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Analyse: Warum soviele Unfälle mit Pferdegespannen passieren
20.04.2016 / Wissen

Mangelhafte Ausbildung sowie Sorg- und Gedankenlosigkeit zählen zu den Hauptursachen für Unfälle mit Pferdegespannen.
Mangelhafte Ausbildung sowie Sorg- und Gedankenlosigkeit zählen zu den Hauptursachen für Unfälle mit Pferdegespannen. / Symbolfoto: Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke
Eine Verbesserung der Fahrausbildung wäre ein geeignetes Mittel, die Zahl der Gespann-Unfälle zu reduzieren.
Eine Verbesserung der Fahrausbildung wäre ein geeignetes Mittel, die Zahl der Gespann-Unfälle zu reduzieren. / Foto: Dr. Reinhard Kaun/www.pferd.co.at

Kaum hat die Fahr-Saison begonnen, häufen sich auch die Meldungen über Gespann-Unfälle. Warum verunglücken gerade Pferdegespanne so häufig – der Sachverständige Dr. Reinhard Kaun analysiert die wichtigsten Unfall-Ursachen.

 

„Das klassische Unfallmuster“ kann nach der Analyse von Fahrunfällen aus drei Jahrzehnten nicht abgelesen werden, gemeinsam ist jedoch (fast) allen Gespannunfällen, dass sie als Rasanztrauma bzw. Hochrasanztrauma  ablaufen, woraus die Schwere der Verletzungsmuster der beteiligten Menschen und Pferde abzuleiten ist.
Geht man aber von sich wiederholenden Profilen aus, so sind es in heutiger Zeit, also seit etwa 1980, in der es  gewerbliche Fuhrwerke zur Lastenbeförderung  im eigentlichen Sinne nur mehr vereinzelt gibt, drei Gruppen, denen die Haupt-Unfallverursacher zuzuordnen sind:
1.    Ambitionierte, (aber häufig überforderte) Turnierfahrer
2.    Schlecht ausgebildete und (häufig) schlecht ausgerüstete Freizeitfahrer
3.    Unbelehrbare Fahrer im Tourismusgeschäft.

Die deutliche Zunahme schwerer Unfälle mit Pferdegespannen in den letzten 20 Jahren scheint vordergründig zunächst mit der großen Beliebtheit, der sich Gespannfahren in Österreich, Deutschland und vielen anderen Ländern erfreut, zusammenzuhängen; tatsächlich scheinen die Gründe jedoch tiefer zu liegen. Mit dem Aufbau eines geregelten Pferdesports zu Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts trat auch eine „neue“ Schicht an Pferdehaltern, Reitern und Fahrern auf den Plan, nämlich Menschen, die dem Pferde weniger durch Beruf oder Tradition verbunden waren, sondern einen Freizeitpartner suchten und fanden. Der wachsende Wohlstand erlaubte fast Jedermann, sich in die Reihen der zu früheren Zeiten eher dünn gesäten Equipagen- und Stallbesitzer einzufügen, ohne dass jedoch das über Jahrhunderte – ja Jahrtausende über das Pferd verfügbare Wissen miterworben worden wäre. Ein beachtliches Bankkonto, ein Wagen des besten Wagenbauers unserer Zeit, Pferde aus Zucht und Abstammung der Extraklasse, exzellente oder protziger Geschirre, eine „Herren-ähnliche“ Verkleidung am Kutschbock oder ein Transportfahrzeug um sechsstellige Geldbeträge – all diese Faktoren können Pferdekenntnis oder gute Fahrausbildung nicht ersetzen.

Quereinsteiger absolvieren in Eile einen dreitägigen Fahrkurs, ohne Wissen und Können über und mit Pferden mitzubringen, werden  Österreichweit von einer Handvoll „wohlwollender und kooperativer“ Richter geprüft und in den Straßenverkehr oder in den wettbewerbsmäßigen Pferdesport entlassen.

Schlechte Ausbildung, Dummheit, Gedankenlosigkeit, Verlust des Hausverstandes und Arroganz sind die wahren Gründe für die vielen und schweren Unfälle.

Man mag nun einwenden, dass auch erfahrene Pferdeleute bei Ausübung des Fahrsportes  immer wieder zu Schaden, sogar  zu Tode kommen: dies ist kein Widerspruch, sondern der Beweis dafür, dass das „unberechenbare, von seinen Trieben und Instinkten geleitete Fluchttier Pferd“ schon eo ipso gefährlich und der Umgang mit ihm stets risikobehaftet ist.

Flucht, Durchgehen und somit vorübergehender oder totaler Kontrollverlust über ein Reitpferd hat eine andere Dynamik als Durchgehen eines Gespannes. Ein einigermaßen „sitzender“ Reiter kann sein Pferd meist wieder unter Kontrolle bringen,  schwere Verletzungen von Reitern (oder anderen Personen) durch  durchgehende Reitpferde sind eher selten.

Bei Gespannpferden kommt neben der Eigen-Energie der Pferde noch die  kinetische Energie des gezogenen Wagens dazu, der jedes Mal, wenn die im Durchgehen begriffenen Pferde langsamer würden,  nach dem Prinzip von [Masse x Beschleunigung] den (Stangen-)Pferden hinten aufrollt und sie dergestalt neuerlich antreibt. Das Grundtempo wird also wiederholt „geboostert" – solange, bis die Pferde entweder erschöpft auslaufen oder durch ein Hindernis aufgehalten werden. Ist der Wagen einmal zu Bruch gegangen, sind es vielfach die noch an den Strängen hängenden Ortscheite, die den Pferden Schläge auf die Röhren die Hinterextremitäten zufügen und sie treiben.

Beim Mehrspänner kommt zusätzlich noch das Phänomen der „Massenpanik“ ins Spiel, die die vielfache Kraft bei zusätzlicher Erhöhung der Geschwindigkeit zu einer desaströsen Wirkung führen.

Kurz zurück zu den drei Gruppen von Unfallverursachern:

Turnierfahrer: Trotz vieler brenzliger Situationen ist die Unfallhäufigkeit bei Fahrturnieren relativ gering. Sponsordruck, rücksichtsloser Siegeswille und Pferde, die schneller sind, als die Gedanken und Reaktionsfähigkeit des Fahrers  sind die Motive und Hintergründe, die bei Analyse häufig zutage treten.

Freizeitfahrer: Der in seiner Freizeit und ohne  Leistungsdruck dem Fahrsport anhängende Mensch unterliegt nicht selten der naiven Auffassung, dass seinen Pferden bewusst wäre, dass sie „Freizeitpferde“ sind und sich dementsprechend verhalten würden. Er glaubt, dass  die in einem Schnellsiedekurs erworbene Qualifikation zum „Bronzenen Fahrabzeichen“ tatsächlich ein „Kutschenführerschein“ ist, ein Umstand, der zur vermeintlichen Entlastung eines Unfallverursachers immer wieder von den Rechtsvertretern vor Gericht vorgebracht wird. Trotz seiner Ausbildung hat der Freizeitfahrer aber vielfach keine Hemmungen, auf einen Beifahrer zu verzichten, Reittrensen statt Fahrgebissen einzuschnallen und bei dichtem Nebel ohne jede Beleuchtung im Straßenverkehr unterwegs zu sein. Mangels Erfahrung mit Ausnahmesituationen  erkennt er diese weder in ihrer Entstehung noch kann er sie bei Eintritt beherrschen – aus der oben erwähnten Dynamik eines durchgehenden Gespannes ist der (schwere) Verkehrsunfall vorprogrammiert.

Die unbelehrbaren Fahrer im Tourismusgeschäft sind von besonderem Übel, weil sie – sich als alte und erfahrene „Rössler“ fühlend – mit nicht unerheblicher Arroganz auf jede Sicherheitsempfehlung herabschauen und diese belächeln – auch wenn sie bereits einige schwere Unfälle hinter sich haben. Als „Alibi“ haben sie in vielen Fällen die immer wieder fälschlicherweise als „Kutschenführerschein“ angesprochene Prüfung zum Bronzenen Fahrabzeichen absolviert, jedoch nicht in der Absicht, den Lehrstoff in Hinblick auf Anspannung, Wagen, Ausrüstung, Leinenführung oder Sicherheit auch nur ansatzweise umzusetzen.

Ahnungslose Urlauber geben in naiver Freude ihr Leben in die Hände solcher Himmelfahrtskutscher, setzen dümmlicherweise  auch noch ihre Kinder auf den Kutschbock, die Fahrgäste besteigen bei angespannten Pferden den Wagen, ohne dass der Kutscher an den Leinen ist usw. usw..

Die meisten Unfälle im touristischen Fahren ereignen sich – nach einer Ruhepause am Zielort – auf der Heimfahrt, die Pferde sind wieder frisch und streben mit Schwung  (und bergab) dem heimatlichen Stall zu. Drei schwer verletzte Kinder, vier zum Teil sehr schwer und drei leicht verletzte Personen war die Bilanz eines dieser Unfälle: drei Notarzthubschrauber, 25 Mann der Bergrettung    und des Rettungsdienstes mit 10 Fahrzeugen waren vonnöten, um die Verletzten zu bergen. Die Pferde waren ebenfalls schwer zu Schaden gekommen – unverletzt blieb der Kutscher, denn er war nicht in der Nähe, als sie Pferde durchgingen!

Durchgehende Pferde und Folgeunfälle wird es geben, solange der Mensch mit Pferden lebt, arbeitet oder Sport betreibt.

Dennoch ist es höchst an der Zeit, durch Aufklärung der Schwere und Häufigkeit von Pferde bedingten Unfällen gegenzusteuern. Dazu geeignete Mittel sind wissenschaftliche Unfallanalysen sowie die Verbesserung der Ausbildung.

 

Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun ist Fachtierarzt für Pferdeheilkunde, Fachtierarzt für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin sowie Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger (Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Pferdewissenschaften) Kontakt: 2070 Retz, Herrengasse 7, Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at

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