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Der Kappzaum – ein verkanntes Genie
18.03.2015 / Wissen

Das Großpferde-Modell der Marke Solibel von Busse, das beinahe alle Merkmale eines guten, anatomisch korrekten Kappzaums besitzt. Das kleinere Ponymodell der Firma ist ebenfalls sehr ausgereift.
Das Großpferde-Modell der Marke Solibel von Busse, das beinahe alle Merkmale eines guten, anatomisch korrekten Kappzaums besitzt. Das kleinere Ponymodell der Firma ist ebenfalls sehr ausgereift. / Foto: www.karinhaas.com
Ein recht preiswerter portugiesischer Kappzaum, der zwar ein durchgehendes Naseneisen aufweist, jedoch etwas derb ausgeführt ist und nicht optimal angepasst werden kann.
Ein recht preiswerter portugiesischer Kappzaum, der zwar ein durchgehendes Naseneisen aufweist, jedoch etwas derb ausgeführt ist und nicht optimal angepasst werden kann. / Foto: www.karinhaas.com
Derzeit stark en vogue sind Kappzäume mit einer ummantelten Kette statt eines Naseneisens. Wegen der eher schwammigen Wirkung und der diffizilen Anpassung als eher suboptimal zu bezeichnen.
Derzeit stark en vogue sind Kappzäume mit einer ummantelten Kette statt eines Naseneisens. Wegen der eher schwammigen Wirkung und der diffizilen Anpassung als eher suboptimal zu bezeichnen. / Foto: www.karinhaas.com
Das Modell, welches die Spanische Reitschule Wien einsetzt: ein nahezu perfekter Kappzaum, der leider nur von wenigen Herstellern im Hochpreissegment erzeugt wird – sein Geld aber durchaus wert ist.
Das Modell, welches die Spanische Reitschule Wien einsetzt: ein nahezu perfekter Kappzaum, der leider nur von wenigen Herstellern im Hochpreissegment erzeugt wird – sein Geld aber durchaus wert ist. / Foto: www.karinhaas.com
Manche Ausbildner lehren noch heute das Reiten in klassischer Tradition, wobei die Pferde am Kappzaum grundausgebildet wurden, ehe sie mit dem Gebiss – oft auch gleich der Kandare – Bekanntschaft machten.
Manche Ausbildner lehren noch heute das Reiten in klassischer Tradition, wobei die Pferde am Kappzaum grundausgebildet wurden, ehe sie mit dem Gebiss – oft auch gleich der Kandare – Bekanntschaft machten. / Foto: www.karinhaas.com
Longieren und die vorbereitende Arbeit an der Hand erleichtern das Anreiten ungemein – beim am Boden gut vorbereiteten Pferd gerät es beinahe zur Formalität.
Longieren und die vorbereitende Arbeit an der Hand erleichtern das Anreiten ungemein – beim am Boden gut vorbereiteten Pferd gerät es beinahe zur Formalität. / Foto: www.karinhaas.com

Der Kappzaum ist eine der ältesten Formen eines gebisslosen Zaumzeugs und ein wertvolles, heute leider vielfach vernachlässigtes Ausbildungsmittel. Martin Haller hat es näher unter die Lupe genommen.

 

Der seltsame Name des Kappzaums ist nicht einfach zu erklären, kommt er doch vermutlich vom lateinischen Wort caput für Kopf oder Haupt; in der Verballhornung könnte vor langem daraus „Kappzaum“ geworden sein. Der Name ist Programm, denn diese Zäumung wirkt nur über die Schädelknochen, genauer das Nasenbein des Pferdes ein, und nicht über das Maul. Seit langem findet der Kappzaum Anwendung im Ausbildungsbereich, sowohl an der Hand und an der Longe als auch unter dem Reiter. Früher waren diese drei Bereiche etwa gleichwertig und auch gleich häufig, heute liegt das Schwergewicht eindeutig beim Longieren, und auch das nur mehr fallweise. Leider wird auf den Kappzaum meist ganz verzichtet, stattdessen weicht man auf das mit einigen Nachteilen verbundene Longieren von der Trense aus. Zudem kommen allerhand „Hilfskonstruktionen“ zur Anwendung, die aber nur selten sinnvoll sind und oft das empfindliche Pferdemaul beeinträchtigen.

Zur Entwicklungsgeschichte
Frühe Kappzäume dürfte es schon in der Bronzezeit oder zur nachfolgenden Zeit der Kelten – der Eisenzeit – gegeben haben, besonders in Spanien und Nordafrika. Möglicherweise hat sich die gebisslose Zäumung aus jener für Kamele und Esel entwickelt. In Spanien (damals Iberien) hat man die Reiterei mit Kappzaum schon früh praktiziert und für Pferde eingesetzt. Daraus entstand die Tradition der klassischen Reitkunst der iberischen Länder, welche ganz Europa und später Amerika beeinflusste. Spanien und Südamerika kennen noch verschiedene Formen der Einwirkung über den Naserücken und setzen sie bis heute ein, allerdings nicht immer in pferdefreundlicher, zeitgemäßer Form. Die glatte oder gezackte Serreta („kleine Säge), blanke Kappzäume und gezahnte Vorführzäume sind in Spanien bis heute üblich; sie alle wirken über den empfindlichen Nasenrücken des Pferdes ein. Durch Druck auf das knöcherne Nasenbein oder den Nasenknorpel (nicht erwünscht, bei uns jedenfalls tierschutzrelevant!) wird dem Pferd unbedingter Gehorsam beigebracht, was oft in aufgescheuerten Nasenrücken resultiert, die aber in Spanien nicht als Manko gelten. Einmal vernarbt, sind sie ein Beweis für die erfolgreiche Unterwerfung des (in Spanien und Portugal) meist männlichen Reittieres.

Hochblüte im Barock
Die Kappzäume (cavecons) der klassischen Reitkunst der Renaissance und des Barock waren nach unseren Begriffen zwar scharf, aber dennoch leicht und präzise. Sie erlaubten neben leichter Führung und reduzierter Hilfengebung aber auch eine deftige Einwirkung – im Kampf gegen Feind oder Stier vermutlich lebensnotwendig – und zu einer Zeit, da der schöne Schein mehr zählte als alles übrige auch kaum verwerflich. Die Kappzäume folgten dem Prinzip der damaligen Reiterei: Verwende die schärfsten Hilfsmittel (Sporen, Gebisse etc.), aber wende sie nur so leicht an, wie unbedingt nötig. In ihrer Form glichen sie der heute noch in Spanien gebräuchlichen Serreta, einer direkten Nachfolgerin bzw. modernen Variante jener barocken Modelle. Ihre schmale Nasenspange wies an der Unterseite oft kleine Zacken auf und übte schon durch Eigengewicht und Verschnallung einen gewissen Druck auf den Nasenrücken aus, der durch reiterliche Handeinwirkung verstärkt werden konnte; andere Formen waren glatt und gelenkig. Die klassischen Reitmeister waren keine Waisenknaben, dennoch finden wir in allen Schriften ständig den Hinweis auf die Empfindlichkeit des Pferdemaules und deren Erhaltenswürdigkeit! Schon bei Federico Grisone in der Renaissance – kein reiterlicher Waisenknabe – lesen wir: „Wenn du ein übel erzogenes Pferd bekommst, so reite es mit viel Aufmerksamkeit und so, als ob du einen Vogel in der Hand hieltest.“

Wischzaum und Passform
Der Wischzaum ist ein ganz einfacher Zaum, bestehend nur aus Kopfgestell und Trense; in Wien finden nur Knebeltrensen Verwendung. Name und Verwendung des Wischzaumes waren mit der Handarbeit und dem Longieren untrennbar verbunden, sind heute jedoch in Vergessenheit geraten.

Desmond O’Brien war Mitglied der Hofreitschule und ist anerkannter Barock-Ausbilder: „Die richtige Lage ergibt sich, indem man den Nasenriemen bzw. das Naseneisen ca. vier Fingerbreiten über den Nüstern anlegt.  Der Kappzaum wird an der Hofreitschule immer wie das Hannoversche Reithalfter verschnallt, der Kinnriemen also unterhalb des Trensengebisses. Der Ganaschenriemen wird immer unter den Backenstücken des Wischzaumes verschnallt. Somit können sich diese frei bewegen und drücken nicht. Lediglich bei Pferden mit extrem kurzer Maulspalte wird die englische Verschnallung verwendet, bei der das Naseneisen zwischen Jochbein und Maulspalte liegt, aber unterhalb der Backenstücke des Wischzaums.“

Die Reihenfolge beim Zäumen zur englischen Verschnallung ist wie folgt: Man legt den Wischzaum an und legt den Kappzaum mit geöffnetem Kinn- und Ganaschenriemen darüber. Dann fädelt man die Enden des Kinnriemens unter die Backenstücke des Wischzaums oder um die Nase samt Trense und schließt ihn. Danach schließt man den Ganaschenriemen so fest, dass die Backenstücke keinesfalls in die Augen drücken können. Dann hängt man den Karabiner der Longe/des Handzügels in den mittleren Nasenring ein oder schnallt zum Reiten die Kappzaum-Zügel seitlich ein.

Einige Modelle weisen zusätzliche Riemen für das Gebiss auf, so genannte Hänger, oder haben seitlich kleine Ringe in die Backenstücken eingenäht, in welche man Gebissriemchen mit Karabinern einhängen kann. Sie ersetzen den Wischzaum und sind durchaus praktisch, weil das Pferd weniger Leder zu tragen hat und es zu keinen störenden Wechselwirkungen Kappzaum-Wischzaum kommen kann. Die Hänger verlaufen über dem Kappzaum.

Der Ganaschenriemen kommt relativ weit unten zu liegen und wird am unteren Ganaschenrand ziemlich eng verschnallt; daher sein Name. Er verhindert, dass die Backenstücke beim Zug an Longe/Handzügel seitlich verrutschen und schmerzhaft in die Augen drücken – was seine wichtigste Funktion ist.

Die Anwendung
Die heutigen Pferde werden gar nicht oder nur ungenügend an der Hand auf die Longenarbeit vorbereitet, welche daher in der Regel grob und eintönig verläuft. Dazu Oberbereiter Klaus Krzisch von der Spanischen Hofreitschule: „Die vorbereitende, lösende und disziplinierende Handarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der klassischen Ausbildung. Während dieser lernt das Pferd, dem leichten, kurzen Zug (halbe Parade) an der Nase nachzugeben und die Kommandos des Menschen, welche mittels Stimme, Handzügel, Körpersprache und Gerte erfolgen, zu gehorchen. Der Übergang zur Longenarbeit auf einem abgegrenzten Zirkel ist dann kaum mehr als eine Formalität.“
Auch das Erlernen der Seitengänge und der Piaffe ist an der Hand meist kein Problem, während es unter dem Reiter oft zum „Gewürge“ wird. So gilt z. B. an der Spanischen Hofreitschule in Wien das Prinzip, dass ein Pferd perfekt ohne Reiter piaffieren muss, bevor es diese Lektion unter dem Reiter auszuführen lernt.

Der Kappzaum muss – als kategorischer Imperativ – präzise, aber schmerzfrei einwirken können, weshalb er so eng anzulegen ist, dass das Pferd zwar seine Kiefer zum Abkauen seitlich bewegen kann, nicht aber das Maul aufsperren. Die schärfere Verschnallung des Kappzaums, die man in Wien und Spanien oder Portugal praktiziert, kann aber dem Laien nicht unbedingt empfohlen werden, denn dabei liegt das Kappzaumeisen nahe der empfindlichen Nasenknorpel. In der Regel kommt man ohne diese Verschnallung aus, die wirklich nur in die Hand von Profis gehört; die englische Verschnallung ist weniger diffizil und kann als Standard für den täglichen Gebrauch empfohlen werden.

Die beiden seitlichen Ringe finden kaum noch Verwendung, da zum Longieren oder der Handarbeit der mittlere ausreicht. Reiterliche Verwendung findet der Kappzaum heute leider kaum mehr, daher ist die Funktion der seitlichen Ringe unbekannt oder wird falsch interpretiert (Reserve, Ausbinder; Schlaufzügel…).

Formensprache
Der bei uns gebräuchliche Kappzaum ist traditionell ein schweres, derbes Ding, dessen Naseneisen mit drei Ringen aus vier länglichen, flachen Metallplatten besteht. Diese sind gelenkig miteinander verbunden und erlauben eine gewisse Anpassung an die Nase des Pferdes. Das Naseneisen ist in aller Regel mit einem breiten, weichen Leder- oder Kunststoffkissen unterfüttert, das die Einwirkung zwar mildert, damit jedoch die Idee insgesamt ad absurdum führt. Die Stabilität des Zaumes steht im Vordergrund, denn häufig kommt es zu Zerreißproben, bei denen Zug mit Gegenzug beantwortet wird. Reißfestigkeit und sattes Aufliegen werden darüber hinaus durch Stirnriemen, zusätzliche Kehlriemen und manchmal doppelte Backenstücke sowie einen Trägerriemen entlang der Stirn gefördert. Der wichtigste Riemen, der Kinnriemen, ist jedoch meist ungepolstert und unterdimensioniert und somit ein Quell ewiger Gefahr und Unbequemlichkeit für das Pferd. Die Frage muss gestellt werden, warum solche höchst zweifelhaften Ausrüstungsgegenstände noch immer hergestellt und vertrieben werden. Allerdings muss hier gesagt werden, dass man in letzter Zeit immer öfter Modelle sieht, die etwas mehr Sicherheit und Bequemlichkeit bieten; zumindest eines, aus portugiesischer Erzeugung, hat z. B. unter den Schnallen kleine Schutzleder, welche das Problem des Schnallendrucks vermeiden.

Der Wiener Kappzaum
Die günstigste Form ist jene, welche dem originalen Wiener Kappzaum der Spanischen Reitschule zugrunde liegt. (Nicht zu verwechseln mit sogenannten „Wiener Kappzäumen“ zum Longieren, die dem Wiener Pilarenzaum nachempfunden sind und mit der Arbeit an Longe oder Handzügel nichts zu tun haben; sie werden fälschlich unter diesem Namen angeboten.) Relativ leicht und schmal, hat deren Kopfgestell keine überflüssigen Riemen, das Naseneisen mit zwei seitlichen Gelenken und nur dünner Polsterung erlaubt eine präzisere Einwirkung als die dick gepolsterten, „pferdefreundlichen“ Modelle, die im Handel angeboten werden. Das Naseneisen ist vorne nicht gelenkig, hat also eine etwas schärfere Wirkung und weniger flexible Anpassung an einzelne Pferdeköpfe – Vorteil und Nachteil zugleich. Eine ähnliche Variante ist in Portugal üblich, die zwar gut geschnitten ist und durch je einen Ring im Backenstück sehr gut angepasst werden kann, jedoch in der Form des Naseneisens modellabhängig oft kleine Mängel hat – für große Warmblutköpfe ist sie manchmal zu oval. Generell findet man in Portugal die größte Vielfalt an Erzeugern und Modellen, darunter auch sehr gute, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. Sie, und das Wiener Modell, sind neben einem glatten spanischen Kappzaum mit tief angesetztem Ganaschenriemen wohl die empfehlenswertesten.

Kappzäume aus Kunststoff
Einige Hersteller erzeugen Kappzäume aus Kunststoffgewebe, die in der Form plump wirken, aber für das Pferd bequem sein sollen. Sie sind recht leicht, aber in ihrer Einwirkung unpräzise und schwer anzupassen. Der dicke, breite Nasenteil tendiert zum Verrutschen und verteilt die Einwirkung auf eine große, diffuse Fläche. Vorteile sind die Robustheit, der billige Preis und die Pflegeleichtigkeit. Man bekommt sie auch in kleinen Ponygrößen, die in Leder kaum erhältlich sind, erfüllen aber ihren Zweck nicht.
Lässt man die zu scharf wirkenden und daher für ungeübte Hände ungeeigneten Serretas aus Spanien und die Kettenzäume der Camargue außer Betracht, so stellt man fest, dass es nur wenige wirklich zweckentsprechende Modelle gibt. Die einen zu schwer und plump oder zu schwammig in der Wirkung, die anderen zu scharf für den Laien, fast alle schlecht geschnitten und/oder mit überflüssigem Riemenzeug überladen.

Leichte, weiche Hilfen
Auch an der Longe streben wir die sichere Anlehnung des jungen Pferdes an. Sie darf aber nicht mit einem dauernden Tauziehen verwechselt werden, denn das von Steinbrecht als wenig empfindlich bezeichnete Nasenbein ist in Wirklichkeit stark nervendurchzogen und daher sehr sensibel! Für den Kappzaum gilt sinngemäß auch, was für das Gebiss selbstverständlich sein sollte, es leider aber selten ist: Man darf nicht daran ziehen und schon gar nicht reißen, sondern muss mit möglichst leichten, weichen und kurzen Hilfen einwirken, die einer abwechselnd nachgebenden und aushaltenden Hand entspringen, niemals einer zurückziehenden! Der größte Fehler im Umgang mit dem Kappzaum ist der, dauernd daran zu ziehen, weil man mit den stark gepolsterten Monster-Kappzäumen aus dem Handel nicht mit der Parade durchkommt und in ein permanentes Seilziehen mit dem Pferd gerät. Dann hat man auch schon verloren, denn nicht einmal ein kleines Pony lässt sich so „an der Nase herumführen“. Da ist es weit besser, einen schärferen Kappzaum zu kaufen und sich in seiner Verwendung anleiten zu lassen, denn dann hat man den angestrebten Erfolg mit Longe und Handzügel oder sogar beim Reiten.

Unterschätzt, aber wertvoll
Im Kappzaum ist ein wertvolles und – wenn richtig verwendet – schonendes Ausbildungsmittel, das heute zu Unrecht und oft nur aus Sparsamkeit, Bequemlichkeit und Unwissenheit an Bedeutung verloren hat. Immerhin verwenden einige „klassische oder barocke“ Trainer dieses Werkzeug und animieren ihre Schüler zu dessen kunstgerechter Verwendung. Diesen Trend weiter zu befördern wäre eine lohnende Aufgabe für die Hersteller von Sattelzeug und alle Ausbilder.
Martin Haller

 

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