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Das sichere Ausreitpferd
13.07.2015 / Wissen

Im Optimalfall ist ein Ausritt das höchste der Gefühle – Pferd und Reiter genießen entspannt die Natur!
Im Optimalfall ist ein Ausritt das höchste der Gefühle – Pferd und Reiter genießen entspannt die Natur! / Foto: Mag. Corinna Widi
Übung ,Aussacken
Übung ,Aussacken': Das Pferd in einem Round-Pen oder eingezäunten Longierzirkel abstellen. Dann eine Satteldecke nehmen, das Pferd zunächst schauen und daran schnüffeln lassen. / Foto: Doris Granegger
Anschließend mit der Decke in ruhigen Bewegungen über Rücken, Schultern, Hals, Flanken, Beine und Bauch streichen. Zum Schluss über den Kopf legen. Philipp Lelja rät: „Nehmt Euch genügend Zeit für diese Übungen! Je nach Pferd kann es sein, dass man 3 bis 6 Tage tägliches Training investieren muss, bis es wirklich gelingt.“
Anschließend mit der Decke in ruhigen Bewegungen über Rücken, Schultern, Hals, Flanken, Beine und Bauch streichen. Zum Schluss über den Kopf legen. Philipp Lelja rät: „Nehmt Euch genügend Zeit für diese Übungen! Je nach Pferd kann es sein, dass man 3 bis 6 Tage tägliches Training investieren muss, bis es wirklich gelingt.“ / Foto: Doris Granegger
Übung ,Auto schauen
Übung ,Auto schauen': Zuerst wird das große rote Ding relativ gefahrlos aus der Ferne betrachtet. / Foto: Doris Granegger
Später wird das Auto genau 
und von allen Seiten in Augenschein genommen. Dann zeigt man dem Pferd, daß das Aufgehen einer Autotür kein Grund zur Panik ist: kein Berglöwe drin!
Später wird das Auto genau und von allen Seiten in Augenschein genommen. Dann zeigt man dem Pferd, daß das Aufgehen einer Autotür kein Grund zur Panik ist: kein Berglöwe drin! / Foto: Doris Granegger
Übung ,Wasser
Übung ,Wasser': Der Reiter geht voraus und zeigt dem Pferd dadurch, dass keinerlei Gefahr besteht. / Foto: Doris Granegger
Der Reiter gibt dem Pferd reichlich Zeit, sich die Sache in Ruhe anzusehen. Dann soll das Pferd dem Reiter ohne Druck folgen – denn auf der anderen Seite geht‘s weiter...
Der Reiter gibt dem Pferd reichlich Zeit, sich die Sache in Ruhe anzusehen. Dann soll das Pferd dem Reiter ohne Druck folgen – denn auf der anderen Seite geht‘s weiter... / Foto: Doris Granegger

Ein kläffender Hund am Gartenzaun, ein Jogger, ein vorbeifahrendes Auto – für das Fluchttier Pferd können auch an sich harmlose Begegnungen ganz schön furchteinflößend sein. Fragt sich nur: Wie schafft man es, dass das Pferd entgegen seiner Instinkte beim Ausreiten ruhig und entspannt bleibt?

 

Wie in allen Disziplinen des Pferdesports sind auch bei der Ausbildung zum geländesicheren Pferd Konsequenz, Einfühlungsvermögen und Geduld gefragt. Außerdem darf man nicht vergessen: Die Sinne des Pferdes sind viel ausgeprägter als die des Menschen. Pferde können kleinste Bewegungen in weiter Ferne noch gut erkennen, sie besitzen ein sehr feines Gehör und einen guten Geruchssinn. Diese Fähigkeiten ermöglichen das Überleben in der freien Wildbahn, für uns Reiter sind sie manchmal ein echtes Hindernis! Was kann man tun, damit Pferde trotz ihres Fluchtinstinktes im Gelände entspannt, vertrauensvoll und selbstbewusst bleiben? Und wie erkennt man, dass das Jungpferd bereit für seinen ersten Ausritt ist?

Vertrauen aufbauen
Wichtigste Voraussetzungen sind Ausgeglichenheit und Vertrauen zum Reiter. Durch artgerechte Haltung, also ausreichend Koppelgang und angemessene Fütterung, werden Pferde in jedem Fall gelassener und weniger aufgedreht oder schreckhaft sein. „Pferde, die viel und ausgiebig auf der Weide sind, sehen mehr von der Welt und halten mehr aus,“ bestätigt Westernreitwart und Wanderreitführer Philipp Lelja. Zum Beispiel Wind und Wetter! Pferde, die bei Regen nie im Freien sein durften oder noch nie starkem Wind ausgesetzt waren, verlieren unter Umständen schneller die Nerven, wenn beim Ausreiten plötzlich schlechtes Wetter aufzieht.

Für die ersten Ausflüge des Jungpferdes ins Gelände schließt man sich am besten einem älteren, erfahrenen Stallkollegen an. Diese ersten Ritte sollten nicht zu lange dauern, man beginnt möglichst mit kurzen Schrittrunden auf Wegen, wo keine größeren Gefahren zu erwarten sind. Ideal ist es, wenn man autofreie Strecken nutzen kann oder am eigenen Hof unterwegs ist. Wer über großzügige, eigene Reitwege fernab vom öffentlichen Straßenverkehr verfügt, kann den Youngster ausgerüstet mit einem Knotenhalfter auch als Handpferd mit ins Gelände nehmen – diese Variante sollte aber nur sehr geübten Reitern vorbehalten bleiben.

Gelassenheit kann man trainieren
Bevor es ins Gelände geht, können vertrauensbildende Übungen sinnvoll sein. Gelassenheit gegenüber fahrenden Traktoren, beim plötzlichen Aufheulen eines Motors oder Hupgeräusche können zu Hause in gewohnter Umgebung geübt werden. Oder erste Begegnungen mit Regenschirmen, die plötzlich aufgespannt werden, mit Kinderwägen (natürlich ohne Besatzung!), herum tollenden Hunden oder mit Läufern. Natürlich kann man auch die Koppeln mit Fahnen, flatternden Bändern oder Sonnenschirmen dekorieren. Der Kreativität sind da kaum Grenzen gesetzt, wichtig ist nur: Das Pferd soll nicht überfordert oder noch verschreckter werden, daher wirklich behutsam vorgehen. Ebenfalls wichtig: Bitte keine Geräte und ‚Spielsachen‘ verwenden, an denen sich das Pferd verletzen kann. Setzt man Stangen ein, dann darauf achten, dass sie nicht zu leicht wegrollen, am besten Parcoursmaterial dafür verwenden.

Die Neugier wecken
„Als Vorbereitung sind solche Übungen sicher gut“, bestätigt auch Ursula Wobik. Als Bereiterin und Therapeutin für heilpädagogisches Reiten und Voltigieren legt sie Wert auf besonders charakterfeste, unerschrockene Pferde. Sie bildet ihre Therapiepferde selbst aus. „Pferde können nicht in der Art wie wir Menschen abstrahieren und Verbindungen zwischen Gegenständen und Situationen herstellen. Fürs Training bedeutet das: Man kann im Viereck alles üben und zeigen, aber in einer anderen Situation, bei anderem Licht, anderen Farben, Formen etc. kann es sein, dass das Pferd trotzdem ganz anders reagiert als erwartet.“ Wofür sind dann solche Übungen überhaupt gut? „Ich sehe den Sinn darin, dem Pferd beizubringen, auf Neues und Unbekanntes zuzugehen. Pferde sind an sich nicht übertrieben neugierig. In Panik wird es eher fliehen statt nachzusehen, wovor es sich erschreckt hat.“ Mit gezielten Übungen kann man die Neugier wecken und das Pferd dazu animieren, auf seinen Reiter zu hören.

Reiter muss souverän handeln
Damit nutzt man ein weiteres Verhaltensmuster aus der Tierwelt aus: Geht das Leittier oder der Reiter, so fern er diese Rolle übernehmen kann, an der Gefahr vorbei, dann wird auch das ängstliche Pferd nachfolgen. Aber Vorsicht! Pferde sind gute Beobachter: Gibt es Anzeichen, dass das Leittier oder der Reiter sich fürchtet, z. B. durch schnellere Atmung, veränderte Körperspannung oder Art der Hilfengebung, dann entscheidet das Pferd für sich selbst – und tritt möglicherweise die Flucht an. Ähnliches passiert, wenn der Reiter sich zu viel Zeit lässt, um zu entscheiden, ob er auf die Gefahr zu reitet oder umkehrt. Pferde zu lange vor einer angsteinflößenden Stelle stehen und schauen lassen, ist daher nicht sinnvoll. Der Reiter sollte souverän und ruhig handeln, und dem jungen, ängstlichen Pferd auf diese Art Sicherheit vermitteln.

Scheuende Pferde denken nicht
Tritt das Pferd im Gelände wirklich die Flucht an, dann heißt es, einen kühlen Kopf bewahren: Von Wildpferden weiß man, dass sie nach ein paar hundert Metern Flucht ihre Hinterhand weichen lassen, um zu sehen, ob die Gefahr noch in ihrer Nähe ist. In diesem Moment schaltet das Pferd vom reinen Flucht- in den ‚Denkmodus‘ um. Aber was bedeutet das für uns Reiter, wenn wir im Gelände unterwegs sind? Ursula Wobik: „Sie können Ihr Pferd von seinem Fluchtvorhaben wieder abbringen!“ Konzentriert sich das Pferd mehr auf die Gefahr als auf den Reiter, einfach anfangen, das Pferd zu stellen, zu biegen und Seitengänge reiten. Das Pferd ist damit gezwungen mitzudenken, die Flucht ist abgesagt. Gleiches gilt, wenn das Pferd beim Vorbeireiten an der Gefahr einen Sprung zur Seite macht: Ruhig bleiben, vorwärts reiten und das Pferd mit einem Schulterherein ablenken. „Das Pferd nie zwingen auf die Gefahr zu schauen, das macht es nur noch schlimmer.“

Zurück ins Viereck
Seitengänge, stellen, biegen – damit ist klar, warum jedes Ausreitpferd eine solide Dressur-Ausbildung genossen haben sollte. Dazu gehören auch Basics, die mancher Reiter gern vernachlässigt: Das sichere Ausreitpferd steht absolut ruhig und unbeweglich beim Auf- und Absteigen, egal, ob im Gelände oder Zuhause. Außerdem hat das Pferd gelernt, längere Zeit unter seinem Reiter ruhig zu stehen – an einem Straßenübergang genauso wie bei X auf der Mittellinie. Vorhandwendungen oder Rückwärtsrichten sollten ebenfalls zum Repertoire des Ausreitpferdes gehören. Solche Lektionen sind hilfreich, wenn man sich im unwegsamen Gelände verfranst oder an engen Stellen umkehren muss.

Auf Übermut verzichten!
Auch wenn sich das Pferd dank intensiven Trainings vertrauensvoll und sicher im Gelände bewegt, sollten wir Reiter nie vergessen, dass es unsere Aufgabe ist, das in uns gesetzte Vertrauen nicht zu missbrauchen. Jeder, der im Gelände unterwegs ist, trägt Sorge dafür, dass sich sein Pferd nicht verletzt oder in ernsthafte Gefahr gerät. Wer ein Pferd mutwillig in eine riskante Situation bringt, wird sein Vertrauen verlieren. Mit Recht.    Doris Granegger

 

Übungen für mehr Vertrauen
Wenn man gemeinsam einige Übungen zu Hause bewältigt hat, wird das Pferd auch im Gelände nervenstärker und souveräner – und der Reiter selbstbewusster. Wanderreitführer Philipp Lelja verrät drei Übungen:

Übung 1: Aussacken
Ziel dieser Übung ist es, dass das Pferd lernt, sich auf seine Bezugsperson zu konzentrieren und Ruhe zu bewahren.

Schritt 1: Das Pferd in einem Round-Pen oder eingezäunten Longierzirkel abstellen. Dann eine Satteldecke nehmen, das Pferd zunächst schauen und daran schnüffeln lassen. Anschließend mit der Decke in ruhigen Bewegungen über Rücken, Schultern, Hals, Flanken, Beine und Bauch streichen. Zum Schluss über den Kopf legen. Philipp Lelja rät: „Nehmt Euch genügend Zeit für diese Übungen! Je nach Pferd kann es sein, dass man 3 bis 6 Tage tägliches Training investieren muss, bis es wirklich gelingt.“

Schritt 2: Gleiches Prozedere wie zuvor, aber statt einer Satteldecke nimmt man einen Müllsack, ein kleineres Stück Plastikplane oder einen großen Regenmantel. Wichtig: Das Material sollte rascheln.
Übrigens: Wer vor hat, mit Satteltaschen ins Gelände zu gehen, verfährt ähnlich. Longieren mit leeren und später befüllten Satteltaschen gewöhnt das Pferd an die zusätzliche Last.


Übung 2: Auto schauen
Beim Ausritt auf öffentlichen Straßen und Wegen sind Begegnungen mit Autos unvermeidlich. Bei dieser Übung lernt das Pferd, dass ein Auto nichts Böses ist, nicht beißt und auch sonst keine Gefahr darstellt – selbst, wenn die Tür aufgeht, springt kein Berglöwe heraus.
Schritt 1: Zuerst wird das Auto relativ gefahrlos aus der Ferne betrachtet.
Schritt 2: Später wird das Auto genau und von allen Seiten in Augenschein genommen.
Schritt 3: Ist die erste Angst einmal überwunden, siegt bei vielen Pferden die Neugier.


Übung 3: Wasser
Geht ein Pferd unter seinem Reiter ins Wasser, ist das ein großer Vertrauensbeweis. Im Idealfall hat man am eigenen Stallgelände einen kleinen Teich, einen Bach etc., an dem man üben kann. Wer mag, lässt sein Pferd dort an der Hand grasen und versucht es ins Wasser zu führen. Vorsicht: Das Pferd könnte versuchen, zu springen, das kann für den Pferdeführer gefährlich werden! In das Wasser hineinführen oder reiten sollte man nur an einladenden, ebenen Stellen. Ein zweites Pferd, das voran geht, kann Wunder wirken. Übrigens: Klappt es nicht gleich, nicht verzweifeln – mit Geduld und ausreichend Zeit gelingt es.
Daran anschließen könnte eine weitere Übung – das Kennenlernen von Brücken, Stegen und Zäunen. Als Brücken-Ersatz können am Reitplatz stabile Bretter (mind. 90 cm breit) im Viereck aufgelegt werden. Am besten entlang einer Umzäunung postieren, so fällt das Ausweichen schwerer. Dann das Pferd darüber führen oder mit ihm darüberreiten. Es zahlt sich ebenfalls aus, schon Zuhause das Öffnen und Schließen von Weidezäunen vom Pferd aus zu üben – das leistet sicher bei so manchen Ausritten gute Dienste.

 

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