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Selen in der Pferdefütterung – Fragen und Antworten
03.08.2015 / Wissen

Eine Analyse des Selengehalts im Heu und im Gras ist ratsam, um einem Mangel oder einer Überdosierung vorzubeugen.
Eine Analyse des Selengehalts im Heu und im Gras ist ratsam, um einem Mangel oder einer Überdosierung vorzubeugen. / Foto: Irene Gams
Ist der Bedarf an Selen nicht über das Rau- und Mischfutter gedeckt, kann mit Futterergänzungsmitteln nachgeholfen werden.
Ist der Bedarf an Selen nicht über das Rau- und Mischfutter gedeckt, kann mit Futterergänzungsmitteln nachgeholfen werden. / Foto: Petr Blaha /Archiv
Am Markt ist eine unübersehbare Vielfalt an Selen-Ergänzungsprodukten erhältlich.
Am Markt ist eine unübersehbare Vielfalt an Selen-Ergänzungsprodukten erhältlich. / Foto: Archiv

Wann hat ein Pferd Selenmangel? Wann muss man Selen ergänzen? Ab wann kann eine Überdosierung schaden? Welche Wirkung hat dieses Spurenelement überhaupt?  Dr. Stefanie Handl hat die wichtigsten Daten und Fakten zum Thema Selen in der Pferdefütterung zusammengestellt.

 

Selen ist ein chemisches Element mit dem Elementsymbol Se und der Ordnungszahl 34. Im Periodensystem steht es in der 4. Periode sowie der 6. Hauptgruppe (Sauerstoffgruppe), zählt also zu den Erzbildner. Selen ist ein Halbmetall und kommt in der unbelebten Natur als eigenständiges Metall oder in Form von Verbindungen vor.

Selen ist für alle Lebensformen essentiell. Es wird daher in Nahrungsergänzungsmitteln für den Menschen angeboten und auch Futtermitteln und Dünger zugefügt. Auch in der Industrie wird Selen eingesetzt, z. B. in Belichtungsmessern, Solarzellen und Anti-Schuppen-Shampoos. Das Lebensmittel mit dem höchsten Selengehalt ist übrigens die Paranuss.

Selen kann dem Futter in der Form von anorganischen Salzen (Selenit, Selenat) oder in organischer Form beigemischt werden. In der Lebensmittelergänzung und Tierernährung (in der Tierernährung in der EU seit Mai 2005 zugelassen) wird seit einigen Jahren selenreiche Hefe eingesetzt, die durch die Zucht auf selenreichen Nährböden erzeugt wird. Die Behauptung, dass organisches Selen für Pferde besser verführbar wäre, konnte in wissenschaftlichen Studien nicht bestätigt werden.
Es ist auch möglich, den Selengehalt der Pflanzen durch gezielt selenhaltigen Dünger zu verbessern.

Essentielles Spurenelement
Bis in die 1950er Jahre galt Selen als Giftstoff. Erst dann wurde erkannt, dass Selen Muskelerkrankungen bei Lämmern und Kälbern vorbeugen kann. Selen ist nämlich Bestandteil der Glutathionperoxidase, einem Enzym, das den Organismus vor oxidativen Schäden schützt. Selen wird deswegen oft als „Radikalfänger“ bezeichnet. Daneben ist es noch in weiteren Proteinen enthalten, für die Aktivierung der Schilddrüsenhormone und den Schutz von Spermien verantwortlich sind.

Beim Menschen kommen Selenmangel-erkrankungen nur in Gebieten mit extrem selenarmen Böden vor, wie Nordkorea, China, Tibet und der Mongolei. Typisch sind Knorpelerkrankungen und Herzerkrankungen, die schon junge Menschen betreffen. Bei Tieren findet man Erkrankungen durch Selenmangel am ehesten bei Jungtieren, wenn das Muttertier selenarm ernährt wurde. In der Regel liegt eine Kombination von Selen- und Vitamin E-Mangel vor. Betroffen sind vor allem landwirtschaftliche Nutztiere (Kälber, Lämmer, Zicklein), die Krankheit kann bei Fohlen aber auch vorkommen.  Unmittelbar nach der Geburt oder im Alter von wenigen Wochen zeigen die Tiere Trinkschwäche, Bewegungsstörungen, Taumeln, Festliegen. Durch den Mangel an Radikalfängern kommt es zu oxidativen Schäden an den Muskeln, auch am Herzen. Die geschädigte Muskulatur kann man am toten Tier als weiße Streifen erkennen, daher der Name: Weißmuskelkrankheit.

Wieviel Selen braucht ein Pferd?
Der Selenbedarf des Pferdes wird mit 0,15 mg/100 kg für Erhaltungsbedarf und Arbeit bzw. 0,3 mg/100 kg für Zuchtpferde und Fohlen angegeben. Das bedeutet, ein durchschnittliches Reitpferd von 600 kg braucht knapp 1 mg Selen am Tag, eine Zuchtstute mit demselben Gewicht knapp 2 mg.
Der Körper eines Pferdes enthält ca. 35 mg Selen. Es befindet sich hauptsächlich in den Muskeln, den Knochen und der Haut. Bei Überversorgung wird es auch in Leber und Nieren abgelagert.

Selengehalt in Futtermitteln

  mg/kg Trockensubstanz mg/kg Frischsubstanz
Weidegras 0,01-0,12 0,002-0,24
Grasheu 0,1 0,09
Luzerneheu 0,06 0,05
Hafer 0,06 0,05
Rübenschnitzel getrocknet 0,05 0,04
Karotten 0,02 0,002
Weizenkleie 0,5-0,04 0,44-0,04


Zuviel des Guten
Die Diskussion über eine notwendige Zufütterung von Selen wird deshalb so hitzig geführt, weil Selen sehr rasch eine giftige Dosis erreichen kann. Während bei anderen Spurenelementen eine 100fache Überdosierung ohne Problem zumindest kurzfristig vertragen wird, kann bei Selen bereits eine Dosis, die nur 20-mal höher ist als die Empfehlungen, zu Vergiftungserscheinungen führen.

Eine akute Vergiftung äußert sich in Blindheit und im-Kreis-Laufen innerhalb von Tagen und Wochen nach Beginn der hohen Selenaufnahme. Das ist typisch für eine Vergiftung mit selenspeichernden Pflanzen. Die Erkrankung heißt auch „blind staggers“ („blinde Taumler“). Solche Pflanzen kommen in Österreich Gott sei Dank nicht vor. Bei uns ist eine chronische Selenvergiftung, wie sie durch eine zu hohe Selenzugabe im Futter entstehen kann, wahrscheinlicher. Neben der Aufnahme über das Futter ist die Resorption auch über den Respirationstrakt (Einatmen von selenhältigem Staub) oder die Haut möglich. Die chronische Selenvergiftung betrifft hauptsächlich die Hufe: es kommt zu Lahmheit und Rötung und Schwellung des Kronsaums. Diese Anzeichen gehen rasch wieder vorbei und können leicht übersehen werden. Danach bildet sich eine Hornkluft unterhalb des Kronsaumes durch das ganze Horn bis zur Lederhaut. Der Huf ist hochgradig schmerzhaft und kann sich ablösen. Es wird berichtet, dass Hinterhufe häufiger betroffen sind als Vorderhufe. Zusätzlich wird das Haarkleid stumpf, Schweif- und Mähnenhaare fallen aus. Die Ursache für diese Symptome ist nicht genau bekannt. Eine verbreitete Theorie ist, dass das Selen anstatt des Schwefels in das Keratin eingebaut wird.

Es besteht die Gefahr, dass bei so unspezifischen Anzeichen, wie stumpfem Fell und schlechter Hornqualität, nicht an eine Vergiftung, sondern an schlechte Konstitution oder Vitaminmangel gedacht und ein selenhältiges Zusatzfutter „fürs Immunsystem“ gegeben wird, obwohl schon eine Selenüberdosierung vorliegt!

2-3 mg Selen/kg Futtertrockenmasse führen beim Pferd zu chronischer Vergiftung (2-3 ppm, das entspricht 1,76-2,64 mg/kg eines Müslis). Deswegen sollten Pferde sicherheitshalber nicht mehr als 0,5 mg/kg Futtertrockenmasse bekommen. Ebenso geht ein Selengehalt im Trinkwasser von über 10 ppm mit chronischen Vergiftungen einher.

Selen zufüttern?
Ist in Österreich eine Zufütterung von Selen überhaupt notwendig? Eine Ergänzung von Selen über ein Mineralfutter ist nur notwendig, wenn das Grundfutter (Wiesengras/Heu) zu wenig Selen enthält, soviel ist klar. Der Spurenelementgehalt von Grünfutter und Heu kann jedoch abhängig von Standort, Boden, Pflanzengesellschaft und Düngung stark variieren! Die durchschnittlichen Selengehalte, wie man sie Futterwerttabellen entnehmen kann, liegen bei 0,01-0,12 mg/kg – die Schwankungsbreite ist also groß. In einer aktuellen Untersuchung (2012) von Heuproben aus Österreich wurden Selenwerte von 0,008 bis 0,17 mg/kg gefunden, der Mittelwert lag bei 0,05 mg/kg. Die meisten der untersuchten Heuproben lagen also unterhalb der Empfehlungen von 0,1-0,12 mg/kg, eine Ergänzung von Selen ist daher ratsam.

Selen in Müslis
Auch der Selengehalt in Mischfuttern (Müslis, Mineralfuttern) variiert erheblich. Die Kombination aus Heu und Müsli/Mineralfutter kann daher zu sehr unterschiedlichen Resultaten führen: Bekommt ein 600 kg schweres Pferd ein Heu mit einem niedrigen Selengehalt von 0,01 mg/kg und frisst davon 8 kg/Tag (=0,08 mg) sowie 2 kg eines Müslis mit 0,3 mg Selen/kg (=0,6 mg), nimmt es insgesamt 0,68 mg Selen auf. Das liegt deutlich unterhalb dem Bedarf von ca. 1 mg.

Frisst das Pferd aber 10 kg eines selenreichen Heus mit 0,15 mg (=1,5 mg) und bekommt 200 g eines ebenfalls selenreiches Mineralfutters mit 30 mg Selen/kg (=6 mg), so werden insgesamt 7,5 mg Selen zugeführt. Das entspricht einem Mehrfachen des Bedarfes und überschreitet die Richtlinien von 0,5 mg/kg. Wird nun z. B. noch ein Vitamin-E/Selen-Präparat hinzugefügt, kann eine chronisch toxische Dosis erreicht werden!

Selenmangel diagnostizieren
Häufig wird ein „Selenmangel“ diagnostiziert, wenn die Konzentration von Selen im Blut unterhalb des Referenzbereichs liegt. Die Interpretation von Blutbefunden kann aber zu falschen Schlüssen verleiten. Mineralien sind nämlich größtenteils in Organen gespeichert und werden im Blut nur transportiert. Das Blutbild stellt also nur eine Momentaufnahme dar und sagt nichts über die Speicher im Körper aus. Ein Selenwert unterhalb des Referenzbereiches muss also nicht bedeuten, dass das Pferd einen Selenmangel hat! Niedrige Blutspiegel werden in der Praxis recht häufig gefunden, ohne dass die Pferde irgendwelche Erkrankungen oder Symptome hätten. Tatsache ist nämlich, dass eindeutige Selenmangelsymptome bei erwachsenen Pferden nicht bekannt sind. Experten nehmen an, dass die Referenzwerte für Selen im Blut von Pferden eventuell zu hoch angesetzt sind.

Futtermittel-Analyse
Die tatsächliche Selenversorgung des Pferdes kann nur anhand einer Überprüfung der Fütterung evaluiert werden! Dazu wird am besten das gefütterte Heu oder Gras auf seinen Selengehalt analysiert, z. B. bei der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) oder einem Futterlabor. Überhaupt sollte der Gehalt an Mineralstoffen im Grünfutter bekannt sein, bevor ein Mineralfutter gewählt wird!
Ein geringer Selengehalt im Grundfutter kann in Europa häufig gefunden werden. In vielen Gegenden, in denen Pferde seit Jahrhunderten erfolgreich gezüchtet werden, wie Island, Deutschland oder Österreich, ist der Selengehalt des Bodens nämlich gering. Trotzdem haben sich die Pferde dort erfolgreich fortgepflanzt und zu international erfolgreichen Militär- und Sportpferden entwickelt, obwohl die längste Zeit die Notwendigkeit einer Selenzufütterung unbekannt war. Es könnte also sein, dass die Empfehlungen für die Selenversorgung in den Lehrbüchern zu hoch angesetzt sind bzw. dass Pferde auch mit geringeren Selenmengen gut zurechtkommen, vor allem, wenn sie daran gewöhnt sind. Außerdem gibt es noch ein zweites wichtiges Antioxidans, das Vitamin E. Vitamin E ist in Grünfutter reichlich enthalten, und die beiden Antioxidantien können sich gegenseitig ergänzen.

Fazit
Bei Fütterung von Heu und Hafer ist eine Ergänzung von Selen fast immer nötig, sie muss aber vorsichtig erfolgen, da eine Selenüberversorgung rasch toxisch wird. Die Versorgungslage des Pferdes kann nicht anhand eines Blutbefundes, sondern nur einer Rationskalkulation beurteilt werden. Wenn der Selengehalt im Heu oder Gras nicht bekannt ist, sollte die Selenzufuhr übers Müsli und oder Mineralfutter den Tagebedarf von 1 mg nicht stark übersteigen. Lecksteine mit Selen sind keine gute Idee, da die Aufnahme nicht kontrolliert werden kann. Auf keinen Fall sollten mehrere selenhältige Futter kombiniert werden. Wird eine Unterstützung des Immunsystems und eine Zufuhr von Antioxidantien gewünscht, sind Carotinoide und Vitamin E sicher und ohne Nebenwirkungen.

Dr. Stefanie Handl ist Fachtierärztin für Ernährung und Diätetik, Diplomate ECVCN und hat jahrelang Erfahrung in der Ernährungsberatung im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Vetmeduni Wien. Sie bietet unter www.futterambulanz.at auch eine professionelle Ernährungsberatung für Tiere an.

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