Magazin 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Die Rettung der Lipizzaner aus Hostau, 3. Teil
29.04.2015 / Wissen

Wertvolle Zuchtpferde wie der Hengst Neapolitano Slavonia, geb. 1928, konnten durch die spektakuläre Rettungsaktion für die Erhaltung und Weiterführung der Lipizzaner-Rasse gerettet werden.
Wertvolle Zuchtpferde wie der Hengst Neapolitano Slavonia, geb. 1928, konnten durch die spektakuläre Rettungsaktion für die Erhaltung und Weiterführung der Lipizzaner-Rasse gerettet werden. / Foto: Archiv Rudofsky/Hans Brabenetz
Oberstleutnant Hubert Rudofsky ließ Stabsveterinär Dr. Rudolf Lessing gewähren – und machte so den Weg für die Rettung der Lipizzaner durch die amerikanische Armee frei.
Oberstleutnant Hubert Rudofsky ließ Stabsveterinär Dr. Rudolf Lessing gewähren – und machte so den Weg für die Rettung der Lipizzaner durch die amerikanische Armee frei. / Foto: Archiv Rudofsky/Hans Brabenetz
Erst spät – im Jahr 1985 – wurde Hubert Rudofsky von der Republik Österreich für seine Verdienste um die Rettung der Lipizzaner aus Hostau gewürdigt. Hier nimmt er vom damaligen Minister für Land- und Forstwirtschaft das Dekret ,Dank und Anerkennung
Erst spät – im Jahr 1985 – wurde Hubert Rudofsky von der Republik Österreich für seine Verdienste um die Rettung der Lipizzaner aus Hostau gewürdigt. Hier nimmt er vom damaligen Minister für Land- und Forstwirtschaft das Dekret ,Dank und Anerkennung' entgegen. / Foto: Archiv Rudofsky/Hans Brabenetz

Die Amerikaner haben das Gestüt trotz aller Risiken und Unwägbarkeiten besetzt, einer Evakuierung steht also scheinbar nichts mehr im Wege. Und doch bedeutete es ein gewaltiges Risiko, die Hengste, Stuten und Fohlen unbeschadet über die Grenze nach Bayern zu bringen.

 

Der Weg in die Freiheit
Hostau hatte sich kampflos ergeben. Die einzigen Schüsse waren von den Amerikanern abgegeben worden, die einzigen Opfer auf Seiten der „Befreiten“ zu beklagen. Nach Reeds Darstellung „verlief der Einmarsch der Amerikaner problemlos und glich eher einem Volksfest als einem kriegerischen Unternehmen. Die Bewohner des Ortes bildeten gemeinsam mit den freigelassenen Kriegsgefangenen ein Spalier entlang der Straße und hießen die einrückenden Truppen als Befreier und Retter willkommen. Die deutschen Soldaten übergaben ihre Waffen. An Stelle der deutschen Fahne wurde die amerikanische gehißt. Und nachdem die Amerikaner ihre Wachposten aufgestellt hatten, eilte jeder entbehrliche Mann – vom Offizier bis zum einfachen Soldaten – zu den Ställen und Koppeln, um sich an den vielgerühmten Hostauer Pferden sattzusehen.“

Bei Reed heißt es wörtlich: „... and after placing outposts the officers, intelligence personel an das many soldiers as could be spared went to look at the wonderful array of captured horses.“ Somit sind es jetzt nicht mehr gerettete („rescued“) sondern „captured horses“ – erbeutete Pferde?

Wird hier erstmals das Kind beim richtigen Namen genannt? Sind die ersehnten Befreier und Beschützer als Besieger und Eroberer nach Hostau gekommen?

Doch die aufkeimenden Zweifel werden alsbald zerstreut, und die Befürchtungen eines unfaires Spiels erweisen sich als unbegründet. Oberst Reed – „horseman und gentleman-officer“ in einer Person – zeigt sich als nobler Sieger, und das von ihm ausgehende Fluidum teilt sich auch seinen Untergebenen mit.

Rudofsky bekommt die Großzügigkeit Reeds schon bei der ersten Begegnung zu spüren. Er berichtet: „Bei dieser Gelegenheit kam ein Jeep vorgefahren. Oberst Reed, der vorne neben dem Fahrer saß, stieg aus und forderte mich mit höflichen Worten auf, an seiner Stelle Platz zu nehmen. Er selbst hat sich dann hinten auf eine Patronenkiste gesetzt. Und nun fuhren wir die einzelnen Höfe ab, und ich mußte den Amerikanern alles zeigen und erklären.

Zum Gestüt Hostau gehörten, wie schon erwähnt, die drei Vorwerke Hassatitz, Zwirschen und Taschlowitz. Nach kurzer Überlegung traf Oberst Reed die Entscheidung, daß abgesehen von Hostau selbst nur zwei dieser Außenhöfe besetzt werden sollten, nämlich Hassatitz und Zwirschen. Eine Besetzung von Taschlowitz, das am weitesten östlich gelegen war, erschien ihm nicht ratsam, da die Russen zu diesem Zeitpunkt bereits bis Pilsen vorgerückt und die Amerikaner verständlicherweise darauf bedacht waren, jede direkte Reibungsfläche mit den russischen Truppen zu vermeiden.“

Bleiben oder gehen?
Diese Entscheidung Reeds läßt wohl deutlich genug erkennen, wie sehr er sich der Fragwürdigkeit seiner Lage bewußt ist. Ein baldiger Rückzug seiner Einheiten ist dringend geboten; die Räumung des Gestüts kann somit nur noch eine Frage der Zeit und Mittel sein, die für die Vorbereitung und Durchführung des Transportes nötig sind. Das Gespräch am Ende der gemeinsamen Rundfahrt durch das Gestüt läßt in dieser Hinsicht keinen Zweifel an Reeds Plänen offen.

Rudofsky: „Und er sagte zu mir: ,Sie bleiben hier weiter auf Ihrem Posten. Machen Sie eine genaue Aufstellung von allem, was sich auf dem Gestüt befindet – Pferde, Wagen, Geschirre, Sättel, Futter, sonstiges Material. Das alles wird später von uns übernommen und abtransportiert. Das genaue Datum werden Sie erfahren. Bereiten Sie vorläufig die Listen vor und überprüfen Sie alles. Sie sind dafür verantwortlich, daß hier nichts wegkommt und auch nichts dazukommt.’

Auf meine Frage, was mit den Pferden aus den russischen Gestüten zu geschehen habe, erklärte Oberst Reed: ,An diesen Pferden haben wir keinerlei Interesse. Die bleiben hier. Alle übrigen Pferde schaffen wir fort. – Sie erhalten Nachricht, bevor es soweit ist, und Sie werden dann den Konvoi über die Grenze nach Bayern bringen.’

Ich habe mir diese Worte überlegt und blieb einen Augenblick still. Dann habe ich ihm geantwortet: ,Herr Oberst, ich bin sudetendeutscher Mann; hier ist meine Heimat; ich habe einen Besitz – nur siebzehn Kilometer von hier; auch eine kranke Mutter. – Wenn es nicht unbedingt sein muß, möchte ich nicht mitgehen.’

Doch Oberst Reed blieb dabei: ,Sie kommen mit uns!’ Ja, er ging sogar noch einen Schritt weiter und sagte: ,Sie begleiten vorerst diesen Konvoi und kommen später mit dem Gestüt nach Amerika.’“

Rudofsky horchte auf. – Amerika? Ist also Amerika Reeds geplantes Endziel für die Hostauer Pferde? Nur mit Mühe unterdrückt er seinen Impuls, die Frage auszusprechen, und bewußt nimmt er Abstand davon, sich mit Oberst Reed auf eine verfrühte Debatte über zukünftige Dinge einzulassen oder zu diesem Zeitpunkt ein Angebot zu diskutieren, das er aus mehr als einem Grund nicht annehmen würde – wie verlockend es auch klingen mag, wie großzügig es auch gemeint sein mag. Rudofsky läßt also die Sache fürs erste auf sich beruhen, was umso leichter ist, als sich Reed nach der Übergabe des Gestüts wieder anderen Aufgaben zuwendet und schon am folgenden Tag mit seinen Truppen aus Hostau abzieht.

Zum Schutz des Gestüts und zur Sicherung der Vorwerke bleiben etwa 30 amerikanische Soldaten zurück, die dem Kommando von Oberleutnant Quinlivan unterstellt sind. Rudofsky, der von Oberst Reed auf freiem Fuß gelassen worden ist, bleibt weiterhin Gestütsleiter und versieht nun seine Pflichten als Zivilist. Mit Hilfe eines aus Kosaken und Gefangenen – ehemaligen deutschen Volkssturmmännern und Hitlerjungen – provisorisch zusammengestellten Arbeitertrupps wird der Betrieb aufrecht erhalten. Der Gestütsalltag nimmt seinen gewohnten Lauf.

Drohende Unruhe
Es zeigt sich aber in den folgenden Tagen, daß es durchaus nicht einfach war – vor allem in den Außenhöfen – Ruhe, Ordnung und eine zumindest relative Disziplin aufrecht zu erhalten.

Die entlassenen Kriegsgefangenen, nunmehr jeder Arbeitsverpflichtung enthoben, gaben sich einem kaum zügelbaren Freiheitsausbruch hin, wobei sich ihre bisher aufgestauten Aggressionen in rachsüchtigen Schikanen gegen ehemalige Kollegen und Vorgesetzte sowie in anderen destruktiven Handlungen Luft machten.

Dazu kam, daß die Pferde von Hostau, die bis dahin unter Kontrolle der deutschen Wehrmacht gestanden waren, nach Gefangennahme der deutschen Soldaten als herrenlos galten, weshalb der eine oder andere es als sein gutes Recht betrachtete, sie für seine eigenen Zwecke zu gebrauchen.

Vielen der früheren Gefangenen, aber auch so manchem Bewohner der umliegenden Gegend war die Situation nämlich insoferne unklar, daß sie den Zusammenbruch der alten Ordnung als das Signal einer allgemeinen Anarchie deuteten, deren Regellosigkeit sie bereitwillig auszunutzen trachteten.

Glücklicherweise ließen sich solche Versuche durch die zwar rauhe, aber äußerst wirksame Tatkraft Bill Quinlivans schon im Keime ersticken. Denn dieser überaus energische amerikanische Oberstleutnant sorgte mit teilweise drastischen Maßnahmen dafür, daß die drohenden Ausschreitungen „abgestellt“ wurden und die vorübergehende Zügellosigkeit einer neuen Ordnung Platz machte.

Das Interesse der Russen wächst
Seit der Besetzung Hostaus durch die Amerikaner sind inzwischen neun Tage vergangen. Deutschland hat kapituliert; der Krieg ist zu Ende.

Oberst Reed, dessen Anwesenheit auf tschechischem Gebiet im Hinblick auf die Verträge von Jalta an sich schon mehr als fragwürdig ist, befindet sich zu diesem Zeitpunkt in der ungewöhnlichen und sowohl militärisch als auch historisch so gut wie beispiellosen Lage, daß er sich als Sieger zum Schutz der Besiegten gegen die eigenen Verbündeten stellt. In seinem Bericht heißt es: „Am 7. Mai, dem Tag der endgültigen Kapitulation Deutschlands, lag die Kampfgruppe an der Frontlinie, ungefähr zehn Meilen südöstlich von Pilsen – Horsice – Zinkovy – Nepomuk in der Tschechoslowakei den Russen gegenüber und verhinderte deren Vorstoß auf das von den Amerikanern besetzte Gebiet.“ (Im Original: „By May 7th, date oft he complete surrender of Germany, the task force was on the general line from about ten miles southeast of Pilsen – Horsice – Zinkovy – Nepomuk in Czechoslovakia, facing the Russians and preventing their penetration into American-held territory.“)

Mehr denn je ist Reed sich der Tatsache bewußt, daß dieser Zustand nicht mehr lange aufrecht zu erhalten ist, dringender denn je erscheint ihm unter diesen Umständen die Notwendigkeit, das Gestüt Hostau an einen sicheren Ort zu verlegen, zumal ihm zu Ohren kommt, daß Tschechen und Russen plötzlich großes Interesse an den erbeuteten Pferden zu zeigen beginnen und – äußerst alarmierenden Gerüchten zufolge – dem Gestüt sogar mehrmals heimliche Besuche abgestattet haben sollen.

Auf die Sache angesprochen, antwortete Herr Rudofsky in einem Schreiben vom 8. 11. 1981: „Wann und ob überhaupt russische Spione Hostau besuchten, davon weiß ich nichts.“ Und mündlich fügte er später hinzu: „Bei mir sind keine gewesen; und ich habe auch nichts davon gehört.“

Oberst Reed, der sich zur fraglichen Zeit nicht in Hostau selbst aufhält, sondern im Skoda-Schloß in Zinkovy, seinem vorübergehenden Stützpunkt, hat weder Gelegenheit, noch macht er sich die Mühe, die ihm zugetragenen Gerüchte zu überprüfen. Vielmehr leitet er die erhaltenen Informationen unverzüglich an das Hauptquarter General Pattons weiter mit dem gleichzeitig unterbreiteten Vorschlag, das gesamte Gestüt aus Gründen der Sicherheit nach Schwarzenberg in Bayern zu überführen, wo die Möglichkeit bestehe, die Pferde außerhalb der Reichweite von Russen und Tschechen unterzubringen.
Eine moralische Rechtfertigung für dieses Vorgehen sieht Oberst Reed in dem Umstand, daß die Tschechen keinen rechtmäßigen Anspruch auf die Hostauer Pferde erheben können, da nämlich die dortigen Herden weder ganz noch teilweise aus der Tschechoslowakei stammen, sonder nur der guten Weiden und der vorhandenen Gestütseinrichtungen wegen aus verschiedenen, von Deutschen besetzten Gebieten nach Hostau gebracht worden seien.

Reeds Vorschläge werden von General Patton gutgeheißen. „Die Armee erteilte unverzüglich die Genehmigung zu dem geplanten Unternehmen und erließ entsprechende Befehle, um den Pferdetransport während der benötigten Marschzeit auf allen Straßen Vorrang zu sichern.“ (Wörtlich bei Reed: „The Army promptly authorized the operation and issued orders giving the movement oft he horses priority on all needed roads during the time necessary.“) Mit dieser Entscheidung hat General Patton das eigentliche Signal zum Aufbruch aus Hostau gegeben. Die Vorbereitung zur „Flucht in die Freiheit“ treten in ihr letztes Stadium.

Flucht in die Freiheit
Rudofsky: „Tatsächlich erschien dann wenige Tage nach der Kapitulation ein Generalstabsoffizier, um uns den genauen Tag und das vorläufige Ziel des Transportes mitzuteilen. Dr. Kroll wurde dazu bestimmt, mit einer Gruppe von amerikanischen Soldaten über die Grenze nach Bayern zu fahren und dort im Raum Kötzting/Furth im Walde alle nötigen Vorbereitungen für die Ankunft und Unterbringung der Pferde zu treffen.“

Damit sah Dr. Kroll sich jedoch vor ein Problem gestellt, das sich nur unter großen Schwierigkeiten und provisorisch lösen ließ. Im Raume Kötzting, einer sehr dürftigen Gegend, lebten fast ausnahmslos arme Bauern, die auf ihren bescheidenen Anwesen jeweils nur eine beschränkte Anzahl von Pferden unterbringen konnten.
In den zwei tagen, die Kroll zur Verfügung standen, war er also voll damit beschäftigt, von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof jede Einstellmöglichkeit für die Hostauer Pferde wahrzunehmen und in genauen Planlisten festzuhalten, wie die rund 500 Pferde aufgeteilt werden konnten – zwei Stuten hier, drei Stuten dort, fünf Stuten im nächsten Dorf. – Die Aufgabe war mühsam, aber sie wurde gelöst.

Lessing: „Wir alle waren ja Organisieren und Disziplin gewohnt, und darum verlief die Vorbereitung für den Abtransport der Pferde auf beiden Seiten – also im Raume Kötzting sowie bei uns in Hostau – wie in einer generalstabsmäßigen Ordnung und in völliger Ruhe.“

In Hostau ist man inzwischen übereingekommen, die Pferde, soweit sie marschfähig sind, in Gruppen zu je 30 bis 80 Stück auf der Landstraße zu treiben. Hochtragende Mutterstuten sowie Stuten mitFohlen bei Fuß, denen der geplante Marsch von mehr als 40 km nicht zugemutet werden kann, sollen auf Lastkraftwagen verladen und auf diese Weise abtransportiert werden.

Durch eine glückliche Fügung hatte kurz vorher eine in der Nähe stationierte deutsche Artillerieschule kapituliert, wobei die Amerikaner eine größere Zahl von Lkws erbeuten konnten, die zwar durchwegs mit hohen Borden, nicht aber mit den erforderlichenRampen versehen und somit für den Pferdetransport nur bedingt geeignet waren. Ein Auf- und Abladen dieser Pferde ohne Rampen wäre bei diesen relativ hoch gebauten Fahrzeugen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. In aller Eile mußten daher vor dem Abmarsch die nötigen Rampen konstruiert und gebaut werden, was den Aufbruch aus Hostau entsprechend verzögerte.

Oberst Reed gibt in seinem Bericht den 12. Mai als den Tag der Überstellung des Gestüts von Hostau nach Bayern an. Mag sein, daß es sich dabei um den ursprünglich geplanten und von Reed selbst festgesetzten Termin gehandet hat, der irrtümlicherweise unberichtigt blieb und in dieser Form in spätere Publikationen übernommen worden ist. In Wirklichkeit wurde nämlich der 15. Mai als endgültiger Marschtag bestimmt. Dieses Datum konnte durch die Aussagen der beteiligten Personen bestätigt und durch einen sorgfältigen Quellenvergleich gesichert werden.

Rudofsky: „Das große Problem war: Ich hatte nicht genügend Leute, um die Pferde zu begleiten. Denn es war genau so gekommen, wie ich es vorhergeahnt hatte: im selben Augenblick, als die Sache zu Ende war, sind die Leute einfach weggelaufen. Ich stand also praktisch ohne Fachpersonal da; denn die ehemaligen Volkssturmleute und Hitlerjungen waren nicht über Nacht zu geschulten Pferdepflegern zu machen.

Der Abtransport beginnt
In dieser Lage erwies sich nun die Anwesenheit des Fürsten Amassow und seiner Kosaken als ein großer Glücksfall. Er war der einzige, an den ich mich in dieser Sache um Hilfe bitten konnte, und er schlug mir meine Bitte nicht ab. In großzügiger Hilfsbereitschaft wählte er 14 oder 16 geeignete Tiere aus und bestimmte eine entsprechende Anzahl seiner Kosaken dazu, den Konvoi zu begleiten, womit er ihnen gleichfalls einen großen Dienst erwies, denn sie waren mehr als glücklich, sich auf diese Weise in den Westen absetzen zu können.

Am Vorabend des Transportes kamen die Amerikaner mit dem Lastwagenzug vorgefahren; das waren vielleicht 20 oder 30 Wagen. Und da wurde nun alles aufgeladen, was sich transportieren ließ: Hafer, Heu, Stroh, Kartoffeln, die ganze Gestütsapotheke, Sättel, Geschirre und alles übrige Material.

Schließlich kamen die Pferde dran: die Hengste, dann die hochtragenden Mutterstuten und die Stuten mit ganz jungen Fohlen bei Fuß, die noch keine vier Wochen alt waren. Die anderen gingen am nächsten Tag mit der Herde. Es waren damals Fohlchen darunter – vier, fünf Wochen alt – die diesen ganzen langen Marsch mitmachen mußten; und die schafften das auch wirklich ohne weiteres.

Und am 15. Mai, um fünf Uhr früh, war der Transport fertig zusammengestellt und ging ab.
Ich selbst bin in Hostau geblieben. Oberst Reed hatte meinem Entschluß am Ende zugestimmt. ,Gut’, hatte er gesagt, ,wenn Sie es nicht anders wollen, dann bleiben Sie hier. Dr. Lessing wird Ihre Stelle im Konvoi übernehmen.’“

Lessing: „Wir sind dann also abgerückt, immer in geschlossenen Gruppen: Mutterstuten für sich, junge Hengste für sich, junge Stuten für sich; insgesamt waren etwa sechs Gruppen gebildet worden. Dazu kamen natürlich noch die Troßfahrzeuge und die Wagen mit den Flüchtlingen. Denn da waren Dutzende von Menschen – evakuierte, ausgebombte, flüchtende Menschen – teils aus dem Ruhrgebiet oder aus anderen vom Krieg stark heimgesuchten Gegenden Deutschlands, teils aus dem Osten. Die alle kamen nun und versuchten, einen Platz auf einem der Kutschwagen oder Arbeitswagen zu bekommen, die zum Transport von Futter- und Lebensmitteln und dem aus Hostau mitgeführten Gestütsmaterial bestimmt waren.

Sie kamen von überallher, denn es hatte sich in Windeseile herumgesprochen, daß Hostau geräumt werden sollte. Alle wußten: Der Krieg ist zu Ende und die Soldaten ziehen mit den Pferden ab – nach Deutschland! Und der einzige Gedanke all dieser Menschen war: Wie können wir da mitkommen?

Die Entscheidung darüber lag bei den Amerikaner, nicht bei uns. Denn hier hatten jetzt die Sieger, nicht die Besiegten zu bestimmen. Doch Oberst Reed gab auch in diesem Fall ein weiteres Beispiel seiner Menschlichkeit und Noblesse.

Als wir ihm die Sache vortrugen, sagte er: „Sie wissen, daß ich hier keine allgemeine Flucht organisieren kann. Aber wenn Sie und Ihre Leute es fertig bringen, eine entsprechende Anzahl von Pferden und Wagen aufzutreiben, dann werden diese Leute einfach zum Gestütspersonal gezählt und auf diese Art können sie mitgenommen werden – ich habe nichts dagegen.“

Ein letzter Zwischenfall
So halten sich auch in diesen dramatischen Stunde Härte und Güte, Verzweiflung und Verständnis, Leid und Menschlichkeit die Waage. Lessing: „Nun marschierten wir also auf der Landstraße, machten unterwegs eine Rast, und alles verlief planmäßig. Die Amerikaner hatten die Sache vorzüglich organisiert. An allen Ortseingängen und Kreuzungen waren Panzerspähwagen aufgestellt worden, die den Verkehr regelten und dafür sorgten, daß unser Zug unbehindert durchmarschieren konnte.
Alles in allem funktionierte die Angelegenheit ausgezeichnet, denn auch die Treiber machten ihre Sache gut. Es ritten jeweils zwei bis drei Mann an der Spitze, zu beiden Seiten und am Ende jeder Gruppe, wobei darauf geachtet wurde, daß keines der Pferde ausbrach und sich selbständig machte.

Zudem wurde zwischen den einzelnen Abteilungen des Zuges ein entsprechender Abstand gewahrt, und auf diese Weise ließ sich die notwendige Ordnung aufrecht erhalten. So erreichten wir schließlich den Kamm des Böhmerwaldes und näherten uns der Altreichsgrenze vor Furth im Walde. Und dort kam es zu einem unvermuteten letzten Zwischenfall.

Neben dem Zollhaus standen vor einem heruntergelassenen Schranken drei tschechische Partisanen, die uns den Durchmarsch verweigerten, indem sie sich vor uns aufpflanzten – Gewehre in der Hand – und sagten: ,Halt! Hier ist nix Durchgehen! Alles wieder umdrehen’ Dieser Augenblick, dieses Erlebnis – so völlig unerwartet und so knapp vor dem ersehnten Ziel – war für uns wohl das Schlimmste der ganzen letzten Tage. Und wir bekamen es nun wirklich mit der Angst zu tun. Wir waren zwar noch in Uniform, aber nicht mehr bewaffnet. Was konnten wir also machen? Wie uns schützen? Wie uns wehren?
Die drei am Schranken spürten natürlich unsere Unsicherheit, was ihre eigene Entschlossenheit offensichtlich steigerte. Sie stürzten sich auf einen unserer Leute, zerrten den Mann vom Pferd herunter, um ihn zu verprügeln; und die Lage wurde nun wirklich kritisch.

Der Durchbruch
Doch da trat plötzlich – und gerade im richtigen Moment – Oberstleutnant Quinlivan auf und donnerte sein „What’s going on!?“ – nicht ohne dieser Frage noch einige deftige Kraftausdrücke hinzuzufügen. Mittlerweile war die Szene ziemlich turbulent geworden. Wir befanden uns in einer waldigen Gegend – hügelig und unübersichtlich – und hatten zuletzt einen Hohlweg passiert. Und nun stockte vorne der Zug, weil dort der Schranken den Weg versperrte. Gleichzeitig kamen aber von hinten bereits die nächsten Gruppen den Berg hinauf. – All unsere schöne Ordnung war dahin!

Die jungen Hengste, dreijährig und natürlich entsprechend frisch, fingen nun an auszukeilen und herumzubeißen. Dadurch entstand ein ziemliches Durcheinander, wobei einige Hengste – ich glaube, drei oder vier Stück – sich von der Gruppe losmachten und entflohen. Bis zu diesem Zwischenfall hatten wir auf dem ganzen Weg noch kein einziges Pferd verloren. Jetzt aber drohte ein richtiges Chaos auszubrechen.

Nur Bill Quinlivan stand dort wie ein Fels in der Brandung und erwartete eine Antwort afu seine schlicht, aber sehr vernehmlich gestellt Frage: ,Was ist los hier – zum Teufel nochmal!?’ Und nun erklärte ich ihm, daß die Tschechen uns hier nicht durchlassen wollten.

Oberleutnant Quinlivan unternahm vorerst mit Hilfe von zwei Dolmetschern einen zwar umständlich geführten, aber sehr knapp gehaltenen verbalen Überredungsversuch. Ohne Erfolg. Da er sich im Hinblick auf die immer unruhiger werdenden Pferde zum raschen Handeln veranlaßt fühlte, ließ er als nächstes kurzerhand einen Panzerspähwagen auffahren, die Kanone herunterdrehen und auf das Zollhaus richten. Danach genügte es, daß der hilfreiche ukrainische Kutscher Quinlivans Ultimatum verdolmetsche: „Also, Oberleutnant Quinlivan zählt jetzt bis drei. Und wenn bei drei der Schranken nicht hochgeht, dann knallt’s!“
Quinlivan brauchte nicht zu zählen. Der Schranken ging hoch, und wir ritten über die Grenze. Und da fiel uns nun wirklich ein Stein vom Herzen – wir waren gerettet! Tatsächlich gerettet. Denn nun wußten wir: Jetzt kann uns nichts mehr passieren. Und ich habe eigentlich im ganzen Krieg nie ein solches Gefühl der Erleichterung gehabt wie damals, als wir da herausgekommen waren.“

Leere Stallungen in Hostau
Rudofsky: „Während des großen Transportes, der am 15. Mai weggegangen war, haben sich einige Pferde losgelöst, darunter vier Stuten, die sich verlaufen hatten und die dann schließlich Bauern an der tschechischen Grenze eingefangen und auf ihre Höfe geführt haben. Diese Pferde wurden aber bald darauf von einer tschechischen Kommission, die davon erfahren hatte, abgeholt und in das tschechoslowakische Staatsgestüt Topolcianky mitgenommen.

Nach Hostau kamen am 16. Mai noch ein letztes Mal amerikanische Soldaten. Sie kamen mit zwei oder drei Wagen und haben gesagt: ,Da ist noch verschiedenes, das gestern nicht mitgenommen werden konnte. Und es haben sich auch bei dem Transport einige Pferde verlaufen, die vielleicht wieder zurückgekommen sind.’

Tatsächlich war es so. Ich erinnere mich noch: Da war ein polnischer Anglo-Araber und noch einzelne andere Tiere; die sind in ihren Stall zurückgekommen und haben sich auf ihren alten Platz gestellt. Die Amerikaner haben alles wieder mitgenommen – zusammen mit dem Rest, der am Vortag dageblieben war. Alles, alles haben sie mitgenommen, und nicht einmal einen Nagel haben sie dagelassen, diese Amerikaner. Als sie dann schließlich abgefahren waren und damit auch der letzte Amerikaner Hostau verlassen hatte, habe ich aufgeatmet und zu mir selbst gesagt: Gott sei Dank! Jetzt ist endlich der Krieg aus.“
Doch in diese Erleichterung mischen sich Wehmut und ein Gefühl der Verlassenheit und Leere. Was in jahrelanger, geduldiger Arbeit aufgebaut wurde, ist Rudofsky jetzt gleichzeitig mit den Lipizzanern aus den Händen genommen. Alle Erwartungen auf die Ergebnisse, alle hoffnung auf die Erfolge züchterischer Sorgfalt und Planung ist für ihn mit den Pferden dahin.

Was Rudofsky damals empfunden haben mag, läßt sich für einen einfühlsamen Menschen vielleicht erahnen. Seine eigenen Schlußworte über „Das Gestüt Hostau“ vermitteln einen persönlichen Eindruck von Rudofskys tiefer innerer Bewegung, mit der er nach dem Abzug der Pferde allein in Hostau zurückbleibt: „Alle Pferde sind fort für immer. Wir können es noch nicht glauben, schauen nochmals in die Stallungen, die jetzt leer und öde sind. Kein Wiehern, kein Stampfen, kein Schnauben.

Dann gehen wir zum letzten Mal über die Koppeln zum Schwarzen Berg, von dort hinunter nach Zwirschen und den Schloßberg hinauf bis zum Hegerhaus. Es ist ein herrlicher Frühlingstag. Die Drosseln singe, Wildtauben rufen, Bussarde kreisen. Wir ahnen noch gar nicht, welch bittere Zeit über uns hereingebrochen ist.“

Der Verlierer von Hostau
Als Rudofsky von seinem einsamen Rundgang durch das Gestüt zurückkehrt, wird er von zwei tschechischen Gendarmen in Empfang genommen und verhaftet. Als einziger von allen, der in Hostau zurückgeblieben ist – standhaft auf seinem Platz wie ein Kapitän, der auch das sinkende Schiff nicht verläßt – wird Rudofsky nun als einziger für die Geschehnisse der letzten Wochen zur Rechenschaft und Verantwortung gezogen.
Oberst Reed hatte ihn auf freiem Fuß gelassen. Sein Respekt vor der integren und vom Geist altüberlieferter militärischer Ehrbegriffe geprägten Persönlichkeit Rudofskys, seine Wertschätzung von Rudofskys überragenden züchterischen Fachkenntnissen hätten es niemals zugelassen, einen solchen Mann in Gefangenschaft zu nehmen.

Wovon Reed als gentleman-officer and horseman gleichermaßen Abstand nahm: Rudofskys eigene Landsleute brachten es in der Folgezeit sogar zweimal über sich. Ihrem Mißtrauen, ihren Vorwürfen und ihren Anklagen einem Unschuldigen gegenüber fügten sie die Demütigung einer geringschätzigen, unwürdigen Behandlung hin. So wurde Rudofsky, der sich als Leiter des Gestüts mehr als jeder andere um Hostau verdient gemacht hatte, am Ende der einzige Verlierer von Hostau. Zuerst seiner Freiheit, später auch seines Besitzes beraubt, wurde er zuletzt noch dazu veranlaßt, seine Heimat aufzugeben.

Es spricht für seine außergewöhnliche Toleranz, seine tiefe Menschlichkeit und seine innere Größe, daß Rudofsky dennoch ohne Groll und Bitterkeit zurückblicken und sogar bekennen kann: „Die Jahre in Hostau werden in uns immer lebendig bleiben, denn die Erinnerung webt weiter an den Schleiern unzerstörbarer Dankbarkeit für die Zeit in der alten, geliebten, unvergessenen Heimat.“    Brigitte Peter

 

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...

Weitere Artikel zu diesem Thema:

28.04.2015 - Die Rettung der Lipizzaner aus Hostau, 2. Teil27.04.2015 - Die Rettung der Lipizzaner aus Hostau, Teil 1
Zur Übersichtzurück weiter

 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen