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Studie: Schmerzen sind ins Pferdegesicht geschrieben
07.08.2015 / Wissen

Hier Beispiele für die unterschiedlichen Ausprägungen des Merkmals ,steif rückwärtsgerichtete Ohren
Hier Beispiele für die unterschiedlichen Ausprägungen des Merkmals ,steif rückwärtsgerichtete Ohren'. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002
Hier unterschiedliche Formen des Merkmals ,zusammengezogene Augen
Hier unterschiedliche Formen des Merkmals ,zusammengezogene Augen' – das Augenlid ist teilweise oder sogar vollständig geschlossen. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002
Hier die unterschiedlichen Formen des Merkmals ,angespannte obere Augen-Region
Hier die unterschiedlichen Formen des Merkmals ,angespannte obere Augen-Region' – je nach Anspannung der um die Augen liegenden Muskeln werden die darunterliegenden Knochen sichtbar. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002
Hier die Ausformungen des Merkmals ,angespannte Kaumuskulatur
Hier die Ausformungen des Merkmals ,angespannte Kaumuskulatur' – deutlich sichtbar ist auf dem rechten Foto die verkrampfte Maulpartie. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002
Hier das Merkmal ,angespanntes Maul und akzentuiertes Kinn
Hier das Merkmal ,angespanntes Maul und akzentuiertes Kinn' – besonders deutlich am Foto ganz rechts zu sehen, wo die Oberlippe stark zurückgezogen ist und die Unterlippe ein deutliches ,Kinn' formt. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002
Hier die unterschiedlichen Ausprägungen des Merkmals ,angespannte Nüstern und flaches Profil
Hier die unterschiedlichen Ausprägungen des Merkmals ,angespannte Nüstern und flaches Profil'. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g002
Dieses Pferd wurde auf der ,Skala des Schmerzausdrucks
Dieses Pferd wurde auf der ,Skala des Schmerzausdrucks' mit 1 bewertet – es ist also als weitgehend schmerzfrei zu beurteilen. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g003
Dieses Pferd wurde auf der Skala mit 8 bewertet – zeigt also deutliche Anzeichen von Schmerz.
Dieses Pferd wurde auf der Skala mit 8 bewertet – zeigt also deutliche Anzeichen von Schmerz. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0092281.g003

Eine Gruppe europäischer Wissenschaftler hat untersucht, ob und wie sich Schmerzen im Gesichtsausdruck von Pferden ablesen lassen – und dafür ein Bewertungssystem mit hoher Zuverlässigkeit entwickelt.

 

Jeder Pferdebesitzer wird der Behauptung zustimmen, daß sich auch am Gesichtsausdruck von Pferden ablesen läßt, ob diese Schmerzen haben oder nicht. Aber es wird den meisten schwerfallen, präzise und nachvollziehbar zu beschreiben, an welchen mimischen Details sie das nun genau erkannt haben.

Exakt dieser Aufgabe haben sich sechs Wissenschaftler aus Italien, Deutschland und Großbritannien gestellt: Sie wollten ein schlüssiges, leicht erlernbares Bewertungssystem entwickeln, das es Pferdebesitzern sowie Personen, die beruflich mit Pferden zu tun haben, ermöglicht, den ,Schmerzzustand' von Pferden möglichst genau zu bestimmen. Das Ergebnis bezeichneten sie als ,Horse Grimace Scale' – also die ,Skala des Schmerzausdrucks' bei Pferden.

„Obwohl in den letzten 20 Jahren beträchtliche Fortschritte im Verständnis der Physiologie und der Behandlung von Schmerzen bei Tieren gemacht wurden, ist das Abschätzen von Schmerzen bei vielen Standard-Prozeduren wie etwa dem Fohlenbrennen oder auch bei Kastrationen, noch immer schwierig und häufig unzureichend", so die Forscher. „Obwohl die Kastration bei Pferden längst veterinärmedizinischer Alltag ist, gibt es für die Schmerzbeurteilung nach wie vor keine etablierte, allgemein anerkannte Methode. Wie bei anderen Tierarten ist auch der Schmerz bei Pferden schwer abschätzbar, da sie mit uns Menschen nicht in einer klaren, bedeutungsvollen Sprache kommunizieren können." Wie groß und gravierend das Problem allein im Zusammenhang mit Kastrationen ist, belegen die Wissenschaftler mit bedrückenden Zahlen: „Jährlich werden in Europa schätzungsweise 240.000 Pferde kastriert – und die Kastration ist nachweislich mit einem gewissen Grad an Schmerz verbunden", so Dr. Michela Minero, eine er Studienautorinnen. „Dennoch erhalten nur 36,9 % der kastrierten Pferde Schmerzmittel nach der Operation. Eine mögliche Erklärung dafür ist eben, daß die Schmerzbeurteilung während einer Kastrations-OP noch immer unzureichend ist." Mit anderen Worten: Das Leid der Pferde bleibt unbemerkt – und deswegen auch unbehandelt.

Um diesem deprimierenden Zustand abzuhelfen, entwickelten die Wissenschaftler die erwähnte ,Skala des Schmerzausdrucks'. Im Rahmen einer Studie analysierten sie das Schmerzverhalten von insgesamt 46 Hengsten verschiedener Rassen im Alter zwischen 1 und 5 Jahren. Die Hengste wurden in zwei Behandlungsgruppen mit 19 Hengsten (Gruppe A) und 21 Hengsten (Gruppe B) sowie in eine Kontrollgruppe mit 6 Hengsten eingeteilt. Alle Hengste wurden routinemäßig kastriert.

Gruppe A erhielt unmittelbar vor der Anästhesie eine Injektion Flunixin-Meglumin, ein Entzündungshemmer mit deutlich schmerzstillender Wirkung; Gruppe B erhielt denselben Wirkstoff verabreicht – jedoch sowohl unmittelbar vor der Anästhesie als auch sechs Stunden nach der durchgeführten Operation. Die Kontrollgruppe wurde ebenfalls unter Vollnarkose operiert – erhielt jedoch kein schmerzstillendes Mittel.

Sämtliche Pferde wurden für fünf Tage in einer Pferdeklinik stationiert und sowohl am Tag vor der Kastrations-OP als auch acht Stunden nach der OP mittels HD-Videos beobachtet. Auch an allen Folgetagen wurden Videos angefertigt, aus denen schließlich hochauflösende Fotos der Pferdegesichter entnommen wurden. Anschließend wurden von jedem einzelnen Hengst die Bilder vor und acht Stunden nach der OP von einem fachkundigen Beobachter analysiert, der in der Beurteilung des Schmerzausdrucks bei anderen Tierarten speziell geschult war. Der Beobachter wußte dabei nicht, welcher Behandlungsgruppe das jeweilige Pferd angehörte.

Am Ende ergaben sich aus den umfangreichen Bewertungen insgesamt sechs ,facial actions units', also ,Gesichts-Merkmale', aus denen sich Rückschlüsse auf das Schmerzempfinden eines Pferdes ziehen lassen. Diese sind:

– steif rückwärtsgerichtete Ohren
– zusammengezogene Augen
– angespannte obere Augen-Region
– angespannte Kaumuskulatur
– angespanntes Maul und akzentuiertes Kinn
– angespannte Nüstern und flaches Profil

Jedes dieser Merkmale kann auf einer Skala von 0 bis 2 bewertet werden (0 = nicht vorhanden, 1 = leicht vorhanden, 2 = deutlich vorhanden). Insgesamt ergibt sich somit eine Maximalbewertung von 12 Punkten.

Schmerz-Verhalten war bei den beobachteten Pferden vorwiegend acht Stunden nach der Kastrations-OP festzustellen – dies scheint somit ein entscheidender Zeitpunkt für die Schmerzbeurteilung zu sein.

Auch ein Test mit fünf verschiedenen, unabhängigen Beobachtern ergab, daß die so erarbeitete Skala zuverlässige und schlüssige Resultate lieferte. Es zeigte sich auch, daß die mit Schmerz verbundenen Veränderungen im Gesichtsausdruck sehr ähnlich zu jenen waren, die bereits bei anderen Tierarten beobachtet wurden, freilich mit kleinen, subtilen Abweichungen: Wie schon in früheren Untersuchungen bewiesen werden konnte, kann sich Schmerz bei Pferden auch durch verschiedene unspezifische Indikatoren ausdrücken, etwa einer insgesamt geringeren Körperaktivität, einem gesenkten Kopf, starrem Blick, steifer Haltung und Bewegungs-Unwilligkeit. Auch in der aktuellen Studie hat sich gezeigt, daß die Pferde in den acht Stunden nach der OP zu einer deutlich tieferen Kopfhaltung neigten.

„Unsere Studienergebnisse zeigen, daß die ,Horse Grimace Scale' – also die ,Skala des Schmerzausdrucks' – eine potentiell effektive Methode ist, die Schmerzen bei einer Kastrations-OP zu beurteilen", so die Forscher abschließend. Die Genauigkeit der Skala wurde mit 73,3 % angegeben. Die Beurteilung post-operativer Schmerzen anhand der ,Skala des Schmerzausdrucks'  habe gegenüber einer traditionellen Verhaltens-Analyse eine Reihe klarer Vorteile – so wäre letztere erheblich komplexer, weil man dabei eine viel größere Zahl von möglichen Verhaltensweisen berücksichtigen müsse, so die Wissenschaftler. Sie betonten aber auch, daß noch weitere Bestätigungen für die Effizienz der Skala erforderlich sind – aber die ersten Resultate stimmen zuversichtlich, daß damit ein zuverlässiges Tool verfügbar ist, um post-operative Schmerzen bei Pferden korrekt einschätzen zu können. Dr. Michael Minero: „Die standardisierte ,Skala des Schmerzausdrucks' ist auch für Laien leicht erlernbar und kann nützlich für alle jene Personen sein, die Pferde betreuen, welche in irgendeiner Weise schmerzhaften Behandlungen oder Prozeduren ausgesetzt waren."

Die Studie ,Development of the Horse Grimace Scale (HGS) as a Pain Assessment Tool in Horses Undergoing Routine Castration' von Dr. Michela Minero, Emanuela Dalla Costa, Dirk Lebelt, Diana Stucke, Elisabetta Canali und Matthew Leach ist im März 2014 im Journal PLOS ONE erschienen und kann in voller Länge hier nachgelesen werden.

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