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Gebisslose Zäumungen – Varianten, Vorteile und Tücken
11.12.2017 / Wissen

Gebisslos zu reiten liegt wieder im Trend – und das nicht nur bei Westernreitern.
Gebisslos zu reiten liegt wieder im Trend – und das nicht nur bei Westernreitern. / Foto: Martin Haller
Ein gutes Bosal ist exakt „geshapt", also an die natürliche Form des Pferdekopfes angepasst.
Ein gutes Bosal ist exakt „geshapt", also an die natürliche Form des Pferdekopfes angepasst. / Foto: Martin Haller
Die mechanische Hackamore ist ein Hebelzaum und muss mit besonders viel Erfahrung und Sensibilität eingesetzt werden.
Die mechanische Hackamore ist ein Hebelzaum und muss mit besonders viel Erfahrung und Sensibilität eingesetzt werden. / Foto: Martin Haller

Nachdem man jahrzehntelang außer Zaumzeug mit Trense und Kandare kaum anderes sah, sind seit einigen Jahren gebisslose Zäume auf dem Vormarsch. Warum das so ist und wie vielfältig gebissloses Reiten sein kann, hat ProPferd-Autor Martin Haller recherchiert.
 

In den Nachkriegsjahren war es in Europa unvorstellbar, ein Pferd ohne Gebiss – oder sogar ohne Kandare – ausbilden oder reiten zu wollen. Man hatte alle historischen Vorbilder und klassischen „Werkzeuge“ vergessen… vor allem den Kappzaum, den Vorläufer der amerikanischen Hackamore. Erst in den letzten runden 40 Jahren kamen durch vereinzelte Westernreiter die gebisslosen amerikanischen Zäumungen nach und nach in die Alte Welt zurück. Anfangs stießen sie auf großes Staunen, Ablehnung und Unverständnis, bis man begriff, dass Pferde gut und gerne damit gehen – und mitunter besser „funktionieren“ als mit Marterwerkzeugen aus dem Eisenwarenladen des Reitsports.

Der kleine, aber entscheidende Unterschied zwischen Zäumung mit Gebiss und gebissloser Zäumung liegt darin, dass im zweiten Falle das Pferd nichts im Maul hat. Solche Zäumungen sind uralt und waren vermutlich schon in Gebrauch, ehe der Mensch dem Gaul erstmals etwas zwecks besserer Kontrolle zwischen die Zähne schob. Durchsetzen können sich die fein durchdachten, daher aber auch nicht „deppensicheren“ gebisslosen Zäume bislang nur bedingt, was versicherungstechnische und ausbildungsbedingte Gründe haben dürfte. Das zum Leidwesen der Pferde, aber die können ja nichts sagen – etwa, weil sie zuviel Metall im Maul haben?

Der Reitkappzaum
Bei uns sehr selten zu sehen, ist der Kappzaum mit Zügeln ein uraltes und daher bewährtes Instrument. Vermutlich haben schon die alten Reitervölker Iberiens um 500 v. Chr. solche Zäume eingesetzt, um die ersten Ansätze versammelten Reitens zu praktizieren. Im Barock bildete man die Schulpferde generell am Kappzaum aus und ließ diesem dann ein Gebiss folgen – oft schon die Kandare. Damit war der Ablauf ähnlich dem mit der Hackamore und dem Spadebit der kalifornischen Vaqueros.

Das Prinzip ist einfach: ein mehr oder weniger scharf wirkendes Nasenband wird dem Pferd angelegt, die Zügeleinwirkung erfolgt ziemlich direkt auf den Nasenrücken. Allzu derbes oder längeres Ziehen stumpft – wie jede Einwirkung – das Pferd mit der Zeit ab, daher ist der Reitkappzaum kein Instrument für unsensible Hände.

Die wohl bekannteste Form ist die spanische Serreta, die in Andalusien noch immer zum Grundwerkzeug der Reiterei gehört und dort, weil recht brutal gehandhabt, vernarbte Nasenrücken hinterlässt. Als gezacktes (extrem scharf) oder glattes (scharf), bzw. lederummanteltes (humanes) Eisen-Nasenband gibt sie dem spanischen Pferd vom Zureiten an viel Respekt vor der Reiterhand und lässt den unbedingten Gehorsam entstehen, den man z. B. im Stierkampf für nötig erachtet.

Mildere Formen ohne Zacken etc. finden in der klassischen Schule Anwendung und dienen hier der Schonung des „jungfräulichen“ Mauls, ehe man mit Trensengebissen oder anderen eine weitere Verfeinerung der Hilfengebung anstrebt. Jede Art von Nasenzaum hat eine „eingebaute Sicherheitsschwelle“. Verwendet man zuviel Zug, gibt man zu wenig mit den Händen nach, ist man zu unsensibel, so zeigen das die meisten Pferde dem Reiter recht bald. Sie reagieren immer weniger fein, sie gehen gegen die Hand und laufen schließlich „durch den Zaum“. Wer dann nicht reagiert, hat quasi verloren. Dann ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis man einen Durchgänger geschaffen hat – oder zumindest ein sehr ungehorsames Pferd. Wer allerdings fein damit umgeht, der legt so eine ideale Grundlage für die weitere, immer feinere Ausbildung mittels Trense und eventuell später Kandare. Im alten Kalifornien (und den benachbarten US-Bundesstaaten) ging man nach relativ langer und gründlicher Ausbildung auf der Hackamore sogar gleich zur Kandare über, allerdings über eine anfängliche Phase mit vier Zügeln, wobei die Kandarenzügel kaum benützt wurden. Das entspricht den historischen Reitlehren des Barock, die der iberischen und damit auch der kalifornischen Reiterei zugrunde liegen (sollten).

Aus dem Kappzaum entwickelte sich – vermutlich aufgrund des Mangels an Eisen – in Amerika eine Variante aus Leder. Sie wird nach dem Kamelzaum der Mauren, auf Maurisch oder Spanisch Jaquima oder in englischer Verballhornung Hackamore genannt.

Die echte (kalifornische) Hackamore
Unter der Bezeichnung Hackamore werden heute zwei völlig verschiedene Typen von gebissloser Zäumung am Markt angeboten, darum muss erst einmal der Unterschied erklärt werden. Die echte, klassische Hackamore ist ein altes, feines und anspruchsvolles Instrument zur Ausbildung eines versammelten Pferdes an leichter Hand. Sie besteht aus einem Nasenband und einem speziell geknoteten Seilzügel. Die fälschlich als mechanische Hackamore bezeichnete Hebelzäumung ohne Gebiss ist eine Erfindung jüngster Zeit und stammt aus der mexikanischen bzw. US-amerikanischen Rodeo-Szene, wo es völlig maultote Pferde gibt. Sie wird daher auch mexikanische Hackamore genannt und ist sowohl beim Wanderreiten, Distanzrennen und auch im Rodeosport nicht unbeliebt. Der Name Hackamore ist irreführend, denn sie hat keine nachvollziehbare seitliche Einwirkung, nur eine durch Druck oder Schmerz „bremsende“.

Das Bosal mit Mecate (nur zusammen bilden sie die eigentliche Hackamore als Zaumzeug) ist hingegen ein aus Rohlederstreifen geflochtenes, elastisches Nasenband mit einem meist „pieksigen“ Seil (Englisch hair rope) als Zügel. Dieses Seil wird mittels eines Spezialknotens am unteren Ende des Bosals befestigt. Es dient zum Bremsen mittels kurzer Zügelanzüge und zur Lenkung mittels direktem Zügel und Druck auf gewisse Nervenpunkte am Pferdeschädel. Der Spezialknoten und der relativ schwere Verbindungsknopf am unteren Ende des Bosals bringen den gesamten Zaum in ein fein austariertes Gleichgewicht, das entscheidend ist für die Wirkungsweise und durch ein dünnes Seil, den Fiador, gehalten werden kann, der wie ein Kehlriemen wirkt. Deshalb ist es wichtig, die Auswahl und das Anpassen des Bosal sowie die Knotenverbindung von einem Könner vornehmen zu lassen. Die richtige Handhabung dieser eigentlich kalifornischen Zäumung ist diffizil, damit korrekt ausgebildete Pferde sind jedoch extrem leichtrittig und sensibel. Sie stellt an den Reiter gewisse geistige und sensorische Anforderungen, die nicht jedermann zu erfüllen bereit oder imstande ist.

– Alle Bosals sollten professionell geformt werden, was leider oft vernachlässigt wird. Sinn und Zweck ist die Anpassung an den natürlichen Umriss eines Pferdekopfes. Dazu braucht man ein Brett (Englisch shaper) mit entsprechenden, darauf montierten Holzklötzen, um die man das Bosal binden kann. Ich feuchte alle Bosals vorher in lauem Wasser ca. zehn Minuten an; sie bleiben solange auf dem Shaper, bis sie die gewünschte Form sicher behalten, was bis zu zwei Monate dauert. Billige, zu weiche Bosals haben keine Rohhautseele und müssen öfter nachgeformt werden. Andere sind zu steif und müssen mit viel Kraft und Feuchtigkeit zur Räson gebracht werden.

– Manche Reiter mögen keine Rosshaar-Mecates, sondern bevorzugen weiche Baumwoll-Mecates. Rosshaar-Originale könne aus Mähnenhaar (sehr weich, teuer) oder Schweifhaar (sehr borstig, billig) sein; der Preisunterschied beträgt mindestens 100 €. Persönlich mag ich die langen, stabilen Originale lieber, aber für ein sehr braves, sensibles Pferd tun es die handfreundlichen Schnürchen auch. Man sollte sich mit der Knüpfung intensiv befassen und sie öfter üben; der Heelknot und die Knüpfung sollten zusammen nicht zu massig und schwer sein. Immer muss ein Finger seitlich und zwei Finger unten im Bosal Platz haben, sonst kann es sich nicht bewegen und reibt.

– Das Leadrope ist bei den üblichen sieben Metern Länge der Mecate ziemlich lang. Es muss sehr gut versorgt werden, am besten aufgerollt und mit einer dünnen Lederschnur (Schuhband) am Sattelhorn festgebunden. Meine Stute hat sich einmal im Galopp überschlagen, weil ich nicht bemerkte, dass das Leadrope sich gelockert hatte und zu weit unten baumelte. Sie griff mit einem Vorderknie hinein und fesselte sich selbst. Also nicht so lang lassen, dass sowas passieren kann!

– Wer fein und/oder professionell ausbildet und sich der Hackamore dauerhaft zuwendet, was gerade groß in Mode kommt, der wird um ein teures, hochwertiges Set nicht herumkommen. Am Internet und im Fachhandel werden diese angeboten, wobei es sich nicht wirklich auszahlt, zu sparen. Man sollte sich wegen der Größe, Flechtung und Konstruktion vom Profi beraten lassen (Durchmesser und Breite des Nose buttons; Gewicht des Heel knots; Dicke und Länge der Schenkel…) und mit etwa 400-600 € für ein gutes Set (handgemachtes Bosal; Mähnenhaar-Mecate, feiner Hänger) rechnen.

– Grundsätzlich braucht ein sensibles Pferd mit feinem Kopf eine eher schlanke Hackamore von geringem Gewicht und Durchmesser. Eines mit derbem Kopf und viel Eigenwillen verträgt eine schwere, eher dicke Hackamore. Bosal und Mecate sollen sich im Durchmesser ähneln; somit wird auch die Knüpfung insgesamt eher groß und schwer oder klein und leicht. Man kann die Wirkung einer Hackamore nicht durch Ziehen verstärken, im Gegenteil; die Zügelhilfen müssen ganz kurz und klar bleiben.

– Auf die Pflege nicht vergessen! Hackamores sind sensible Zaumzeuge, die es verdienen, ordentlich behandelt zu werden. Man dreht alle Seile aus, man hängt alles ordentlich auf, man reinigt das Bosal öfter mit Sattelseife oder einem Pflegemittel für Rohleder. Rosshaar-Mecates sollte man nicht waschen, sie werden dann wie Stacheldraht.

– Ich verwende immer einen kleinen, runden Lederriemen, der von einer Seite des Hängers in Höhe des Auges des Pferdes unter den Ganaschen zur anderen läuft und den Hänger von den Augen weghält. Er wird einfach in den Hängerriemen durch je ein kleines Loch eingeknüpft und relativ eng verknotet Er verhindert, dass der Hänger ins Pferdeauge rutscht und das Tier zum Kopfschlagen verleitet. Beim Auf- und Abzäumen mache ich den Knoten links auf und lockere das Riemchen etwas.

Ich empfehle jedem, der noch keine Erfahrung hat, sich unbedingt mittels Fachbüchern, Lehrvideos und Reitunterricht mit dem Thema Hackamore gründlich zu befassen. Ohne gute Grundkenntnisse kann dieser Zaum nämlich sogar gefährlich sein, da Pferde sehr schnell begreifen, was damit an Einwirkung möglich ist – und was nicht. Die meiste Zeit muss man das Pferd vorwiegend mit Sitz und Bein reiten, ev. auch nur mit Sitz und Halszügel. Man muss selber gleichsam immer leichter werden, um das Pferd immer feiner zu machen – man muss ihm immer einen Schritt voraus sein, und das ist die wahre Schwierigkeit und Herausforderung. Daher gibt es auch Pferde, die mit einer Hackamore gar nicht gehen – sie sollte man nicht weiter damit belästigen. Wenn das Pferd gut damit läuft, kann und soll man es zu gegebener Zeit auf Snaffle und ev. später Bit umstellen. Nicht alle Pferde bleiben auf Bosal jahrelang frisch und verlässlich; aber selbstverständlich gibt es sie ...

Die mechanische Hackamore
Die Mechanische Hackamore (Deutsche Hackamore, Englische Hackamore, W.S. Pelham etc.) unterscheidet sich vom Bosal bzw. der klassischen Hackamore grundlegend, denn sie ist ein Hebelzaum, der den Grundsätzen der Hebelgebisse folgt und lediglich auf ein Mundstück verzichtet, das durch einen Nasenriemen ersetzt wird. Daher wirkt sie über die manchmal gewaltigen Anzüge und die unterschiedlich scharfen Nasenriemen und Kinnketten oder Kinnriemen, sowie auf das Genick des Pferdes ein und ist ein machtvolles Instrument zur Tempokontrolle, das in den Händen eines reiterlichen Affen tatsächlich zur Rasierklinge wird. Der Könner findet darin eine Möglichkeit, den Vorwärtsdrang eines heißen Pferdes etwas zu regulieren, oft in Kombination mit anderen Zäumungen, vor allem Trensen. Wenn aber ein Pferd gelernt hat, dass es vor dem Schmerz davonlaufen kann, ist alles verloren und nur mehr gefährlich. Bei einer solchen Zäumung gibt es nur ein Motto: Nachgeben ist seliger denn Annehmen.

Es gibt im Handel bereits fertige, kombinierte Zäumungen, die eine mechanische Hackamore und diverse Gebisse, z. B. Pelham-Varianten, in einem Stück verbinden. Dann wird die Einwirkung quasi maximiert, denn jeder mögliche Kontrollpunkt am Kopf des Pferdes wird zwingend angesprochen werden, was im Springsport oft zu sehen ist. Solche Zäumungen deuten auf Ausbildungsprobleme und/oder Temperamentsfehler hin und sind im klassischen Sinne bestenfalls als temporäre Servobremsen zu verstehen. Mit der klassischen Westernreitweise hat sie rein gar nichts zu tun, auch wenn das oft fälschlich so dargestellt wird. Als Zaum für Distanz- oder Wanderritte mit eingebauter Notbremsmöglichkeit sind sie nicht völlig abzulehnen, erfordern aber immer eine gute Reiterhand.

Das Lindel/Sidepull
Dieser recht einfache Zaum wurde angeblich von „Päpstin“ Linda Tellington-Jones in Europa eingeführt und deshalb Lindel genannt. Als Sidepull im Westernsport erklärt es sich von selbst, denn es ist ein Zaum, der relativ starke seitliche Zügeleinwirkung ermöglicht. Die seitlich an einem relativ steifen Nasenriemen aus Lasso-Seil angebrachten Zügelringe erlauben kräftige und deutliche Einwirkung, die aber bei sorgfältiger Ausbildung kaum nötig sein sollten. Das Lindel mit eher weichem, ledernen Nasenband ist ein guter Ausbildungszaum und im Prinzip nichts anderes, als eine sehr milde, amerikanische Version des Reitkappzaums. Also gelten die gleichen Vor- und Nachteile: es verlangt ein gut reagierendes Pferd mit kooperativem Wesen; weiters eine sensible Reiterhand und einen denkenden und fühlenden Reiter; es verlangt eine vorausschauende Reitweise, die sich nicht auf „Reaction“ (Reaktion auf Geschehenes) beschränkt, sondern mit „Anticipation“ (Vorahnung) arbeitet. Wenn der Gaul einmal durchgeht, kann man mit einem Lindel/Kappzaum etc. nicht mehr viel erreichen... aber das gilt auch für alle anderen Zäume.
Lindels gibt es mit ledergeflochtenem Nasenriemen, der etwas weicher wirkt und nicht so scharf an der Haut des Nasenrückens reibt wie das Lasso-Seil des Sidepulls, dafür aber auch etwas weniger nachdrücklich einwirkt. Man hat gegenüber dem Bosal in jedem Fall den Vorteil, dass eine recht deutliche stellende Wirkung erzielt wird und das Pferd den Halszügel gut zu akzeptieren lernt. Man könnte diese Zäume plakativ-bösartig auch als „Bosals für Deppen“ bezeichnen... obwohl sie anatomisch etwas anders wirken.

Merothisches Reithalfter/Robert Cook Bridle
1985 patentierte Erwin Meroth, der Kölner Erfinder diverser pferdefreundlicher Zäumungen, einen Zaum, der schon wie sein Merothisches Ledergebiss besonders maulschonend sein soll. Es handelt sich dabei um ein einfaches Kopfgestell mit leicht gepolstertem Nasenriemen, in den eine elastische Stahlfeder eingearbeitet ist. Unter dem Kinn des Pferdes kreuzen sich zwei Zügelriemen, die letztlich die Zügel aufnehmen. Wird nun ein Zügel gestrafft, so schließt sich der gesamte Nasenriemen nebst Zügelriemen um den unteren Schädel des Pferdes; beim Nachgeben wird er durch die Elastizität der Stahlfeder wieder weiter gezogen. Die Wirkung lässt bei Nachgeben der Hand sofort nach; es können beliebige Zügel und Kopfstücke verwendet werden.

Ähnliche Konstruktionen sind auch aus den USA bekannt, wo sie unter der Bezeichnung Robert Cook Bridle oder Bitless Bridle u. a. verwendet werden. Sie sind seit 1997 in Gebrauch und ähneln dem Merothischen Reithalfter sehr stark. Dr. Robert Cook (Veterinär, emeritierter Professor der Tufts Universität, Massachusetts) ist in den USA das, was Erwin Meroth in Deutschland war – mutiger Vordenker und nimmermüder Rufer für das Wohl des Pferdemauls. Ob die beiden einander eventuell kannten? Das Cook Bridle ist ein eher konventionell aussehendes Zaumzeug, das in seiner Wirkung noch etwas über jene des Meroth-Zaumes hinausgeht. Es umschließt den gesamten Pferdekopf und wirkt neben der Nase auch auf das Genick bzw. den Schädel ein. Da die gesamte Einwirkung über den Kopf verteilt ist, brauchen die Pferde klare Hilfen, reagieren aber recht schnell und freudig auf eine Umstellung zu diesem Zaum. Mit ihm, so die Untersuchungen des Dr. Cook, sei es beinahe unmöglich, dem Tier nachweisbare Schmerzen zuzufügen, sofern der Zaum korrekt angelegt und bedient wird – und Ähnliches nimmt auch der Meroth-Zaum für sich in Anspruch.

Das Glücksrad
Der Dernier-cri der gebisslosen Szene ist ein unscheinbares Rädchen aus Metall, das sechs Speichen hat, an beiden Seiten Kopfgestell, Nasenriemen und Zügel verbindet und genauso wirkt wie eine kleine mechanische Hackamore, nur eventuell noch etwas milder, weil der wirksame Hebel etwas kürzer ist. Seine Erfinderin, Monika Lehmenkühler, stammt wie Erwin Meroth aus Köln (warum bringt ausgerechnet diese Stadt so viele Erfinder maulfreundlicher Zäume hervor?), daher wird das Ding auch LG-Zaum (Lehmenkühlers Glücksradzaum) genannt. Die Form ist relativ neu und originell, der Name ungewöhnlich und die Wirkung ist harmlos, wenn auch im Vergleich mit einem Gebiss (Trense, Pelham etc.) oder einer langhebeligen mechanischen Hackamore nicht besonders durchschlagend. Somit war ein Erfolg auf dem Freizeitsektor unvermeidlich, und viele junge Reiter sind begeistert vom Rädchen, das ihre Pferde glücklich macht. Entscheidend ist, dass man die Hebelwirkung durch verschiedene Kinnriemen oder –ketten und mehrere Verschnallungen etwas dosieren kann, wie bei allen anderen Hebelzäumungen auch.

Südamerikanische Bozals
Als Kolumbianische und Peruanische Bozals sind Zäume bekannt, die in Bauart und Wirkungsweise dem Bosal oder Sidepull nicht unähnlich sind. Sie erlauben unterschiedliche Zügelschnallungen und kommen in etwas unterschiedlichen Ausführungen zum Verkauf; in Europa werden sie nur in der winzigen Szene der lateinamerikanischen Paso-Pferde-Reiter eingesetzt. Außerhalb derselben werden sie kaum verwendet, obwohl sie, wenn sachkundig verwendet, durchaus als Dressurmittel und Ausreitzaum gut verwendbar sind. Als folkloristische Ausrüstungsteile sind sie optisch attraktiv, aber kaum mit anderen Reitweisen oder Ausrüstungsstilen kombinierbar. Daher ist ihr Einsatz limitiert, allerdings sind gut damit ausgebildete Pferde sehr fein und angenehm zu reiten. Als Reisepferde über weite Strecken sind Pasos einfach ein Vergnügen für den Hintern und das Kreuz eines Reiters, der es bequem braucht.

Dieser Zaum besteht aus einem Bozal (Nasenstück) und einer Barbada (Kinnstück), und er wird ca. vier bis fünf Finger breit über dem oberen Nüsternrand verschnallt. Er sollte weder zu tief noch zu eng verschnallt werden, damit die Atmung nicht behindert wird und das Pferd abkauen kann. Das Nasenstück und Kinnstück gibt es aus gegerbtem Leder, geflochtener oder gedrehter Rohhaut, Metall oder Nylon. Die Breite der Auflagefläche auf dem Nasenrücken kann von sehr schmal bis recht breit variieren. Die Einwirkung verstärkt man beispielsweise durch zwei eingearbeitete Holzkugeln oder Metalleinlagen. Je nach Beschaffenheit reicht sie von mild bis sehr scharf.

An der Barbada befinden sich unten zwei Ringe zum Einschnallen eines zweiten Zügelpaars. Das seitliche Zügelpaar am Bosal dient der Biegung und Lenkung; das untere Zügelpaar an der Barbada wird hauptsächlich zur Versammlung und zum Stoppen verwendet. Das kolumbianische Bosal kann auch mit einem Gebiss kombiniert werden, wobei dann ein Zügelpaar am Bosal und eines am Gebiss angebracht werden.

Fazit
Eine gebisslose Zäumung zu verwenden, bedeutet nicht automatisch sanfter und pferdefreundlicher  zu reiten: Darüber entscheidet nicht so sehr die Ausrüstung, sondern die Art und Weise, wie man diese einsetzt. Eine harte, unsensible Hand wird auch ohne Gebiss dem Pferd Unbehagen oder sogar Schmerzen zufügen – das sollte man niemals vergessen. Dennoch sind die zahllosen Varianten gebissloser Zäumungen für viele Reiter, die Pferde mit Maul- oder Zahnproblemen haben bzw. generell die Nachteile von Gebissen vermeiden möchten, eine sinnvolle und empfehlenswerte Alternative – die heute mehr denn je im Trend liegt. Doch auch gebissloses Reiten will gelernt sein: Es kommt darauf, wie man’s macht – auch die beste Ausrüstung kann fehlendes Gefühl oder mangelnde Erfahrung niemals ersetzen.

Martin Haller

Kommentare

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1) Wienerwaldvaquera: Danke für den schönen Artikel über gebisslose Zäume! Ich hätte nur ein paar Korrekturvorschläge zum Thema kalifornische Hackamore: Bitte NIE! das Bosal in Wasser einweichen. Ein gutes Bosal lässt sich trocken genauso gut formen. Wenn man ein Bosal einweicht kann es allerdings passieren, dass sich nach dem Trocknen die Kanten der einzelnen Lederstreifen aufstellenund das Bosal dadurch scharfkantig wird und das Pferd aufreiben kann.
Außerdem wäre es toll wenn auf dem Bosalfoto ein Bosal zu sehen wäre, das wirklich geshapt, also dem Pferdekopf angepasst wäre ;-)... LG
Montag, 11. Dezember 2017
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