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Prof. Krüger: „Pferde sind sehr konservativ!“
17.09.2015 / Wissen

Prof. Dr. Konstanze Krüger lehrt und forscht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ist Privatdozentin an der Universität Regensburg.
Prof. Dr. Konstanze Krüger lehrt und forscht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ist Privatdozentin an der Universität Regensburg. / Foto: privat
Viele ihrer Beobachtungen hat Dr. Konstanze Krüger bei freilebenden Pferden in Italien gemacht – hier konnte sie das diffizile Sozialverhalten in der Gruppe hautnah studieren.
Viele ihrer Beobachtungen hat Dr. Konstanze Krüger bei freilebenden Pferden in Italien gemacht – hier konnte sie das diffizile Sozialverhalten in der Gruppe hautnah studieren. / Foto: Dr. Konstanze Krüger
Abgestimmtes Sozialverhalten: Während die einen dösen, bleiben andere Pferde der Gruppe wach und behalten die Umgebung im Auge.
Abgestimmtes Sozialverhalten: Während die einen dösen, bleiben andere Pferde der Gruppe wach und behalten die Umgebung im Auge. / Foto: Dr. Konstanze Krüger
Pferde versuchen stets, aggressive Auseinandersetzungen zu vermeiden und sind sehr geschickt darin, Streits zu schlichten. Wenn es einem ranghohen Pferd aber irgendwann doch zu bunt wird, zeigt es dies sehr klar und eindeutig.
Pferde versuchen stets, aggressive Auseinandersetzungen zu vermeiden und sind sehr geschickt darin, Streits zu schlichten. Wenn es einem ranghohen Pferd aber irgendwann doch zu bunt wird, zeigt es dies sehr klar und eindeutig. / Foto: Dr. Konstanze Krüger
Die Mutter-Fohlen-Beziehung ist stark und intensiv: Kaum ist das kleine Fohlen auf der Welt, ist die Mutter sein großes Vorbild – von ihr lernt es wichtige soziale Verhaltensweisen.
Die Mutter-Fohlen-Beziehung ist stark und intensiv: Kaum ist das kleine Fohlen auf der Welt, ist die Mutter sein großes Vorbild – von ihr lernt es wichtige soziale Verhaltensweisen. / Foto: Dr. Konstanze Krüger

Prof. Dr. Konstanze Krüger zählt zu den führenden internationalen Experten in Sachen Pferdepsyche und Pferdeverhalten. Im Interview mit ProPferd verrät sie, wie Pferde ticken – und warum sie immer wieder für Überraschungen gut sind.

 

ProPferd: Sie beschäftigen sich seit rund 15 Jahren intensiv mit dem Thema ,soziales Lernen’ und haben mit der Entdeckung des ,zuschauenden Pferdes’ internationales Aufsehen erregt. Wie kam es denn zu dieser Entdeckung – und was ist darunter zu verstehen?

Dr. Konstanze Krüger: Unter ,sozialem Lernen’ versteht man im Prinzip, dass Pferde andere Pferde beobachten und von ihnen Verhalten abschauen bzw. kopieren. Ich bin 2004/2005 wieder in die Forschung eingestiegen, und damals herrschte eigentlich die einhellige Meinung vor, daß Pferde nicht voneinander lernen können. Da ich mit meinem Mann zuvor einige Jahre einen Praxisbetrieb, sprich: eine Reitschule betrieben habe und dabei auch das Lernverhalten von Pferden intensiv beobachten konnte, kam mir das etwas seltsam vor – ebenso meinem Mann, der aus der klassischen Kavallerieausbildung kommt, in der das soziale Lernen eigentlich in der Ausbildung von Pferden immer genutzt wurde. Ich habe es, offen gesagt, einfach nicht glauben können, daß Pferde nicht voneinander lernen. Denn Beispiele dafür gab es ja: Es haben etwa die Fahrer diesen Faktor schon immer bei der Ausbildung genutzt, die nehmen immer alte, ausgebildete Fahrpferde und spannen die jungen daneben ein, damit die von den alten lernen und sich die wichtigen Dinge abschauen können. Früher bei der Kavallerie war es ganz üblich, daß man junge Pferde immer hinter erfahrenen über die ersten Sprünge gehen ließ.

Wir haben damals in einer Arbeitsgruppe begonnen, die einschlägige Literatur zu studieren – es gab damals vier Studien, die dieses ,soziale Lernen’ bei Pferden nicht nachweisen konnten. Wir haben uns überlegt, aus welchen Gründen diese Arbeiten in den 80er und 90er Jahren wohl gescheitert sind. Es hat dann aber doch gute fünf Jahre gedauert, bis wir einen guten Versuchsansatz entwickelt hatten, mit dem wir das dann eindeutig darstellen konnten.

ProPferd: Wie hat dieser Ansatz denn ausgesehen – was haben Sie besser gemacht als ihre Vorgänger?

Dr. Krüger: Wir haben uns zuallererst mit dem sozialen Zusammenleben von Pferden beschäftigt, weil es interessanterweise auch dazu kaum Studien gab. Das hat mich schon sehr irritiert: Da leben wir seit Jahrtausenden mit Pferden zusammen, haben sie domestiziert und für die verschiedensten Tätigkeiten herangezogen – und wir wissen so gut wie nichts über deren Sozialleben in freier Natur. Wir haben angefangen, Pferde in der freien Natur, aber auch freilebende Hauspferde zu beobachten, um herauszufinden, was für diese Pferde wichtig ist. Es haben sich dann relativ rasch einige wesentliche Aspekte herauskristallisiert – etwa, daß die Gruppenstruktur und eine Art von ,Hierarchie’ für Pferde wichtig ist. Ein weiterer Faktor ist, wie gut sich die Pferde kennen – es kam bei Lerntests rasch heraus, daß Pferde eigentlich nur von gut bekannten Pferden gelernt haben, aber nicht von fremden, unbekannten. Auch die sozialen Bindungen, etwa das Mutter-Tochter-Verhältnis, haben sich rasch als sehr bedeutend und charakteristisch für Pferde herausgestellt. Aus alledem konnten wir am Ende sehr klar und überzeugend darlegen, daß Pferde selbstverständlich ,soziales Lernen’ beherrschen, noch dazu in bemerkenswert hohem Maße.

ProPferd: Wie kann man sich diese Tatsache denn nun konkret bei der Ausbildung von Pferden zunutze machen? Sie erwähnten das Beispiel der Fahrpferde – aber das ist ja in anderen Sparten nicht ohne weiteres zu übernehmen...?

Dr. Krüger: Dazu kann ich ihnen eine schöne Anekdote erzählen: Nachdem wir das damals publiziert hatten, hat mich eine portugiesische Trainerin angeschrieben, die mir berichtete, daß sie ihren Deckhengst, der nach der Decksaison auch in den Gruppen mitläuft, immer auf einem Reitplatz inmitten der Weiden reitet. Und jedesmal, wenn sie mit dem arbeitet, stehen die Jungpferde am Zaun, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur, und schauen zu. Und sie hat gesagt, daß sie fest davon überzeugt ist, daß sie genau aus diesem Grund niemals beim Anreiten ihrer Jungpferde Probleme hat – weil die einfach schon beobachtet haben, daß das auch für den Chef etwas ganz Normales und Alltägliches ist, mit dem Menschen zu arbeiten und zu kooperieren. Das fand ich schon sehr bemerkenswert – und es könnte sich bestimmt mancher Ausbildungsbetrieb Wege und Möglichkeiten überlegen, daß junge Pferde einfach mehr bei der Ausbildung zuschauen und beobachten können, um sie auf ihre späteren Aufgaben noch besser vorzubereiten.
Man darf aber auch nicht andere ,Nebeneffekte’ von sozialem Lernen außer acht lassen. Wenn sie Pferde in der Gruppe halten und in eine solche Pferdegruppe hineingehen, dann müssen sie sich bewusst sein, daß alle anderen Pferde ganz genau beobachten und mitbekommen, wie sie sich gegenüber dem Gruppenchef verhalten. Wenn sie auf den zusteuern, und sie weichen ihm aus – dann haben sie schon verloren. Die Jungen schauen sich das nämlich ab und denken sich: Unser Chef ist ja doch stärker, ich muss also dem Menschen nicht wirklich folgen. Wenn sie aber ganz geradlinig auf den Gruppenchef zugehen und von ihm verlangen, daß er ihnen ausweicht – dann haben sie gewonnen und werden mit den Jungpferden auch nicht mehr viele Probleme haben.

ProPferd: Das heißt, in einer Gruppe gibt es immer eine Art ,Boss’ – ist das immer ein männliches Tier, oder kann das auch mal eine Stute sein?

Dr. Krüger: Es ist nicht so ganz eindeutig immer nur ein ,Boss’. Wir haben zwar auch lineare Hierarchien, wo einer ganz oben steht und die anderen stufenweise darunter; manchmal ist aber zwischen dem ranghöchsten und dem zweitranghöchsten Tier kein großer Abstand. Das ranghöchste Tier kann ein Hengst sein – bei den freilebenden Gruppen, die wir beobachtet haben, war das aber meistens nicht der Fall, das war nur in sehr kleinen Gruppen so – und je größer die Gruppe wurde, umso häufiger war es eine Stute, welche die höchste Position eingenommen hat.

ProPferd: Konnten Sie herausfinden, wovon das denn abhängt, daß ein Pferd in der Rangordnung ganz weit oben ist? Welche Eigenschaften muss ein solcher ,Chef’ oder eine ,Chefin’ denn haben?

Dr. Krüger: In der Regel wachsen Pferde in diese Position hinein. Pferde wechseln in der freien Natur als Jungpferde zu fast 90 % ihre Muttergruppe und gehen dann in eine neue Gruppe, so zwischen drei und fünf Jahren, sowohl Stuten als auch Hengste. Diese Jungpferde fangen dann in der neuen Gruppe in der Hierarchie ganz unten an und arbeiten sich Stück für Stück nach oben. Mit jedem Neuzugang, der zur Gruppe hinzustößt, klettern sie quasi eine Stufe in der Rangordnung nach oben, d. h. in der Regel gibt es eine Korrelation zwischen dem Alter und der Ranghöhe, aber auch mit der Zugehörigkeits-Dauer zu einer Gruppe. Der sprichwörtliche ,Platzhirsch’ ist bei Pferden meist jenes Tier, das schon am längsten da ist.

ProPferd: Das hat also nichts mit physischer Stärke, mit der Größe oder sonstigen Attributen zu tun?

Dr. Krüger: Nicht unmittelbar – wir bemerken aber bei unseren Beobachtungen schon, daß es sehr selbstsichere Pferde gibt, die sich sehr leicht tun und rasch in der Hierarchie nach oben klettern – und es gibt ängstlichere, zurückhaltendere Pferde, die sich mit dem Aufstieg schwerer tun. Selbstsichere Pferde haben oft auch ein sehr zielstrebiges Auftreten, die brauchen häufig gar nicht viel zu tun, die machen einen großen Hals und alles springt – während andere deutlich zögerlicher sind und sich nicht so durchsetzen können. Interessanterweise findet man das auch bei verwilderten Pferden: Da gibt es Hengste, die brauchen nur einmal die Treiber-Position einzunehmen – und die Stutenherde rennt sofort los, und dann gibt es Hengste, die müssen ihre Stute mit deutlich mehr Aufwand dazu auffordern, daß sie sich bitte gefälligst in Bewegung setzen sollen. Es gibt also schon deutliche Unterschiede in der Art und Weise, wie Pferde zueinander dominant sind.

ProPferd: Der Mensch ist also gut beraten, in der Arbeit mit Pferden jedenfalls eine ranghohe Position einzunehmen, das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein...

Dr. Krüger: Das sollte so sein – denn letztendlich muss uns immer bewusst sein, daß ein Pferd dank seines enormen Körpergewichts und seiner Muskelmasse einen großen Schaden anrichten kann. Als Mensch ist man einfach auf der sicheren Seite, wenn man es schafft, die Position des ,Chefs’ einzunehmen. Wir dürfen aber diese Art von Dominanz nicht missverstehen: Für ein Pferd ist es ganz natürlich, daß es sich in eine Hierarchie einreiht – es fühlt sich dadurch vor allem auch sicher und behütet, hat also viele Vorteile davon. Der ,Chef’ ist in erster Linie kein Tyrann, der andere schikaniert, sondern sorgt für Gruppenzusammenhalt, für Schutz nach außen und ist letztlich für eine gewisse Sicherheit und Ordnung zuständig. Deshalb fühlen sich Pferde grundsätzlich sehr wohl, wenn die Hierarchie klar ist – sie haben mit dieser ,Unterordnung’ überhaupt kein Problem.

ProPferd: Dann wäre es aber für die Ausbildung eines Pferdes eine ganz entscheidende und wichtige Information, zu wissen, welchen genauen Platz ein auszubildendes Pferd in der Rangordnung hat...?

Dr. Krüger: Das ist definitiv so. Wir erleben es häufig, daß gerade ranghohe Pferde nicht so einfach zu trainieren sind, eben weil sie sehr selbstbewusst sind und man ihnen deutlicher klarmachen muss, daß jetzt der Mensch ansagt. Rangniedere Pferde finden sich damit viel rascher ab.

ProPferd: Vor kurzem ist eine Forschungsarbeit erschienen in der eine solche ,Führerschaft’ einzelner Pferde etwas differenzierter dargestellt wird – es gäbe keine so deutlichen Hierarchien bei Pferden, diese würden Entscheidungen oft gemeinsam bzw. koordiniert treffen. Was stimmt denn jetzt?

Dr. Krüger: Es handelt sich da um eine französische Studie, die auch für ein unserer Studien richtungsweisend war, die wir bei verwilderten Hauspferden durchgeführt haben und die zu ganz ähnlichen Ergebnissen geführt hat. Auch bei verwilderten Hauspferden haben wir keine so klare Gliederung, wie sie in der Literatur häufig auftaucht, also daß es eine Leitstute gibt, die führt – und daß der Hengst hinten treibt und sichert. Daß der Hengst hinten treibt und sichert, das stimmt schon weitgehend, wobei man sagen muss, daß er dadurch auch eine große Dominanz demonstriert, denn in Gefahrensituationen müssen natürlich alle Stuten sofort folgen. Dennoch spielt sich die Sozialstruktur bei Pferden mehr unter den Stuten ab – der Hengst ist gleichsam eine Art Satellit, der außen die Gruppe absichert und ab und zu seine Rechte einfordert, aber im Prinzip haben wir viel stärkere Bindungen zwischen den einzelnen Stuten und ihren Nachkommen. Und da haben wir wirklich eine ganz eindeutig gestufte Hierarchie, wobei aber durchaus auch mehrere Stuten auf einer Stufe stehen und sich in ihren Rollen quasi abwechseln können. Es gibt häufig Stuten, die in der Hierarchie relativ dicht beeinander sind – und manchmal gibt es auch Fälle, in denen sich die Hierarchie umstellt, etwa wenn eine Stute krank wird und eine andere Aufgaben von ihr übernimmt. Das hängt auch von den jeweiligen Bedürfnissen und Situationen abhängig. Zum Beispiel würde sich eine Stute, die sehr kälteempfindlich ist, mehr in einer Situation durchsetzen, in der es um Windschutz geht – und eine Stute, die besonders verfressen ist, würde sich wohl in einer Situation durchsetzen, in der es ums Futter geht. Es ist also keine starre hierarchische Struktur, sondern eher so ein fluktuierendes Gebilde, in der einige Entscheidungen auch wirklich gemeinsam getroffen werden. Wenn es z. B. darum geht, den Ort zu wechseln, dann sind es nicht immer die dominanten Tiere, die dann die Entscheidung treffen – manchmal sind es auch die rangniederen, das ist nur dementsprechend seltener.

ProPferd: Was sehr für die hohe soziale Kompetenz und die Flexibilität von Pferden spricht...

Dr. Krüger: Absolut, und das ist auch, was ich ich immer so betone. Das Pferd wurde, als ich damals angefangen habe, in der Forschung eigentlich als dumm hingestellt. Das Pferd hat eine ganz andere Intelligenz als viele andere Tiere, von denen wir umgeben sind – und vor allem sind sie sozial unheimlich intelligent. Wenn wir das Sozialsystem von Pferden betrachten und im Detail vergleichen, dann ist das nicht weniger komplex und abgestuft und gut organisiert als das von Primaten.

ProPferd: Wenn das alles so, dann sollten Pferde aber auch in sozialen Gruppen gehalten werden – und nicht in Einzelboxen, wie es noch so häufig der Fall ist...?

Dr. Krüger: Ich denke, da sind sich alle Fachleute einig, daß die Boxenhaltung die größte Kompromisslösung in der Haltung von Pferden ist. Es gibt ja mittlerweile ganz tolle Gruppenhaltungs-Systeme, die natürlich auch noch ihre Problemchen haben und weiterentwickelt werden müssen, das geben ja auch die Hersteller zu. Aber an sich ist das für das Pferd die angenehmste und auch artgemäßeste Lebensweise. Wenn man schon Pferde – aus welchem Grund auch immer – in Einzelboxen hält, dann sollte man ihnen zumindest ausreichend Gruppenweidegang ermöglichen, das ist eine akzeptable Kombination. Ich finde es überhaupt nicht verwerflich, wenn Pferde, die in einer Reitschule eingesetzt werden, tagsüber in der Box sind, weil das für das Management einfacher ist – und nachts in der Gruppe draußen. Dann haben die auch genügend Sozialkontakt und Bewegung, daß sie ausgeglichen und ruhig sind. Mittlerweile kann man Ausbildungs- und Turnierpferde genauso gut in einem Offenstall-System oder in einem Aktivstall halten, wie etliche Beispiele beweisen. Die Pferde sind ausgeglichener, sie sind ruhiger – was ja nicht zuletzt auch den Reitern oder Reitschülern zugute kommt, sie sind aber auch gesünder, was der Stallbetreiber schätzen sollte.

ProPferd: Es herrscht ja vielfach immer noch das Vorurteil, daß Pferde in Gruppenhaltungen ständig krank sind und hohe Tierarztrechnungen verursachen...

Dr. Krüger: Da gibt es mittlerweile einige Studien, die nachgewiesen haben, daß das nicht der Fall ist. Sie haben wohl andere Verletzungen, haben vielleicht mal einen Biss oder einen Tritt, der versorgt werden muss – aber die haben nicht so viele Atemwegserkrankungen, nicht so viele Koliken, nicht so viele Gelenkserkrankungen und so weiter.

ProPferd: Wenn Sie Pferde mit drei Eigenschaftswörtern beschreiben und charakterisieren müssten – welche wären dies?

Dr. Krüger: Als allererstes würde ich Pferde natürlich als besonders sozial bezeichnen, das ergibt sich aus all meinen Beobachtungen und Erfahrungen auf besonders deutliche Weise. Dann würde ich sie auch als grundsätzlich ,ruhig’ bzw. ,ausgeglichen’ bezeichnen, das ist ein sehr charakteristischer Zustand für sie. Wenn Pferde nicht mehr ruhig und ausgeglichen sind, dann läuft irgendetwas schief, dann macht der Mensch irgendetwas falsch mit ihnen. Und drittens würde ich Pferde auch als ,konservativ’ bezeichnen – nämlich hinsichtlich ihrer Einstellung zu anderen Pferden. Wir sehen bei Pferden ganz deutlich eine Vorliebe für Bekanntes, Vertrautes – ob das jetzt bei der Wahl von Sozialpartnern ist oder auch bei der Auswahl von Futtermitteln. Diese Einstellung macht im täglichen Leben eines Pferdes auch absolut Sinn, weil sich in der Natur die Dinge für das Pferd nicht so schnell ändern – und jede Änderung eine potentielle Gefahr darstellen könnte.

ProPferd: Was sind für Sie die häufigsten Fehler, die man im Umgang mit Pferden macht – meist in bester Absicht?

Dr. Krüger (lacht): Für mich ist der Kardinalfehler, den viele Menschen im Umgang mit Pferden begehen, die Inkonsequenz. Pferde profitieren am allermeisten davon, wenn sich der Mensch eindeutig, klar und auch gleichmäßig verhält. Man muß dem Pferden vom ersten Moment an zeigen, was man akzeptiert und was man nicht oder nicht mehr akzeptiert. In der Natur ist das ranghöchste Pferd nicht immer jenes, das sofort straft und austeilt. Der schaut sich das Verhalten seiner Gruppenmitglieder das eine oder andere mal an und läßt auch was durchgehen – aber wenn es nicht aufhört, dann gibt’s mal eine saftige Strafe. Der perfekte Horseman wäre aus meiner Sicht ein kulanter, selbstsicherer Chef, der auch schon mal ein geringes Fehlverhalten akzeptiert, der das aber im Auge hat – und wenn er sieht, daß das nicht aufhört, dann gibt es schnell auch mal eine Strafe. Wobei in diesem Zusammenhang das Wörtchen ,schnell’ eine große Bedeutung hat – denn es kommt tatsächlich auf die Geschwindigkeit und den zeitlichen Zusammenhang an. Nach einer mißlungenen Lektion oder wenn irgendetwas am Reitplatz nicht geklappt hat abzusteigen, das Pferd in die Box zu führen und dort in irgendeiner Weise zu ,bestrafen’ – das ist der größte Fehler, den man als Reiter machen kann. Dann bricht für das Pferd die Welt zusammen – weil das Pferd die Bestrafung in der Box überhaupt nicht mehr mit seinem Fehlverhalten am Reitplatz in Zusammenhang bringen kann. In unseren Leitlinien für die Reitausbildung steht ja auch, man soll – wenn man schon straft – immer die Reihenfolge ,Drohen – leichte Strafe – schwere Strafe’ einhalten. Wenn man das konsequent einhält, dann weiß das Pferd sehr schnell, wann es wie reagieren muss. Denn eigentlich ist ja schon der Schenkeldruck eine Art ,Drohung’ – auf die das Pferd sofort reagieren soll. Wenn man allerdings zehn Mal droht, und es passiert danach nichts, dann hat das Pferd relativ schnell begriffen, daß es damit gut durchkommt.

ProPferd: Wie würden Sie denn derzeit unseren Wissensstand in Sachen Pferd einschätzen – auf einer Skala von 0 bis 100 %? Wie groß ist unser Wissen über Pferde?

Dr. Krüger: Ich würde das bei etwa 50 % ansetzen. Es sieht heute in der Tat viel, viel besser aus als noch vor zehn Jahren, damals gab es nicht viel Forschung rund ums Pferd. So richtig in Gang kam die erst vor 10, 15 Jahren – aber seitdem entwickelt sie sich rasant, und ich finde es wirklich toll zu beobachten, wieviele gute Arbeitsgruppen mittlerweile bestehen. Aber es gibt trotzdem noch viele ,Baustellen’, wo ich mir sicher bin, daß wir viele Dinge beim Pferd in den Ansätzen noch nicht richtig verstanden haben. Ein Beispiel ist die Sinneswahrnehmung, die mir persönlich immer noch große Rätsel aufgibt. Wir bekommen immer wieder Erzählungen zu hören über blinde Pferde. Diese blinden Pferde sind in ihrer Orientierung so unglaublich geschickt, daß mir nicht klar ist, welche Sinne sie dafür in welcher Weise heranziehen. Es gibt eine Geschichte von der Pferdeklinik in München, da wurde ein blindes Pferd hingebracht, das operiert werden sollte. Die Besitzerin meinte, sie tut ihrem Pferd etwas Gutes und ging mit ihm vor der OP noch in den englischen Garten ausreiten. Als sie etwa drei Kilometer von der Klinik entfernt war, fiel die Besitzerin vom Pferd – und das Pferd lief dann alleine zurück zur Klinik. Da stelle ich mir schon die Frage: Wie und mit welchen Sinnen konnte das Pferd die Klinik überhaupt finden? Wir sind als Menschen immer so stark visuell und auf Sicht eingestellt, weil das einfach unsere primäre Sinneswahrnehmung ist – für das Pferd scheint das gar nicht so wichtig zu sein. Das ist so eine Frage, die mich in den letzten Jahren immer mehr beschäftigt, weil ich mir denke: Da sind wir noch nicht so wirklich weit, da fehlt uns noch entscheidendes Wissen.

ProPferd: Eine unglaubliche Geschichte...

Dr. Krüger: Ein anderes Forschungsprojekt, das uns gerade sehr umtreibt, ist das innovative Verhalten bei Pferden. Das ist ein Thema, das bislang noch kaum behandelt worden ist, weil man davon ausging, daß Pferde nicht innovativ sind. ,Innovativ’ ist quasi der Gegensatz zum sozialen Lernen: Beim sozialen Lernen schaut das Pferd bei anderen zu und ahmt dieses Verhalten nach – beim innovativen Lernen ist es so, daß Pferde selbst, für sich ganz persönlich Lösungen finden müssen, um ein Problem zu lösen. Ich habe mit meinen Studenten vor etwa zweieinhalb Jahren begonnen, eine Website aufzubauen und einfach Berichte von Pferdebesitzern zu sammeln, in denen sie über ungewöhnliches Verhalten ihrer Pferde erzählen. Es ist ganz unglaublich, was da zusammenkommt. Ich habe es nicht für möglich gehalten – aber wir haben jetzt schon acht Berichte über Werkzeug-Gebrauch durch Pferde, und damit haben wir eigentlich am allerwenigsten gerechnet: Pferde, die Stöcke verwenden, um irgendwo noch Futterreste herauszukriegen, um sich selbst am Bauch zu kratzen oder sonstige Dinge. Das ist so ein Beispiel, wo ich mir denke, daß es doch noch vieles bei Pferden zu entdecken gibt und daß da noch manche Überraschung auf uns wartet.

ProPferd: Sehr faszinierend – ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch!

Das Interview mit Prof. Dr. Konstanze Krüger führte Leopold Pingitzer.


ZUR PERSON

Prof. Dr. Konstanze Krüger wurde am 22. 1. 1968 in Köln geboren. Sie schloss 1994 das Studium der Veterinärmedizin an der Ludwig-Maximilian-Universität ab. Im Jahr 1995 erlangte sie die Doktorwürde am Lehrstuhl für Histologie von Prof. Liebich. Weiters entschloss sie sich in diesem Jahr zur freien Mitarbeit an der Universität und Hospitanz in der Pferdeklinik der Ludwig-Maximilian-Universität. Der ursprüngliche Wunsch nach dem Beruf der Fachtierärztin für Pferde wurde ihr im Alter von 27 Jahren durch einen langwierigen Bandscheibenvorfall vereitelt.

Schon während ihres Studiums beritt sie Pferde gemeinsam mit ihrem Ehemann Knut Krüger, ab 1999 leitete sie dann zusammen mit ihm einen Reitbetrieb. Knut Krüger ist Berufsreiter und genoss eine klassische Reitausbildung bei Paul Stecken – seine Spezialität ist eine solide und schonende Grundausbildung bzw. auch das Training von rekonvaleszenten Pferden.

Durch Dr. Krügers Erlebnisse mit Pferden und diversen Trainern bzw. auch durch das Bekannterwerden verschiedener „Pferdeflüsterer“ zu dieser Zeit wurde das Interesse, hinter die verschiedensten Methoden und Verhaltensweisen zu blicken, immer größer.
Schließlich kehrte sie 2005 wieder an die Universität zurück und hat sich im Bereich Zoologie der Biologischen Fakultät Regensburg habilitiert, Thema: „Soziales Lernen und Kognition bei Pferden“. Heute lehrt und forscht sie als Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU Nürtingen-Geislingen) und arbeitet als Privatdozentin an der Universität Regensburg.

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