.

Fazit
Obwohl die diversen Mittelchen überzeugend klingen, ist ein Muskelzuwachs durch Futterergänzungen wissenschaftlich bislang nicht belegt – was jedoch auch auf andere Bereiche der Pferdefütterung zutrifft. Die gezielte Zufuhr einzelner Aminosäuren klingt immerhin vielversprechend, hier ist aber ebenfalls noch weitere Forschung nötig. Antioxidantien können zur Unterstützung der Regeneration gefüttert werden, außer bei Selen ist eine Überversorgung harmlos. Die wichtigsten Grundlagen für optimale Leistung sind und bleiben artgerechte Haltung, wohldosiertes Training und leistungsangepasste Fütterung. Bestehen Zweifel hinsichtlich der Versorgung mit allen Nährstoffen, kann eine Rationsüberprüfung Klarheit bringen. Wenn ein Pferd trotz idealer Fütterung abbaut, kann auch eine Erkrankung dahinter stecken – hier ist es jedenfalls empfehlenswert, seine Tierärztin bzw. seinen Tierarzt zu kontaktieren und abzuklären, ob die Verabreichung von Futtermittelzusätzen sinnvoll ist oder nicht.

 

Dr. Stefanie Handl ist Fachtierärztin für Ernährung und Diätetik, Diplomate ECVCN und hat jahrelang Erfahrung in der Ernährungsberatung im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Vetmeduni Wien. Sie bietet unter www.futterambulanz.at auch eine professionelle Ernährungsberatung für Tiere an.

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