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So wichtig ist Schlaf für Pferde
15.03.2016 / Wissen

Lebenswichtiger Schlaf: Ein Schlafdefizit kann weitreichende Folgen für die physische und psychische Gesundheit eines Pferdes haben.
Lebenswichtiger Schlaf: Ein Schlafdefizit kann weitreichende Folgen für die physische und psychische Gesundheit eines Pferdes haben. / Foto: Martin Haller
In der Brust-Bauch-Lage der sogenannten Schlummer-Phase sind Pferde jederzeit fluchtbereit.
In der Brust-Bauch-Lage der sogenannten Schlummer-Phase sind Pferde jederzeit fluchtbereit. / Foto: Archiv
Fohlen benötigen viel Schlaf, um groß und stark zu werden – die Mutter hält dabei Wache.
Fohlen benötigen viel Schlaf, um groß und stark zu werden – die Mutter hält dabei Wache. / Foto: Archiv

Schlaf ist nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Pferde wichtig. Pferde schlafen aber nur unter bestimmten Voraussetzungen wirklich tief und erholsam – ProPferd-Autorin Sylke Schulte hat die wichtigsten zusammengestellt.

 

Pferde schlafen im Stehen; Pferde haben keinen Schlafrhythmus; Pferde schlafen nie wirklich – viele Gerüchte und Mutmaßungen kursieren über das Schlafverhalten der Pferde, dabei ist es weitgehend – wie fast alle seine Verhaltensweisen – durch seine Natur als Herden- und Fluchttier erklärbar. Pferde sind Herdentiere, die in freier Wildbahn im Verbund umherziehen auf der Suche nach Nahrung.

Da sie lediglich über sehr begrenzte Möglichkeiten verfügen, sich gegenüber ihren Feinden zu verteidigen, hat die Natur sie mit hochleistungsfähigen Sinnesorganen ausgestattet, die sie bei drohender Gefahr sofort in Alarmbereitschaft versetzen und auf eine plötzliche Flucht vorbereiten. In der Natur verbringen Pferde außerdem über die Hälfte des Tages mit der Nahrungsaufnahme. Den Großteil der verbleibenden Zeit – rund sieben bis neun Stunden am Tag – verbringen die Pferde zumeist ruhend, in der einen oder anderen Form.

Schlafforschung bei Pferden
Dr. Anna-Caroline Wöhr von der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München beschäftigt sich seit fünf Jahren intensiv mit dem Schlafverhalten von Vierbeinern, das bisher hauptsächlich durch Beobachtungen untersucht wurde, was zu sehr subjektiven Ergebnissen führte. „Objektive Messungen, wie sie in der Humanmedizin im Schlaflabor verwendet werden, erhält man durch sogenannte polysomnographische Untersuchungen, die aber bei Pferden bislang auf Grund des hohen technischen Aufwandes nur unzureichend möglich waren und sich auf Aufzeichnungen während der Narkose oder invasiv mittels implantierter Elektroden am fixierten Tier beschränkten. Durch die Einführung mobiler Polysomnographen und kabelloser Datenübertragung stehen nun Geräte zur Verfügung, mit deren Hilfe nicht-invasive Schlafuntersuchungen prinzipiell auch bei Tieren möglich sind und verschiedene Schlafstadien bestimmt werden können, da sie eine Untersuchung in der gewohnten Umgebung ermöglichen.“

Drei Ruhephasen
Leider lassen die neuen Untersuchungen noch keine konkreten Angaben zu, um das Schlafverhalten von Pferden eindeutig charakterisieren und interpretieren zu können. Dennoch haben die bisherigen Forschungen zumindest einiges Wissen über den Schlaf von Pferden zutage gefördert.

Üblicherweise unterscheidet man drei verschiedene Ruhephasen, je nach neurophysiologischer Intensität: „Dösen“ oder in der Fachsprache auch „Schildern“ genannt, „Schlummern“ und „Tiefschlaf“, wobei die unterschiedlichen Stadien nicht immer klar voneinander abgrenzbar sind, weshalb sich in der Fachliteratur durchaus auch noch feinere Differenzierungen finden. Diese Ruhe- oder Schlafphasen werden über den ganzen Tag verteilt und dauern im Schnitt jeweils etwa 20 Minuten.

Phase 1: Dösen
Beim sogenannten Schildern stehen die Pferde entspannt, oft mit halb geschlossenen Augen, hängender Unterlippe und locker nach außen gestellten Ohren, wobei sie meist ein Hinterbein im Wechsel entlasten. Aufgrund einiger anatomischer Besonderheiten ist es Pferden möglich, Muskelpartien zu lockern und sich zu erholen, ohne sich dabei hinlegen zu müssen. Diese Fähigkeit ermöglicht es ihnen, unmittelbar auf Außenreize zu reagieren und ohne Verzögerung vor Feinden zu flüchten – eine Art der Entspannung, die für Fluchttiere überlebensnotwendig sein kann. 70–80 Prozent der Ruhephasen verbringen die Pferde in dieser Stellung.

Phase 2: Schlummern
Im Unterschied zum Dösen, legen sich die Pferde beim Schlummern in die Brust-Bauch-Lage – die Beine unter dem Körper angewinkelt, der Kopf wird getragen oder abgestützt. Das meist völlig ausbleibende Ohrenspiel ist ein Hinweis auf die Tiefenentspanntheit beim Schlummern. Trotzdem sind die Pferde in der Lage, beim ersten Anzeichen von Gefahr innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder auf den Beinen und damit fluchtbereit zu sein – ein Grund warum ältere Pferde oder tragende Stuten das Hinlegen oft vermeiden, brauchen sie oftmals doch eine bedeutend längere Zeit, um „wieder auf die Beine zu kommen“. Diese Art der Entspannung kommt dem eigentlichen Schlafen bereits näher, Reflexe wie Schweif- oder Kopfschlagen zur Abwehr von Plagegeistern wie Fliegen, sind kaum noch erkennbar.

Phase 3: Tiefschlaf
Für den Tiefschlaf, den nur Pferde wagen, die sich in ihrer Umgebung hundertprozentig sicher fühlen, legt sich das Pferd flach auf den Boden und scheint in diesem Stadium wie weggetreten. Kopf, Hals und Rumpf ruhen dabei am Boden. Atmung und Herzschlag werden wie beim Menschen langsamer, die Augen sind geschlossen. Wie lange ein Pferd in dieser Position verharrt, hängt auch von seinem Gewicht ab, da im Liegen die Schwerkraft Atmung und Blutzirkulation beeinflusst. Am häufigsten konnten Tiefschlafphasen zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden beobachtet werden. Das Aufwachen und Orientieren dauert während dieser Phase ein paar Sekunden länger, die dem Pferd in freier Natur im Ernstfall allerdings das Leben kosten könnten. Aus diesem Grund verharren Pferde auch selten lange in dieser Position. In diesem Zustand gibt das Pferd manchmal Laute von sich, zuckt mit den Ohren, Beinen oder Augenliedern – Zeichen für lebhafte Träume von Wettrennen auf grünen Wiesen? Diplom Pferdepsychologin und Verhaltenstherapeutin Daniela Bühler zum Thema träumende Pferde: „Es gilt nicht als gesichert, ob Pferde träumen – man geht allerdings davon aus, dass es mit einiger Wahrscheinlichkeit etwa wie bei Menschen abläuft.“ Gerade bei Fohlen sind Bewegungen der Gliedmaßen im Tiefschlaf häufig zu beobachten – was in der Tat auf eine Verarbeitung der vielen neuen und aufregenden Reize und Informationen hindeutet.

Ruhelose Pferde?
Angesichts der Tatsache, dass auf unseren heimischen Weiden eher selten natürliche Fressfeinde gesichtet werden, die den Pferden tatsächlich gefährlich werden könnten, mag man sich fragen, warum Pferde auch nach Jahrhunderte währender Domestizierung durch den Menschen nicht die Ruhe finden, „sich einmal ordentlich auszuschlafen“. Doch das Motto „Allzeit bereit“ hat sich im Laufe der equinen Evolution bewährt und den Pferden das Überleben gesichert. Dennoch ist Schlaf auch für Pferde überaus wichtig, da er, wie beim Menschen, unter anderem wichtige restorative Funktionen erfüllt. Doch warum wird dann nicht immer in der maximalen Tiefe geschlafen? Dr. Wöhr erklärt: „Dies liegt zum Einen daran, dass die weniger intensiven Stadien ‚durchschlafen‘ werden müssen, um in den Tiefschlaf zu gelangen. Die verschiedenen Funktionen des Schlafes finden dann in den verschiedenen Stadien der Schlafzyklen statt, so dass alle Stufen nötig sind. Hinzu kommt, dass die höhere Vigilanz (Aufmerksamkeitsleistung, Anm.) des flachen Schlafes das Tier vor Fressfeinden schützt.“ Körperlich regenerieren können Pferde auch im Stehen, lediglich die REM-Phase zur geistigen Regeneration findet nach Dr. Wöhr vermutlich vorwiegend im Liegen statt.

Schlafrhythmus und Ruhezeiten
Hauptruhephasen sind vor allem morgens, mittags und nachts, wobei jedes Pferd einen eigenen, individuellen Schlafrhythmus hat, der natürlich vom Verhalten der anderen Mitglieder der Herde beeinflusst wird. Auch andere Faktoren, wie das Alter und Geschlecht des Pferdes, Temperatur, Jahreszeit, Nahrungsangebot und Rang in der Herde können entscheidenden Einfluss auf das Ruheverhalten des Pferdes haben. Eine nicht zu unterschätzende Rolle in Bezug auf die Ruhephasen des Pferdes spielt zweifellos der Mensch. Wir bestimmen nicht nur die Haltungsbedingungen und das Nahrungsangebot unserer Pferde sondern auch ihren Tagesrhythmus – und beeinflussen das Leben unserer Vierbeiner dadurch maßgeblich. Jeder, der sein Pferd schon einmal zu einer für das Pferd völlig unüblichen Tages- oder Nachtzeit zu einer extra Trainingseinheit oder einem Ausritt überreden wollte, dürfte dabei zumindest mildes Erstaunen geerntet haben – bei sprichwörtlichen Gewohnheitstieren vielleicht sogar auf strikte Arbeitsverweigerung gestoßen sein. Auch da scheinen die lieben Pferde uns Menschen ähnlich zu sein...

Schlaf ist wichtig!
Jeder Halter sollte seinem Pferd ausreichend Ruhe- und Schlafphasen gönnen, denn auch Pferde werden nicht gerne aus dem Schlaf gerissen. Ein Schlafdefizit kann weitreichende Folgen für die physische und psychische Pferdegesundheit haben.  Daniela Bühler erklärt: „Hinweise auf ein Schlafdefizit des Pferdes können zum Beispiel stumpfes Fell, ein nach Innen gekehrter Blick, ein Schwanken beim Dösen und Gleichgewichtsprobleme sein.“ Ein langfristiges Schlafdefizit führt auch beim Pferd nicht nur zu einem deutlichen Leistungsabfall, sondern kann auch zu schweren Verhaltensauffälligkeiten und letztendlich zu einer verkürzten Lebenserwartung führen. Für ihre Ruhephasen bevorzugen Pferde leicht erhöhte und übersichtliche Orte mit möglichst uneingeschränkter Sicht, um Feinde frühzeitig zu bemerken. Dabei orientieren sich die rangniederen Tiere an den ranghöheren. Legt sich das ranghöchste Pferd schlafen, folgen die anderen meist innerhalb einiger Minuten. Mindestens ein Herdenmitglied bleibt jedoch immer stehen und hält Wache.

Haltung optimieren
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich einige mögliche Optimierungen für die Pferdehaltung ableiten. Grundvoraussetzung für eine vollständige Entspannung bei Pferden ist die Gesellschaft von Artgenossen. Pferde in Einzelhaltung, die nicht einmal Geruchs-, Hör- oder Sichtkontakt zu anderen Pferden haben, also von der Herde isoliert wurden, sind in freier Wildbahn ein leichtes Opfer für Fressfeinde. Als Herdentier verlässt sich das Pferd auf den wachhabenden Kollegen, der frühzeitig vor Gefahr warnen kann. Völlige Sicherheit und Entspannung ist also nur im Herdenverband möglich, wobei bei artgerechter Herdenhaltung die sogenannte Individualdistanz gewährleistet sein muss. Um vollständig entspannen zu können, benötigen Pferde eine Fläche von ungefähr sechs Quadratmetern. Steht diese Fläche nicht zur Verfügung kann es innerhalb der Herde zu Unruhen und Auseinandersetzungen kommen, was wiederum dazu führt, dass rangniedrigere Tiere sich nicht sicher genug fühlen, um sich hinzulegen. Diese Individualdistanz spielt nicht nur bei Herdenhaltung eine Rolle, sondern auch bei konventioneller Boxenhaltung: Auch hier wurde beobachtet, dass Pferde, bei denen diese Distanz unterschritten wurde, sich zum Ruhen selten oder nie hinlegen.

Trockener Untergrund
Für ihre Ruhephasen bevorzugen Pferde außerdem einen trockenen, nicht rutschigen Untergrund, auch dies muss durch regelmäßiges Ausmisten, trockene Einstreu und Abmisten der Weiden gewährleistet sein, um Entspannung zu garantieren. Ruheplätze sollten außerdem unbedingt zugfrei sein. Untersuchungen zeigen, dass, wenn die Einstreu einen Feuchtigkeitsgehalt von 60 % übersteigt, die Liegezeiten der Pferde verkürzt werden. Sind die Boxen nur mit Gummimatten ausgelegt, verkürzt sich die Liegezeit sogar um bis zu 70 % verglichen mit Pferden mit Stroh als Einstreu.

Schlafverhalten beobachten
Jeder Pferdehalter sollte das Schlafverhalten seines Vierbeiners im Auge behalten, um gegebenenfalls die Haltung auch im Hinblick auf das Ruheverhalten seines Pferdes zu optimieren. Die Schlafgewohnheiten unserer Pferde lassen viele Rückschlüsse auf sein Temperament, den Charakter und das Befinden zu. Bleibt das Pferd zum Beispiel liegen, wenn sich Menschen nähern, ist dies entweder für das Fluchttier Pferd der größte Vertrauensbeweis, den es uns entgegenbringen kann – oder ein Hinweis auf Schmerzen. In diesem Fall sollte unbedingt ein Tierarzt konsultiert werden. Daniela Bühler bringt das Thema Pferdezufriedenheit folgendermaßen auf den Punkt.: „Die Haltung ist das zentrale Thema für jeden Pferdebesitzer: Nur Pferde, deren natürlich Bedürfnisse erfüllt sind, sind psychisch ausgeglichen und werden dem Reiter Freude bereiten.“
Sylke Schulte

CHECKLISTE
Anzeichen für zu wenig Schlaf bei Pferden
ο        stumpfes Fell
ο        nach innen gekehrter Blick
ο        Abgeschlagenheit
ο        Gleichgewichtsstörungen
ο        Leistungsabfall
ο        verminderte selektive  Aufmerksamkeit
ο        Verhaltensauffälligkeiten

Kommentare

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1) dididi: Vielen Dank für’s Ansprechen dieser enorm wichtigen Thematik!! Jedoch sind in diesem Artikel leider die Bezeichnungen und Eigenschaften der Schlafphasen verwechselt worden. Ausserdem kommen die drei Schlafphasen nicht nur in jeweils einer Liegeposition vor. Man unterscheidet Dösen, Tiefschlaf (auch SWS-Schlaf = short wave sleep) und REM-Schlaf (rapid eye movements; oft fälschlicherweise als Tiefschlaf bezeichnet). Dösen und Tiefschlaf können beide im Stehen UND im Liegen geschlafen werden, da in diesen Schlafphasen die Muskulatur immer noch aktiv ist. Für den REM-Schlaf ist allerdings eine komplette Muskelentspannung nötig, weswegen sich das Pferd für diese Phase zwingend hinlegen muss. Geht es im Stehen in diese Phase über (wenn es sich z.B. nicht oft genug und lange genug hinlegt), bricht das Pferd zusammen (= „Pseudonarkolepsie“). Für den REM-Schlaf (in diesem Artikel mit Tiefschlaf bezeichnet) muss sich das Pferd zwar hinlegen, allerdings kann diese komplette Muskelentspannung auch in Bauchlage mit abgestütztem Kopf zustande kommen. Pferde, die nie in Seitenlage (also komplett flach) liegen, müssen also nicht an REM-Schlafmangel leiden! Allerdings: ein Pferd, das sich grundsätzlich nicht hinlegt, kann keinen REM-Schlaf schlafen und somit sein Schlafbedürfnis nicht komplett decken.
Dienstag, 15. März 2016

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