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Einfach stehen lassen? Was Boxenruhe wirklich bedeutet
05.05.2015 / Wissen

Die Unterbringung in einer Außen- oder Paddockbox mit Anschluss zur Außenwelt und anderen Pferden kann den Heilungsprozess sehr positiv beeinflussen.
Die Unterbringung in einer Außen- oder Paddockbox mit Anschluss zur Außenwelt und anderen Pferden kann den Heilungsprozess sehr positiv beeinflussen. / Foto: Martin Haller
Kontrollierte Bewegung an der Hand ist eine gute Möglichkeit, den gesamten Bewegungsapparat, Bänder, Sehnen, Gelenke und Muskeln zu stabilisieren.
Kontrollierte Bewegung an der Hand ist eine gute Möglichkeit, den gesamten Bewegungsapparat, Bänder, Sehnen, Gelenke und Muskeln zu stabilisieren. / Foto: Simone Aumair
Dr. Clemens Mahringer: „Bevor ein Pferd das erste Mal wieder auf die Weide bzw. Koppel darf, sollte man unbedingt längere Zeit spazieren gehen, damit es aufgewärmt und nicht mehr so energiegeladen ist."
Dr. Clemens Mahringer: „Bevor ein Pferd das erste Mal wieder auf die Weide bzw. Koppel darf, sollte man unbedingt längere Zeit spazieren gehen, damit es aufgewärmt und nicht mehr so energiegeladen ist." / Foto: privat

Hat sich der geliebte Vierbeiner eine Verletzung zugezogen, wird in vielen Fällen Boxenruhe verordnet. Doch das bedeutet nicht, sein Pferd einfach stehen zu lassen, so ProPferd-Autorin Katharina Meissner.

 

„Boxenruhe ist eigentlich die schlechteste Therapieform von allen“ – Dr. Matthias Baumann vom Trainings- und Rehazentrum für Pferde in Reichertsheim (D) drückt sich klar aus. Er selbst achtet darauf, Pferde nur dann zur Stehpause zu verdonnern, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt und weitere Bewegung tatsächlich schaden würde. Auch Dr. Clemens Mahringer von der Pferdeklinik Tillysburg schlägt in die selbe Kerbe: „Prinzipiell ist die Boxenruhe eher ein notwendiges Übel als die Heilung.“ Doch in welchen Fällen kommt man um das Übel nicht herum – und wann ist für die Pferde gehen besser als stehen?

Wann ist Boxenruhe unumgänglich?
Boxenruhe sollte ausschließlich dann verordnet werden, wenn es nicht anders geht – z. B. bei einem Hufabszess, einer massiven Gelenksentzündung, einem akuten Hufreheschub, einer schweren Sehnenverletzung, hohem Fieber, Gipsverband, bei einer Fissur oder auch direkt nach einer OP an Knochen oder Gelenken. Doch selbst bei solch gravierenden Indikationen versucht man heutzutage, den Bewegungsentzug so kurz wie möglich zu halten. Dr. Matthias Baumann dazu: „Wir halten uns hier an die vier Lahmheitsgrade. Ist das Pferd im Schritt hochgradig oder mittelgradig lahm, ist Boxenruhe ok – bei deutlich geringradiger und undeutlich geringgradiger Lahmheit sollte das Pferd bewegt werden. Sofern das Pferd im Schritt lahmfrei ist, ist Bewegung ohnehin unumgänglich!“

Wurden Schmerzmittel gegeben, rät Dr. Mahringer allerdings zur Vorsicht: „Wurden Mittel verabreicht, um die Schmerzen zu dämpfen, muss man das in der Situation berücksichtigen. Das Pferd zeigt entweder keine oder verschleierte Symptome, weil es momentan keine Schmerzen hat – d. h. es ist in Versuchung, sich genau so zu bewegen/benehmen, als wäre es unverletzt, und das kann ins Auge gehen.“

Bewegung = Heilung
Für einen guten Heilungsprozess ist Bewegung äußerst wichtig – und zu langes Stehen mitunter sogar gefährlich. Dr. Mahringer: „Pferde sind Bewegungstiere – stehen sie zu lange, heilt das Gewebe des Bewegungsapparates oftmals nicht stabil bzw. fest genug, der Lymphabfluss funktioniert nicht so gut, die Durchblutung ist nicht optimal, auch der Verdauungsapparat kann darunter leiden, z. B. durch eine Verstopfungskolik.“ Auch Dr. Baumann weist auf negative Folgen hin: „Ohne Bewegung werden alle Strukturen wie Muskeln, Sehnen, Bänder oder Gelenke einfach schwächer. Gerade Sehnenverletzungen profitieren von einer kontrollierten Bewegung ungemein, da sich die Sehnenfasern wieder gut ausbilden und gestärkt werden. Wer seinem Pferd etwas Gutes tun möchte, kann – selbst ein verletztes Tier – in der Box passiv bewegen. Das hält Gelenke, Sehnen, Bänder und Muskeln geschmeidig.“

Gesunder Kopf, gesunder Körper
Auch in diesem Punkt sind sich beide Pferdespezialisten einig: Um eine erfolgreiche Heilung gewährleisten zu können, muss das Pferd auch mental gut drauf sein. Dr. Mahringer: „Wenn Pferde sich wohlfühlen, geht die Heilung viel schneller voran.“ Neben Dingen wie Putzen, Hufe pflegen, massieren etc. ist auch der Sozialkontakt zu anderen Pferden wichtig. Das Pferd als Herdentier fühlt sich schnell einsam und freut sich daher über Gesellschaft und Beschäftigung während der Rekonvaleszenz, wenn es etwa allein in der Box bleiben muss. Die Unterbringung in einer Außen- oder Paddockbox mit Anschluss zur Außenwelt und anderen Pferden kann den Heilungsprozess sehr positiv beeinflussen.

Pflege ist wichtig!
Nicht nur für die Psyche, auch für den Körper des Patienten ist die Pflege wichtig. Tägliche Fell- aber vor allem Hufpflege ist dabei das Um und Auf. Das Risiko von Strahlfäule und weichen Hufen ist durch die Boxenruhe erhöht – neben der täglichen Hufpflege sollte auch das Ausschneiden nicht vernachlässigt werden. Durch den andauernden Aufenthalt in der Box muss auf die Einstreu besonders geachtet werden – diese muss so sauber und trocken wie nur möglich gehalten werden. Die Art der Einstreu ist nicht zuletzt an das Fress- und Bewegungsverhalten anzupassen. Frisst das Pferd aus Langeweile etc. viel von der Stroheinstreu, kann eine Verstopfungskolik drohen. Viele Pferde graben gern in der Box herum, andere wiederum stehen weitgehend still – dies sollte bei der Wahl der Einstreu berücksichtigt werden.

Kontrollierte Bewegung
Darf das Pferd aufgrund seiner körperlichen Verfassung bewegt werden, soll diese Bewegung in der Rehabilitationszeit ausschließlich kontrolliert erfolgen – ein Koppelgang mit anderen Pferden ist vorerst nicht zu empfehlen. Dr. Baumann: „Zuerst kann die Bewegung an der Hand, am Laufband, mit einer Führanlage oder dem Aquatrainer erfolgen – je nach Verfassung kann auch im Schritt geritten werden. In schwierigen oder heiklen Fällen oder bei besonders temperamentvollen Pferden kann sogar ein professionelles Rehazentrum ratsam sein.“ Oberstes Prinzip rund um die Bewegung ist genaues Beobachten. Der Körper zeigt an, wenn er überfordert wird. Beispiel Sehnenentzündung: Nach der Bewegung sollte die Sehne warm sein, denn sie wurde ordentlich durchblutet und es kam zu Mikrozerreißungen, die sich dann wieder verschließen und damit die Sehne wieder heilen. Ist die Sehne schon VOR dem Reiten warm, dann war das Training am Vortag offensichtlich zuviel oder die Entzündung ist schlimmer geworden.

Heikler erster Koppelgang
Auch Dr. Mahringer rät zur Vorsicht: „Wenn das Pferd ‚überständig’ ist, dann ist kontrollierte langsame Bewegung schwierig, da kann man guten Gewissens hin und wieder eine leichte Sedierung anwenden. Schließlich steht an erster Stelle, dass das Pferd sich, den Besitzer oder andere Menschen/Pferde in seinem Übermut nicht verletzt.“
Problematisch ist vor allem der erste Koppelgang nach der Pause: „Bevor ein Pferd das erste Mal wieder auf die Weide/Koppel darf, sollte man unbedingt längere Zeit spazieren gehen, damit es aufgewärmt und nicht mehr so energiegeladen ist. Es kommt zudem häufig vor, dass Pferde, die längere Zeit aus der Herde entfernt waren, wieder einige Rangkämpfe ausfechten müssen. Daher ist der Zeitpunkt sorgsam zu wählen!“
Insgesamt gilt auch für Pferde das alte Sprichwort, „Wer rastet, der rostet“. Unsere Vierbeiner profitieren in den meisten Fällen sehr von gezielter, kontrollierter Bewegung während der Rekonvaleszenz – und von jeglicher Zuwendung, die wir ihnen schenken und die sie speziell in Ruhezeiten ganz besonders brauchen.

 

Checkliste: Zurück zur Fitness –Tipps von Dr. Matthias Baumann

– Beine des Pferdes vor und nach dem Reiten kurz abgreifen und die Temperatur fühlen.

– Sobald im Schritt keine Lahmheit erkennbar ist: 30 bis 40 Minuten Schritt reiten täglich.

– Ist keine Lahmheit mehr erkennbar, kann mit dem leichten Aufbautraining begonnen werden. Es wird getrabt und über 14 Tage jeweils eine Minute gesteigert – d. h. am 14. Tag wird schon 14 Minuten getrabt.

– War die Verletzung gravierender, wird das Training langsamer aufgebaut: 4 Wochen lang wird der Trab jeweils um eine halbe Minute gesteigert. Danach kann man das Training über 14 Tage um täglich eine Minute mehr im Trab steigern.

– Im Anschluss an das erste Aufbautraining im Trab kann nach den 14 Tagen bzw. 6 Wochen auch mit dem Galopp begonnen werden. Auch dieser kann pro Tag um eine Minute gesteigert werden – so lange bis das Pferd wieder seine alte Trainingskondition erreicht hat.

– Sollte es sich um eine Verletzung an den Gliedmaßen handeln, ist nach dem Training Kühlen mittels einer Kühlbandage oder optimalerweise im fließenden Wasser anzuraten.

– Der Boden sollte beim Aufbautraining eben und eher hart sein – von weichem, unebenem Boden unbedingt Abstand halten!

 

Kommentare

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1) balubalu: Sehr guter Artikel und wunderbar erklärt. Das finde ich an eurem Magazin so toll, dass es hier um die wirklichen Pferdeprobleme und auch die Bedürfnisse von Pferd und Pferdemensch geht und nicht nur um Turnierplatzierungen, Zuchtergebnisse und Ranglisten, die nur für eine kleine Elite eine Notwendigkeit darstellen. Vielmals DANKE
Dienstag, 5. Mai 2015
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